Evaluative Mediation

Der evaluative Mediationsstil. Verortung, Beschreibung, 8 Interventionen und 5 Risiken – und es lohnt sich!

Einleitung

Im Folgenden geht es um den – in Deutschland eher selten anzutreffenden und diskutierten – evaluativen Mediationsstil. Diese Art und Weise in Konflikten zu vermitteln, rührt aus einem besonderen Selbstverständnis her und weist spezifische Methoden auf, die zuweilen für das eher klassische Verständnis von Mediation nicht unproblematisch daherkommen. Das werde ich ausführlich darlegen, die Vorteile, wie die Nachteile.

Nach einer kurzen Verortung des evaluativen Mediationsstils im Vergleich zu den anderen Mediationsstilen stelle ich diesen vollständig und detailliert vor, zeige Anwendungsfelder auf, seine spezifischen Interventionen sowie die Probleme und Risiken, die damit einhergehen.

1. Verortung der evaluativen Mediation

Die eine Mediation gibt es nicht. Vielmehr gibt es eine Vielzahl an Möglichkeiten, Konfliktparteien zu vermitteln, sie in ihren Ausgleichsbemühungen zu unterstützen und gemeinsam Lösungen für die konfligierende Situation zu finden. Entsprechendes Vermitteln findet innerhalb eines bestimmten Bezugsrahmens statt, der mit gewissen Grundannahmen und prinzipiellen Denkmustern ausgestattet ist. So wird ein jeder Mediator davon ausgehen, dass Konflikte kein Schicksal sind, sondern von Menschenhand verursacht und damit gestaltbar sind. Ansonsten wäre Mediation sinnlos. Innerhalb dieses mentalen Bezugsrahmens erwachsen jedoch viele Ausprägungen und persönliche Mediationsstile, abhängig von unterschiedlichen Arbeitsfeldern sowie den unterschiedlichen Persönlichkeiten der Mediatoren und Medianten.

Dabei ist es prinzipiell nicht einfach, Mediationsstile in der Praxis beobachten und studieren zu können. Maßgebend ist jedoch, dass Mediationsstile keine fixen Entitäten sind, sondern Identitäten eines Mediators auf der Grundlage mehr oder weniger durchdachten, professionalisierten Vorgehens. Mediator*innen haben im Gegensatz zu Richtern und Schlichtern grundsätzlich die Aufgabe, die Parteien in ihren Bemühungen, den Konflikt beizulegen, ohne Entscheidungsbefugnis und prozessorientiert zu unterstützen, indem sie – geleitet von bestimmten Grundsätzen – die (Konflikt-)Gespräche strukturieren und moderieren.

1.2. Basisgedanken der Mediation

Ausgehend von den drei Basisgedanken der Mediation, lassen sich temporale Strukturen in der Mediation nutzen, um unterschiedliche Mediationsstile zu beschreiben. Diese – auf zeitliche Horizonte in der Mediation fokussierte – Perspektive hilft zu verstehen, wie unterschiedlich die einzelnen Stile an ihre Vermittlungsaufgabe herangehen und diese operativ durchsetzen. Dabei lassen sich den drei temporalen Strukturen – Vergangenheit-Gegenwart-Zukunft – verschiedene Basisgedanken der Konfliktbearbeitung und Mediation zuordnen.

Jeder Mediator lässt sich (bewusst oder unbewusst) von drei Basisgedanken leiten, wenn er die Mediationsgespräche strukturiert. Diese drei Basisgedanken bzw. Leitideen sind Ausgleich, Vermittlung und Transformation (Abb. 2).

Ausgleich bedeutet, dass der Dritte darauf achtet, dass empfundenes Unrecht, verursacht durch vergangene Handlungen, zwischen den Konfliktbeteiligten ausgeglichen wird, sei es durch wiedergutmachende Handlungen (z.B. Geldzahlungen, Rückgaben) oder durch anerkennende Bitten um Entschuldigung. Der Ausgleichsgedanke holt die Vergangenheit der Beteiligten in die Mediation, beachtet erlittene Verletzungen und fordert zur Versöhnung auf und sorgt für entsprechende Bedingungen. Dauerhaft lohnt es nicht, Einigungen vorschnell auf tief sitzende Verletzungen „aufzupflanzen“. Erfolgreiche Ausgleichsbemühungen ermöglichen den Fokus der Konfliktparteien weg von der Vergangenheit auf die Möglichkeiten der Gegenwart zu richten. Die Parteien können – dank des Ausgleichs – die verletzende Vergangenheit emotional („innerlich“) loslassen und sich der Gegenwart und Zukunft befreit von Lasten der Vergangenheit zuwenden.

Vermittlung bedeutet, dass der Dritte die Konfliktparteien in ihrem gegenwärtigen Konflikt vermittelt und ihre kommunikative Mitte auslotet. Der Vermittlungsgedanke erinnert daran, dass die Parteien ihre Konfliktsituation jetzt zum Thema ihrer Kommunikation machen „müssen“. Nur dann, so die These (und nicht irgendwann alsbald vielleicht einmal), sind die offenen Wege in die Zukunft erkennbar. Sprachlich mag man meinen, weil Mediation = Vermittlung ist, dass hier der Kerninhalt der Mediation zu verorten sei. Das täuscht jedoch: Vermittlung in diesem engen Verständnis ist an sich das Kerngeschäft der Schlichtung, weshalb es nicht Wunder nimmt, dass Schlichtung und Mediation häufig verwechselt werden. Das ist auch der Grund, weshalb es „immer noch“ Mediation ist, wenn bewertend und mit konkreten, aber nicht vorschnellen Vorschlägen mediiert wird und weshalb praktische Schlichtung hervorragend mit Methoden der Mediation einhergeht.

Transformation bedeutet, dass es in der mediativen Konfliktbehandlung auch um Entwicklungs- und Lernpotenziale der beteiligten Persönlichkeiten geht. Unter dieser Flagge wird Mediation ein Ort und eine Phase des Lernens und Reifens. Vorherrschend ist eine relationale Weltsicht, die die Konfliktkommunikation transformieren möchte. Ziel des Transformationsgedankens ist nicht nur (oder nicht vorrangig) die konkrete Regelung des Konflikts durch eine neue materielle Lösung, sondern die Gestaltung eines sozialen Lernprozesses durch konstruktive Veränderung der gegenseitigen Konfliktkommunikation. Perspektivisch öffnet der Transformationsgedanke die Zukunft der Beteiligten. Was werden wir zukünftig anders machen als bisher? Was werden wir gelernt haben, wenn wir die Mediation beendet haben werden? Was ändert sich für mich persönlich und uns gemeinsam durch die gemeinsamen Erfahrungen während der Mediation? Diese Fragen zielen dabei weniger auf eine Reflexion des Geschehenen, sondern auf eine Kreation des Zukünftigen, einer Wandlung der Kommunikationsmuster.

Basisgedanken von Mediation – und temporale Strukturen, Sascha Weigel, INKOVEMA.

2. Der Evaluative Mediationsstil – Beschreibung.

Evaluativ ist der Mediatorenstil, wenn der Dritte (häufig die Rechts-)Positionen fachlich bewertet sowie Vorschläge und Lösungsideen unterbreitet. Die Bewertungen des Geschehenen sowie der Streitpositionen erfolgt freilich wertschätztend den Personen gegenüber und beziehen sich „auf die Sache“. Dazu muss der Mediator selbstverständlich qualifizierte Fach- und nicht selten Rechtskenntnisse aufweisen sowie sich mit der Konfliktmaterie (vorher!) auseinandergesetzt haben.

Der evaluative Stil kommt deshalb vor allem dort zum Einsatz, wo der Konflikt schon länger unter rechtlichen Gesichtspunkten diskutiert wurde, insbesondere in Bereichen, die ohnehin stark verrechtlicht sind und in denen rechtsfokussiert gehandelt wird, d.h. vor allem in wirtschaftlichen Angelegenheiten, durchaus aber auch in Trennungsmediationen. Regelmäßig sind Anwälte bereits eingeschalten worden. Die evaluierenden Vermittler sind zumeist selbst Juristen und die Mediationsgespräche ähneln nicht selten richterlich geführten Vergleichsgesprächen oder geraten ohnehin in die Nähe einer Early Neutral Evaluation, einem Alternativen Konfliktbeilegungsverfahren.

Seine Ursprünge hat der evaluative Stil im angelsächsischen Raum, wo er auch verbreitet vorkommt. Das dürfte mit dem Rechts- und Justizsystem in den entsprechenden Staaten zu tun haben, denen das Common Law zugrunde liegt. Ihnen zu eigen sind spezifische Ressourcenprobleme, z.B. bei den Zugängen zum Recht bzw. deren Verschlossenheit, die dazu geführt haben dürften, dass eine evaluative Vermittlung wachsen und zur Normalität werden konnte. Der Wert einer unverbindlichen Meinungsmitteilung eines neutralen Dritten steht und fällt letztlich mit der Autorität und Glaubwürdigkeit dieser Person. Sind allerdings anderweitige Wege einer neutralen Bewertung (nahezu) verschlossen, ist eine Etablierung dieser Vorgehensweise wahrscheinlicher.

In Deutschland hat sich dieses Modell von Mediation allerdings – soweit ersichtlich – nicht etabliert.

2.1. Evaluativer Mediationsstil – Haltung und Absichten.

Auch der (be-)wertende Mediator sollte eine wohlwollende und wertschätzende Haltung gegenüber den Konfliktparteien aufweisen. Seine Absicht ist es, während der Mediation und insbesondere mit seinen Bewertungen die Eigenverantwortlichkeit der Konfliktparteien (Autonomie, Selbstverantwortlichkeit) zu wahren und zu fördern. Der Dritte wertet die Situation, das Verhalten, aber niemals die Konfliktparteien als solche – und schon gar nicht ab. Regelmäßig betrifft diese fachliche Bewertung die juristischen Rahmenbedingungen (Ist die streitige Position juristisch haltbar?), aber das ist nicht zwingend. Genauso denkbar ist eine Evaluation ökonomischer oder sogar ethischer oder wissenschaftlicher Fragestellungen/Rahmenbedingungen.

Beispiele: Die gesellschaftsrechtlich verbundenen Parteien, Geschäftspartner, streiten über das Investitionsrisiko und die Bedeutung der eigenen Bilanzen und erst in zweiter Linie über die Rechtmäßigkeit des Vorgehens. Oder die Parteien streiten über die Frage, ob und wie sie weiter in eine – ethisch problematische – Richtung weiterforschen und wen sie informieren oder um Erlaubnis fragen müssen, und wie die bisherigen Daten und Ergebnisse zu interpretieren sind? Ähnliche Streitfragen können in baulichen Großprojekten aufkommen. In all diesen Fällen lohnt es sich mitunter, den Rat einer fachlich qualifizierten Vermittlerperson einzuholen, dem der Konfliktfall in einem Mediationssetting vorgetragen wird, d.h. in dem der Dritte die Prozesshoheit übernimmt.

All diese funktionalen Rahmenbedingungen können Fragestellungen sein, die an einen Mediator in Konflikten herangetragen werden können. Sofern der Mediatorvertrag die Mediatorenpflicht begründet hat, evaluierend zu vermitteln, dürfen die Parteien davon ausgehen, dass sich der Mediator dazu auch in der Sache äußern wird. Eine derartige Bewertung und Einschätzung durch den neutralen Mediator bietet den Konfliktparteien Aspekte der gemeinsam zu erarbeitenden Entscheidungsgrundlage zur Beilegung des Konflikts. Schon allein aus diesem Grund agiert der evaluierende Vermittler einschätzend, nicht verurteilendDes evaluierenden Mediators Absicht ist grundsätzlich, die Mediation als Gelegenheit zu nutzen, die Auseinandersetzung fachlich korrekt und zur Zufriedenheit Aller beizulegen, um ihnen einen weiteren reibungslosen Verlauf ihrer (Arbeits-)Beziehung zu ermöglichen.

2.2. Evaluativer Mediationsstil –  Ausgewählte Interventionen in der Praxis

Im Folgenden werden typische Interventionen evaluierender Vermittlungsarbeit – freilich nicht abschließend – vorgestellt.

1) Intervention: Auftragsklärung

Die wichtigste und bedeutendste Intervention steht zu Beginn der Mediation: Die klare und allseits verständliche Auftragsklärung. Der evaluierende Mediator sollte sich dezidiert mit den Beteiligten darüber verständigt haben, ob und inwieweit seine Evaluationen, Einschätzungen, Beurteilungen und Vorschläge grundsätzlich erwünscht und willkommen sind oder nicht. Diese Form der Auftragsklärung bietet die beste Vorsorge, dass die Befürchtungen und Bedenken hinsichtlich eines evaluierenden Stils beigelegt werden können und die Risiken hinsichtlich der Mediationsprinzipien (Eigenverantwortlichkeit, Neutralität etc.) minimiert sind.

1) Intervention: Gesprächs- und Verhaltensregeln

Nicht selten zeichnet sich der evaluierende Stil praktisch auch dadurch aus, dass er etwaige Gesprächs- und Verhaltensregeln direkt vorgibt und den Konfliktparteien wenig Handlungsspielraum belässt. Das hängt von den entsprechenden Erfahrungswerten des Mediators ab. Das Motto könnte hier also lauten: „So läuft das hier bei mir – wenn Sie meine Einschätzung infolge eines umfassenden Inkenntnissetzens haben wollen!“. Auch diese Intervention steht im Dienste der Lösungsorientierung dieses Stils.

3) Intervention: Fachliche, nicht persönliche Beurteilung

Evaluierender Mediationsstil bedeutet auch, dass der Mediator während der Mediationsgespräche die Standpunkte und Positionen fachlich beurteilt, also den vereinbarten Referenzmaßstab anlegt, misst und seine Einschätzung kundgibt. Der Mediator wird auf argumentative Schwachstellen hinweisen, z.B. über entgegenstehende Rechtsprechung informieren oder physische oder rechtliche Grenzwerte beim Bau mitteilen oder ähnliches. Diese Einschätzungen und Beurteilungen dienen allerdings den Konfliktparteien lediglich zur Entscheidungsfindung, nicht als Vorgabe, ihnen sei Folge leisten. Das ist ein wesentlicher Unterschied, der viel zu selten beachtet wird.

4) Intervention: Lösungsideen unterbreiten

In „kommunikativen Pattsituationen“ sowie bei der Lösungssuche generell wird der evaluierende Mediator aktiv Vorschläge und Ideen unterbreiten. Denkbar ist auch, dass er Korrekturvorschläge hinsichtlich der Argumentationskette unterbreitet. Hier besteht viel Spielraum, weil die gesamte Fachexpertise des Mediators (insbesondere hinsichtlich seines Grundberufes!) herangezogen werden soll.

5) Intervention: Vorherige Kenntnisnahme

Die vorstehenden Interventionen verdeutlichen, dass sich der evaluierende Mediator bereits vor Beginn der Mediationssitzungen mit dem Streitgegenstand vertraut machen muss. Er wird ggf. Akten(kopien) anfordern oder ausführliche Stellungnahmen einfordern. Das ist eine typische Intervention, um den Evaluationsauftrag erfüllen zu können und steht im krassen Gegensatz zu anderen Mediationsstilen, die eher darauf Acht geben, möglichst gar Nichts und Niemanden vor Beginn zur Kenntnis zu nehmen.

6) Intervention: Einzelgespräche

Um die Aufgabe kritischer Begutachtung und direkten Feedbacks in der angespannten Lage eines Konflikts konstruktiv durchführen zu können, lohnt es sich für evaluierende Mediatorinnen, methodisch auf die Shuttle-Diplomacy (Caucus Mediation) zurückzugreifen, also abwechselnd Einzelgespräche zu führen. Das verhindert Gesichtsverluste und ermöglicht nachhaltige Perspektivenwechsel bei den Konfliktparteien.

7) Intervention: Direktiven

Zuweilen äußern sich evaluierende Mediatorinnen ganz direkt darüber, was zu tun sei. Ein derartiger „extrem-evaluierender Stil“ wird auch als direktiver Mediationsstil bezeichnet. Ein solches Anordnen mag sich regelmäßig aber darin erschöpfen, den Verhandlungsspielraum der Beteiligten einzuschränken, indem bestimmte Streitpunkte (Issues) ausgeklammert werden und Verhandlungsspielräume konkret benannt werden. Innerhalb dieser (Ver-)Handlungsspielräume ist sodann die eigenständige Lösung zu suchen, z.B. weil das die Räume sind, die nach Einschätzung des Mediators (infolge der vorangegangenen Gespräche), wenn überhaupt, die Lösung parat halten. Es handelt sich also eher um eine Spielraumeröffnung, als um eine punktgenaue Handlungsvorgabe.

8) Intervention: BATNA + WATNA

Eine besonders hilfreiche Intervention ist die (Haus-)Aufgabe, konkret die BATNA und die WATNA zu klären. Das sind generell zwei wichtige Verhandlungsvorbereitungen, die häufig unterlassen werden und die Verhandlungen erschweren. Die Best Alternative To Negotiated Aggreement und die Worst Alternative To Negotiated Aggreement unterstützen die Parteien, während der Verhandlungen einen klaren Kopf zu behalten. Dafür müssen sie allerdings bewusst ausgearbeitet und festgelegt worden sein. Die Leitfragen dafür sind: Was wird bestenfalls/schlimmstenfalls jeweils von Euch im Nachgang unternommen werden, wenn Ihr Euch hier nicht einigt!

2.3. Evaluativer Mediationsstil – Probleme und Risiken.

Evaluierendes Vorgehen weist gewisse Risiken für alle Beteiligten auf. Mediatoren und Medianten sollten sich darüber im Klaren sein und im Zuge der Auftragsklärung darüber verständigen. Dieses Arbeitsbündnis ist auch ein Vertrag und klärt, wie sich die Beteiligten in und durch die Mediation vertragen wollen(, damit sie sich nicht verheben). Diese Klärungsarbeit dient den Interessen des Mediators sowie der Medianten und ist nicht zu unterschätzen (Vertragsarbeit). Folgende Risiken und Probleme sind bei der evaluierenden Mediation relevant:

1) Neutralitätsprinzip?!

Evaluierungen sind nicht unproblematisch im Hinblick auf den Neutralitätsgrundsatz. Mediator*innen müssen gem. § 1 Abs. 2 MediationsG „neutral“ agieren. Neutralität ist hier verfahrensbezogen zu interpretieren. Während des gesamten Mediationsverfahrens ist der Mediator zur Gleichbehandlung verpflichtet. Bewertungen in der Konfliktsache können zu Lasten eines Beteiligten gehen oder zumindest als ungerecht und eben nicht neutral aufgefasst werden. Ob dies von einem objektiven Standpunkt aus berechtigt ist oder nicht, spielt keine Rolle. Denn wenn einer der Beteiligten den Mediator nicht als neutral erlebt, wird er die Mediation in Frage stellen und abbrechen. Die Idee des evaluierenden Mediators ist generell, dass sich die Konfliktbeteiligte mit ihrer Argumentation kritisch auseinandersetzen können. Doch einmal im Verdacht der Parteilichkeit geraten, ist eine weitergehende Mediation mit dem verdächtigen Mediator arg belastet. Dieser Gefahr muss sich der evaluierende Mediator bewusst bleiben. Aber das Risiko ist einerseits steuerbar und andererseits ist es das wert.

2) Eigenverantwortlichkeitsprinzip?!

Bewertungen durch die Mediatorin können auch im Hinblick auf den Eigenverantwortlichkeitsgrundsatz gem. § 1 Abs. 2 MediationsG problematisch erscheinen. Die Parteien streben ihre eigene Antwort auf die Konfliktlage an, weshalb Meinungen und Bewertungen durch Dritte, hinderlich, ablenkend oder negativ beeinflussend wirken können. Bewertungen, vor allem in Formen von Vorschlägen, sind auch eher eine Sache von Schlichtern, weniger von Mediatoren. Allerdings handelt es sich dabei gerade, wie schon erwähnt, um das Kernelement von Vermittlung: Und hier gleichen sich die Aufgaben von Mediatoren und Schlichtern tatsächlich. Und evaluierende Mediator*innen beeinflussen die Konfliktbearbeitung auch tatsächlich und inhaltlich, was ihrer auftragsgemäßen Aufgabe entspricht und Bestandteil ihrer vertraglichen Verpflichtung ist – soweit das derart vereinbart wurde. Evaluationen durch Dritte bilden danach die Grundlage der konfliktparteilichen Entscheidung, nicht aber eine Vorgabe. Derartige Evaluationen können die Parteien anregen, jene weiter zu denken und zu vertiefen, anzupassen und daraufhin die Streitpunkte klären. Das ist keine unmediative Beschränkung, sondern eine Realisierung der Eigenverantwortlichkeit ganz nach dem Motto: Nur sie können es schaffen, aber müssen es nicht allein. Das ist – so will ich meinen – der Kerngedanke von Mediation.

3) Rechtsberatungsbefugnis?!

Die evaluierende Mediation vermengt die Rechtsberatung mit der  Vermittlung. Das ist mit Hinblick auf das Rechtsberatungsgesetz problematisch. Doch unabhängig von der Tatsache, dass es einer entsprechenden Befugnis zur Rechtsberatung geben muss, wozu die Ausbildung zum und Tätigkeit als Mediator nicht dazugehören, muss jedoch festgestellt werden, dass eine auch juristische Bewertung der Situation nicht zwingend eine Rechtsberatung darstellt. Es mangelt zumeist an dem für die anwaltliche Rechtsberatung typischen und konstitutiven strategischen Element. Anhand von Entscheidungen und juristischen Kommentaren zu informieren, stellt noch keine Rechtsberatung dar. Da es sich allerdings in der Praxis häufig um eine Gratwanderung zwischen Beratung und Information handelt, ist die Gefahr vor allem für nichtanwaltliche Mediator*innen virulent. Mediatorinnen, die zugleich zur Rechtsberatung befugt sind, also vor allem Rechtsanwaltsmediatorinnen, hingegen haben diese Gratwanderung nicht zu beachten, sondern sich lediglich zu vergewissern, dass Ihre vermittelnde Beratung erwünscht, gefordert und hilfreich ist. 

4) Abschlussfixierung?!

Zuweilen steht der evaluierende Mediationsstil im Verdacht, zu abschlussorientiert zu sein. Wie schon gesagt, sehen vor allem Befürworter die Mediation als Gelegenheit an, den Konflikt beizulegen – und definieren letztlich auch über die den Konflikt beendende Abschlussvereinbarung den Erfolg der Mediation. Darüber mag verloren gehen, dass auch eine Mediation erfolgreich sein kann, wenn die Beteiligten keine Abschlussvereinbarung unterzeichnen. Gerade in der innerbetrieblichen Mediation wird häufig der kommunikative Aspekt des Mediationsprozesses als sinnstiftend und wertvoll angesehen, der weit über den aktuellen und „ungelösten“ Konflikt Bedeutung erlangt. In diesen Fällen wird der transformative Wert von Mediation von abschlussorientierten Evaluatoren verkannt und nicht ausreichend gewürdigt. Darauf sollten Vertreter*innen des evaluativen Stils Acht geben und sich für derartige Erfolge der Mediation öffnen. Der abschließende Ausgleich ( einer der Basisgedanken der Mediation, s.o.) stellt für die Mediation eine Parallele zur gerichtlichen Bearbeitung von Konflikten dar, ist aber nicht der einzige Wert und Basisgedanke von Mediation: Während der Vermittlungsgedanke auch in der Schlichtung umgesetzt wird, ist die Idee der Transformation spezifisch für die Mediation, mag man ihn auch in der evaluierenden Praxis nicht in den Vordergrund stellen.

5) Schlichtungsähnlichkeiten?!

Die evaluierende Mediation ähnelt mitunter dem ADR-Instrument der Early Neutral Evaluation. Dabei handelt es sich um eine „Sonderform der Schlichtung“, bei der der neutrale Dritte in einem möglichst frühen Stadium des Konflikts eingeschaltet wird, um eine neutrale Evaluation vorzunehmen. Agiert bei der Early Neutral Evaluation nicht selten ein pensionierter Richter, der summarisch eine juristische Prüfung vornimmt, agiert im Rahmen einer evaluierenden Mediation zumindest ein ausgebildeter Mediator, dessen stilistischer Schwerpunkt eben die Vermittlung der streitigen Positionen ist, weniger die Transformation der Konfliktbeteiligten. Juristische Probleme entstehen infolge dieser sachlichen Nähe beider Verfahren nicht. Jedoch mag in der Praxis der Konfliktmanagementsysteme und den damit einhergehenden Aufbau einer Vielfalt von Konfliktmanagementverfahren darauf Acht gegeben werden, dass entsprechende Mediationsverfahren nicht rein evaluativ durchgeführt werden, um nicht das Instrument der Early Neutral Evaluation, soweit es vorgesehen ist, überflüssig zu machen. Das wäre ressourcenverschwendend, wenn auch erlaubt.