Was Mediatoren antreibt: Vermittlung, Ausgleich, Transformation als Leitideen der Mediation

25 Grundlagen von Mediation (7)

Mediator*innen müssen sich schon etwas einfallen lassen, damit die Konfliktinvolvierten sie bei der eigenverantwortlichen Konfliktbearbeitung dabei sein lassen! 

Es ist ja ohnehin schon schwer genug, geradezu unangenehm; zuweilen peinlich oder ärgerlich, aber immer irgendwie lästig. Wer erlebt sich schon gern in (auch inneren) Konflikten. Und dann bietet sich auch noch ein Dritter an, der nichts entscheiden will, aber irgendwie Hilfe verspricht – natürlich gegen Honorar!

Die anderen Dritten im Konflikt richten wenigstens die Parteien oder schlichten die Angelegenheit. Aber was tun Mediator*innen? Was haben sie zu bieten?! Ich meine, Mediator*innen sind gewohnt, ziemlich zu Beginn eindeutig klarzustellen, dass sie den Konflikt nicht entscheiden (werden) und sich mit Lösungsvorschlägen auch noch zurückhalten wollen. Was ist das für eine Arbeitseinstellung? Welche Dienstleistung beginnt mit der Ansprache, sich über Lösungen bewusst keine Gedanken zu machen?! Und Mediator*innen meinen das auch so! Sie betonen es sogar, als wäre es die Werbeansprache schlechthin! Welche Grundideen und Basisannahmen genau dazu führen, darum geht es in diesem Beitrag, der Nr. 7 aus der Reihe – 25 Grundlagen von Mediation.

Die drei Leitideen der Mediation – Ausgleich, Vermittlung, Transformation

Mediation ist ein bewusst strukturierter Kommunikationsprozess. Er möchte die festgefahrene, erhitzte oder gefrorene, Konfliktkommunikation – im Auftrag der Kommunikatoren(!) – verändern. Diese Sichtweise gibt wichtige Hinweise auf die komplexe und in sich widersprüchliche Aufgabenstellung für Mediator*innen: Die Medianten beauftragen den vermittelnden Dritten, ihnen dabei zu helfen, einen veränderten Umgang miteinander zu erreichen, den sie ohne ihn nicht zu erreichen scheinen. Dabei soll er ihnen nicht vorschreiben (dürfen oder können), wie sie sich zu vertragen haben. Vielmehr soll er auf Augenhöhe mit den Konfliktbeteiligten agieren.

Oder um es deutlich zu sagen: Der Mediationsauftrag wirft tradierte Vorstellungen von Lern- und Entwicklungsprozessen über den Haufen. Im Konflikt gibt es nicht eine Wahrheit. Wenn zwei sich auf Augenhöhe streiten, gibt es nicht das eine Richtige und Falsche, nicht denjenigen, der Recht hat. Recht ist eine Sache des richtenden Dritten. Und der Mediator ist ein solcher Dritte nicht! Der Mediator ist nicht der Wissende, der rechtbeanspruchende oder -verkörpernde Dritte, der sein Wissen den Nichtwissenden, aber Willigen und Lernbereiten mitteilt.

Der ideale Mediator agiert auf Augenhöhe, in der Sache als auch in der Sprache. Mediator*innen agieren, ob sie sich dessen bewusst sind oder nicht auf der Grundlage von konstruktivistischen Ideen. Mediation bedarf dieser Perspektivenvielfalt, einer perspektivischen Vorstellung von der Welt und auf sie.

Deshalb gilt grundsätzlich: Eine Wahrheit ist nicht genug! Her mit Euren Welt- und Wertvorstellungen! Breitet sie aus, haltet nichts zurück und bleibt Euch bewusst, dass das auch für die Anderen gilt. Und es ist gemeinsame Aufgabe, daraus etwas Sinnvolles zu gestalten. Und deshalb gibt es viel zu bedenken, viel aus-zu-reden, viel zu hören und noch mehr zu vereinbaren. Es gilt zu klären, wie sich zukünftig vertragen wird, um sich nicht gemeinsam zu verheben.

Damit ist schon das Wesentliche zu den Grundideen der Mediation gesagt. Aber wir brauchen es fassbarer. Mediator*innen agieren als Geburtshelfer und Hebammen: Sie haben die Konfliktlösung nicht gemacht, sondern verhelfen ihr lediglich zur Existenz. Dabei können auch  Mediator*innen grundsätzlich keine Verantwortung für das Ergebnis übernehmen, wohl aber für den förderlichen (Geburts-)Prozess. „Grundsätzlich“ heißt wie auch sonst, dass es Ausnahmen gibt. So ganz freizeichnen können sich Mediator*innen nicht, wollen Sie nicht die Macht und den Einfluss verkennen, den sie im Geburtsprozess ausüben, der damit auch ganz anders hätte verlaufen können. Deshalb sind sie mitursächlich für das Ergebnis.

Das Gesagte lässt sich in drei handlichen Grundideen formulieren.

Basisgedanken Mediation

Mediation ist geleitet von der Idee…

– des Ausgleichs zwischen den Konfliktverstrickten

(Ausgleichsgedanke),

–  der Vermittlung zwischen den Konfliktbeteiligten 

(Vermittlungsgedanke) und

– der Entwicklung der Konfliktverwickelten 

(Transformationsgedanke).

Diese werden von jedem vermittelnden Dritten in unterschiedlicher Gewichtung umgesetzt und entfalten auf diese Art ihren Einfluss auf den individuellen Mediationsstil. Die Basisideen können für die Mediator*innen handlungsleitend sein, auch wenn das nicht ohne Weiteres in der Praxis deutlich wird.

(Hier findest Du einen eigenen Beitrag zu den Mediationsstilen, wenn sie Dich näher interessieren.)

Ausgleich oder niemand entkommt der Vergangenheit

Leitideen Mediation

Der Ausgleichsgedanke bedeutet, dass der Dritte darauf achtet, dass empfundenes Unrecht, verursacht durch vergangene Handlungen, zwischen den Konfliktbeteiligten ausgeglichen wird. Dafür reichen durchaus simple, wiedergutmachende Handlungen, eine Offenheit für die Sichtweise des anderen, ein Anerkenntnis, wie der andere das damals erlebt hat, mitunter eine ausdrückliche Bitte um Entschuldigung. Das kann durchaus nebenbei geschehen, der Mediator wird es kommunikativ markieren, damit es nicht verloren geht, sondern zur gemeinsamen, bewussten Realität wird.

Der Ausgleichsgedanke holt, wenn auch kurzzeitig, die Vergangenheit der Verstrickten in die Mediation. Es ist der Ausgleichsgedanke, der den Mediator dazu veranlasst, zu entschleunigen, weil es noch offene Wunden und Verletzungen gibt, die beachtet werden wollen, die Entschuldigungen ein- und zur Versöhnung auffordern.

Auch wenn sie sich nicht unbedingt Freunde in der Mediation damit machen, tun Mediator*innen gut daran, genau darauf zu achten und neue Vereinbarungen nicht vorschnell und unbedacht zu bezeugen. Nicht selten „sollen“ derartige „Schlussstrich-Aktionen“ lediglich vorhandene Verletzungen zuschütten. Auf schmerzende Verletzungen „aufgepflanzte“ Vereinbarungen tragen jedoch eine Arbeits- oder andere Dauerbeziehung nur selten weit.

Praxiserfahrung: Zuweilen erledigt sich eine ernste und „abschließend gemeinte“ Vereinbarung noch während des Mediationsprozesses von selbst. In einer Mediation sprangen einmal beide Elternteile geradezu zeitgleich auf und reichten sich die Hand, als sie die Idee hatten, alles Bisherige zu vergessen, die monatliche Summe, die bisher nicht gezahlt werden wollte, monatlich zu zahlen und ansonsten vollständig seiner Wege zu gehen, einschließlich dessen, dass die gemeinsame Tochter lediglich mit einem dieser Wege zu gehen hatte. Einerseits war die Vereinbarung ernst gemeint. Andererseits schien sie Theater – für das vermittelnde „Publikum“. Deutlich war aber vor allem, dass die erlittenen Verletzungen auf beiden Seiten dazu trieben und doch nicht zu schmerzen aufhörten. Die Mediation war jedenfalls keineswegs beendet.

Interventionen, die einen Ausgleichsprozess im Sinn haben und die Involvierten anregen, ermöglichen letztlich, den gemeinsamen Fokus weg von der Vergangenheit auf die Möglichkeiten der Gegenwart zu richten. Die Parteien können – dank des Ausgleichs – die verletzende Vergangenheit emotional (auch) „innerlich loslassen“ und sich der Gegenwart und Zukunft zuwenden.

Vermittlung oder weshalb die gemeinsame Mitte nicht der Kompromiss ist

Leitideen Mediation

Vermittlung bedeutet, dass der Dritte die Konfliktbeteiligten in ihrem Konflikt…nun ja, vermittelt. Der Dritte lotet ihre kommunikative Mitte aus, bringt die Beteiligten ausdrücklich dazu, Ihre Konfliktkommunikation zum Kommunikationsthema zu machen und hält sie dort:

  • Was tun Sie, wenn Sie streiten? 
  • Was möchten Sie sich mitteilen, wenn Sie sich anschweigen?
  • Was meinen Sie, was der andere von Ihnen will, wenn er sich so benimmt?

Der Vermittlungsgedanke erinnert die Beteiligten daran, dass sie lediglich dann offene Wege sehen können, wenn Sie sich und ihren Umgang mit ihren unterschiedlichen Sichtweisen ausdrücklich zum Gesprächsthema machen. Es ist eine bewährte Strategie, „die Sache zu klären“, indem man sich ihr nicht direkt widmet, sondern den Kooperationsprozess gemeinsam reflektiert

Aus diesem Grunde führt eine gute Vermittlung auch nicht zu einem faulen Kompromiss. Gute Vermittlung weiß um die Notwendigkeit des Ausgleichs (s.o.). Vermittlung ohne Ausgleich führt ihrerseits lediglich zu „faulen Kompromissen“, Vereinbarungen, die auf unzureichend aufgelockertem Nährboden aufgepflanzt werden – und somit zu modern beginnen.

Das wird noch in einem anderen Zusammenhang deutlich: Sprachlich wird bereits angedeutet, dass der Vermittlungsgedanke der Kerninhalt der Mediation (= Vermittlung) ist. Aber eben nur der Kern, zu dem stets ein „schützendes Umfeld“ gehört, ein Vorhof, ein Schild, ein Kleid, ein Umhang, das Drumherum, damit der Kern als Kern erkennbar wird.

Die Vermittlung ist für sich auch ein Element von Schlichtung. Deshalb verwundert es nicht, dass Schlichtung und Mediation häufig verwechselt oder synonym verstanden werden. Mitnichten. Es handelt sich um zwei verschiedene Aufgabenstellungen für Konfliktdritte, die sich aus dem verschiedenen Funktionsrichtungen der jeweiligen „Einkleidungen“ ergeben. Doch das würde hier zu weit führen, darauf gehe ich ein andermal genauer ein. Wichtig ist für den Moment, Mediation ist mehr als Vermittlung.

Transformation oder nachhaltige Entwicklungen entstehen aus Verwicklungen

Leitideen Mediation

Transformation bedeutet, dass es in der mediativen Konfliktbehandlung auch um die Entwicklungsmöglichkeiten der sozial Verwickelten geht. Das muss nichts Großes sein, ist aber stets für die Individuen bedeutsam. Das gilt auch für die betroffenen Organisationen. Gerade bei Mediationen, die im Auftrag oder Rahmen einer Organisation stattfindet, können derartige „Lernmöglichkeiten“ auftreten.

Beispiel: Häufig auftretende Konfliktthemen können für Organisationen wichtig werden, ihr Konfliktmanagementsystem zu optimieren bzw. den organisationalen Fokus darauf einzustellen. Diversity-Themen werden hier in Zukunft gerade in großen Betrieben und Konzernen bedeutsamer werden. Im gesellschaftlichen Maßstab etwa hat die gesellschaftliche Organisation „Staat“ aus den eigenen Konfliktaufkommen gelernt und fördert Mediation, diese Art und Weise, Konflikte zu bearbeiten – als Zusatz zur juristischen Bearbeitung von Konflikten.

Mediation ist auch im Selbstverständnis ausdrücklich ein Ort und eine Phase des verdichteten Lernens – und damit eine Möglichkeit von Persönlichkeitsentwicklung. Dieser Aspekt verliert sich zuweilen in der Praxis, weil der Konflikt beigelegt wird, wenn auch auf Wiedervorlage.

Der Transformationsgedanke allein würde nicht vorrangig zu einer konkreten Regelung des Einzelfalles führen. Vielmehr hat er eine vom Einzelfall ausgehende Entwicklungslinie im Blick. Der Einzelfall ist mehr Symptom einer Veränderungsnotwendigkeit. Deshalb bietet das Mediationsverfahren an sich dem Transformationsgedanken eher einen Rahmen, in dem soziale Lernprozesse stattzufinden haben. Hier steht Mediation an der Schwelle zur Pädagogik und tut gut daran, diese nicht zu überschreiten, sondern mit den Ausgleichs- und Vermittlungsgedanken ein Gleichgewicht einzugehen.

Dennoch, es ist der Transformationsgedanke, der darauf hinweist, dass sich nicht nur festgefahrene Positionen abschwächen und verändern können, sondern auch herausgearbeitete Interessen einer steten Veränderung und Neubewertung unterliegen. Das macht das Mediationsverfahren tatsächlich zu einem echten kreativen Prozess, zu einer Entdeckungstour, die Offenheit, vor allem aber Mut erfordert, um persönliches und soziales Neuland zu betreten.

Die Parteien erweitern in einer Mediation nicht nur ihr Handlungs- und Kommunikationsspektrum für den konkreten Konflikt, sondern (vermutlich) auch zukünftige Konflikte. Zugegeben; das hängt stets von den Beteiligten ab sowie von der Art und Tiefe des Konflikts. Dennoch, maßgeblich ist dafür letztlich, inwieweit die Beteiligten – angehalten durch den Mediator(!) – dieser Möglichkeit von Mediation Raum und Zeit zugestehen. Von allein tritt persönliche Entwicklung nur unzureichend ein. Es bedarf hier schon ein wenig der Aufmerksamkeit der Beteiligten, worauf ein guter Mediator achten wird. Eine nachhaltige, das Potenzial ausschöpfende Mediation wird dennoch kaum ohne Transformationsaspekte gelingen.

Perspektivisch öffnet der Transformationsgedanke die Zukunft der Beteiligten und fordert die kreativen Möglichkeiten aller heraus:

  • Was werden wir zukünftig anders machen? 
  • Was wollen wir gelernt haben? 
  • Was werden wir gelernt haben, wenn wir die Mediation abgeschlossen haben? 
  • Was möchten wir zukünftig nicht mehr erleben, weil wir ernsthaft annehmen können, das geklärt zu haben? 
  • Was ändert sich für mich persönlich durch diese Erfahrungen? 

Diese Fragen zielen dabei weniger auf eine Reflexion der Geschehnisse an sich, sondern auf eine Kreation des Zukünftigen. Sie verwirklichen den Aspekt wahrer Gestaltung, fordern die Kräfte der Kreation und verwirklichen im Dienste unseres „social brain“ die neurobiologische Veranlagung zur Kreativität, einem wichtigen Faktor unserer Motivation Im Leben.

Es ist deutlich geworden, dass die unterschiedliche Gewichtung dieser Basisgedanken einen entscheidenden Einfluss auf den praktizierten Mediationsstil hat. Querverbindungen sind hier also nicht zufällig, sondern liegen in der Ordnung der Dinge. Zusammengefasst stellen sich die Grundideen zur Mediation folgendermaßen dar.

Leitideen Mediation