Das Spezifikum der Mediation. 

Mediation als zukunftsgewandte Konfliktbearbeitung von Organisationen 

Ausführungen zur Strategischen Mediation in und von Organisationen.

Zusammenfassung: 

Mediation weist als Konfliktbearbeitungsverfahren eine Besonderheit auf, die in der praktischen Arbeit betont und etabliert werden darf: Die Möglichkeit, die Konfliktbearbeitung zwischen den Beteiligten zukunftsorientiert auszurichten. Das ist das Spezifikum der Mediation, das sie von anderen Konfliktbearbeitungsverfahren, insbesondere im Rahmen der Delegation (an Richter und Schlichter) unterscheidet.

Diese Zukunftsorientierung der Konfliktbearbeitung macht Mediation vor allem für Organisationen der Arbeits- und Wirtschaftswelt interessant. Denn diese Organisationen sind es gewohnt, im zukunftsorientierten Modus zu agieren. Das macht modernes Wirtschaften aus. Daraus folgen weitere Konsequenzen für die Durchführung der Mediation in Organisationen.

1. Die Besonderheit der Modernen Mediation: Zukunftsorientierung.

Mediation zählt zu den Verfahren der Konfliktbearbeitung, bei denen ein Dritter als Unparteiischer hinzugezogen wird. Sie zählt damit zu den drittgestützten Konfliktbearbeitungsverfahren. Zu dieser Gruppe von drittgestützten Konfliktbearbeitungs- bzw. lösungsverfahren zählen auch das richterlich geführte Gerichts- bzw. Schiedsgerichtsverfahren sowie das Schlichtungsverfahren, bei dem ein Streitschlichter hinzutritt (Hager 2001, Holtwick-Mainzer, 1985).

Die Besonderheit der Mediation wird deutlich, wenn man sich die historischen Stoßrichtungen anschaut, in denen eine Lösung gesucht, zumindest aber der Konflikt bearbeitet wird. Zwar wird jeder Konflikt durch die Konfliktparteien immer in deren Gegenwart bearbeitet, aber die Denkrichtungen können sich zudem in die Vergangenheit und in die Zukunft hineinstrecken. Es ist Ausdruck eines sozialen und sozialisierenden Kulturvorgangs dar, dass die unterschiedlichen Zeitdimensionen als Reflexions- und Entscheidungsfläche genutzt werden können. Konfliktparteien können sich über die gemeinsame Vergangenheit austauschen und neue Aspekte und Perspektiven gewinnen, was keineswegs erst mit der aufdeckenden Psychologie im 20. Jahrhundert geschah, sondern bereits dem rechtsorientierten Vorgehen zugeschrieben werden muss. Ebenso können Konfliktparteien aber auch in die (gemeinsame?) Zukunft schauen, wohlwissend, dass dadurch gegenwärtige Überlegungen, Einschätzungen, Entscheidungen und Handlungen beeinflusst werden (Hölscher 2016). Für den vorliegenden Zusammenhang ist bedeutsam, dass die einzelnen drittgestützten Konfliktbearbeitungsverfahren in je unterschiedliche historische Dimensionen der Konfliktbeziehung schauen und sich auch in dieser Hinsicht unterscheiden lassen.

Der richterlich be- und verurteilende Dritte, historisch eine zivilisatorische Errungenschaft, um ausufernde Gewalt zwischen den Konfliktparteien zu unterbinden und das staatliche Gewaltmonopol seit der Neuzeit verkörpernd, arbeitet mit der Vergangenheit der Konfliktbeteiligten. Das ist eine Konsequenz des judizierenden Arbeits- und Entscheidungsmodus: Die vertragliche oder anderweitig gestaltete Vergangenheit der Konfliktbeteiligten dient dem Richter zusammen mit feststehenden, allseits bekannten Rechtssätzen dazu, eine Entscheidung in der Gegenwart zu treffen. Stets geht es bei der richterlichen Konfliktentscheidung um Ausgleiche von in der Vergangenheit geschehenen, nunmehr gerichtlich festgestellten Ungerechtigkeiten. Richter entscheiden auf der Grundlage der Vergangenheit der Konfliktparteien, am parteiunabhängigen Massstab vorab existenten Rechts.

Schlichter*innen agieren nicht nur in der Gegenwart, diese bildet in der Regel auch die Basis für den Entscheidungsvorschlag. Schlichter erhalten diesen Auftrag von den Konfliktparteien, einen für beide Seiten annehmbaren Vorschlag zu unterbreiten, der freilich abgelehnt werden kann. Das schließt für die Arbeit des Schlichters prinzipiell nicht aus, sich die Vergangenheit der Beteiligten anzuschauen und die beiderseits erhoffte Zukunft zu erfragen, doch vorrangig erschöpft sich die Suche des Schlichters in der gemeinsamen Gegenwart der Konfliktparteien: Was könnte jetzt das Beste für die Beteiligten sein. Wo ist ihre Mitte, bei der sie sich treffen können.

In der Mediation ist es für den Dritten ebenfalls nicht ausgeschlossen, mit der Vergangenheit zu arbeiten, z.B. für eine Entschuldigung oder für eine Schuldausgleichsmaßnahme. Zuweilen ist das auch erforderlich, wenn nicht gar zwingend nötig für die Beteiligten, um ihren Konflikt angemessen zu bearbeiten. Auch mag es nötig oder auch nur ausreichend sein, Kompromisse für die gegenwärtige Konfliktsituation zu finden und damit die gemeinsame und wieder tragfähige Mitte auszutarieren und damit letztlich mit der Gegenwart zu arbeiten.

Interview: Wenig ist verbindender als bereinigte Konflikte

Jedoch, und das unterscheidet die Mediation von den anderen drittgestützten Konfliktbearbeitungsverfahren, ist sie in der Lage, die Konfliktbearbeitung anhand der imaginierten Zukunft der Beteiligten vorzunehmen. Dabei kann die Zukunft als Orientierung dienen und deren Verwirklichung als Plan der Konfliktlösung zugrunde liegend vereinbart werden (Zukunftsorientierung!). Oder das gemeinsame Zukunftsbild wird konkret als Vision angesichts der Konfliktspannungen neu ausformuliert und dient als Leitbild der Konfliktbearbeitung (Zukunftsfundierung!). Diese Konfliktbearbeitung auf der Basis der Zukunftsideen und -vorstellung ist eine moderne Kulturleistung des Menschen, die keineswegs mit den anderen – hier ideal skizzierten – drittgestützten Konfliktbearbeitungsverfahren bereits erbracht wurde. Kernmerkmale dieser Modernen Mediation (Weigel 2017) sind

  • erstens die Ausrichtung der Konflikt- und Verhandlungskommunikation auf diegemeinsam gestaltbare Zukunftsowie
  • zweitens die fortschrittliche Idee einer mehrwertorientierten Konfliktbearbeitung aufzugreifen, statt die gegenwartsbezogene Konfliktbearbeitung als Nullsummenspiel zu akzeptieren.

Mediation stellt sich damit als ein höchst anspruchsvolles Verfahren zur Konfliktbearbeitung dar. Die zerstrittenen Konfliktparteien handeln nicht nur ausgleichs- und kompromissbezogene Massnahmen aus, sondern werden mit dem Blick in die Zukunft regelmäßig in eine gewissermaßen strategische Beziehungsarbeit miteinander verwickelt. Allein deshalb erscheint – nach hier vertretener Ansicht – die Mediation nicht als massentaugliches Konfliktverfahren. Vielmehr bietet sich Mediation damit für Konfliktthemen an, denen die Beteiligten einen Wert und Bedeutung zumessen, die eine derart intensive und anspruchsvolle Bearbeitung rechtfertigen.  Das bedeutet für Organisationen, die in ihren Konfliktlandschaften Mediation als Konfliktbearbeitungsverfahren anbieten wollen, dass diese mit der Gesamtstrategie der Organisation abgestimmt werden sollte.

2. Die Besonderheit der  Organisationsmediation: Sie ist eine Organisationsveranstaltung.

a) Organisationsveranstaltung

In Organisationen ist die mediative Bearbeitung von Konflikten eine Organisationsveranstaltung. Sie findet in aller Regel statt, wenn Organisationsprozesse gestört werden und die Aufgabenerledigung zumindest in Gefahr ist. Sie findet damit auch (erst) statt, wenn die Menschen als Mitglieder der Organisation in Ihren Funktionsrollen die aufkommenden Konflikte derart bearbeiten, dass die Belange der Organisation berührt sind. Aus diesem Grunde findet Mediation auch nicht in Organisationen „für“ die beteiligten Menschen statt. Vielmehr findet Organisationsmediation „für“ die Organisation statt. Es ist die Organisation als auf Entscheidungen ausgerichtetes soziales System, dass die Mediation Mitgliedern gewährt, damit deren Aufgaben weiterhin erfüllt werden können. Mediation ist insoweit als Unterstützung der Organisation bei der Konfliktbearbeitung zu verstehen, um die Arbeitsfähigkeit der Beteiligten als Personen und als Team beizubehalten oder wiederherzustellen.

b) Kommunikationsplattform, Kooperationsprüfstand und Kreativitätswerkstatt für Organisationspersonen

Mediation in Organisationen stellt sich als organisationale Kommunikationsplattform dar, um organisationsbezogene Kooperationen unter den Mitgliedern zu überprüfen und auf diese Weise Kreativität, wenn nicht gar Innovationen zu ermöglichen.

Angesichts der – Unsicherheiten hervorrufenden – Konfliktlage können auf diese Weise zwischenmenschliche Vergewisserungsbedarfe verständlich kommuniziert und die erforderlichen Veränderungsbereitschaften ausgehandelt werden. Aufgaben- und damit auch beziehungsbezogene Abstimmungsprozesse finden damit in der Mediation ein angemessenes Forum, das aus konkreten Konfliktlagen heraus einberufen wurde.

Ziel einer Organisationsmediation ist deshalb nicht die endgültige Beseitigung von Konfliktpotenzialen, sondern die Wiederherstellung und Sicherung der Arbeitsfähigkeit. Dabei rekurriert der Begriff der Arbeitsfähigkeit direkt auf den Daseinszweck und die (Gesamt-)Strategie der Organisation. Arbeitsfähigkeit ist keine Tatsache an sich, die etwa die Konfliktparteien für sich selbst deklarieren können. Sie wird vielmehr (auch) zugeschrieben und ist insoweit stets durchtränkt von der Erwartungshaltung der Organisation. Da ein gewisses Maß an Kooperations-, Kommunikations- und Kompromissbereitschaft inkludierte Bestandteile der Mitgliedschaftsrolle sind, ist Mediation in Organisationen immer auch dreiecksbasierend: Konfliktparteien, Mediator*in und die Organisation als Auftraggeberin. Konsequenz ist nicht nur, dass damit jeder Organisationsmediation ein Dreiecksvertragsverhältnis i.S.v. English (ZTA 1985) zugrunde liegt, sondern auch, dass das Ergebnis der Mediation stets im Rahmen dessen angesiedelt bleiben muss, den die Organisation mit dem Auftrag gesetzt hat.

Dieses Dreiecksverhältnis wiederum ist die Zugangstür für die Organisationsstrategie, die sich als Ausdruck der Organisationsvision oder -zweckbestimmung in das Mediationsverfahren einfügt. Oder kurz: In einer Organisationsmediation sitzt die Organisation immer mit am Mediationstisch. Geklärt muss nur werden, wer sie verkörpert, die Führungskraft, der Auftraggeber oder gar die beauftragte Mediationsperson, dem damit ein zusätzlicher Prüfungsmaßstab in seiner Rolle als Agent of Reality zukommen würde. Deshalb ist es angemessen und erforderlich, in Organisationsmediationen die Gesamtstrategie sowie die wichtigsten strategischen Ausrichtungen ausdrücklich zu beachten (Bischoff 2014). Denn angesichts der Konfliktbeziehung entwickeln sich auch für die Organisation Vergewisserungsbedarfe, Kooperationsfragen und Kreativitätsnöte im Hinblick auf die eigene Leistungserstellung. Denn für die Organisation geht es auch darum, Konflikte nicht automatisch und ausschließlich als Störung der eigenen Ordnung anzukreiden (Maschinendenken), sondern sie konstruktiv zu verarbeiten. Soweit keine „vertretungsberechtigte“ Person der Organisation selbst anwesend ist, dürfte es ausreichend, aber auch erforderlich sein, dass der Mediator die Gesamtstrategie sowie den strategischen Organisationsrahmen konkret in die Mediation einspielt (Bischoff 2014, 454 f.). Dafür benötigt die Mediator*in allerdings einerseits einen ermächtigenden Auftrag einer Vertretungsperson (im Auftragsklärungs- und Übergabegespräch) und andererseits ein erweitertes Rollenverständnis. Dies dürfte sich direkt auf das „Neutralitäts- und Allparteilichkeitsmanagement“ auswirken.

c) Antizipations- und Abstimmungsprozesse

Inhaltlich ermöglicht Mediation in Organisationen Antizipations- und Abstimmungsprozesse, die aufgrund der eskalierenden Konfliktpotenziale nötig sind und offenbar nicht in den üblichen Aushandlungs- und Entscheidungsprozessen verarbeitet werden können. Hier wird auch deutlich, weshalb die zukunftsorientierte Arbeitsweise in der Mediation für Organisationen besonders interessant ist. Denn angesichts der eigenen Prognosen Entscheidungen zu treffen, die die Organisationszwecke weiterhin erfüllen lassen, ist eine maßgebende Leitungsaufgabe innerhalb der Organisation. Andererseits ist hier auch der Ort für allzu (zwischen-)menschliches Reibungsaufkommen, v.a. zwischen engagierten Mitgliedern der Unternehmung. Insoweit erweist sich Mediation in Organisationen auch als ein psychologisch und sozialpsychologisch fundiertes Konfliktbearbeitungsverfahren. Oder salopp ausgedrückt; Menschen finden auch in Organisationsmediationen Gehör und Raum, Aufmerksamkeit und Akzeptanz.

d) Sicherheitsbedürfnis der Beteiligten vs. Ungewissheitsgewissheit

Wenn Ziel der Organisationsmediation Arbeitsfähigkeit in einem fortdauernden Kooperationsprozess ist, dann ist eine „endgültige Konfliktlösung“ kein vorrangig erstrebenswertes Ziel. Vielmehr gilt es, mit einem gehörigen Maß an Ambiguitätstoleranz die zunehmend häufiger erfahrbare Ungewissheitsgewissheit (Weigel, pm 4/2019) abzufedern und operabel zu halten. Gewissheit und Sicherheit sind mehr denn je für Individuen fragile Zustände oder zumindest instabile Annahmen, die eine angemessene Konfliktbearbeitung mit einer „erlösenden Zielstellung“ unmöglich machen.

Soweit in vukaesken Organisationswelten (Weigel, pm 2/2019) die Arbeits- und Beziehungsfähigkeit verloren gegangen ist, erscheint es höchst sinnvoll, in Mediationen die Situation gemeinsam zu prüfen und Veränderungen verbindlich auszuhandeln, wohlwissend, dass im Anschluss nicht das Paradies auf Erden fühlbar werden wird, sondern wieder gemeinsam die Aufgaben der Organisation zu erfüllen sind. All das geschieht nicht zuletzt auf der (arbeits-)vertraglichen und damit freiwilligen Grundlage aller Beteiligten. Um mehr geht es in Organisationsmediationen nicht, aber auch nicht um weniger – oder anderes.

Literaturverzeichnis:

  • Bischoff, K.: Über den Einfluss der Strategie eines Unternehmens auf die Konfliktdynamik in Wirtschaftsmediationen, in: Konfliktmanagement in der Wirtschaft. Ansätze, Modelle, Systeme. hrsg. von Gläßer, U./Kirchhoff, L./Wendenburg,F., Konfliktmanagement in der Wirtschaft, Baden Baden 2014, S. 439 – 456, S. 444 ff..
  • English, F.: Der Dreiecksvertrag (The Three-Cornered Contract), in: Zeitschrift für Transaktionsanalyse in Theorie und Praxis, 1985, S. 106 – 108.
  • Hager, G.: Konflikt und Konsens: Überlegungen zu Sinn, Erscheinung und Ordnung der alternativen Streitschlichtung, Tübingen 2001.
  • Hölscher, L.: Die Entdeckung der Zukunft, Göttingen 2016.
  • Holtwick-Mainzer, A.: Der übermächtige Dritte – eine rechtsvergleichende Untersuchung über den streitschlichtenden und streitentscheidenden Dritten, Berlin 1985.
  • Weigel, S.: Warum jetzt Mediation? in: Mediation als Forschungsgegenstand. Auf dem Weg zu einer deutschsprachigen Mediationswissenschaft, 2017; hrsg. von Prof. Dr. K. Kriegel-Schmidt; S. 143 – 159.
  • Weigel, S.: Mediation in und für Organisationen. Organisationsmediation in vukaesken Umwelten. Teil 1 – Für eine strategie- und zukunftsbezogene Konfliktbearbeitung, in: Perspektive Mediation 2/2019.
  • Weigel, S.: Mediation in und für Organisationen. Teil 2 – Funktionswandel und Praxiskonzept, in: Perspektive Mediation 4/2019.