Konflikte lösen mit weniger Lösungsversuchen

Was es in eskalierten Konfliktbeziehungen zu Beginn nicht bedarf: Lösungsideen der Beteiligten!

Ein Plädoyer

Neulich (wie schon sehr häufig zuvor auch in anderen Situationen) klagte eine Mediantin erneut, dass Ihr Kollege auf ihr erfahrungsgestütztes und juristisch belegbares Gesetzesverständnis einfach nicht eingehen wollte und weiterhin behauptete, das stünde im Gesetz, ohne es zeigen zu können. Er akzeptierte einfach nicht die belegbare Richtigkeit, weshalb sie im Folgenden weitere Beweise vorlegte, dass er falsch liege. Es wurde laut, es wurde geschrien, es folgte Funkstille. Sie seien nun, so die Mediantin, in einem Konflikt.

Nun, ich will im Folgenden meine Sicht auf Konflikte und Konfliktlösungsversuche anhand dieser Beobachtung und Einschätzung der Mediantin erläutern:

Los geht’s:

Wenn Menschen, ob Konfliktbeteiligte oder Beobachter, ein Konfliktgeschehen sehen, dann benennen sie dieses Geschehen als Konflikt. Das ist verständlich, aber in der Sache falsch. Das, was sie hören und sehen und vielleicht auch gewaltvoll erfahren, ist nicht der Konflikt, sondern das sind die Versuche, den Konflikt zu beenden: Von den spannungsgeladenen Misstönen in der Kommunikation bis hin zu Gewaltakten,…all diese Konfliktkommunikation zeigt zwar und deutet darauf hin, dass ein Konflikt vorliegt; sie sind er aber nicht, sondern die Versuche, den Konflikt („erfolgreich“) zu bearbeiten.

Folgenreich ist das zumeist, aber nicht spannungsbefreiend. Die Bemühungen der Beteiligten, die gegen den Widerstand der anderen die Konfliktspannung abbauen sollen, lassen die Kommunikation und Beziehung zwar eskalieren, auch wenn dem ganzen Treiben völlige andere Absichten zugrunde liegen. Das ist das tragische Moment an Konflikten.

Diese Durchsetzungsbemühungen, auch die Kämpfe, sogar das Geschrei und die Gewalt, aber ebenso auch die klugen, durchdachten Argumentationen sind letztlich (austestende) Bemühungen, die spannungsgeladenen Konfliktsituationen zu beenden; die Lösung des Konflikts damit herbeizuführen. ABER DIESE VERSUCHE SIND NICHT DER KONFLIKT, SONDERN KONFLIKTBEARBEITUNGS- UND KONFLIKTLÖSUNGSVERSUCHE.

I can’t define it, but I know when I see it.*

Diesen Gedanken sacken zu lassen, ändert die Sicht auf Konflikte. Denn da bleibt dann nicht mehr viel für Konflikte.

Das Anschreien in der Diskussion ist der Versuch, diese zu beenden; häufig überhaupt nicht geeignet zu überzeugen, aber gleichwohl beabsichtigt. Das kluge, wohl durchdachte, wissenschaftlich abgestützte Argument…ein Versuch, die gefühlte, manchmal bloß fantasierte, Spannung zu beenden.

Doch nur, wenn der Diskussionspartner diese methodischen Versuche akzeptiert(!),  wird sich der Konflikt damit deeskalieren lassen. Wissenschaft wirkt nicht per se überzeugend, sondern nur, wenn die Beteiligten diese Methode akzeptieren. Gleiches gilt für das Recht als Entscheidungsmethode. Nur wenn beide Seiten diese Methode akzeptieren (mit den kommunikativen Konsequenzen, dass beim Recht des Einen, der andere Unrecht hat), kann sie konfliktenscheidend wirken.

Das, was Dritte häufig sehen und missbilligen müssen, sind – subjektiv – Lösungsversuche und – objektiv – Eskalationstreiber! Absicht und Wirkung fallen auseinander. Eine sichere Konsequenz in Konfliktbeziehungen.

The way to hell is paved with good intentions.

Deshalb heißt Mediation zu anfangs vor allem: Bitte weniger Lösungsideen!

Und das ist ein konkreter Vorschlag, ein Ratschlag – und nicht selten auch eine Ansage zu definieren, worüber jetzt, zu Beginn jedenfalls nicht geredet werden sollte, weil es die Konfliktlösung stört, eskalierend wirkt – bei aller guten Absicht ihn zu beenden.

Deshalb gilt es in Mediationen, zunächst Lösungsversuche einzustellen!

25 Grundlagen von Mediation (14): Danke, Konflikt, dass es Dich gibt!

Bitte weniger Lösung, es ist schon schwer genug.

Doch was löst Konflikte dann, wenn es nicht Lösungen sind. Ganz allgemein gesprochen, ist es ein dialogischer Gesprächsprozess selbst, der miteinander aufgebaut werden kann und die nervenden Anspannungen entladen lässt. Es sind die Entschleunigungen der Diskussionen, die Verständnissicherungen der Diskutant*innen sowie die Beruhigungswirkungen im erfragenden und nachfragenden Dialog. Und das ist nicht nur die Erkenntnis harmonisch-humanistischen Denkens, sondern auch die Erkenntnis kühl-nüchterner Systemtheorie.

 Der Konsens wird überschätzt und der Kommunikationsprozess unterschätzt. (Luhmann)

Konflikte sind Spannungslagen zwischen Menschen, die selten allein durch kluge Lösungsideen zu den streitigen Fragen gelöst werden, sondern zunächst durch eine Stärkung des Zutrauens und der Zuversicht bei den Parteien, dass die Spannung gemeinsam geschaffen wurde und gemeinsam abgeschafft werden kann. Das geschieht zunächst durch eine strategisch ausgerichtete Kontaktgestaltung. In der Mediation in den ersten zwei, drei Phasen, in denen es um Entschleunigung, Verständnis (nicht Einverständnis!) und Beruhigung geht. Gelingt das, sind all die Lösungsideen wieder gefragt und haben eine Chance, akzeptiert zu werden.

Und das erklärt auch, weshalb es auch mitunter besser ist, sich endgültig zu trennen, das Arbeitsverhältnis aufzulösen, das Zusammenleben zu beenden und sich neu zu orientieren. Die ruhige Sicht auf die spannungsgeladene Lebens- oder Arbeitsbeziehung zeigt unausweichlich, dass es keine Zuversicht für die gemeinsam zufrieden stellende Zukunft gibt. Dann ist es doch besser und angezeigt, die Mediation gemeinsam mit einer Trennungsentscheidung zu beenden. Auch das erleichtert. 

Für die Mediantin, die ich zu Beginn erwähnte, war es nicht einleuchtend, weshalb das Recht und die Gesetze plötzlich nicht mehr gelten sollten, wie sie es zunächst verstanden hatte. Das ist typisch für eine rechts- und gesetzesfixierte Situation, da ja das Recht und die Gesetze zu berechtigen scheinen. Es ist erlaubt, sich darauf – gerade im Konflikt- zu beziehen, weil das Recht ja Recht gibt. Doch wem es hier Recht gibt, genau das stand ja im Streit. Und natürlich lässt sich darüber streiten und das ist auch prinzipiell in Ordnung. Doch wenn man diesen Streit gerade nicht will, sondern Verständigung und Verständnis für die eigene Sicht, dann steht die permanente Behauptung, doch Recht zu haben, widersprüchlich. Aber führt zu einem anderen Thema des Konfliktmanagements.

*Supreme Court Richter Potter Stewart zum Thema Obszönität/Pornografie, 1964.