INKOVEMA-Podcast „Gut durch die Zeit“

#228 GddZ

Friede oder Freiheit – oder was geht hier vor sich?

Im Gespräch mit Dr. Ilko-Sascha Kowalczuk

  • deutscher Historiker und Publizist
  • geb. 1967 in Berlin (Ost)
  • studierte Geschichte an der HU-Berlin, Promotion an der Universität Potsdam.
  • 1995 bis 1998 ehrenamtliches sachverständiges Mitglied der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages „Überwindung der Folgen der SED-Diktatur im Prozess der deutschen Einheit“.
  • 1998-2000 wissenschaftlicher Referent in der Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur.
  • Autor zahlreicher Publikation, u.a. „17. Juni 1953“, „Die Übernahme. Wie Ostdeutschland Teil der Bundesrepublik wurde“, „Stasi konkret. Überwachung und Repression in der DDR“, „Endspiel. Die Revolution von 1989 in der DDR“, sein Opus Magnum zur Biografie Walter Ulbrichts (2024/2025)
  • 2024 „Freiheitsschock. Eine andere Geschichte Ostdeutschlands von 1989 bis heute“.

In einer Diktatur gibt es keine Politik; deshalb heißen die auch nicht Politiker.

In Diktaturen gibt es Funktionäre, weil die funktionieren.

In Diktaturen gibt es Ideologie, aber keine Politik, keine öffentliche Aushandlung öffentlicher Fragen.

Kleine Reihe: gesellschaftspolitische Konfliktlagen

Freiheit wird in der Freiheit verraten.

Inhalt

Kapitel

0:24 Einführung in die heutige Episode

1:43 Die Herausforderungen der Mediatoren

5:24 Ilko Sascha Kowalczuk und seine Perspektive

7:40 Der Einfluss der Diktatur auf Politik

10:07 Die 90er Jahre im politischen Kontext

13:18 Historische Zusammenhänge und aktuelle Entwicklungen

15:43 Die digitale Revolution und ihre Folgen

23:23 Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine

25:59 Der Konflikt zwischen Aggressor und Verteidiger

33:18 Die Verteidigung des westlichen Liberalismus

40:14 Die Bedrohung durch autoritäre Tendenzen

46:51 Engagement für Freiheit und Demokratie

53:19 Die Sehnsucht nach einfacher Harmonie

57:00 Abschluss und Ausblick auf die Zukunft

Inhaltliche Zusammenfassung

In dieser besonderen Episode habe ich den **Historiker Ilko Sascha Kowalczuk** eingeladen, um über die aktuellen gesellschaftspolitischen Entwicklungen zu sprechen, die auch für Mediatoren und Konfliktberater von Bedeutung sind. Wir diskutieren, wie sich der Umgang mit Konflikten verändert, insbesondere im Licht des russischen Angriffs auf die Ukraine und der zunehmenden politischen Verwerfungen in Deutschland, vertreten durch die Wahlerfolge der AfD und anderer populistischer Bewegungen.

Kowalczuk bringt seine Perspektive als jemand ein, der in der DDR aufgewachsen ist und Konflikte mit autoritären Systemen erlebt hat. Er beschreibt seine persönlichen Erfahrungen, die ihn dazu motiviert haben, Historiker zu werden, und diskutiert die tiefgreifenden gesellschaftlichen Veränderungen, die durch die Wiedervereinigung Deutschlands und den Zerfall der Sowjetunion ausgelöst wurden. Die Auswirkung dieser historischen Ereignisse auf das heutige politische Klima wird deutlich, und es wird klar, dass das Verständnis von Geschichte für das Begreifen gegenwärtiger Konflikte unverzichtbar ist.

Ein zentrales Thema unserer Diskussion ist die Herausforderung, die die digitale Revolution für das politische und gesellschaftliche Miteinander darstellt. Kowalczuk weist darauf hin, dass der Einfluss von sozialen Medien und digitalen Plattformen das Kommunikationsverhalten und die Wahrnehmung von Realität erheblich verändert hat. Diese Veränderungen führen oft zu einer Polarisation, die es schwierig macht, einen konsensualen Dialog zu führen. Die Sehnsucht nach Harmonie und Frieden, die viele Menschen empfinden, kann in einem autoritären Kontext schnell in eine Diktatur der Mehrheit umschlagen, wo die Bedürfnisse von Minderheiten ignoriert werden.

Wir reflektieren die Rolle der Mediatoren in diesem Spannungsfeld. Ist es unsere Aufgabe, die Harmonie wiederherzustellen, oder sollten wir uns darauf konzentrieren, die Bedingungen für einen echten, rechtmäßigen Dialog zu schaffen? Kowalczuk argumentiert, dass Konflikte nur dann nachhaltig gelöst werden können, wenn wir die zugrunde liegenden Machtstrukturen und historischen Kontexte verstehen. Dabei wird deutlich, dass ohne Freiheit und die Fähigkeit, in einem demokratischen Rahmen zu verhandeln, keine wirkliche Konfliktlösung möglich ist.

Abschließend ziehen wir die Verbindung zwischen diesen historischen, gesellschaftlichen und digitalen Dynamiken und der Praxis der Mediation. Es wird klar, dass die Reflexion über die eigene Position und die Auseinandersetzung mit der Geschichte nicht nur für Historiker von Bedeutung sind, sondern auch für Mediatoren, die in einer zunehmend komplexen und konfliktbeladenen Welt arbeiten. Diese Episode fordert dazu auf, über die Gegenwart nachzudenken und die eigenen Methoden und Ansätze im Umgang mit Konflikten kritisch zu hinterfragen.

Vollständige Transkription

[0:00]Die heutige Episode ist etwas Besonderes, denn ich habe mir nicht nur eine externe Perspektive mit dem Historiker Ilko Sascha Kowalczuk eingeladen, sondern wir sprechen auch über Themen, die nicht sofort und unmittelbar mit den professionell angeforderten Kompetenzen von Mediatoren zu tun haben,
[0:24]
Einführung in die heutige Episode
[0:22]aber den Bogen dazu schlagen sollen. Ich wünsche euch angeregte Gedanken und viel Freude beim Zuhören. Und jetzt geht der Podcast los.
[0:32]Herzlich willkommen zum Podcast Gut durch die Zeit, der Podcast rund um Mediation, Konfliktcoaching und Organisationsberatung, ein Podcast von INKOVEMA. Ich bin Sascha Weigel und begrüße dich zu einer neuen Folge. Anlass der heutigen Folge sind gesellschaftspolitische Entwicklungen, die das Fokusthema dieses Podcasts betreffen. Konflikte und der Umgang mit Konflikten. Unter Mediatoren und Konfliktberatern besteht das Bonnement, dass Konflikte nicht das Problem seien, sondern der Umgang mit ihnen. Aber angesichts des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine und angesichts der innerdeutschen Verwerfungen, verkörpert in den Wahlerfolgen der AfD und des BSW zuvorderst, verschieben sich nicht nur liebgewordene Perspektiven und Einschätzungen. Es scheint vielmehr, dass sich der Boden unter den Füßen entzieht. Wohl dem, der hier noch sicher unterscheiden kann zwischen seinen Wahrheiten und Perspektiven, für die sich zu kämpfen lohnt und denjenigen, die angesichts veränderter Umstände zu hinterfragen sind.
[1:35]Mediatoren und Konfliktberater sind durch diese Entwicklungen,
[1:43]
Die Herausforderungen der Mediatoren
[1:38]wie viele andere auch, in ihrer Praxis als auch in ihrem Selbstverständnis herausgefordert. Und auf diesem Weg sind Stolpersteine und Fallstricke zu vermuten. Da ist es nicht die schlechteste Idee, externe Perspektiven zurate zu ziehen. Und warum nicht mal das beherzigen, was man anderen tagtäglich redet? Und deshalb und dafür habe ich mir heute einen Historiker eingeladen, dessen Arbeits- und Forschungsschwerpunkte eben solche grundstürzenden Wandlungsprozesse sind. Herzlich willkommen hier im Podcast, Ilko Sascha Kowalczuk. Hallo, ich grüße Sie. Vielleicht, um das einzuordnen, auch für den einen oder anderen Zuhörer hier im Podcast, vielleicht ein paar Worte zu Ihnen. Wie ist es gekommen, dass Sie Historiker geworden sind und bis heute diese Debatte mitgestalten, mitprägen? Ich habe relativ frühzeitig als noch nicht mal richtig Jugendlicher und dann Jugendlicher Konflikte mit dem Staat, in dem ich lebte, bekommen, DDR. Die Konflikte brachen über mich herein, ohne dass ich mich verändert hätte. Die entzündeten sich daran, dass ich mit 12 sagte, ich will das machen und mit 14 sagte ich, ich will das doch nicht mehr machen.
[3:01]Was irgendwie in dem Alter ja ziemlich altersgerecht ist, typisch, gar nicht der Rede wert. Nur, dass der Staat das sehr unangenehm empfand. Ich will das jetzt gar nicht im Einzelnen erzählen. Ich habe das auch oft genug erzählt, wen das interessiert.
[3:16]Jedenfalls daraus entwickelte sich ein mehrstufiger und mehrdimensionaler Konflikt, den ich am Anfang gar nicht richtig verstanden habe. Ich wusste, dass etwas über mich hereinbrechen wird. Deswegen habe ich auch so lange mit mir gehadert, ob ich mein Ja hinein verwandeln kann, weil ich auch Angst vor den Reaktionen meiner Eltern, insbesondere meines Vaters hatte. Nicht Angst davor, dass der mich haut oder so, das überhaupt nicht, Aber Angst vor seiner Enttäuschung und Angst vor dem dann entstehenden Konflikt. Wie gesagt, ich habe mich ja im Prinzip nicht wirklich verändert. Ich blieb da stehen, wo ich stand. Ich habe nur gesagt, ich will das dann doch nicht mehr. Ich war 14 Jahre alt. Und dann hat man mich anderthalb Jahre lang behandelt. Behandelt, ist das falsche Verb, bearbeitet. Wollte mich davon wieder abbringen. Und am Ende ist aus diesem Konflikt ein fast unlösbarer Aufprall verschiedener Kulturen, verschiedener Zielvorstellungen, verschiedener Lebensentwürfe geworden, die nicht lösbar sind. Und ich habe mich in dieser Zeit schon sehr intensiv mit Geschichte beschäftigt, aus erst mal formalen ganz anderen Grund, nämlich die Geschichte war in der DDR, es ist dort, wo Kommunisten an der Macht sind, die wichtigste Legitimationsinstanz, alles was sie tun.
[4:39]Wird aus der Geschichte angeblich heraus legitimiert und damit Geschichte begründet. Und mich hat interessiert, stimmt das eigentlich, was die uns da so erzählen? So in Kleinigkeiten habe ich mich dann angefangen damit zu beschäftigen und stellte fest, dass das sozusagen ganz viele andere Fragen aufwirft, die dann eben auch etwas mit meinem persönlichen Werdegang und meiner Biografie zu tun hatten.
[5:03]Und genau, und das spielte dann natürlich in meiner Beschäftigung mit Geschichte, Zunächst als junger Typ. Ich konnte dann kein Abitur machen aufgrund dieses Konfliktes, der dann unlösbar geworden ist. Ich konnte kein Abitur machen, demzufolge auch nicht studieren und hatte aber viel Zeit als Pförtner, der ich dann war, viele Jahre, um mich mit solchen Fragen zu beschäftigen.
[5:24]
Ilko Sascha Kowalczuk und seine Perspektive
[5:25]Und dann kam die Freiheitsrevolution, die Mauer ist durchbrochen worden und es gab ja auch eine Archivrevolution, das heißt die bis dato streng geheimen Archive des Staates öffneten sich, sind geöffnet worden und ich war von Anfang an dabei, war von Anfang an einer der Ersten dabei und habe mich eigentlich immer auch mit, Sie würden sagen.
[5:47]Konfliktgeschichten beschäftigt, mit Aufständen, mit Protesten, mit Opposition, mit Verfolgung, nicht nur, aber sehr massiv. damit. Naja, und dadurch, dass ich damals, als es losging, 1990, eben ein ganz junger Typ war, 23, und ich sehr frühzeitig angefangen habe, Bücher zu schreiben und mich in alle möglichen Debatten eingemischt habe und in vielen Kommissionen war und in vielen Institutionen dann war, bin ich halt immer noch da. Und wenn man irgendwie beharrlich genug ist, dann schafft es auch der letzte Ignorant irgendwann nicht mehr, einen zu ignorieren. Einfach aufgrund der Tatsache, dass man ja irgendwie schon immer dabei war. Und ich bin jetzt der Typ, ich bin noch nicht mal 60 und war trotzdem immer irgendwie dabei. Alle anderen um mich herum starben langsam aus. Die gibt es nicht mehr. Viele kommen natürlich neu hinzu. Und ich bin der Typ, der irgendwie schon immer da war. Das bringt übrigens neue Konflikte. Wir werden mit Sicherheit dazu kommen. Aber ein Aspekt, der ist mir jetzt auch nochmal aufgefallen.
[6:45]Vielleicht habe ich den auch missverstanden, aber schon sozusagen, dass sie aus einer politischen Familie kam, in einer politisierten Zeit, wo die politische Meinung, und sei es auch nur an diesem grundlegenden Begriff der Freiheit, sich entzündet und besprochen wird am Arm pro Tisch. Und ich kenne das aus meiner Familie noch in den 90ern. Und dann hat sich das für mich ein wenig verloren. Und es war so eher eine unpolitische Zeit. Aber jetzt bricht das wieder so herein die letzten Jahre. Ist das etwas, was Sie aus Ihrer professionellen Beschäftigung mit Gesellschaft und Historie bestätigen können?
[7:27]Also wie Sie etwas wahrgenommen haben und empfunden haben, darüber kann ich nicht urteilen, da kann ich auch nichts sagen. Allgemein gesellschaftlich würde ich sagen, stimmt das nicht, was Sie sagen.
[7:40]
Der Einfluss der Diktatur auf Politik
[7:41]Das ist wahrscheinlich wirklich sehr stark von Ihren persönlichen Wahrnehmungen, von Ihren Erfahrungen, auch vielleicht Ihres Umfeldes geprägt. Also das eine ist, dass man ganz generell erstmal sagen muss, in einer Diktatur gibt es keine Politik. Das sagen immer viele. Politik ist eine öffentliche Aushandlung, wo es um verschiedene Interessen geht, wo es um verschiedene Ansätze geht, wo es um verschiedene Strömungen und verschiedene Zielvorstellungen geht. Sowas gibt es in der Diktatur nicht. Deswegen heißen die Menschen dort auch nicht Politiker, sondern die heißen Funktionäre.
[8:14]Weil die funktionieren und die haben bestimmte Befehle umzusetzen und durchzusetzen. Und denen haben sich alle unterzuordnen. Und wer sich diesen Druck, diesen Mechanismen und Systemen nicht unterordnet, mit dem wird nicht politisch verhandelt, sondern mit dem wird juristisch verhandelt. Oder der wird gesellschaftlich geächtet, der wird ausgegrenzt oder der grenzt sich ganz bewusst selbst aus, so wie ich das gemacht habe, indem ich gesagt habe, leckt mich alle, dann werde ich im Vörtner. Ich bin 18 Jahre und werde Vörtner. Ich glaube, die meisten können das ganz gut nachvollziehen, wenn man mal meinen Wiki-Eintrag sich anschaut, dass wahrscheinlich auch mit 18 mein Berufswunsch nicht war, den Rest meines Lebens als Vörtner zu arbeiten. Aber ich habe mich sozusagen aus der hochgradigen, jetzt kommt der Gegenbegriff zu politisieren in der Diktatur, aus der hochgradig ideologisierten.
[9:02]Systemischen Welt versucht, soweit es irgendwie ging, zurückzuziehen, was natürlich nie wirklich hundertprozentig funktioniert. Aber wenn man jung ist, wenn man keine Verantwortung trägt, wenn man bla bla bla und natürlich auch so ein bisschen den Willen dafür hat und sagt, leckt mich alle, ich will eure Karrieren gar nicht machen, dann gibt es da so Möglichkeiten und gerade in so einer Spätphase einer Diktatur, wenn die dann auch schon schwach ist und nicht mehr jeden einem auf den Kopf hauen kann, dann funktioniert das auch. Das Ziel meines Tuns, das Ziel des Tuns meiner politischen Freunde war die Rückkehr zur Politik.
[9:39]Politik ermöglichen, das heißt Konflikte ermöglichen, Konflikte in einem gesellschaftlichen und staatlichen Klima austragen können, die sozusagen eine gewisse Offenheit auch haben, also Kompromisse aushandeln. Das ist Politik. Nicht alle auf einen Konsens einschwören, sondern nach Kompromissen aus Schau halten.
[10:07]
Die 90er Jahre im politischen Kontext
[10:04]Und das ist ja auch das, was das Wesen von Demokratie ausmacht. Und vor dem Hintergrund dessen, was ich jetzt so angedeutet habe, Werden Sie das wahrscheinlich gut verstehen, dass ich auch die 1990er Jahre ganz anders erlebt habe, als Sie das schildern. Nämlich als eine sehr intensive politische Phase. Innenpolitisch ging es, es ging um Paragraf 218, es ging um Fragen der Wiedervereinigung, es ging um die Frage außenpolitisch, wie verhält sich die NATO, wie verhält sich Deutschland zum Beispiel bei den Balkankriegen, wie bei den Iran-Irak-Kriegen, wie ging es über den Angriffen auf Israel. Also wie sozusagen gegenüber dem Zerfall der Sowjetunion, wie bei den Kriegen im Bergkarabach, bei den Tschetschenien-Sachen. Ich könnte noch tausend andere Sachen aufzählen. Das ist alles sozusagen für Menschen, die sich politisch interessiert haben, die sich politisch engagiert haben, eine genauso intensive Zeit wie heute, aber natürlich eine andere Zeit.
[11:04]Wenn ich noch den letzten Satz sagen darf, als Historiker argumentiere ich natürlich anders als ein Psychoanalytiker und sage, du hast deine persönliche Erfahrung, die ist sozusagen okay, die will dir auch keiner nehmen, die kannst du auch pflegen und kannst damit machen, was du willst, aber man sollte sich da verhüten, seine persönliche Erfahrung sozusagen in eine gesellschaftspolitische allgemeine These überführen. Ich habe die 90er genauso erlebt. Also hochpolitisch, es wurde viel diskutiert und es war vieles im Unklaren und es hatte Aufbruchsstimmung gehabt. Also das waren sozusagen die 90er und ich bezog mich dann, und das habe ich dann an meiner Person festgemacht, an diese soziologische Beobachtung, dass die sogenannten Merkel-Jahre eher als unpolitisch qualifiziert wurden und wollte sozusagen wissen, ob sie das bestätigen können aus ihrer Perspektive. Die dann mit 2015, 2016 und den Umbrüchen, die begonnen haben, dann auch hier sozusagen deutlich spürbar das öffentliche Klima verändert haben.
[12:12]Aber das kann ich nicht bestätigen. Das ist etwas, was gerne so gesagt wird. Das ist etwas, was viele so erleben. Das hat natürlich auch zum Beispiel damit zu tun, dass eine ganze Generation heranwuchs, die dachten, dass Merkel ein Synonym für Bundeskanzler ist, weil die irgendwie nichts kannten. Also das ist schon klar, da stecken dann viele Lebenserfahrungen dahinter. Das hat natürlich auch ein bisschen was damit zu tun, dass der Bundeskanzlerin Angela Merkel einen ganz anderen Führungsstil hatte, den man vorher nicht kannte, den man anschließend auch nicht mehr kannte. Der Herr Scholz hat das versucht, so ein bisschen zu imitieren, aber da war das dann teilweise nicht mehr so überzeugend. Aber wenn ich jetzt als Historiker, als Gesellschaftsanalytiker, als Gesellschaftsbetrachter oder auch Theoretiker auf diesen Prozess schaue, und das ist dann vielleicht so ein bisschen die professionelle Delle, die ich als Historiker mitbringe.
[13:09]Ich neige nicht dazu zu sagen, das, was 2015 passiert, hat seine Ursache im Jahr 2014, sondern eher im Jahr 1914.
[13:18]
Historische Zusammenhänge und aktuelle Entwicklungen
[13:18]Also ich schaue mir große Entwicklungszusammenhänge an und wenn ich mir anschaue, was ich in den letzten, sagen wir mal, zehn Jahren in den USA und in Westeuropa einschließlich Deutschland und einschließlich Ostdeutschland abgespielt hat.
[13:32]Dann kann ich eben ganz verschiedene Ebenen aufmachen. Ich kann aufmachen, was ist der Unterschied zu dem Aufbruch Anfang des 19. Jahrhunderts 100 Jahre später. Da kann ich Dinge festmachen, die so einen Paradigmenwechsel darstellen, die einschlägige kulturelle und mentale Folgen haben, die dann eben auch zu einem anderen Verhalten führen. Oder ich schaue, was haben eigentlich die 80er Jahre für Dinge vollbracht, die vielleicht jetzt erst zum Tragen kommen. Und dann schaue ich eben spezifisch, was bedeutet das, wenn der Automobilbau in Detroit zusammenbricht, was hat das für Folgen, was hat das für Folgen, wenn bestimmte US-Politiker frühen 90er Jahren sagen, wir müssen den Feind im öffentlichen Raum konstruieren, was macht das mit der Kommunikation, was macht das mit der Konfliktbewältigungsstrategie, ist die überhaupt noch möglich? Also der Trump ist eigentlich ein Produkt der 80er und 90er Jahre. Wir haben es nur alle nicht mitbekommen. Und dann ich mit meiner Profession schaue auf Ostdeutschland und sage, okay, was hat eigentlich so ein eruptives Ereignis wie die Freiheitsrevolution von 1989, die über 80 bis 90 Prozent der Ostdeutschen hinwegfegte?
[14:45]Und in dem Ereignis waren sie inaktiv und haben nichts getan. Und dann mussten sie irgendwann aktiv werden. Was macht das eigentlich mit einer Gesellschaft? Und dann die Phase der Wiedervereinigung. Und da sind wir eben bei dem interessanten Fall. Da kommen Konflikte. Und wie beherrschbar sind Konflikte? Und da sieht man eben, manche Konflikte sind irgendwann nicht mehr beherrschbar, weil Menschen wie Gesellschaften eigentlich nur Veränderungen in einem Maße erträglich aushalten, wie sie es auch verarbeiten können. Und wenn es zu viel wird, zu radikal, zu schnell, dann kapitulieren sie irgendwann, beziehungsweise die besonders negative Seite, sie fangen an, dafür Schuldige zu suchen. Und das ist ein altes menschliches Muster, das ist nichts Neues, aber jetzt erleben wir das seit etwa 10, 12 Jahren wegen solcher Dinge ganz radikal und es gibt natürlich auch neben diesen historischen Faktoren dann auch noch aktuelle Faktoren,
[15:43]
Die digitale Revolution und ihre Folgen
[15:41]die das katalysatorisch befördern. Und für mich ist das Wichtigste, was wir zurzeit weltweit beobachten können, die Auswirkungen, die wir nicht antizipieren können, aber die wir annehmen, der digitalen Revolution.
[15:53]Die vor allen Dingen zunächst zur Folge haben, dass wir keine Zukunftsvorstellungen mehr haben, keine Zukunftspolitik mehr betreiben, nicht mehr mehr diskutieren über Politik, sondern eigentlich nur noch eine Gegenwärtsverwaltung machen. Und das führt zu extremen Ängsten und zu Verlustängsten. Und die sind deshalb in der westlichen Welt viel stärker ausgeprägt als anderswo, weil nur dort, wo man viel hat, kann man auch viel verhören. Ich würde zu dem Aspekt nochmal zurückkommen wollen. Zunächst aber, Sie hatten auf Ihre These ja angespielt, dass Ostdeutschland so ein Labor ist, um Entwicklungen wie in einem Brennglas zu sehen.
[16:31]Wenn eine Gesellschaft, so habe ich das jetzt verstanden, zu schnell, zu heftig sozusagen durch den Waschgang geführt wird und sich dann versucht irgendwie zu orientieren und sei es auch nur erstmal ein Schuldigen zu finden. Und da würde mich Ihr Blick darauf interessieren. Das Narrativ ist, dass Kommunikation vernunftgeleitet dazu führen kann, dass Konflikte anders bewältigt werden als durch Gewalt und Krieg und man in den 80ern die Friedensbewegung, Westdeutschland vor allen Dingen in Blick genommen hat. Ein Ausgangspunkt war für diese Mediationsbewegung, dass also Konflikte am Verhandlungstisch mithilfe neutraler, allparteilicher Mediatoren besprochen werden können und dass es so eine Idee von Fortschritt gibt durch Kommunikation, die Krieg historisieren lässt. Das war mal früher und heute bricht das so vollkommen überein. Wie schauen Sie auf diese Entwicklungen? Ist da überhaupt jemals was dran gewesen oder war das einfach ein blinder Fleck und man hat sich schlichtweg gedurrt, was den kommunikativen Fortschritt angeht in der Bearbeitung von Konflikten? Noch nie war unsere Welt so gut wie heute.
[17:50]Egal auf welche Faktoren Sie schauen, Sie werden, wenn Sie über einen längeren Zeitraum, nehmen wir mal 100 Jahre, man kann 500 Jahre nehmen, dann wird es noch eindrücklicher, aber 100 Jahre nehmen. Wir werden überall eine von uns nicht kommunizierte, in den Nachrichten nicht vorkommende und von uns nicht mal realisierte globale Verbesserung der Welt feststellen. Es sind noch nie so wenige Kinder verhungert wie in unserer Gegenwart. Es waren noch nie so viele Menschen, keine Analphabeten. Die Geschlechterungerechtigkeit ist massiv global zurückgegangen. Und egal was ich aufzähle, bei allem müsste man jetzt ein Aber machen und sagen, aber es ist immer alles noch ziemlich schräg und sehr ungerecht. Und jetzt gehen wir aber weiter.
[18:37]Es sind auch noch nie so wenige Menschen durch Naturkatastrophen ums Leben gekommen, wie in den letzten Jahrzehnten. Obwohl wir diese großen Katastrophen hatten im pazifischen Ozean mit Tsunami und so weiter und so fort. Früher waren das ganz andere Ausmaße. Das hat eben was damit zu tun, dass der Mensch ganz offenbar doch auch lernen kann, mit Natur umzugehen. Wir wissen, dass das eigentlich alles auch eine Katastrophe ist, Klimakatastrophe und so weiter und so fort. Begradigung von Flussbetten und so weiter und so fort und trotzdem. Und jetzt kommt ja vielleicht… Der dramatischste oder überraschendste Aspekt, das sind auch noch nie so wenige Menschen bei kriegerischen Auseinandersetzungen im Leben gekommen, wie aktuell. Obwohl unsere Gegenwart von Kriegen in einem Maße beherrscht wird, wie wir das vor 30 Jahren nicht mehr für möglich gehalten hätten. Diese Sicht, 70er, 80er Jahre, wir können sozusagen Konflikte nicht nur in der Familie oder nicht nur zwischen Freunden oder nicht nur auf dem Arbeitsplatz, sondern global über Kommunikationsstrategien lösen oder zumindest eindämmen, können sie beherrschen, dass sie nicht ausbrechen. Das war schon immer eine extrem eurozentristische, weiße Perspektive, die mit der Realität überhaupt nichts zu tun hatte.
[19:58]Der Rassismus, der weltweit die halbe Welt gewissermaßen unterjocht hat, der war in den 80er Jahren lebendig. Die Kriege auf der ganzen Welt hörten nicht auf und Europa schien ja nur deshalb so befriedet, weil es eben dieses atomare Wettrüsten und dieses auf Augenhöhe in den Tod schauen existierte, und vor diesem letzten Schritt irgendwie alle Gott sei Dank Angst hatten. Aber Sie merken jedenfalls, ich bin da sehr skeptisch, ob das in den 80er Jahren wirklich so besser war, als wir das uns heute vielleicht einnehmen. Es war anders, das ist immer gar keine Frage, weil immer alles irgendwie anders ist. Bei einer Skepsis ist das ja ein sehr optimistischer Blick auch. Würden Sie sagen, dass Europa jetzt so den Schritt raus aus der europäischen Tür in die Welt macht, so wie ähnlich die DDR-Bürger nach 1990 sich plötzlich wiederfanden in einer kapitalistischen, das wurde mal ein bisschen problematisch, weil ich finde es sehr positiv, aber es ist generell negativ besetzt, in einer kapitalistischen Welt sich wiedergefunden haben, wo sie plötzlich Eigenverantwortung tragen mussten, weil sie sie hatten. Vielen Dank. Und es sind Rahmenbedingungen weggefallen, die den Blick verstellt hatten vorher.
[21:17]Ich fürchte, wenn es nach Europa gegangen wäre, dann würde Europa immer noch sehr provinziell vor sich hin dümpeln. Es gibt ja dieses berühmte Buch von Chakrabarty, Europa deprovinzionalisieren. Also es geht ja eigentlich darum, Europa auch zu globalisieren. Und dazu ist Europa gezwungen worden. Nicht, weil es wollte. Früher war Europa gewissermaßen der Imperator, der die Welt versuchte zu unterjochen.
[21:47]Und irgendwann vor ein paar Jahrzehnten hat die Welt aufgehört, sich unterwerfen zu lassen, sondern begehrte auf. aus verschiedenen historischen Gründen. Es gibt auch so diese von Paul Kennedy, einen berühmten amerikanischen Historiker, der ist gerade 80 geworden, über Dehnungsthese, dass also Imperien ab einer bestimmten Größe praktisch zum Scheitern verurteilt sind und so weiter und so fort. Aber es hat natürlich auch viele andere Gründe gehabt. Jedenfalls brachen die europäischen Imperien zusammen und die kolonisierten Gesellschaften befreiten sich und gingen nun ihre eigenen Wege, die ersten Jahrzehnte noch sehr stark abhängig. Und das hat sich aber im Zuge der neuen Form der Globalisierung, Globalisierung gab es schon immer, aber jetzt gibt es eine neue Form und eine radikalere Form und eine Form, von der sich auch niemand mehr entziehen kann, gibt es sozusagen eine andere Vernetzung auch der Welt. Und da sieht es ja eher so aus, wenn man jetzt so auf bestimmte Regionen der Welt schaut, da muss Europa sich jetzt anstrengen.
[22:47]Überhaupt noch mithalten zu können, wenn man irgendwie in Richtung China schaut, in Richtung Indien, aber auch in Richtung Brasilien und so weiter und so fort. Da gibt es also enorme Erschütterung. Und insofern würde ich nicht sagen, Europa hat den Schritt rausgemacht, sondern die Welt ist nach Europa gekommen, ob Europa nun wollte oder nicht. Und Europa, wenn wir als Idee, als vielleicht sogar irgendwann politische und wirtschaftliche Einheit, sieht ja auch nicht gerade so gut aus, eben auch als militärische Einheit überleben wollen, dann müssen wir diese Impulse
[23:23]
Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine
[23:21]als Europa auch aufnehmen und uns globalisieren. Oder mir scheint das jetzt ein guter Zeitpunkt zu sein, mit dieser Perspektive auf das, womit wir es in Europa momentan zu tun haben, zu blicken, nämlich den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine und was das mit uns zu tun hat.
[23:40]Und zugeschnitten auf das Thema oder auf den Rahmen dieses Podcasts eben die Frage, kann ein Land, das formal nicht beteiligt ist, aber zumindest meiner Meinung nach mit gemeint ist, überhaupt dort eine neutrale Position einnehmen? Wie ist es zu bewerten, dass die Ostseeschattenflotte, die Angriffe auf deutschem Boden, die Vergiftungen und Tötungen, all das, was ja sozusagen nicht nur formal ein Krieg gegen die Ukraine ist, sondern gegen das westeuropäische Modell. Ist das eine Entwicklung, die genau das zum Anlass hat, was Sie meinen, die Welt kommt nach Europa, nach Westeuropa auf diese Art und Weise zurück? Mit Machtpolitik, mit Wucht und wir müssen dazu Stellung nehmen. Das ist jetzt etwas anderes.
[24:36]Also es ist erstmal kein Konflikt. Ich bin Ihnen auch sehr dankbar, dass Sie das Wort jetzt in diesem Kontext nicht benutzt haben. Das ist ja auch nochmal ein Punkt, den ich ohnehin mit Ihnen auch diskutieren wollte. Es wird völlig verkannt, dass hier ein Angreifer und ein Verteidiger ist. Und es führt eine Partei Krieg und die andere tut, was es tun muss, damit es überlebt. Vielen Dank.
[24:58]Genau so ist es. Die einen greifen an mit dem Ziel, die anderen zu vernichten. Man muss es auch beim Namen benennen. Es ist der Versuch eines Vernichtungsfeldzuges, der ukrainischen Kultur, des ukrainischen Staates, der ukrainischen Eliten, der ukrainischen Geschichte. Das ist das, was der frühere KGB-Major Präsident Wladimir Putin von Anfang an gesagt hat, was er am Vorabend der Ausdehnung des Vernichtungsfeldzuges gegen die Ukraine auf das gesamte staatliche Territorium am 24. Februar 2022 ausdrücklich formuliert hat. Und das hat er vor wenigen Tagen, wir reden jetzt hier Ende Juni, er hat es vor wenigen Tagen in St. Petersburg nochmal ganz genau mit diesen Worten erneuert, dort wo ein russischer Soldat seinen Fuß hinsetzt, ist Russland, dort wird nicht mehr weggegangen, die Ukraine gehört Russland und es gibt die Ukraine nicht mehr. Das hat er wortwörtlich so gesagt.
[25:59]
Der Konflikt zwischen Aggressor und Verteidiger
[25:57]Das sind also seine Kriegsziele. Und da können Mediatoren nichts, aber auch wirklich gar nichts vermitteln, weil das gegen dieses Kriegsziel hilft nur, sich mit allen Mitteln zu wehren. Die Frage ist, bis zu welcher Ebene man sich wehrt.
[26:20]Versucht man mit allen Mitteln, und alle Mittel heißen eben nicht nur militärische Mittel und Partisanenmittel, sondern heißen eben auch diplomatische Mittel. Das gehört zu jedem Krieg von Anfang an immer dazu. Deswegen ist diese dumme Rede von irgendwelchen Sprachrohren des Kremls, die hier in Deutschland sich überall herrumtummeln, die immer danach rufen, man müsse auf Diplomatie setzen, an Dummheit und an Demagogie nicht zu überbieten, weil jeder Krieg unentwegt mit Diplomatie begleitet wird. Es gab noch nie einen Krieg, der nicht mit diplomatischen Mitteln begleitet und auch geführt wurde. Und das ist natürlich auch jetzt so. Aber die entscheidende Frage ist eigentlich jetzt nur, erstens, was ist das Ziel des angegriffenen Staates und der angegriffenen Gesellschaft, sprich der Ukraine?
[27:09]Darf es ihnen reichen, die Russen, die russländische Föderation, die russländischen Truppen nur wieder an die Staatsgrenzen herauszuschmeißen?
[27:20]Oder muss man eigentlich das machen, was die Alliierten mit Deutschland gemacht haben, das Zentrum zerstören, um Frieden zu garantieren? Ich habe da keine Meinung. Natürlich beweise ich historisch, dass Russland noch nie in seinen eigenen Grenzen besiegt worden ist. Russland hat viele, viele Kriege verloren, anders als viele behaupten. Russland hat die meisten seiner Kriege verloren, aber es ist noch nie in seinem Territorium praktisch in Moskau geschlagen worden oder in St. Petersburg. Dafür gibt es logistische Gründe, dafür gibt es topografische Gründe und viele andere Sachen. Das weiß ich auch nicht. Ich bin auch kein Militärexperte. Jetzt geht es erstmal darum, dass die Ukraine nicht zerstört wird, nicht vernichtet wird. Wir wissen alle, jedenfalls alle, die es wissen wollen, was sich in den besetzten, okkupierten Territorien abspielt. Eine russische Infiltration, eine Vernichtung sämtlichen ukrainischen Lebens, viele, viele Massenverbrechen und so weiter und so fort. Und die zweite Frage, die damit zusammenhängt und die ist ja die, die Sie wahrscheinlich noch viel mehr interessiert, habe ich so den Eindruck. Welche Rolle spielen wir dabei? Inwiefern ist das unser Krieg? Ja, oder sogar orientierte, weshalb, vielleicht ist das auch nur bezogen auf Ostdeutschland, das kann ich nicht genau sagen, aber weshalb ignorieren wir das so stark?
[28:45]Weshalb sind wir auf der einen Seite, gibt es Stimmen, die sagen, ich habe noch nie Angst vor Russland gehabt, ich weiß gar nicht, was das soll, die wehren sich nur. Und die anderen sagen, man führt nicht Krieg gegen Russland, die sind einfach unbesiegbar und da ist man vernünftig und sollte Füße stillhalten und dann sollen die halt mit den Ukrainer machen, was sie wollen.
[29:05]Das ist eigentlich die Frage, warum wird das so ignoriert? Naja, also und da ist ja jetzt sozusagen deswegen nochmal die Frage, was hat das mit uns zu tun? Und da gibt es unterschiedliche legitime Antworten drauf. Natürlich kann jemand sagen, das hat mit mir gar nichts zu tun. Das interessiert mich auch nicht. Ich habe auch keine Angst vor Russland. Wie es zum Beispiel der Westdeutsche, und ich sage das jetzt, weil Sie eben gesagt haben, Ostdeutschland, nein, ein Stegner, ein Mützenich, ein Richard David Precht, eine Alice Schwarzer und wie diese ganzen Vögel alle sonst noch heißen, das sind alles Westdeutsche. Und die erzählen wie Ostdeutsche, wie Gysi, wie Wagenknecht, wie so anderen Vögel eben diesen ganzen Schrott. Weil sie meines Erachtens, und das ist die andere legitime Antwort, den Grundkonflikt, um den es geht, entweder ignorieren, nicht verstanden haben oder weil sie Lautsprecher des Kreml sind, sowieso nicht hören wollen. Also Wagenknecht, andere Leute sind halt Lautsprecher des Kreml. Die haben eine ganz andere Intention. Aber das ist natürlich nicht bei jedem so, der jetzt, sagen wir mal, Narrative verbreitet, die so ein bisschen an den Kreml erinnern. Da kann man nur nicht jedem unterstellen, die sind sozusagen Kreml-Anhänger, überhaupt nicht.
[30:23]Viele ignorieren das auch, weil sie der Meinung sind, das geht uns nichts an oder sie haben Angst vor Russland. Und Angst ist das, was in solchen Debatten am allerwenigsten artikuliert wird, obwohl es die meisten Menschen haben. Und das ist für mich die legitimste Antwort darauf, wenn man sagt, ich will, dass wir uns raushalten. Und wenn man dann sagt, weil ich Angst habe, ich habe Angst um mein Leben, ich habe Angst um mein Land, ich habe Angst um meine Kinder, ich habe Angst um meine Eltern, ich habe sonst wie Angst. Das finde ich absolut legitim. Das ist auch sehr rational. Da kann man zwar auch nicht weiter diskutieren, aber das kann man einfach so stehen lassen. Und Sie haben recht, es wird wenig gemacht. Es gibt wenige Stimmen, die das so schlussfolgern, zu sagen, ich will das nicht so, weil ich habe Angst um meine Kinder oder dergleichen.
[31:10]Das hat auch einen guten Grund, weil in der Öffentlichkeit sind ja in der Regel Menschen zugange, die politische Ämter haben oder die als Intellektuelle gelten, die als Deuter und Interpreten und was auch immer gelten. Und wenn die sich öffentlich hinstellen und sagen, ich habe Angst, dann wird ihnen ein Großteil der Öffentlichkeit sozusagen Konfliktunfähigkeit bescheinigen. Man wird ihnen bescheinigen, dass sie nicht fähig sind, gewissermaßen von sich selbst zu abstrahieren, dass sie schwach sind und all so Dinge. Und deswegen weichen die eben aus. Und ich bin jemand, der sagt, also wenn ich die Intention von jemandem kenne, warum jemand in der Öffentlichkeit das und das sagt, dann ist der für mich eher ein viel interessanterer Diskussionspartner, auch wenn ich völlig anderer Meinung bin, als wenn jemand sich da sozusagen hinter irgendwelchen Scheinargumenten versteckt. Ich komme aus einer anderen Denkschule, ich komme aus einem anderen Erfahrungsraum.
[32:07]Für mich war Russland auch 1991 ein Imperium, das irgendwie Anlass dazu gab, dass man es sich als friedlich anschauen konnte. Und schon erst recht nicht Ende der 90er Jahre. Es gab diese fürchterlichen Tschetschenien-Kriege.
[32:24]Man hat immer gesehen, wie Russland mit Abtrünnigen umgegangen ist. Brutal bis zum Letzten. Es gab nie einen Grund, dem Putin zu trauen. Ich bin jemand, ich habe mich jahrzehntelang mit Geheimpolizeien beschäftigt. Ich weiß ziemlich genau, was eine geheimpolizeiliche Ausbildung und wenn man der treu bleibt. Und Putin ist ja immer treu geblieben. Was die mit einem macht, was man auch für Voraussetzungen mitbringen muss. Und wie man gewissermaßen diesen mafiösen Bündnis lebenslang verbunden sein wird. Und nicht umsonst hat Putin bei seinem ganzen Aufstieg um sich herum vor allen Dingen Geheimdienste und Geheimpolizeileute, weil das eine ganz andere bündnische Zusammenhaltserfahrung ist, die er da schmiedet. Und insofern habe ich da immer eine andere Perspektive gehabt als die Mehrheit, aber natürlich sehr stark geprägt auch von meinen Unfreiheitserfahrungen im
[33:18]
Die Verteidigung des westlichen Liberalismus
[33:15]Kommunismus, die ich ja auch nur mit einer Minderheit mit mir rumtrage. Die meisten haben diese, obwohl sie dort gelebt haben, nicht diese Erfahrung, dass ihnen die Freiheit da gefehlt hat oder dass sie unterdrückt worden sind, sondern die haben das eben hingenommen, wie sie irgendwie alles mögliche irgendwie so hinnehmen und insofern geht es eben vor dem Hintergrund, dass ich mir keine Illusionen mache über die eigentlichen Ziele der russisch-imperialen Politik, geht es um die Verteidigung.
[33:44]Des westlichen Liberalismus. Russland hat die Ukraine nicht überfallen, weil sie sich bedroht gefühlt hat. Wenn sie sich bedroht gefühlt hätten, dann hätten sie, nachdem Schweden und Finnland der NATO beigetreten sind, während des Krieges gegen die Ukraine, ihre Truppen an der Grenze, die nun um 1300 Kilometer verlängert wurde.
[34:06]Verstärkt, weil sie Angst vor der NATO haben. Aber sie haben es nicht verstärkt, sondern sie haben alle Truppen von dort abgezogen und haben sie in die Ukraine verlegt. Sie haben keine Angst vor der NATO, weil sie wissen, dass die NATO kein Angriffsbündnis ist, nur in ihrer Propaganda, sondern ein Verteidigungsbündnis. Es geht um die Angst Russlands und der Kreml-Origashi vor dem Übergreifen des Freiheitsbazillus, des westlichen Liberalismus, der sich in der Ukraine mehr und mehr breit machte. Und nur darum ging es. Und deswegen, wenn man sich ein bisschen auskennt, was der philosophische, politologische, ideologische Hintergrund des Ganzen ist, auf dem da der Putin mit seinen Klakören herumspielt, dann weiß man, ihr großer Traum ist ein eurasisches Reich von Vladivostok bis Lissabon.
[34:52]Und deswegen ist der Angriff gegen die Ukraine im Kern ein Angriff gegen die freie westliche Welt. Und deswegen, ich sage das so deutlich, was viele vielleicht erschüttern wird. Manche werden denken, der hat es ja nicht alle, der ist durchgeknallt. Der Dritte Weltkrieg hat längst begonnen. Nur der läuft nicht mehr so, wie wir das aus den Dokumentationen über den Zweiten Weltkrieg kennen. Oder wie wir das vielleicht noch vom Vietnamkrieg oder Afghanistankrieg kennen. Der Dritte Weltkrieg ist vor allen Dingen ein hybrider Krieg. Und der hat längst begonnen und der wird auf allen Ebenen gegen den Westen geführt. Der wird eben nicht nur dadurch geführt, dass die Unterseekabeln der Ostsee durchgetrennt werden, sondern mit pausenlosen Angriffen gegen die Infrastrukturen des Westens. Und die sind weitaus schlimmer, als die meisten Menschen sich das sozusagen auch nur vorstellen wollen. Ich schweige denn können. Da fällt es nicht leicht, einen guten Faden aufzunehmen, weil das muss ich auch erstmal setzen lassen.
[35:47]Was bedeutet das konkret für uns, wenn nicht beide Themen, die Sie angeschnitten haben und die Sie dargelegt haben? Zum einen jetzt gerade diese Angriffssituation auf unsere Lebensweise und eben das, was Sie vorher auch angesprochen haben, das Fensteröffnen Europas. Wir sind in einer neuen Situation als vereinigtes, aber noch nicht ganz einiges Europa. Was bedeutet das für uns? Wie kommen wir da aus dieser Gemengenlage oder wie kommen wir da gut durch? Auch angesichts der Wahlerfolge, der politischen Verwerfungen, nenne ich sie jetzt mal ganz salopp, die eben aus einer vielleicht ihrer Täter nach überforderten Gesellschaft herrühren. Also, ich habe einen großen Vorteil, das ist der einzige Vorteil, den ich habe, wenn ich in der Öffentlichkeit agiere und das mache ich ja laufend. Ich will weder geliebt werden, noch will ich gewählt werden. Das heißt, ich kann reden, wie es mir mein analytischer Verstand und meine empirische Arbeit diktieren.
[37:01]Ich würde jetzt sagen, aber gehört werden wollen Sie, hoffentlich. Jeder, der in der Öffentlichkeit redet, der publiziert, will gehört werden. Und natürlich auch ich, deswegen schreibe ich Bücher, deswegen bin ich jeden dritten Tag in irgendeinem anderen Podcast oder sonst was. Oder in irgendwelchen Interviews in Zeitungen und Rundfunkstationen, ist doch ganz klar. Aber ich habe was anderes gesagt. Und daraus folgen zwei Dinge. Das eine ist, den meisten Menschen, die im westlichen Liberalismus groß geworden sind, fehlt eine, Gott sei Dank, eine Grundsatzerfahrung, die viele Menschen im Osten, also nicht nur in Ostdeutschland, sondern im Ostblock in Europa haben sammeln können. Aber auch dort, wo Rechtsdiktaturen, faschistische Diktaturen herrschten, bis, was weiß ich, ja noch Mitte der 70er Jahre, wenn man an Griechenland denkt, an Spanien, an Portugal. Und da bin ich noch nicht zu Ende.
[38:00]Alles, was uns umgibt, ist menschengemacht. Die meisten Menschen im Westen verhalten sich aber so, als wenn es Gott gemacht wäre. Und Gott gemacht würde heißen, das ist unvergänglich. Alles, was Menschen gemacht ist, kann zerstört werden, kann untergehen, kann sich so stark verändern, dass es nicht mehr wiederzuerkennen ist. Und genau das beobachte ich, nämlich eine große Distanz zu Freiheit. Für mich ist Freiheit das Wichtigste, was es gibt. Und ich sehe einen großen Verrat an der Freiheit. Und man kann Freiheit nur in der Freiheit verraten.
[38:38]Drinnen, du bist nah dran an der Freiheit. Zu weit drinnen, als dass man sie erkennen kann als ein zerstörbares Gut.
[38:46]Naja und ohne Freiheit gibt es auch keinen Frieden. Ohne Freiheit gibt es Friedhofsruhe, gibt es was auch immer. Die DDR zum Beispiel war ja nicht nur ein extrem unfreiheitlicher Staat, sondern sie war eben auch extrem unfriedlich. Anders als ihre Apologeten das heute behaupten. Wer eine Mauer bauen muss, damit die Leute nicht wegrein und alle da erschießt, die da rüber wollen, ist eben unfriedlich. Und wer vorgibt, man dürfe nur eine Meinung haben und für alles andere sozusagen kriegt man eine Fünf in der Schule oder kriegt keinen Studienplatz oder fliegt irgendwo raus, ist eben extrem unfriedlich.
[39:22]Insofern kann man auch letztendlich Konflikte, anders als Kriege, auch nur mit einem Mindestmaß, gewissermaßen an, oder nicht Mindestmaß, sondern einem Maß an freiheitlichen Grundbedingungen lösen. Sonst ist es immer eine Zwangslösung. Das ist bei Kriegen übrigens anders. Die werden sozusagen in der Regel zulasten einer Partei löst. Da ist dann keine Rede mehr von Freiheit oder sonst was, sondern da der eine Partei unterliegt Und selbst in einer diplomatischen Lösung wird eine Seite stärkere Einbußen hinnehmen müssen als die andere. Aber das Zweite, was daraus folgt, das mache ich ganz kurz. Ich bin eben nicht optimistisch. Ich beobachte eine Welt, eine westliche Welt,
[40:14]
Die Bedrohung durch autoritäre Tendenzen
[40:07]sozusagen in Europa, in den USA, die mir mehr Anlass zur Sorge als zur Hoffnung gibt. Und ich glaube, wir stehen aktuell an der Schwelle zu einem autoritären Zeitalter.
[40:20]Hier in Europa, hier in Deutschland. Wir können gerade in den USA erleben, wie in Echtzeittempo de facto ein autoritäres, ich gehe noch weiter, würde sagen ein faschistisches Regime errichtet wird. Wir wissen nicht, wie lange das hält, aber das sieht gerade alles nicht gut aus und wir sehen, wie schnell dort Dinge zerstört werden, wie schnell neue Mechanismen greifen. Das ist unfassbar, dass die meisten von uns hätten das nicht für möglich erhalten, was wir nicht sehen. Und das ist die wichtigste Ressource der Demokratie und Freiheit, wie Vertrauen zerstört wird. Und das ist auch etwas, was sich, das werden Sie als Konfliktforscher, als Mediator besser wissen als ich, das lässt sich nicht, man kann Vertrauen innerhalb von einer Minute zerstören, aber es lässt sich manchmal nicht über Jahrzehnte wieder aufbauen. Und das ist das, was uns allen große Sorgen machen sollte, was gerade um uns herum passiert.
[41:19]Und Demokratie lebt von Vertrauen. Vertrauen ist eine Ressource, ein Vorschuss auf das, was kommt. Und das wird gerade zerstört und massiv in den USA, weil wenn wir genau hinschauen, überall auf der westlichen Welt. Da würde ich tatsächlich auch die Prozesse und die Ansätze auch in einem größeren zeitlichen Rahmen schon einordnen. Das hat schon lange begonnen und wurde über lange Zeit auch mit Frivolität preisgegeben.
[41:54]Aber ich mag da sozusagen auch dieses heute oft beschworene andere Amerika noch lebendig halten und ich glaube, es gibt es das noch. Ich komme nochmal zurück oder versuche nochmal so zurückzukommen zu diesem, wie wir uns da durchsteuern können. Und es ist immer, ich weiß, es ist immer doof, wenn man als Historiker für Prognosen herangezogen wird. Aber Sie haben damit angefangen, den Blick ins autoritäre Zeitalter. Würden Sie sagen, wir haben gute Chancen, das gemeinsam abzuwenden? Und ich unterstelle damit einfach, dass es Chancen gibt. Aber ich will wissen, ob sie gut sind. Natürlich gibt es Chancen, das ist gar keine Frage. Und ich bin ja Historiker, ich meine, ich bin kein Zukunftsforscher. Historiker sind ja in der Regel, auch ich, langweilige, konservative Typen, die auch deshalb Historiker geworden sind, weil sie nicht sonderlich kreativ sind. Und zwar, wir beschäftigen uns mit Dingen, die sind umgefallen. Kann man dann irgendwie das rekonstruieren, warum es umgefallen ist oder warum irgendwas ist. Aber damit hört es dann auch schon auf.
[43:08]Deswegen ist es aber auch irgendwie für viele so spannend, weil da irgendwie jeder so ein bisschen mitreden kann. Jeder kann ein bisschen mitmischen. Glaube ich, da sind Sie als Historiker nicht die einzigen, die damit zurechtkommen müssen.
[43:20]Ja, ich ironisiere das ja auch so ein bisschen. Aber es ist eben auch so. Das ist auch nicht so. Die Theologen, die ja auch sehr viel historisch argumentieren, aber denen geht es ja eigentlich um die Zukunft. Aber Historikern geht es eigentlich nicht um die Zukunft. Da bin ich vielleicht eine kleine Ausnahme, dass ich mich auch eben so tagesaktuell sehr stark einmische. Und wenn man sich tagesaktuell einmischt, geht es einem eigentlich um die Zukunft.
[43:47]Natürlich haben wir alle Möglichkeiten, das zu verhindern, aber wenn ich meinen Kopf aus dem Fenster stecke, dann staune ich, wie viele Leute weiter Party feiern auf der Titanic. Und das alles nicht wahrhaben wollen oder nicht wahrnehmen oder sich nicht engagieren. Freiheit funktioniert nur und Demokratie funktioniert nur durch Engagement. Freiheit und Demokratie bedeutet sich in seine eigenen Angelegenheiten einzumischen. Und das ist ein gesellschaftspolitisches Einmischen, indem man sich für sich seine Umgebung, seine Gemeinschaften, seine Gesellschaft engagiert, einbringt, kritisiert, verändert, auf Veränderungen pocht, den Staat herausfordert, ausfordert, Parlamente kritisiert, aber auch gleichzeitig mitarbeitet. Naja, und wir sehen, bleiben wir mal in Deutschland, einen bedrohlichen Trend, das alles zurückzufahren. Wir haben eine Parteiendemokratie und kaum noch jemand ist in einer Partei organisiert. Das ist ein Riesenproblem. Und in Ostdeutschland ist der Organisierungsgrad in Parteien zehnmal so gering wie in Westdeutschland. Und dort ist der schon dramatisch zurückgegangen.
[44:57]Also wenn es jetzt so um dieses Potenzial geht, aus dem man Optimismus schöpfen könnte, dann kann man das auf der einen Seite ja so auf idealistischem Gebiet, ja wir müssen irgendwie alle uns bewegen und was machen, aber auf der anderen Seite gibt es eben auch strukturelle Voraussetzungen. Und dazu gehören Parteimitgliedschaften, dazu gehören Vereinsarbeit, dazu gehören also all das, was die Zivilgesellschaft ausmacht. Und da sehen wir, das ist alles auf dem Rückmarsch. Selbst die Kirchen, die mal als wichtige Pfeiler der Zivilsellschaft dienten, die leiden alle unter Mitgliederschwund und so weiter. Ich weiß nicht, im letzten Jahr, ich bin nun alles andere als ein Freund der katholischen Kirche, aus politischen Gründen, aus den Gründen, natürlich auch aus diesen ganzen Verbrechen, die da an Kindern und Schutzbefohlenen stattgefunden haben über Jahrzehnte und Jahrhunderte.
[45:44]Aber ich glaube, im ganzen letzten Jahr fand in der katholischen Kirche nicht mal ein Dutzend Priesterweiden statt. Das muss man sich mal vorstellen in Deutschland. Und das geht schon seit Jahren so, dass die also froh sind, wenn sie mal 23 im Jahr haben oder so. Also das schrumpft alles und das verändert die Gesellschaft auf eine massive Art und Weise. Und wir haben, glaube ich, noch nicht so als Gesellschaft so einen Weg gefunden, damit irgendwie anders umzugehen, wie wir uns vor uns selbst retten können. Schauen Sie sich den aktuellen Skandal und Fraktionsvorsitzenden Spahn an. Die Gesellschaft guckt mehr oder weniger zu, wie da jemand lächelnd von den Granten seiner Partei, einschließlich der Bundestagspräsidentin, geschützt wird, obwohl das Unrecht so offenkundig und offenbar ist. Ja, also und…
[46:37]Mir geht es nicht um den Spahn, der ist mir scheißegal, ehrlich gesagt. Mir geht es aber um die Signale, die davon für die Gesellschaft ausgehen. Sie fragen ja, woher nehmen wir unsere Kraft oder unseren Optimismus,
[46:51]
Engagement für Freiheit und Demokratie
[46:50]dass wir das alles abwenden können. Und ich kann nur sagen, ich bin jeden Tag irgendwo und streite für Freiheit und Demokratie, schreibe, rede, diskutiere, in der Hoffnung, meinen kleinen Anteil beizutragen, dass eben das Schlimmste abgewendet wird. Und in der Hoffnung, auch andere anzustiften, vielleicht auch sich mehr zu engagieren als bislang. Das ist die einzige Hoffnung, die ich habe. Und deshalb habe ich Sie auch gerne hier in den Podcast eingeladen und gehe das Risiko doch nochmal ein, meine Ankündigung von vorhin wahrzumachen und auf das Thema, das mir jetzt ganz passend scheint, einzugehen. Denn die Gruppen, die zugenommen haben in den letzten Jahren, wo alle anderen Gruppen, Vereine und Parteien, Gewerkschaften etc. Zurückgegangen sind, sind die digitalen Gruppierungen. Und die Meinungsbildung über digitale Medien, die dann rückführend auch auf die nicht-digitale Meinungsbildung in der Politik, in Wahlen zum Ausdruck kommt. Und das war vorhin ihr, wenn ich das richtig in Erinnerung habe.
[47:58]Größter Einflussfaktor und größte Problematik, die wir gesellschaftlich momentan zu schuldern haben, diese radikal schnelle, umfassende Digitalisierung. Wobei wir in Deutschland, wenn man dem Narrativ zumindest glaubt, dann nicht vorne dran sind, sondern eher so am Ende des Pelletons gucken können, ob die da vorne hinfallen und wir noch ausweichen können oder ob wir einfach mit reinfahren müssen in den Massencrash, um mal als Radfahrer hier ein Bild zu bringen.
[48:32]Sehen Sie den Zusammenhang, Verlust von traditionellen Bindungen der Zivilgesellschaft und dieses Aufkommen der letzten Jahrzehnte von digitalen Communities, Meinungsbildung. Sie sind ja auch sehr aktiv in den letzten Jahren zumindest im digitalen Bereich und haben dort viel Erfahrung gesammelt. Also das, worauf Sie jetzt abheben, so der ganze Social-Media-Bereich im weiteren Sinne, auch mit den ganzen neuen Medien, mit dem Bedeutungsverlust traditioneller Medien, Print wie analogen Sendestationen, das ist ja nur ein Aspekt dabei. Dieser Bereich hat massiv unser Kommunikationsverhalten verändert. Und er hat massiv unsere politische Wahrnehmung verändert, Insbesondere bei denjenigen, die sich in den sozialen Medien herumtummeln. Es sind viele, aber längst nicht alle, darf man immer nicht vergessen.
[49:34]Diese Bubble-Kultur, die führt ja auch so ein bisschen zu so einer Blindheit. Also wenn man sich jetzt in den letzten Monaten ausschließlich in den sozialen Medien über die kriegerischen Auseinandersetzungen in Israel, gegen Israel, gegen Gaza, Iran beschäftigt hätte, würde man zu einem gänzlich anderen Bild kommen, wie die Gesellschaft, die bundesdeutsche Gesellschaft tickt, als wenn man das gesamtgesellschaftlich sieht. Das ist eine völlig sozusagen, in den sozialen Medien gibt es fast nur Pro und Contra, während die große Gesellschaft viel differenzierter darauf schaut und auch eine viel differenziertere Einschätzung hat. Zumindest wenn man den demoskopischen Erhebungen aus den letzten Wochen trauen darf. Und noch tue ich das, auch wenn ich da sehr skeptisch bin. übrigens aus dem Grund, der mit den sozialen Medien zu tun hat, weil nach wie vor ein Großteil der demoskopischen Erhebung über Festnetznummern stattfindet, was völlig abwegig ist, weil kaum noch irgendjemand Festnetznummern hat und die benutzt und wenn, dann sind das in der Regel ältere Leute, die sehr alt oft schon sind und bei Handys, bei mobilen Nummern, da kann man auch immer fragen, wer geht denn an.
[50:45]Eine Telefonnummer ran, die er nicht kennt. Das ist auch ein ganz spezielles Milieu. Also das ist den demoskopischen Instituten natürlich bewusst, auch den Soziologen, aber noch sind die in einem harten Abwehrkampf. Wir reden ja hier über von einer milliardenschweren Industrie und die haben noch nicht wirklich Mittel und Wege gefunden, um aus dieser Maleise rauszukommen. Und jeder, der das kritisiert, ich habe das mehrfach öffentlich kritisiert, kriegt es also sofort mit der beilten Wucht der Anhänger dieser traditionellen, demoskopischen Erhebungen zu tun und mit Soziologen und so weiter und so fort. Und ich kann nur mit dem Kopf schütteln und sagen, naja, dann macht man. Aber wir reden ja eigentlich, wenn ich auch vorhin über die Verunsicherung gesprochen habe und über das, was globale Digitalisierung bedeutet, über weitaus mehr und vor allen Dingen jüngst über das, was mit dem Stichwort KI, künstliche Intelligenz, verbunden wird. Denn die bedrohen, zumindest in der Selbstwahrnehmung, aber auch ganz real große Gesellschaftsgruppen. Wenn die Frage ist, gibt es meinen Job morgen noch? Rede ich morgen mit ihm oder mit dem KI?
[51:49]Oder umgekehrt sozusagen. Ich meine, ich kenne mittlerweile Restaurants in Berlin, da bringt mir mein Eisbecher so ein Computer, der da so angefahren kommt. Das ist zwar alles noch so ein bisschen unbeholfen, weil der noch bestückt wird von Menschen, aber das sind ja alles bloß Entwicklungen von Wochen oder Monaten, dass das anders ist. Und dass egal in welchem gesellschaftlichen Bereich man kommt, jeder, fast jeder Job ist in Gefahr. Auch ein Großteil zum Beispiel der Tätigkeiten, die Historiker machen, sind sozusagen denkbar, dass das eines Tages ganz anders passiert. Übrigens nicht das, was ich tue, also nicht hier dieses Reden, sondern so wie ich Bücher schreibe. Das ist sozusagen noch, da müssen Sie sich noch ein bisschen was einfallen lassen, wie man unerschlossene Quellen gewissermaßen so sinnvoll erschließt, dass man dann daraus Bücher macht. Das wird wahrscheinlich passieren, aber höchstwahrscheinlich nicht mehr zu meinen Berufs- und Lebenszeiten. Und so gibt es ein paar andere Jobs, bei denen man relativ immer noch sicher sagen kann, die wird es noch geben. Aber das sind so wenige.
[52:51]Also die meisten juristischen Jobs, die werden über kurz oder lang von KI gemacht, viele medizinische Jobs. Also ich rede wirklich über die Hochqualifizierten, da reden wir nicht über Verkäuferjobs oder die Reparatur von Autos oder Straßenbahnen oder sonst was. Und das bringt natürlich eine extreme Verunsicherung. Und nun ist die Frage, was kann man dagegen machen? Und wir als Gesellschaft haben nie wirklich bislang eine Antwort darauf gefunden.
[53:19]
Die Sehnsucht nach einfacher Harmonie
[53:15]Wir versuchen das zu regeln oder so, aber die Extremisten haben eine Antwort. Und das ist der Punkt, weshalb mich das so unruhig werden lässt und weshalb ich glaube, wir haben gerade wenig in der Hand, um die Katastrophe abzuwenden, weil die Extremisten, in der Regel sind es Rechtsextremisten, in der Regel sind es Faschisten, ob nur AfD oder Trump oder sonst wer.
[53:37]Die sagen, die haben zwei Dinge in der Hand und die verfangen. Das erste ist, wir wissen, wer daran schuld ist. Sind in der Regel Ausländer, Geflüchtete, Dazugekommene. Und sie reden eben und sie sagen eben Juden natürlich. Und sie sagen, wir hatten ja schon mal so eine völkische Homogenität, zu der wollen wir zurück. Und das ist der zweite Punkt, dass sie sagen, sie versprechen eine lichterlohe Zukunft, indem sie die Vergangenheit wachrufen und sagen, wir holen euch die Vergangenheit in die Zukunft. Das ist das Grundversprechen von all diesen Typen. Und das verfängt natürlich, weil es sehr einfache Antworten sind und die meisten Menschen und die Gesellschaft als solche liebt einfache Antworten. Und die Sehnsucht, also die Sehnsucht angesprochen.
[54:24]Man ist ja bereit, sich Mühe zu geben, diese Zukunft dann auch zu erarbeiten und da wird ja viel auf sich genommen, also so einfach, aber es ist eine starke Sehnsucht, die angesprochen wird. Na klar, und die ist auch verständlich. Und da sind wir so ein bisschen ja auch bei ihrem Kernthema wahrscheinlich. Bei Konflikten und Mediationen und so geht es ja im Kern auch immer so ein bisschen darum, Harmonie wiederherzustellen. Gell wie man sie sozusagen definiert, aber jedenfalls Frieden, also wenigstens im Kleinen. Und das versprechen dir. Wir versprechen euch Ruhe, wir versprechen euch euren gepflegten Vorgarten. Wir versprechen euch sozusagen, dass ihr euer Ding so machen könnt, wie ihr wollt und dass die ganze Aufregung um euch herum sich wieder legt. Und wenn man sich selber befragt, egal wer man nun ist, dann wird man feststellen, dass in jedem, den meisten Menschen, so ein Anteil existiert, der genau diese Ruhe, diese Harmonie, diese…
[55:27]Und einfach in Frieden leben wollen, vorhanden ist. Und ich meine, wir sind ja alles Menschen, die viele Anteile in sich haben. Den Rebellen, den Punk, den Wiederborstchen, den Mitmachenden, den Unterdrücker, den Verbrecher oder Kriminellen und eben auch diesen Harmoniesystem. Und insofern, die Frage ist ja glaube ich immer nur so, welche Anteile sind dominanter, welche Anteile sind stärker, welche hat man besser, welche hat man weniger im Griff. Und insofern aber jetzt auf die Gesellschaft übertragen.
[55:57]Sehe ich eben, dass viele diese Lust nach Ruhe, diese Lust vermeintlicher Ruhe, diese Lust nach vermeintlicher Harmonie haben und gern bereit sind, dafür andere zu unterdrücken und andere auszuschalten im wahrsten Sinne des Wortes, ob nun über Kriege oder eben indem Minderheiten ausgedrückt werden. Also es geht eigentlich darum, und das ist ein Bild aus dem 19. Jahrhundert, eine Diktatur der Mehrheit zu errichten. Und die Diktatur der Mehrheit ist eben genau das klassische Gegenbeispiel zu einer parlamentarischen Demokratie, in der die Minderheitsrechte zur Geltung kommen und in der die auch sozusagen ausgehandelt werden als gleichberechtigte Interessen. Und die Diktatur der Mehrheit will das nicht, sondern die will sozusagen ihre Ruhe auf Kosten der anderen. Und deswegen haben wir diese komischen ganzen Kulturkämpfe, ob es nur um den Genderstern geht oder ob es um die Regenbrunnenfahnen oder was auch immer geht. Das ist sozusagen, dahinter steht die Sehnsucht nach der Diktatur der Mehrheit.
[57:00]
Abschluss und Ausblick auf die Zukunft
[57:00]Sorry. Für nichts, alles gut. Herr Kowalczuk, ich bedanke mich für dieses umfangreiche, lehrreiche Gespräch zu Themen, die nicht so einfach zu greifen sind, begreifbar gemacht wurden von Ihnen und wie die es auch uns als Mediatoren gilt, hier einzuordnen und auch dann in ganz praktische Tätigkeiten zu überführen, was sicherlich Zeit braucht. Und ob wir die haben, steht in Frage. Ich danke Ihnen und wünsche Ihnen alles Gute. Ich danke Ihnen auch. Bis bald, ja. Tschüss. Ilko Sascha Kowalczuk, Historiker.
[57:41]Kenner der DDR-Geschichte und postkommunistischen Geschichte, Streiter und Kämpfer für die Freiheit. Ich war heute hier im Podcast und wir haben ganz große Linien skizziert Ja. Die doch auch für unsere alltägliche Arbeit Bedeutung haben können, Bedeutung haben und Bedeutung vielleicht haben könnten. Wenn wir sie in den Blick nehmen und schauen, was tun wir eigentlich, wenn wir Konflikte bearbeiten, die wir wahrnehmen können, stetig mehr wahrnehmen können. Und deutlich ist mir geworden im Gespräch, dass es für die Einschätzung wirklich eine Frage der Perspektive ist und manchmal auch der historischen Dimensionen, zu welchem Urteil oder zu welcher Einschätzung wir kommen, welche Thesen wir bilden, die dann auch unsere konkreten Interventionen in akuten Konfliktberatungen und Mediationen dann vollführt werden. Ein Podcast, der nachdenken, anregen soll, nachdenklich machen soll und ob das gelungen ist, entscheidest du und ihr. Und gebt bitte Rückmeldung, was euch durch den Kopf geht, was euch angeregt oder auch aufgeregt hat, damit wir dazu ins Gespräch kommen.
[59:09]Ich bedanke mich bei dir und euch allen, dass ihr hier im Podcast wieder mit dabei wart. Ich wünsche euch eine gute Sommerzeit und verbleibe mit besten Wünschen. Euer Sascha Weigel, Host von INKOVEMA im Institut für Konflikt- und Verhandlungsmanagement in Leipzig und Partner für professionelle Mediations- und Coaching-Ausbildungen.
[59:32]