VUKARONA – Mit Vollbremsung den Wandel beschleunigen
Konfliktpotenziale in der VUKA-Welt in Zeiten der Coronavirus-Pandemie.
Einleitung
Timo K. sitzt im Januar 2020 an seinem Rechner in der Nähe von Heidelberg. Er betreibt einen unbedeutenden Online-Shop, der sich kaum rentiert. Dafür aber schaut Timo K. Nachrichten und ordert für zigtausende Euro Atemschutzmasken, die er mit seinem letzten Geld bezahlt. Einiges muss er sich von Familienmitgliedern leihen. In wenigen Tagen werden sich seine Nachbarn beschweren, weil die angekarrten LKW-Ladungen Atemschutzmasken die selige Ruhe im Dorf stören. Kurzfristig zupackende Hilfskräfte zu organisieren, ist für Timo K. kaum möglich. Er geht das riskanteste Geschäft seines Lebens ein. Nicht nur finanziell, auch moralisch. Bis zu diesem Augenblick deutete nichts darauf hin, dass sein Online-Shop in den Lokalnachrichten auch nur erwähnenswert gewesen wäre. Was dann geschieht, gleicht in vielerlei Hinsicht dem Drogenhandel, wie er später in einem Interview zum besten geben wird. Strafbarkeit ausgenommen. Innerhalb weniger Wochen darauf wird Timo K. einen Millionenumsatz in Euro mit Atemschutzmasken verzeichnen.
Zugleich schaut und hört die Welt nach Wuhan, einer chinesischen Millionenstadt, die am 23. Januar 2020 unter Quarantäne gestellt wurde. Die Wenigsten von Allen, die dorthin schauten und das Gleiche sehen konnten, wussten in dieser Zeit, dass sie in ihre eigne Zukunft schauten und nicht auf einen fernen Ort in der Welt…und der berüchtigte Sack Reis fiel in China!
Am 25. März 2020 tritt der Bürgermeister von New York Bill de Blasio vor die Mikrofone und ruft seinen Bürger*innen zu: „Die Welt, die wir kannten, ist verloren. Es werden sich Millionen Menschen in der Stadt infizieren…und wir werden einige von ihnen verlieren…“, und dann an seine amerikanischen Landsleute gewandt: „Wir sind Eure Zukunft.“
Mit der Zukunft ist das nämlich so eine Sache, sie ist meist schon da, nur eben an einem anderen Ort.
VUKARONA – Wo mit Vollbremsung der Wandel beschleunigt wird
VUKARONA ist die Welt, die zeigt, dass nichts einfach woanders passiert, sondern alles auch hier stattfindet. Nur nicht sofort, jetzt.
Wo ist VUKARONA?
In VUKARONA kann jeder via Internet sehen, was Heute dort geschieht und Morgen hier geschehen wird. Jeder kann jetzt und überall sehen, hören, lesen, was soeben entdeckt, entwickelt und erfunden wurde – und Morgen bestellt, eingeführt und genutzt werden kann. Und auch Dinge, Phänomene und Ereignisse, die nicht bestellt, gewollt und erwünscht sind, finden in VUKARONA Ihren Weg überall hin, schneller als anderswo. Oder anders: Keiner braucht die Vorstellung zu hegen, die Kontrolle zu haben oder sie bei anderen vermuten zu dürfen. In der VUKA-Welt hat keiner die Kontrolle allein, weiß niemand alles oder auch nur, wie die Dinge funktionieren. Denn nicht nur die Welt ist vuka, auch die Zeit scheint es zu sein.
Kapitalistisches Herumwirtschaften in VUKARONA?
Und wenn nun manche meinen, wir sind jetzt infolge des Coronavirus und seiner pandemischen Auswirkungen ausgebremst und im Stillstand gefangen (Foto-Sammlung in der NYT), so dass wir endlich zur Ruhe kommen könnten etc., der hat sich womöglich getäuscht. Das Virus ist keine Bremse, ist kein Halt, sondern ein Schikane, die mit Volldampf angefahren wird und uns alle nötigt, bestmöglich und gemeinsam wieder herauszukommen.
Diese Krise, verursacht durch ein Virus, ist nirgends besser vorstellbar zu begegnen als in einer kapitalistisch-organisierten, demokratisch-rechtsstaatlichen Welt: Es werden sofort Mittel beschafft, von allen, nicht nur den Behörden zusammengetragen und bereitgestellt, die die Menschen und Gesellschaften unterstützen. Ja, und diese Geldmittel werden wir erst gemeinsam in der Zukunft erwirtschaften (Kreditwesen!). Weil wir fest daran glauben, dass die Zukunft besser sein wird als die Gegenwart. So stellen bspw. die US ca. 2000 Mrd. $, Europa 750 Mrd. € sowie Deutschland ca. 500 Mrd. €. Zudem werden enorme Investitionen an den Börsen eingesammelt, um die Medikamente zu entwickeln und massenhaft herzustellen und damit eine heilende Medizin zu ermöglichen. Wer das als Profitgier mit dem Leid anderer verachtet, begrenzt seine Perspektive auf die vielfältige kapitalistische Realität.
Wir können erleben, wie nicht nur das „Kalte Herz des Kapitalismus“ (Plumpe) pumpt, um unser Überleben in Wohlstand zu sichern, sondern auch unsere rechtsstaatlich-demokratische Gesellschaft höchst sozial agiert und Vorsorge trifft – nicht nur für die Alten und Vorerkrankten, sondern auch für Kleinste, Kleine und Große Wirtschaftsakteure. Selbst die USA scheinen im Angesicht dieses Virus‘ quasi-sozialistisch zu mutieren. Wer hätte zu Weihnachten 2019 die Wette gewagt, dass Donald Trump Lohnfortzahlung im Krankheitsfall einführt?!
Wenn das nicht herzerwärmend vuka ist, was dann?!
- …dass Matrazen-Firma Atemschutzmasken – ausschließlich für Krankenhauspersonal und Pandemie-Front-Arbeiter*innen – herstellt?
- …dass Staubsauger-Firma Beatmungsgeräte – medienwirksam und damit kapitalistisch – herstellt?
- …dass Chemie-Firma Desinfektionsmittel herstellt?
Man will sich in dieser Krise die märktebasierende Gesellschaft nicht ohne den regulierenden Staat vorstellen,
aber allein dem Staat will man die Krise auch nicht überlassen.
Kaum herzerwärmend jedenfalls ist die Idee, die auch hierher gehört, dass die Alten für die Wirtschaft sterben sollten. Sie kommt von einem alten, krankenversichert Privilegierten, dem dennoch Mut, Entschlossenheit und geistige Klarheit nicht sofort abzusprechen sind. Genau das ist vuka. Diese nicht einfach gefaltete Vielfalt in Gleichzeitigkeit.
Das wirtschaftliche Rennen ist keins, sondern gleicht einem bunten Treiben, das in seiner Undurchdringlichkeit dennoch Fortschritt mit sich bringt. Zugegeben, nicht immer und für Alle, aber oftmals für den ganz überwiegenden Großteil. Doch das erkennt in VUKARONA nur, wer historisch und global denkt, wer die historischen Fortschritte in den vielen Teilen der Welt zu würdigen (1. Video) und sie als Ansporn für die weiteren Aufgaben zu nutzen weiß (2. Video).
VUKARONA ist eben diese Konsequenz eines globalen Fortschritts- und Verbesserungsprozesses, den es erstmal in den Blick zu bekommen und in die inneren Akzeptanzräume zu nehmen gilt – um so dann festzustellen: Na bitte, es geht doch! Die Richtung stimmt…
Jetzt ist VUKARONA!
Für den Moment jedenfalls steht die Weltgesellschaft vor einer enormen Herausforderung: Der Coronavirus reist durch die sozialen Netzwerke der Welt – und zeigt ihr, wie vukaesk Menschen und Gesellschaften miteinander agieren und verwoben sind. Es ist nicht die Zeit, fundamentalkritisch Nebenkriegsschauplätze zu besetzen und alte Schuldige endlich zu überführen, wo viele danach gieren, endlich Schuldige genannt zu bekommen, wenn sie schon nicht selbst ausgemacht werden dürfen.
Für den Moment lässt sich feststellen, dass die Staaten und Gesellschaften der Welt koordiniert, großteils respektvoll, in jedem Falle entschlossen auf das Coronavirus reagieren und dass die gesellschaftlichen Abwehrkräfte gegen einen neuartigen Feind aktiviert sind…aber…das klingt für unsere kleine Reise durch VUKARONA schon wieder viel zu sicher, viel zu eindeutig, viel zu klar.
Mit Gewissheiten lässt sich VUKARONA kaum erschließen, es braucht schon die Bereitschaft, die Reise ohne Landkarte anzutreten.
Ursprünglich war VUKA die Antwort des US-Army-War-College auf die geänderte politische Großwetterlage, um seinen Absolvent*innen für Leadership und Strategie die neuen militärischen Problemstellungen zu verdeutlichen, die mit dem Ende des Kommunismus Anfang der 1990er Jahre aufgekommen waren. Die Ausgangsidee war, das mit dem Untergang der UDSSR auch die globale Spaltung in kommunistische Ostblockstaaten einerseits und den liberalen Staaten des Westens andererseits beendet sei. Von nun an war unklar, wo und wer der Feind war – und damit fehlt nicht nur Soldaten, sondern dem Tag insgesamt die Struktur.
Von nun an war die Welt vuka. Volatil. Ungewiss und unsicher. Komplex. Ambig und ambivalent.
Mit dem im Jahre 2019 auftauchenden, zum Jahreswechsel anlaufnehmenden und sich explosionsartig ausbreitenden Coronavirus SARS-CoV-2, das die Krankheit Covid-19 (für corona virus disease 2019) beim Menschen auslöst und zur weltweiten Coronavirus-Pandemie führte, entfaltet sich das Beschreibungskonzept der VUKA-Welt in einer neuen Form: Nun wird für alle sichtbar, dass die Welt zusammengewachsen und eins ist, auf jeden Fall aber nicht einheitlich, eindimensional, einig, sondern sich erst die ganze Vielschichtigkeit und Undurchsichtigkeit zeigt, soweit wir sie digital-medial überhaupt in ihrer Realität direkt wahrnehmen und kognitiv durchdringen können.
VUKA in Zeiten des Coronavirus
1. Volatilität – Die Schwankungsweiten der Welt.
Volatilität bezieht sich auf die Schwankungsweiten und -intervalle von Veränderungen. Die Welt, die Wirtschaft und das Wetter, aber auch die die Preise, die Börse und das Böse, wobei das Gute nicht vergessen werden darf und das Regulatorische im Staat, in der Familie und in der Firma auch genannt werden wollen – alles ist volatil, kommt höchst schwankend daher und gilt kaum mehr auf Lebenszeit.
Das Leben ist für die Meisten unter uns kein langer, ruhiger Fluss – und war es wohl nie. Doch heute gilt für jeden, ob Arbeiterin oder Aktivistin, Landwirt oder LKW-Fahrer, Professor oder Profi-Fussballer, Office-Managerin oder Opern-Sängerin, der Wandel ist die Konstante unserer postmodernen Zeit.
Alles ist veränderlich, fragil, instabil, zuweilen erfreulicherweise flexibel, aber jederzeit fragwürdig und zweifelhaft. Die Relationen haben zugenommen und mit ihnen die Relativität der Erscheinungen und Begegnungen, die Mobilität, Sesshaftigkeit, die Dinge und virtuellen Realitäten. Grundstürzende Erfindungen und Entwicklungen beeinflussen in viel kürzerer Zeit viel mehr, auch prozentual mehr Menschen auf Erden.
Die Erfindung der Null in Indien vor ca. 1500 Jahren brauchte ihre Zeit, um von allen Menschen genutzt zu werden, in Europa geschah das erst ca. 700 Jahre später durch den Mathematiker Fibonaci. Und das Holländische Fernrohr, das Galilei um 1600 weit blicken ließ, fand kaum seinen Weg in die Lebensräume seiner Zeitgenossen. Selbst die Eisenbahn, die das Antlitz der Welt wie kaum eine Erfindung vorher veränderte, wurde nur von einem Bruchteil der Leute in den ersten Jahrzehnten genutzt.
Eine andere Kenngröße für den Wandel individuellen und gesellschaftlichen Lebens ist die Kontaktanzahl von Daten und Menschen: Noch nie strömten so viele Daten und Menschen auf Menschen ein und zwangen sie zu fühlenden, denkenden und handelnden Reaktionen. Wir können eben nicht nicht reagieren. Allein deshalb nimmt sich das Leben zu Beginn des 21. Jahrhunderts (7 Mrd. Menschen) anders aus als das Leben zu Beginn des 20. (2 Mrd. Menschen) oder gar des 19. Jahrhunderts (1. Mrd. Menschen). Der italienische Philosoph Luciano Floridi spricht hier deshalb und angesichts der Fortschritte der Informations- und Kommunikationstechnologien auch vom Zeitalter der Infosphäre.
Und nun, im März 2020, das!
Eine ernsthafte Pandemie, ein Virus wandert durch die gesamte Welt. Zweifel gibt’s daran natürlich auch. Vuka eben.
- New York Times – Viruswege in der VUKA-Welt – großartige geografisch-fokussierte Visualisierung der Verbreitungswege!
- Covid Bar Chart – Dynamisches Balkendiagramm der Virusherde in der Welt.
Shutdown in Deutschland und im Großteil der Welt – so halbwegs. Die andere Hälfte wird folgen.
Sozialer Stillstand. Wohl kaum, eher im Gegenteil.
Sozialer Abstand als Ausdruck zwischenmenschlicher Solidarität – nicht mehr nur beim Autofahren!
Biologische Fürsorge durch Enkelentzug! Wow!
Volkswirtschaftlicher Stillstand. Angebotsschock und Nachfrageschock zugleich.
Das gleicht in vielen Teilen einem Krieg – und ist genau das Gegenteil!
Nach all den wachstumsgerichteten, globalen Entwicklungen der vergangenen 20 Jahre (Container-Kosten-Transportrevolution, DigitaleDaten-Transportrevolution, Flugreisen-Transportrevolution etc.) – drückt ein Virus auf das, was viele Beobachter als Pausentaste identifiziert haben, weil der gewohnte Transport von Menschen und Dingen sogleich gestoppt wurde. Doch der Datenaustausch geht weiter. Die Daten fließen umso intensiver. Denn unsozial sind wir keineswegs.
Konfliktpotenziale von Volatilitätsphänomenen
Volatilitätsphänomene im Angesicht des Coronavirus sind vielfältig und überall anzutreffen. Im Folgenden sind einige Konfliktpotenziale aufgelistet und jeweils knapp erläutert.
2. Ungewissheit in den weiten des Wissens der Welt
Ungewissheit äußert sich nicht nur darin, dass wir ein bestimmtes Szenario nicht einschätzen können, sondern auch, dass wir überhaupt nicht über eine entsprechende Wahrscheinlichkeit nachdenken: „Zusammengenommen, Eure Majestät, war das Versagen, den Zeitpunkt, das Ausmaß und die Härte der Krise [von 2008] vorauszusehen und diese abzuwenden…in erster Linie ein Versagen der kollektiven Vorstellungskraft vieler intelligenter und gebildeter Menschen…“. Das war die Antwort von 33 Experten der Britisch Academy im Juli 2009 als sie von Queen Elizabeth II. gefragt wurden: „Warum hat niemand die Kreditkrise kommen sehen?“
Heutzutage, so die Vorstellung über die VUKA-Welt, könne niemand mehr umfängliche und sichere Angaben zu einer bestimmten Fragen machen. Das gilt selbst für Wissenschaftler und Experten bei Fragen über Ihr Fachgebiet. Zwar mögen Laien und andere Nichtexperten die Vorstellung hegen, dass Fachexperten sichere Angaben machen können oder eine Frage eindeutig beantworten können müssten. Aber so einfach ist es eben nicht mehr. Wissenschaftler*innen haben zwar Expertise in ihrem Fach angesammelt, aber es versetzt sie deshalb nicht in die Lage, auf alle Fragen Eindeutigkeit in der Sache zu deklarieren. Wissenschaft ist ja der konstruktive Austausch unterschiedlicher Erkenntnisperspektiven nach bestimmen Regeln. Das bedeutet, dass wissenschaftliche Diskussionen und Antworten stets abwägende und multidimensionale Erkenntnisse mit sich bringen, die aktuell gelten, aber im andauernden Erkenntnisfluss bleiben. Wissenschaftliche Erkenntnis hält die Welt(-Erkenntnis) nicht mehr an, sondern ermöglicht neue Erkenntnisse und weiteren Fortschritt. Und sie ist das beste Mittel, das wir haben, um der Komplexität gerecht zu werden – und mit unserer zunehmenden Ungewissheit über den Fluss und Fortgang der Dinge klarzukommen. Aktuell in der Coronavirus-Krise können wir täglich dem Virologen Prof. Drosten (FAZ+, Podcast) zuhören und erfahren, was es heißt, auf der Basis wissenschaftlicher Erkenntnis die richtigen Fragen zu stellen und praktikable Antworten zu finden. Das hat Vorbild-Charakter par excellence. Denn es zeigt, dass wissenschaftliche Erkenntnis nicht die letztgültigen Antworten liefert
Doch selbst im anspruchsvollen Streit der Kenner und Experten, kann nicht ausgeschlossen werden, dass Unsicherheit die Konsequenz ist. Denn, und das ist die Paradoxie, Wissen führt zwar zu Erkenntnis, aber nicht unmittelbar zu Sicherheitsgefühlen. Ganz im Gegenteil. Erkenntnis und Wissen unterliegen vielmehr einer Ungewissheitsgewissheit. Wer die Türen der Erkenntnis aufstößt, weiß um die unerforschten Räume dahinter. Und es sind eben nicht Antworten, die Erkenntnis bringen, sondern Fragen.
Fraglos sicher ist allerdings, dass die soziale Fallhöhe heutzutage hoch ist – selbst auf den unteren sozialen Sprossen der Leiter. Und deshalb führt Ungewissheit und Unsicherheit nicht selten in soziale Konfliktpotenziale, die nicht mit wissenschaftlicher Expertise und schon gar nicht mit wissenschaftlichen Argumenten hinweg zu diskutieren sind. Vielmehr muss sich in Konflikten dieser Ungewissheitsgewissheit mit Zuwendung gestellt werden. Jeder trifft heute Entscheidungen, die auf unvollständiger, ungewisser und damit unsicherer Faktenlage basiert – und damit kann auch ein jeder sicher sein, dass er solchen Entscheidungen, die andere getroffen haben, ausgesetzt ist. Gewissheit und Sicherheit sind mehr denn je fragile Zustände, die eine angemessene Konfliktbearbeitung mit einer „erlösenden Zielstellung“ unmöglich machen. Es kommt – vor allem in Konflikten – darauf an, die Vieldeutigkeit und Widersprüchlichkeit zu verwalten, und sich vom (Er-)Lösungskonzept zu befreien. Das erfordert auch Ambiguitätstoleranz (sogleich mehr dazu)!
Konfliktpotenziale von Ungewissheitsphänomenen
3. Komplexität – in einer Welt reicht nicht!
Komplexität ist die Antwort auf die Frage, was wir erkennen, wenn wir die menschliche Gesellschaft beobachten. Sie kommt aufgrund der hohen Vernetzungs- und Kommunikationsdichte der Elemente zustande. Zum Beispiel erhalten wir eine Ahnung vom Komplexitätsgrad unserer Gesellschaft daran, welche konkreten Einzelteile sich gegenwärtig in der Pandemie-Krise in unseren Aufmerksamkeitsfokus schieben und als systemrelevant herausstellen: An Wert gewinnt, wer vorher kaum Gehör oder Aufmerksamkeit erhielt. Die Pandemie-Krise lässt uns das komplexe System Gesellschaft aus neuen Perspektiven erkennen. Das führt aber keineswegs immer dazu, dass wir dessen Komplexität erfassen. Oftmals werden bei auftretenden Problemen (z.B. Vorhandensein von Atemschutzmasken) direkte Kausalitätsketten konstruiert – und „Schuldige“ ausgemacht. Das ist besonders einfach in der Rückschau – weshalb der Rückschaufehler (hindsight bias) besonders häufig anzutreffen ist.
Belgien zerstörte 2019 6 Mio FFP2-Schutzmasken ohne Nachschub einzukaufen.
Und Komplexität lässt sich auch erkennen, etwa anhand der Pflegeberufe und ihrer Entlohnung, deren finanzielle Be-Wertung nicht auf die Tätigkeit schlechthin abzielte, sondern konkret auch auf das (weibliche) Geschlecht, dem diese Tätigkeiten nach wie vor zugeschrieben werden.
Geschlechterforscherin Barbara Thiessen verdeutlicht die Diskriminierung der (medizinischen) Pflegeberufe.
Zudem kommt die Digitalisierung. Sie erhöht die Komplexität der Welt, indem sie sie verdoppelt. Wir können mithilfe digitaler Instrumente und Mechanismen die Welt zwar besser sehen und beobachten und sie unserer Wahrnehmungsorgane vollständiger, aber nie vollständig „zuführen“, aber der Preis ist zugleich, dass wir unsere und ihre Komplexität zugleich erhöhen. Die Systemtheorie nennt das Komplexitätsreduzierung (der Umwelt) durch Komplexitätsaufbau (des Beobachtungs-Systems).
Dank der Digitalisierung können wir die (eine) Welt „mit Augen“ sehen, wie niemand jemals vor uns; wir generieren Daten und Informationen zur Welt, die sie uns in ungeahnter Weise zeigen, verdeutlichen und in ihrer Veränderlichkeit, Konsistenz und innerer Dichte (=Komplexität) nahebringen. Zugleich erschaffen wir damit eine digitalgestützte Welterkenntnis, deren Mechanismen kaum jemand auch nur annähernd überblickt. Das meint es, wenn von der Verdoppelung der Welt gesprochen wird.
Konfliktpotenziale von Komplexitätsphänomenen
4. Ambiguitäten und Ambivalenzen aushalten
Nur Anfänger*innen wollen in der postmodernen Welt Konflikte lösen.
Die Erfahrenen sind froh,
wenn sie die Widersprüche und Mehrdeutigkeiten der Welt
persönlich aushalten und sozial verwalten können.
Ambiguität trifft ins Mark einfacher Weltendeutung. Nix da mit eindeutiger Erkenntnis! Die Welt und ihre Erscheinungen sind mehrdeutig (ambig) und widersprüchlich (ambivalent). Deshalb sind Perspektivenwechsel so weltenverändernd. Wer auf dem Höhepunkt ist, beginnt die Talfahrt. Wo auch sonst, fragt sich jeder, der in Bergen gelebt hat – und das auch außerhalb Norwegens, wo es weniger regnet. Möglich, dass die Welt schon immer vuka war – und erst heute bemerken wir es. Wenn auch nur das stimmt, dann stimmt die Feststellung: Die Welt ist vuka und dennoch anders als früher. Und selbst das bliebe ambig.
Widersprüchlichkeiten, Mehrdeutigkeiten, wem vertrauen?
Der schon zu Wort gekommene israelische Historiker Y.N. Harari: „Today humanity faces an acute crisis not only due to the coronavirus, but also due to the lack of trust between humans. To defeat an epidemic, people need to trust scientific experts, citizens need to trust public authorities, and countries need to trust each other. Over the last few years, irresponsible politicians have deliberately undermined trust in science, in public authorities and in international cooperation. As a result, we are now facing this crisis bereft of global leaders that can inspire, organize and finance a coordinated global response.“
- In Deutschland vertrauen aktuell die meisten Menschen Prof. Dr. Drosten, Chef der Virologie der Charite, möglicherweise auch Prof. Kekulè, Chef der Hallenser Virologie. Aber sie haben nicht immer eine wissensgefüllte Antwort, zuweilen sind Sie ahnungslos, verweisen – zu Recht! – an die Politik und sie widersprechen sich auch…und es fällt offenbar vielen Menschen schwer zu akzeptieren, dass die Welt nicht ein Mensch einfach überblickt und durchschaut. Wer darüber und über die VUKA-Welt enttäuscht ist, ist mental noch nicht in ihr angekommen. Ebenso wie derjenige, der das Gegenteil für selbstverständlich hält. Im Grunde gibt es kein Ankommen in der VUKA-Welt, denn sie ist einfach unfassbar – und das Geschehen um das Coronavirus macht uns das einmal mehr deutlich.
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Mehr Informationensich ergänzend
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Mehr InformationenKonfliktpotenziale von Ambivalenz-/Ambiguitätsphänomenen
Was bleibt zum Schluss zu sagen?
Nun, Antworten sammelt derzeit allwöchentlich Prof. Betsch von der Universität Erfurt, die zur Gesundheitskommunikation forscht und jeweils 1000 Menschen befragt, wie es Ihnen geht in VUKARONA. Ihr Vertrauen in die behördlichen Maßnahmen steigen, die Krise wird ernst genommen, das Virus in seiner Gefährlichkeit erkannt und das gemeinsame Leben der Generationen und Geschlechter entsprechend reflektiert und neu sortiert.
Endlich frei!
Wer es pointierter braucht, um mit den Paradoxien und Widersprüchen, die aktuell ventiliert werden, umzugehen, dem sei an dieser Stelle der Kommentar von Thomas Fischer empfohlen!
Nein, nicht diesen hier, auch wenn sich die Coronavirus-Zeiten einer Lektüre anbieten….
Sondern diesen hier zur Coronakrise allgemein.
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