Der Streitmittler – der ungewöhnliche Dritte
Im vergangenen Blogbeitrag haben wir bemerkenswerte Aspekte der VSBG-Mediation gegenüber einer „klassischen“ Mediation i.S.d. MediationsG dargestellt. Diesmal schauen wir uns die Rolle des Streitmittlers noch genauer an. Der Streitmittler ist der im VSBG ausformulierte Dritte im Konflikt, der die jeweiligen Verfahren durchführt. An seiner Rolle und Aufgabenformulierung müssten sich die Besonderheiten des VSBG gut sichtbar zeigen.
1. Der Streitmittler – neu und gesetzlich definiert
Wäre der Deutsche Gesetzgeber bei der Namensgebung weniger kreativ gewesen und hätte sich stattdessen an das Vokabular der ADR-Richtlinie (Alternative Dispute Resolution) gehalten, würde dieser Blogbeitrag von „mit Alternativer Streitbeilegung betrauten natürlichen Personen“ handeln. Der Gesetzgeber entschied sich jedoch in § 6 Abs. 1 VSBG für den „Streitmittler“.
Hinter dieser Begriffswahl steht ein noch wichtiger Gedanke: Das konkrete Verfahren in Verbraucherstreitigkeiten kann nicht gesetzlich festgelegt werden. Die Auswahl aus mehreren Möglichkeiten bleibt eine Entscheidung, die im konkreten Fall zu treffen ist. Der neue Begriff des Streitmittlers ist deshalb (auch) eine Bezeichnung für sonstige Dritte im Konflikt: den Mediator, Schlichter, Vermittler und Ombudsmann bzw. -frau. Sie alle führen Alternative Streitbeilegungsverfahren durch – Alternativen zum Gerichtsverfahren.
Im Ergebnis hat der Gesetzgeber mit dem Streitschlichter einen hybriden Verfahrenstyp und Dritten geschaffen, dessen dogmatische Einordnung viele Fragen aufwirft. Weshalb der Streitschlichter dogmatisch Fragen aufwirft, verdeutlichen die Grundstrukturen des Dritten im Konflikt.
(Hier kannst Du direkt einen Beitrag zum Dritten im Konflikt lesen: 25 Grundlagen von Mediation – Teil 8:Dritte statt Tritte.)
2. Grundstrukturen des Dritten im Konflikt
Dritte werden als verfahrensverantwortliche Akteure hinzugezogen, ohne dass sie mit einer der Parteien koalieren. Im Grundsatz gibt es die Rollen eines Richters, Schlichters und Mediators. Sie verkörpern die grundlegenden Rollenanforderungen an Dritte. Der Rest sind Mischungen.
Beginnen wir mit dem Richter: Das konfliktbearbeitende Verfahren ist auf eine endgültige Entscheidung angelegt, wobei die Lösung des Konflikts durch den Dritten erfolgt. Sein Urteil entscheidet und zwar nicht im Namen der Beteiligten, sondern „im Namen des Volkes“. Der Richter ist neutral und nutzt einen „beteiligtenfremden“ Lösungsmaßstab, an dem er die Anliegen der Parteien bemisst. Das klingt kompliziert, meint aber schlicht „das Gesetz“. Da der Maßstab aber auch ein anderer sein kann, lohnt sich eine abstraktere Formulierung. Z.B. der Schiedsrichter im Fussball hat die (internationalen) Fussballregeln als Maßstab zur Verfügung, das Familienoberhaupt die Familienregeln. Stets handelt es sich bei dem Maßstab um Regeln der (größeren) Allgemeinheit, in die die Streitparteien eingebettet sind. Und der Richter entscheidet im Namen dieser Allgemeinheit. Selten haben die Mannschaften im Fußball die Regeln unter sich für das konkret anstehende Spiel ausgemacht. Und selbst wenn die Geschwister untereinander Etwas vereinbart haben, das nun im Streit steht und die Mutter entscheiden soll, so ist der Maßstab ihrer Entscheidung nicht das Vereinbarte selbst, sondern z.B. ihr mütterlicher Wertmaßstab und wie die Vereinbarung ihrer Kinder in seinem Lichte zu bewerten ist – und damit der Konflikt um diese Vereinbarung.
Demgegenüber hat der Dritte und er Rolle eines Schlichters keine Entscheidungskompetenz. Die Lösung des Konflikts erfolgt hier (bestenfalls) dank des ausgewählten Dritten. Nämlich dann, wenn der vom Schlichter unterbreitete Lösungsvorschlag von den Beteiligten angenommen wird. Was diese freilich nicht tun müssen.
Beiden gemein ist die Delegation des Konfliktgeschehens an den Dritten.
Anders bei einer Mediation. Weder durch noch dank; der Lösungsweg wird hier mit dem Dritten gefunden. Mediatoren entscheiden nicht. Ihre Aufgabe besteht auch nicht darin, den Beteiligten Lösungen zu unterbreiten. Zumindest gehört dies nicht zu ihrem Kerngeschäft. Mediatoren geben vielmehr das Verfahren zur Konfliktbearbeitung und einer lösungsorientierten Verbalverhandlung vor. Dabei sorgen sie für eine gewaltfreie und ebenbürtige Kommunikation zwischen den Beteiligten.
Ein weiteres spezielles Kennzeichen von Mediation: Die Idee der Entwicklung, des (persönlichen) Wachstums oder auch der Transformation. Egal wie man es nennt, es weißt über den Konflikt hinaus in die Zukunft der Beteiligten. Während es bei Richtern und Schlichtern stets um Ausgleich und Vermittlung geht, haben (gute) Mediatoren zusätzlich die Entwicklung der Konfliktbeziehung im Blick. Nicht nur Vergangenheit und Gegenwart, sondern auch die Zukunft kommt auf den Tisch. „Was werden wir zukünftig anders machen?“ Transformation, das heißt vor allem auch Möglichkeiten ausschöpfen; die kreative Kraft von Kooperation nutzen.
3. Aufgaben und Kompetenzen des Streitmittlers
Wie fügt sich der Streitmittler des VSBG mit seinen Aufgaben und Kompetenzen in dieses differenzierte System ein.
Der Streitmittler ist das ausführende Organ der Verbraucherschlichtungsstelle. Nach § 6 Abs. 1 VSBG ist er die Person, „die mit der außergerichtlichen Streitbeilegung betraut und für die unparteiische und faire Verfahrensführung verantwortlich ist“.
In den Verbraucherschlichtungsstellen können natürlich auch noch andere Personen arbeiten. Im Regelfall wird der Streitmittler auf entsprechende Unterstützung sogar angewiesen sein. Solche Mitarbeiter werden dadurch aber nicht zu Streitmittlern i.S.d. VSBG. Die Verantwortung (nach Außen) bleibt beim Streitmittler. Schließlich enthält das Gesetz spezielle Anforderungen, was die Qualifikation und die Unparteilichkeit des Streitmittlers anbelangt.
Also was heißt es konkret, die Verfahrensführung inne zu haben. Was ist Aufgabe des Streitmittlers und was können auch sonstige Mitarbeiter erledigen?
Antworten hierauf finden sich zum einen im VSBG und zum anderen in den jeweiligen Verfahrensordnungen, die sich die Verbraucherschlichtungsstelle selbst geben müssen. In den Verantwortungsbereich des Streitmittlers fallen nach dem VSBG insbesondere die Entscheidung darüber,
- das Verfahren durchzuführen bzw. abzulehnen (§ 14) und
- das Verfahren zu beenden (§ 15 Abs. 2) sowie
- der etwaige Schlichtungsspruch nach § 19 VSBG, der ausschließlich vom Streitmittler unterbreitet werden kann.
Diese Entscheidungen des Streitmittlers sind von ihm immer im besonderen Kontext des Verfahrens, namentlich dem Verbraucherrecht zu treffen. Das Verbraucherrecht ist des Streitschlichters Souffleuse, wenn jener nicht genau weiß, was nach dem VSBG konkret zu tun ist. Da nur der Streitmittler die vom VSBG geforderten Rechtskenntnisse aufweist, hat auch er die entsprechenden Entscheidungen persönlich zu treffen und nicht Anderweitige Personen in der Schlichtungsstelle.
Praktisch heißt das in etwa: Wenn#s schwierig wird, muss der Schlichter persönlich ran. Einfache Aufgaben können dagegen auch Mitarbeiter übernehmen, die keine Streitmittler i.S.d. VSBG sind. Das gilt insbesondere für solche Aufgaben, bei denen ohnehin kein Handlungsspielraum besteht, etwa bei der Erfüllung von Informationspflichten (§ 10 VSBG).
4. Gegenüberstellung von Richter, Schlichter, Mediatoren mit dem Streitmittler
Nachdem wir uns einen Überblick über die Grundstrukturen des Dritten allgemein und die Aufgaben und Kompetenzen des Streitmittler im Speziellen verschafft haben, gehen wir nun daran, den Streitmittler als Konfliktdritten einzuordnen. Keine leichte Aufgabe, wenn man im Blick behält, dass der Streitmittler je nach Verfahrenswahl in unterschiedliche Rollen schlüpfen kann. Der hybride Dritte eben, aber wie viel Richter, Schlichter und Mediator stecken im Streitmittler? Wo zeigen sich Gemeinsamkeiten und Unterschiede?
a. Gemeinsamkeiten mit dem Streitschlichter
Die verschiedenen Dritten unterliegen alle dem Gebot der Neutralität und Unparteilichkeit. Für den Richter ergibt sich dies aus dem Rechtsstaatsprinzip, für den Mediator aus § 1 Abs. 2 und § 3 Abs. 1 S. 1 MediationsG (ggf. über § 18 VSBG hergeleitet). Ähnliches ergibt sich aus den verschiedenen Schlichtungsordnungen. Die Neutralität des Streitmittlers ergibt sich z.B. aus dem in § 6 Abs. 3 VSBG geregelten dreijährigen Abstandsgebot zu Unternehmen und Verbänden sowie aus der Anwendung des Verbraucherrechts.
§ 7 Abs. 1 S. 2 VSBG legt zudem fest, dass der Streitmittler Gewähr für eine unparteiische Streitbeilegung bieten muss. Bei Richtern bezieht sich das Gebot der Unparteilichkeit vor allem auf das Ergebnis, also das Urteil. Da der Streitmittler gar keine abschließende Entscheidung treffen kann, zielt die Vorschrift auf eine Gleichbehandlung im jeweiligen Streibeilegungsverfahren.
Auch das Gebot der Unabhängigkeit gilt für alle Dritte. Richter müssen nach Art. 97 Abs. 1 GG, Mediatoren nach § 1 Abs. 2 MediationsG unabhängig sein. Für den Streitmittler ist dies in § 7 VSBG geregelt. Die Unabhängigkeit (und die damit verbundene Weisungsungebundenheit) hat hier aber zwei Dimensionen: Zum einen betrifft sie das Verhältnis des Streitmittlers zu den Parteien. Zum anderen aber auch das Verhältnis des Streitmittlers zur Verbraucherstreitbeilegungsstelle. Der Streitmittler soll das Verfahren grundsätzlich ohne Einmischung der Streitbeilegungsstelle durchführen können. Insofern sind Ähnlichkeiten zum Verhältnis des Richters zur Justiz erkennbar.
b. Unterschiede zum Streitschlichter
Was den Streitmittler aber deutlich vom Richter abgrenzt, ist seine fehlende Entscheidungsbefugnis. Der hybride Streitmittler ist zwar in der Lage unterschiedliche Verfahrensrollen einzunehmen. Die richterliche Robe kann er sich deswegen trotzdem nicht überstreifen. Wie der Mediator oder Schlichter ist der Streitmittler nämlich nicht ermächtigt, (rechts-) verbindlichen Entscheidungen zu fällen. Dafür sorgt § 5 Abs. 2 VSBG, der es den Schlichtungsstellen verbietet, derartige Verfahren durchzuführen, „die dem Verbraucher eine verbindliche Lösung auferlegen oder die das Recht des Verbrauchers ausschließen, die Gerichte anzurufen“. Allenfalls Vorschläge zur Beilegung der Streitigkeit kann der Streitmittler machen, vgl. § 19 VSBG.
Ein weiterer entscheidender Unterschied zeigt sich, wenn man den Rahmen und die Begrenzungen betrachtet, innerhalb derer sich der jeweilige Dritte bewegt. Der Richter ist „nur dem Gesetz unterworfen“ (§ 25 DRiG). Der Mediator ist zusätzlich an die vertraglichen Absprachen aus dem Mediatorvertrag gebunden.
Und der Streitmittler? Der ist einem speziellen „Gesetz unterworfen“, namentlich den verbraucherschutzrechtlichen Gesetzen. Das Recht der Verbraucher ist stets Leitlinie der Arbeit des Streitmittlers, auch wenn er eine Mediation durchführt, wie das § 18 VSBG vorsieht. (Das gilt jedenfalls dann, wenn man der Ansicht zu § 18 VSBG folgt, wie wir sie hier im vergangenen Blogbeitrag dargelegt haben.)
Denn eine Mediation im Kontext des VSBG folgt speziellen Regeln, z.B. dass der Streitmittler den Parteien zum Beispiel – wie vor Gericht (Art 103 Abs. 1 GG) – einen Anspruch auf rechtliches Gehör zu gewähren hat.
c. Zwitterstellung des Streitmittlers kraft Gesetzes
Bisher haben die konkreten Rollenträger in der Praxis sich aus dem Instrumentenkoffer der jeweils anderen Dritten bedient, wenn auch nur für den Einzelfall. So wird nicht selten auch von Mediatoren verlangt, konkrete Lösungsvorschläge einzubringen, schließlich habe er die meiste Erfahrung mit Konflikten, so nicht selten die Annahme dahinter. Auch der Richter, der im Prozess zu vermitteln versucht, nutzt Anleihen, die seiner Rolle nicht direkt zugeschrieben sind. Aber wie sonst, mag er sich denken, finden die Parteien zu einem guten Ende, wenn sie nicht selbst eine Lösung für sich finden; die gesetzlich fundierte des Urteilsspruchs wird es jedenfalls wohl kaum werden.
Der Streitmittler des VSBG ist eine neue Form, die Rolle des Dritten zu gestalten, auch wenn sie sich aus den Grundstrukturen ableiten lässt. Ungewöhnlich und neu ist vor allem, dass der Gesetzgeber diese Rolle kreiert hat und erstmals v.a. richterliche und mediative Elemente in einem Alternativen Streitbeilegungsverfahren einzubauen. Inwieweit dieser Streitmittler in der Praxis Erfolg haben wird, wird sich zeigen müssen.
Ganz offiziell und formell ist mit „Rücksicht auf die Vielfalt der denkbaren alternativen Konfliktlösungsverfahren“ (so die Gesetzesbegründung“) ein hybrider Verfahrenstyp entstanden, der mehrere Rollenvorbilder in sich vereint.
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