Streben nach Effizienz. Mit Optimum gegen die Mauern der VUKA-Welt.

Die VUKA-Welt halten einige ja für einen Modebegriff, erfunden, um längst Bekanntes aufzuhübschen oder noch schlimmer, Banalitäten als Tiefsinn zu verkaufen. Ganz Schlaue halten das sogar für eine Art Amerikanisierung des Abendlandes.

(Du willst mehr über die VUKA-Welt erfahren, dann schau Dir diesen Beitrag hier an.)

Nun, all das mag sein oder auch nicht. Für den nachfolgenden Gedankengang braucht’s derlei kaum. Deshalb bitte ich gleich zu Beginn um etwas Gelassenheit, emotionale Großzügigkeit, vor allem aber um ungeteilte Aufmerksamkeit. Denn auch wenn die „Logik“ eingängig und schnell erfasst ist, insgesamt also durchaus als verstanden gelten kann, bist Du keineswegs gefeit, im Eifer Deines Alltagsgeschäfts dennoch genau in die Effizienzfalle zu tappen. Aber keine Sorge, Du wärest in guter Gesellschaft, denn den anderen geht es auch so, mich selbst eingeschlossen.

Die These lautet:

Die Effizienzmeister sind in der Gefahr abzustürzen und unterzugehen und dabei auf ganzer Linie zu scheitern – an der VUKA-Welt.

Wer 100% effizient ist, hat keinen Puffer, kann nicht auf Unerwartetes reagieren, der Termin- und Aufgaben- und die sonstigen Kalender sind prall gefüllt. Mit voller Auslastung volle Fahrt voraus. Aber das Unvorhergesehene und Unerwartete wartet nicht, sondern haut Alles schön Geplante über den Haufen. Das ist nicht nur die Erfahrung der „Kaputtgesparten“, sondern auch der Planungs-, Optimierungs- und Effizienzmeister, die scheinbar nicht einmal im Grab alle Fünfe von sich strecken könnten.

Die Piloten kennen die Gefahr des Effizienzstrebens nur zu gut, sie nennen sie Coffin Corner (Sargecke)

Dabei ist das ein ganz passendes Bild, das Amel Karboul in ihrem Buch Coffin Corner dafür benutzt: Die Sargecke.

Diese Coffin Corner ist die Flughöhe, bei der die Maximalgeschwindigkeit des Flugzeugs zugleich die Mindestgeschwindigkeit darstellt, die in diesen Höhen dringend benötigt wird. Wer langsamer in diesen Höhen fliegt, lässt den Luftfilm reißen, der das Flugzeug überhaupt in den Lüften hält. Wer noch höher fliegen will, lässt auch den Luftfilm reißen, weil die Luft bekanntlich dünner wird. Und warum, um Gottes willen, wird dann nicht niedriger geflogen?! Weil der Luftwiderstand und damit die Bremswirkung zunehmen und damit der Spritverbrauch steigen würde. Obendrein würde die Geschwindigkeit abnehmen. Alles nicht so wirtschaftlich für das Unternehmen. Die Kunden wünschen sich ja auch schneller und billiger ans Ziel zu kommen. Und das Risiko…naja, dafür gibt es Gesetze, Versicherungen und Blindstellmöglichkeiten.

Hier ist aber kein Ort für Kundenbashing.

Schauen wir uns die Situation unter dem Gesichtspunkt der Effizienz und Optimierung an: Je höher das Flugzeug fliegt, desto schneller muss es fliegen und verbraucht weniger Sprit! Gäbe es da nicht diesen Moment, in dem der Luftfilm unter den Tragflächen reißen könnte! Es wäre das Fantasialand der Manager! Und unterhalb dieser Höhe wird der Luftraum als Coffin Corner benannt.

In diesem Luftraum dürfen keine Turbulenzen, natürliche Unebenheiten oder Sonstiges aufkommen, wenn das Flugzeug wieder heil landen soll. Doch derartiges ist die Normalität in diesen Höhen. Je intensiver in der Coffin Corner, desto anfälliger reagiert das Flugzeug auf Unebenheiten, desto wahrscheinlicher sind sie und damit der Absturz.

Wie ich finde, zeigt diese Metapher die Gefahr deutlich auf, in die die Optimierer und Effizienztreiber tappen können. Sie ist einfach zu verführerisch. Man ist schon oben auf, kann aber noch schneller (weniger Widerstand), und noch preisgünstiger fliegen.

Komm’ schon, ein kleines bisschen (mehr Effizienz) geht noch!

Hinzu kommt im Alltag des Wettbewerbs der menschliche Faktor: Effizienz und Optimum wären doch nur die halbe Freude von Controllern, Planern und Macherinnen, wenn nicht andere dadurch auf den zweiten und jedenfalls den nachrangigen Platz verwiesen werden würden. Die eigene Brillanz zeigt sich eben auch an der Unvollkommenheit bzw. Unfähigkeit der anderen.

Noch, um ein Beispiel zu nennen, das mir hierzu einfällt –, im Jahre 2004 äußerte sich der Vorstandschef von Leica, Hans-Peter Cohn in einem Interview folgendermaßen: „Die Digitaltechnik setzt auf Masse, auf Tempo und ist damit wie die E-mail ein Ausdruck der Zeit. Mit den Handy-Kameras kommt auch noch die Innovation privater Paparazzi. Aber Fotografieren ist etwas anderes, etwas Besinnliches – das wird es immer geben.“ Zu diesem Zeitpunkt war Leica noch dick im Geschäft, fuhr die höchsten Umsätze und Gewinne ein, verschlief aber einfach die Zeichen der Zeit, obschon es sich mit der Digitaltechnik befasste. Zugegeben, das (Fast-)Scheitern von Leica war nicht nur die Konsequenz von Effizienzstreben, sondern generell vom Innovators Dilemma (Christensen), aber ein erheblicher Aspekt, dieses Dilemma nicht (auf höherer Ebene) aufzulösen, hängt maßgeblich mit dem Effizienzstreben und Optimierungsgedanken zusammen.

(Organisationen und) Verfassungen vergehen, Verwaltungen bestehen!

Von dieser Perspektive lässt sich dann auch noch mal eine Organisation anders betrachten, die schlechterdings das Original von Ineffizienz zu sein scheint: Die Verwaltung. Es war der deutsche Verwaltungsjurist Otto Mayer, der die historischen Erfahrungen prägnant zur Sprache brachte: „Verfassungsrecht vergeht, Verwaltungsrecht besteht.“ Und in diesem Zusammenhang ließe sich auch der Zivilrechtler Bernd Rüthers („Die unbegrenzte Auslegung“, „Die Wende-Experten“) anführen, der die Kontinuität der deutschen Verwaltung trotz der vier Systembrüche und Verfassungsniedergänge(!) aufgezeigt hat. Doch geht es hier im Kern um etwas anderes.

Was ist sie nicht gescholten worden für ihre Ineffizienz! Zu Recht. Vollkommen zu recht. Verwaltungen hatten(!) in den vergangenen Jahrzehnten eine Menge aufzuholen und wahrlich Luft nach oben. Mittlerweile hat sich das durchaus geändert. Nicht nur zur Freude der Bürger und Kunden! Frag‘ einfach einen Selbständigen zu seiner Meinung von der Rentenversicherung, aber auch im Übrigen hat die Verwaltung einen tiefgreifenden Wandel erfahren (Stichwort: Agenda 2010, Aktivierende Verwaltung).

Was lässt sich von der Verwaltung lernen?

Aber lernen können die Optimierten, Perfektionisten und Effizienzstrebsamen durchaus von der Verwaltung, dass es wichtig ist, Puffer in der volatilen Welt zu haben. Es reicht nicht nur flexibel zu sein, sondern in einer volatilen, ungewissen und komplexen sowie ambivalenten Welt auch flexibel reagieren zu können. Flexibilität findet vor allem außerhalb des Denkbaren, Vorhersehbaren statt, reagiert auf das, was nicht geplant war. Das vergessen zumeist die Planer des Flexiblen! Sie planen immer noch, statt Flexibilität zu üben. Improvisation wäre vonnöten.

Also, es bedarf des „unnützen“ Puffers, des Specks an den Hüften; wir können nicht erst im Notfall die Notfalllösung programmieren. Wir benötigen die Spielräume, die im Alltag zum Spielen und Verweilen einladen, zum Herumspinnen und Krafttanken, um in der volatilen Welt auch für ihre Komplexität und Ambivalenz gewappnet zu sein.

Das ist schon längst in den Wissenschaften angekommen, in denen es als sog. slack-bezogene Problemstellung aufgegriffen ist. Und genau hier lassen sich die polaren Einstellungen dazu aufzeigen: Einerseits wir – im Rahmen der Ressourcenallokation – der Slack als Verschwendung, Dysfunktion und Ineffizienz gesehen, andererseits als exzellente Reserve, als wichtige Ressource für Kreativitätspotenziale und Notfallpuffer. Nebenbei lassen sich Slackräume als „Ungleichsgewichtsausgleicher“ begreifen, die noch weitergehende Funktionen in Organisationen übernehmen könn(t)en.

Wie auch immer, langjährig durchoptimierte Unternehmen dürfen sich, und das soll der abschließende Befund für heute sein, weniger Sorgen machen um mangelnde Effizienz und noch weitergehende Optimierungsnot. Es stellt sich nicht selten als ein Fass ohne Boden dar in einer Welt, die schon längst nicht mehr in Fässer abfüllt.

Strategische Dialoge bieten mentale Slack-Räume

Vielmehr lädt die VUKA-Welt dazu ein, (ganz) andere Potenziale zu entfalten, z. B. den Umgang mit Paradoxien zu erlernen und Widersprüche auszuhalten, weniger zu planen, sondern sich öfters außerhalb der Komfortzone zu fordern und zu behaupten, im Sturm zu bewähren und zu improvisieren. All das aber nicht, um wieder Herr über die Lage zu werden und den vermeintlichen Normalzustand des Planbaren wiederherzustellen, sondern um Akzeptanz zu lernen und im Sturm die persönliche Steuerungsmöglichkeiten zu entdecken. Das ist nur möglich, wenn die Perspektiven gewechselt werden. Zum Beispiel in Strategischen Dialogen, in denen der Raum fürs Zuhören gewährleistet ist und Debatten ausgeschlossen sind. Hilfreich ist es bei alldem, zu testen und loszulegen, ohne zu wissen, wohin es genau wie gehen wird und was dabei rauskommen wird, kurz: sich bewusst in einer Art der Welt zu stellen, die durchaus der kindlichen Neugierde entspricht; Alles ist neu, Alles ist faszinierend, Nichts ist fad.

Da fällt mir doch noch Picasso ein, der Jahre gebraucht habe, um wieder wie ein Kind malen zu können. Und tatsächlich, angesichts seines sagenhaften Werkes, lässt sich auch ein wenig beruhigend feststellen: Er war a u c h effizient.