Mediationstile
Die Transformative Mediation
Kerngedanken des transformativen Mediationsstil
Mediation ist von drei Basisgedanken geleitet, den Konflikt zu bearbeiten, die – unterschiedlich gewichtet – verschiedene Mediationsstile ergeben. Diese Basisgedanken sind: Ausgleich, Vermittlung und Transformation.
Transformation bedeutet, dass es in der mediativen Konfliktbehandlung auch um Entwicklungs- und Lernpotenziale der beteiligten Persönlichkeiten geht. Insoweit wird schon deutlich, dass die Konfliktbearbeitung vor allem zukunftsorientiert ausgerichtet ist. Dabei geht die transformative Mediation von zwei Stoßrichtungen aus: Einerseits, indem sie das Selbstwertgefühl der Beteiligten stärkt, andererseits die beiderseitige Anerkennung der Interessenlage fördert.
- Durch die Stärkung des Selbstwertgefühls (Empowerment-Veränderungen) möchte sie die sozialen und psychologischen Erschütterungen, die ein Konflikt verursacht hat, abdämpfen und die Konfliktbeteiligten ihre eigene Stärke fühlen und wieder erleben lassen.
- Im Wege der gegenseitigen Anerkennung der Interessen und Bedürfnisse (Recognition-Veränderungen) soll sich vor allem die eskalierende Konfliktkommunikation wandeln und zu einem konstruktiven Miteinander transformiert werden. Unter dieser Flagge wird Mediation ein Ort des Lernens und eine Phase des Reifens.
Die Stoßrichtung des Transformationsgedankens ist damit weniger die konkrete Regelung des aktuellen Konflikts durch eine materielle Lösung, sondern vielmehr die Gestaltung eines sozialen Lernprozesses durch konstruktive Veränderung der beiderseitigen Konfliktkommunikation. Die Lösung und Regelung des Konflikts wird sodann leichter möglich.
Perspektivisch eröffnet der Transformationsgedanke die Möglichkeit, die unbekannte die Zukunft in den Blick zu nehmen – während der Ausgleichs- und Vermittlungsgedanke die Vergangenheit und Gegenwart fokussierten. Wichtige Fragen sind in diesem Zusammenhang etwa:
- Was möchten Sie hier erreichen?
- Was werden Sie zukünftig anders machen als bisher?
- Was werden Sie (voneinander) gelernt haben?
- Worum geht es Ihnen perspektivisch?
- Was ändert sich für Sie persönlich und gemeinsam durch die gemeinsamen Erfahrungen während der Mediation?
- Worüber werden Sie vermutlich in einem Jahr lachen können?
Diese Fragen zielen dabei weniger auf eine Reflexion des Geschehenen, sondern auf eine Kreation des Zukünftigen, ausgerichtet an den aktuellen Interessen und Bedürfnissen. Pointiert könnte man den Transformativen Ansatz auch visionär nennen, wenn nicht sogleich das ideologisch belastete Moment des „Neuen Menschen“ mitschwingen würde. Zuweilen mag diese ideologische Idee zwar durchschimmern, aber es ist ohne Schwierigkeiten möglich, den transformativen Mediationsstil niedriger aufzuhängen. Transformativ verwirklicht sich der Aspekt substantieller Gestaltung und fordert die Kräfte der relationalen Kreation. Der Philosophie der Transformation liegt eine relationale Weltsicht zugrunde, die die Vertreter dieses Ansatzes ausführlich und explizit verdeutlichen. Mag es auch nach Überzeugungen und Ideologie klingen, worum es sich bei Konflikten handelt, so können sie diesen Ansatz doch aus Sicht unterschiedlicher Forschungsrichtungen und mit Empirie belegen .
Risiken
Ein Risiko des transformativen Ansatzes ist die Vereinzelung der Konfliktparteien, die eben nicht nur humanistisches Individuen sind, sondern auch Teil gesellschaftlicher Strukturen: Mediation, gerade in ihrer (individuell-!)transformativen Ausrichtung, unterliegt der Gefahr der Vereinzelung, kann strukturell Unterlegene im Mediationssetting allein machen und zu Ergebnissen führen, die individuell akzeptabel erscheinen, letztlich aber ein krasser Ausdruck gesellschaftlicher Ungerechtigkeiten sind.
Details zum transformativen Mediationsstil
In der Literatur zur Mediation werden verschiedene Stile unterschieden, die Sie in der folgenden Grafik verortet sehen.
Prozesscharakter der transformativen Mediation
Transformative Mediation wird als ein Prozess definiert, in dem der Dritte die Konfliktparteien darin unterstützt, ihre Konfliktinteraktion von einer negativen und destruktiven in eine positive und konstruktive Konfliktkommunikation zu verändern: Statt über Streitpunkte soll über Lösungsmöglichkeiten gesprochen werden.
Der Mediator agiert proaktiv, statt direktiv.
Dem Mediator kommt dabei die Rolle und Aufgabe zu, die produktive Änderung der Parteien-Interaktion proaktiv, wenn auch keineswegs direktiv zu unterstützen. Dabei bezieht sich die Unterstützungsfunktion nicht nur auf den Inhalt, sondern vor allem auf den Prozess: Die Parteien bestimmen, wann und worüber sie reden wollen, die Mediatoren unterstützen sie dabei, dass sie die destruktiven Interaktionsschleifen in konstruktive verwandeln.
Grundlegend für den transformativen Ansatz ist die Annahme, dass die Parteien – mit Hilfe des proaktiven Mediators – in der Lage sind, diese Veränderungen einzuleiten und damit „ein Gleichgewicht finden zwischen individueller Stärke und Klarheit sowie zwischenmenschlicher Verbundenheit“. An dieser Stelle sei nur ein Beispiel aufgegriffen, an dem das Spezifische des Transformationsansatzes deutlich hervortritt: Der transformativ arbeitende Mediator stellt keine Gesprächsregeln auf, sondern lässt die Medianten selbst darüber entscheiden, welche Regeln sie wann und wozu aufstellen wollen, um inhaltlich ihre „Krise in der Kommunikation“ konstruktiv zu transformieren. So wird die Diskussion über den Mediationsprozess mit der Diskussion über die inhaltlichen Anliegen verknüpft, was der Dritte gerade dadurch unterstützt, dass er keine Regeln aufstellt, die seiner Meinung nach wichtig sind. Die Entscheidungen zum Prozess und den Inhalten sind Sache der Parteien, nicht des Mediators. Der Dritte erscheint im Ganzen sehr zurückhaltend und übernimmt keineswegs lauthals die Führung.
Doch worin genau besteht die proaktive Unterstützung des Transformationsansatzes?
Proaktive Unterstützung
Die Transformation, die Veränderung der Krisenkommunikation wird dadurch ermöglicht, dass der Mediator anhand der aktuellen Kommunikation sogenannte Empowerment- und Recognition-Veränderungen anregt.
- Empowerment-Veränderungen befähigen die Parteien, sich wieder mit ihren Stärken wahrzunehmen und selbstbewusst zu agieren, was in Konflikten regelmäßig zu bröckeln beginnt. Deshalb agiert der Mediator hier sehr ressourcenorientiert, achtet auf die Lichtblicke und kraftspendenden Ansätze in der Konfliktkommunikation, hört die leisetretenden Angebote und Entschuldigungsmöglichkeiten etc.
- Recognition-Veränderungen hingegen führen dazu, dass sie die Interessen und Bedürfnisse nicht nur von sich, sondern auch von den anderen wahr- und ernstnehmen können. Deshalb agiert der Mediator sehr gegenwartsbezogen, stellt nicht vorab – wie schon gesagt – Gesprächsregeln auf, sondern spiegelt situativ, lässt das Gespräch auch laufen, wenn es zu eskalieren droht, um dann ruhig fragend die Reflexionskräfte der Beteiligten anzufordern.
Entscheidend für den transformativen Ansatz ist die Erfahrung, dass ein Gefühl der Schwäche und Unfähigkeit im Konflikt aufkommt. Jeder Konfliktinvolvierte nimmt eine Selbstbefangenheit bei sich wahr. Dementsprechend sind die Erwartungen an einen unterstützenden Dritten regelmäßig weniger ein effizienter Weg der Konfliktregelung, sondern vielmehr die Hilfe auf dem Weg, die destruktive Kommunikationsform zu transformieren. Dies ist der wichtigste Grund, Mediation zu beanspruchen. Für den Mediator ergibt sich daraus das Ziel, solche Empowerment-Veränderungen zu ermöglichen, damit die Parteien im Vollbesitz ihrer mentalen und emotionalen Kräfte einen angemessenen Umgang mit ihren Problemen finden und Entscheidungen treffen können („Empowerment-Verschiebungen“). Recognition-Veränderungen ihrerseits führen dazu, dass mit der Anerkennung aller Bedürfnisse und Interessen (auf allen Seiten) auch Verständnis aufgebracht und zusammen eine Lösung gefunden wird. Sie ermöglicht, dass es den anderen nicht anders ergeht – auch wenn es nicht den Anschein haben mag.
(Über-?)Pointiert lässt sich festhalten, dass der Transformationsansatz weniger auf die Konfliktinhalte Wert legt als auf den Kommunikationsprozess und damit auf den zwischenmenschlichen Kontakt der Konfliktparteien. Wird dieser kommunikative Kontakt konsequent unterstützt, wandelt er sich und die Parteien gestalten bewusst „die Evolution ihrer eigenen Konfliktinteraktion“ (Bush/Folger). Diese Betonung des aktuellen Kommunikationsprozesses während einer Mediation, der auch Vergangenes oder Zukünftiges behandeln kann, entspricht durchaus der Erkenntnis in der Systemtheorie, wonach „allgemeinhin der Kommunikationsprozess unterschätzt und der Konsens überschätzt“ (Luhmann) wird.
Kompetenzen des Dritten
Mediatoren benötigen dafür Kompetenzen, die sie befähigen, Empowerment- und Recognition-Veränderungen anzuregen und zu ermöglichen. Sie bedürfen mentaler Konzepte, die ihnen ermöglichen, Verständnis und Mitgefühl selbst zu entwickeln und bei den Medianten zu fördern. Sie brauchen praktikable und operationalisierbare Konzepte, mit denen sie die Idee der relationalen Weltsicht in den mediativen Kommunikationsprozess implementieren und den Prozess entsprechend fördern können.
Hier können Modelle und Konzepte der Transaktionsanalyse helfen und die Mediatoren bei der Ausführung des transformativen Mediationsstils unterstützen. Das ist bedingt durch die gleiche historische Herkunft und Philosophie beider Strömungen, einer verblüffenden Passgenauigkeit der zugrundeliegenden Menschenbilder sowie der jahrzehntelangen Erfahrungen mit der Transaktionsanalyse in Beratungsprozessen mit problematischen und konfligierenden Situationen. Schließlich ist das Ursprungssetting transaktionsanalytischer Arbeit die Gruppe, nicht die Einzelberatung.
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