Basisgedanken von Mediation als Landkarte zur Verortung von Mediationsstilen
Landkarten von Mediation (3 von 3)
I. Einführung
Die eine Mediation gibt es nicht.
Es gibt eine Vielzahl an Möglichkeiten, in Konflikten zu vermitteln; die Parteien in ihren Ausgleichsbemühungen zu unterstützen und Lösungen zu erarbeiten.
All diese Vermittlungsversuche finden innerhalb von mentalen Bezugsrahmen statt, innerhalb derer Grundannahmen und Grundmuster wirken.
Bestimmte Grundannahmen führen zu Cluster von Zielen, Methoden und Interventionen, die als Mediationsstile klassifiziert werden können.
In unserer kleinen Reihe „Landkarten von Mediation“ geht es genau darum, derartige überblickende und klassifizierende Landkarten und Modelle vorzustellen, die die Ordnung und Strukturen von Mediationsweisen und -stilen präsentieren.
Nachdem wir im ersten Teil die Landkarte von L. Riskin (Riskins Grid) vorgestellt haben und im zweiten Beitrag das Meta-Modell von Nadja Alexander, soll im dritten und letzten Teil dieser Reihe die Landkarte von Mediation vorgestellt werden, die die Basisgedanken von Mediation und Konfliktbearbeitung als Fundament nutzt, um darauf Stile und Methoden der Vermittlung zu verorten.
Kleine Beitragsreihe zu den Landkarten von Mediationsstilen
II. Modell der Aus-Richtungen von Mediation
Die Basisgedanken bilden den Ausgangspunkt dieses Modells. Anhand der zeitlichen Arbeitsrichtungen lassen sich unterschiedliche Stile verorten sowie ihre Gemeinsamkeiten und Unterschiede herausarbeiten. Innerhalb der zeitlichen Dimensionen sowie ihrer thematischen Grundausrichtung lassen sich (idealiter) Prämissen darstellen, die nicht nur, aber vor allem in einer Mediation unterschiedlich gewichtet werden können. Denn – so viel sei hier schon gesagt – die Mediation ist die Konfliktbearbeitungsform, in der die dritte Person alle zeitlichen und damit auch thematischen Dimensionen ansteuern und – auftragsgemäß – nutzen kann. Insoweit lassen sich anhand der zeitlichen und thematischen Dimensionen nicht nur die „Klassiker“ Richter-Schlichter-Mediator differenzieren, sondern auch einzelne Stile von Mediation verdeutlichen. Darum geht’s hier ja.
1. Basisgedanken der Konfliktbearbeitung
Jeder Konfliktbearbeitung liegen drei Basisgedanken zugrunde, die unterschiedlich bedient werden (können): Ausgleich, Vermittlung und Transformation.
Ausgleich bedeutet, dass der Dritte darauf achtet, dass empfundenes Unrecht, verursacht durch vergangene Handlungen, zwischen den Konfliktbeteiligten ausgeglichen wird, sei es durch wiedergutmachende Handlungen (z. B. Geldzahlungen, Rückgaben) oder durch kommunikative Akte wie Bitten um Entschuldigung und deren Annahmen, die Anerkennung der Empfindung von Unrecht oder auch nur durch die vom Mediator unterstützte Verständnisklärung darüber, was geschehen ist und warum. Der Ausgleichsgedanke holt die Vergangenheit der Konfliktparteien in die Konfliktbearbeitung, beachtet erlittene Verletzungen und fordert zur Versöhnung auf. Der Ausgleichsgedanke ist es, der Dritte dafür sorgen lässt, dass entsprechende, vor allem kommunikative Bedingungen verstehender Interaktion geschaffen werden. Letztlich ist es dann aber eine Frage des konkreten Konfliktbearbeitungsverfahrens, ob der Ausgleichsgedanke auf Verstehen oder auf Duldenmüssen aufbaut. Ein Richter ist nicht darauf angewiesen, dass die Parteien einander Ihr Unrecht verstehen, damit seine Entscheidungen rechtens, wirksam und durchsetzbar sind. In der Mediation sieht das schon anders aus.
Dauerhaft lohnt es z. B. nicht, Einigungen vorschnell auf mitunter alte, tief sitzende Verletzungen und empfundenen Ungerechtigkeiten »aufzupflanzen«. Es bedarf in Mediationen auf dem Weg zur Konfliktlösung mitunter ausgleichender, Gerechtigkeit schaffender Maßnahmen – und sei es auch nur durch die erwähnten kommunikativen Akte. Erfolgreiche Ausgleichsbemühungen ermöglichen erst, den Fokus auf die Potentiale der Gegenwart zu richten. Bereits hier wird Kooperation zur Notwendigkeit.
Vermittlung bedeutet, dass der Dritte die Konfliktparteien in ihrem gegenwärtigen Konflikt »austariert« und ihre kommunikative Mitte auslotet. Der Vermittlungsgedanke erinnert daran, dass die Parteien ihre Konfliktsituation jetzt zum Thema ihrer Kommunikation machen »müssen«. Nur dann, so die These (und nicht irgendwann vielleicht einmal), sind die offenen Wege in die Zukunft erkennbar. Sprachlich mag man meinen, weil Mediation Vermittlung heißt, dass hier der Kerninhalt der Mediation zu verorten sei. Das täuscht jedoch: Vermittlung im unvoreingenommenen Verständnis ist das Kerngeschäft der Schlichtung.
Es ist kein Wunder, dass Mediation und Schlichtung häufig verwechselt werden oder synonym gebraucht werden, weil Vermittlung zwar sprachlich zur Mediation gehört, aber der Sache nach das simple Geschäft der Schlichtung ist.
Verständlich wird deshalb auch an dieser Stelle, weshalb es »immer noch« Mediation ist, wenn die dritte Person bewertend agiert oder mit konkreten, keineswegs aber nicht vorschnellen Vorschlägen interveniert. In der Sache handelt es sich um schlichtende Tätigkeiten, aber die Trennung von Schlichtung und Mediation ist eben keineswegs unumstritten. Vorliegend wird dem um theoretischer Klarheit willen gefolgt, wohl wissend, dass die Praxis des Konfliktmanagements bewertende, vorschlagende Interventionen bedarf – oder auch einfach Schlichtungselemente, die die Mediation selbst keineswegs bereits ausschließen oder gar vernichten.
Exkurs: Hier wurzeln auch die gesetzgeberischen Gedanken zum Streitvermittler i.S.d. Verbraucherstreitbeilegungsgesetz vom 1. 4. 2016, das im Grundsatz die Schlichtung für Verbraucherstreitbeilegungen regelt – und nebenbei eine (modifizierte) Mediation erlaubt (§ 18 VSBG). Diese Mediation bzw. die möglichen mediativen Kompetenzen stehen im Dienste einer »schlichten« Lösung des Massenproblems »Verbraucherkonflikt«, der droht, bei Gericht zu eskalieren.
Transformation bedeutet, dass es in der mediativen Konfliktbehandlung auch um Entwicklungs- und Lernpotentiale der beteiligten Persönlichkeiten geht. Durch Stärkung des Selbstwertgefühls (Empowerment-Verände-rungen) und gegenseitiger Anerkennung der Interessen und Bedürfnisse (Recognition-Veränderungen) lässt sich die Konfliktkommunikation wandeln und zu einem konstruktiven Miteinander transformieren (Bush/ Folger, 2009; Hösl, 2016; Hösl, 2011, S. 137; Lang-Sasse, 2013, S. 55; Windsch, 2015, S. 55 f.). Unter dieser Flagge wird Mediation ein Ort des Lernens und eine Phase des Reifens.
Stoßrichtung des Transformationsgedankens ist weniger die konkrete Regelung des Konflikts durch eine materielle Lösung als vielmehr die Gestaltung eines sozialen Lernprozesses durch konstruktive Veränderung der beiderseitigen Konfliktkommunikation. Die Lösung und Regelung des Konflikts wird sodann leichter möglich. Perspektivisch eröffnet der Transformationsgedanke die Möglichkeit, die unbekannte die Zukunft in den Blick zu nehmen – während der Ausgleichs- und Vermittlungsgedanke die Vergangenheit und Gegenwart fokussieren: Was werden wir zukünftig anders machen als bisher? Das ist die Leitfrage des Veränderungs- und damit des Transformationsmanagements.
Was werden wir (voneinander) gelernt haben? Was möchtest du hier erreichen? Worum geht es dir? Was ändert sich für mich persönlich und uns gemeinsam durch die gemeinsamen Erfahrungen während der Mediation? Diese Fragen zielen dabei weniger auf eine Reflexion des Geschehenen, sondern auf eine Kreation des Zukünftigen, ausgerichtet an den aktuellen Interessen und Bedürfnissen. Pointiert könnte man den Transformativen Ansatz auch visionär nennen, wenn nicht sogleich das ideologisch belastete Moment des »Neuen Menschen« mitschwingen würde. Transformativ verwirklicht sich der Aspekt substantieller Gestaltung und fordert die Kräfte der relationalen Kreation.
2. Konfliktbearbeitende Dritte und ihre zeitliche und thematische Arbeitsrichtung
Die Basisgedanken der Mediation sind für den praktisch intervenierenden Mediator ein hervorragender Referenzpunkt, seine Arbeit inhaltlich auszurichten. Er bildet Hypothesen und Annahmen, wie der ggf. ausgleichende, stets vermittelnde und bestenfalls transformierende Kommunikationsprozess aufgebaut werden kann. Was benötigen die Konfliktbeteiligten, wie sind sie zu unterstützen? Die Basisgedanken helfen dabei, die angemessenen Leitfragen für diese Arbeit zu kreieren und intervenierend zu stellen.
☞ Tipps: Beispielhafte Leitfragen für die Hypothesen-und Interventionsbildung
- Worüber müssen die Mediant*innen sprechen, um Klärung zu finden?
- Was bedarf es für den Prozess, damit die Mediant*innen eine tragfähige Lösung erarbeiten können?
- Bedarf es einer Entschuldigung für ein vergangenes Verhalten oder anderweitige Ausgleichsmaßnahmen?
- Wie gelingt es, dass sich die Mediant*innen darüber verständigen können, ihre Zukunftsideen und -vorstellungen mitzuteilen und Gemeinsamkeiten zu erkennen?
- Was ist jetzt für den Moment wichtig, was braucht ihr aktuell?
Die Basisgedanken regen dazu an, sowohl unterschiedliche Zeitdimensionen in den Blick zu nehmen als auch die damit verbundenen Themen. Je nach dem welcher Basisgedanke besonders betont wird, lassen sich auch aus der Beobachterperspektive spezifische (Mediations-)Stile erkennen.
Der Ausgleichsgedanke lässt in die Vergangenheit der Beteiligten blicken. Was ist vorgefallen? Wer hat was unternommen oder unterlassen? Hier geraten Gerechtigkeitsthemen und Ausgleichsmaßnahmen in den Blick. Selbst emotionale Verletzungen werden letztlich konkret-sachlich gefasst. Thematisch geht es hier vor allem um vergangene Handlungen, sowohl Tätigkeiten als auch Unterlassungen.
Der Vermittlungsgedanke nimmt die Gegenwart in den Blick: Was bedarf es jetzt für den Moment, um gut miteinander ins Gespräch zu kommen? Haben wir über alles Drängende gesprochen? Was bedarf es noch? (Die Antwort kann dann ihrerseits „in die Vergangenheit“ führen…, wobei deutlich bleiben muss, dass Erinnerung immer Gegenwart spiegelt, niemals Vergangenheit!) Thematisch geht es hier um konkrete, jetzt mögliche Handlungen.
Der Transformationsgedanke nimmt die zukünftige (Arbeits-)Beziehung in den Blick und steuert die Zukunft an. Was wollt Ihr eigentlich in Zukunft machen, wenn das hier vorbei ist? Hier geht es in der Sache häufig um Ideen, Wünsche, Hoffnungen, Zukunftsbilder. Jens Beckert benennt sie als „imaginierte Zukunftsvorstellungen“.
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