INKOVEMA-Podcast „Gut durch die Zeit“

#144 – Die Kunst der Konflikteskalation.

Eskalationsbedarfe im Konflikt.

Im Gespräch mit Rolf Balling

Gut durch die Zeit. Der Podcast rund um Mediation, Konflikt-Coaching und Organisationsberatung.

Rolf Balling, Diplom-Kaufmann (Universität Köln) mit einem Schwerpunkt in Sozialpsychologie, 7 Jahre in Managementfunktionen (Marketing/Controlling) bei der Alcatel-SEL AG, Danach 10 Jahre Leiter der Abteilung Managementtraining und Organisationsentwicklung im gleichen Konzern, Ausbildung in Transaktionsanalyse bis zum lehrenden Transaktionsanalytiker im Bereich Organisation (12 Jahre berufsbegleitend), Ausbildung in Gruppendynamik (2 Jahre berufsbegleitend), Ausbildung in Systemischer Beratung (7 Jahre berufsbegleitend); Von 1990 bis 2002 Aufbau der PROFESSIO GmbH, Akademie im Bereich Humanressourcen, als Lehrtrainer und geschäftsführender Gesellschafter.

Inhalte:

Häufig kommt es vor, dass man in einer Organisations-Rolle – oder allgemein in sozialen Austauschbeziehungen – nicht das bekommt, worauf man ein Recht zu haben glaubt.

Eskalation meint dann die Strategie und deren Durchführung, um die Leistung doch noch zu erhalten. Erfolgreiches Eskalieren ist schwierig, insbesondere deshalb, weil es nicht nur darum geht, das „Ausstehende“ zu erhalten, sondern auch darum, möglichst intakte Austauschbeziehungen (wieder)-herzustellen; d.h. keinen unnötigen Schaden in organisationalen / professionellen / persönlichen Beziehungen anzurichten.

Dafür muss – meistens – gestritten werden, aber ein „Krieg“, bei dem es um Sieg/Triumph bzw. Niederlage/Schmach geht, und speziell darum, den „Feind“ kampfunfähig zu machen, sollte – wo immer möglich – vermieden werden.

Beim Eskalieren haben sich folgende Regeln bewährt:

1. Schrittweise eskalieren; immer als nächstes den kleinsten möglichen Schritt auf der Eskalations- Treppe gehen.

2. Es wird der Nicht-Leister in seiner speziellen Rolle angesprochen, das Problem des Nicht-Leistens bleibt im Vordergrund. Als Person mit speziellen Eigenschaften/Verhaltensweisen bleibt er ausgeklammert. Also das Problem, von der Person und von einer menschlichen Beziehung trennen.

3. Keine Abwertungen, insbesondere kein Unterstellen von bösen Absichten auf der anderen Seite. Keine Empörung oder gar Beschimpfung. Die emotionale Qualität der Forderung muss sorgend – allenfalls „enttäuscht“ oder „ratlos“ sein. Wenn man dabei schon viel Ärger angesammelt hat, sollte ein Kollege Schriftstücke auf unterschwellige Beleidigungen prüfen, bevor diese abgeschickt werden.

4. Das „Shifting of bad feelings“ ist ein wichtiger und legitimer Leitgedanke. Schon zur eigenen Psycho-Hygiene. Es ist zu überlegen, wie man es erreicht, dass der Nicht-Leister sich schlechter fühlt als man selber. Kann die Sache diesem peinlich werden? oder erfordert sie ihm zunehmend Aufwand? oder muss dieser sich immer mehr rechtfertigen? oder droht diesem ein Geld-/Ressourcen-/Gesichts-Verlust? oder geht ihm der Spaß am Aufruhr verloren?

5. Falls die andere Seite ein Problem hat, warum sie nicht leisten kann, ist das im Prinzip deren Sache. Keine Diagnosen oder Lösungsvorschläge ungefragt abliefern, allenfalls ein Angebot, unter bestimmten Bedingungen bei deren Verbesserungs-Aktivitäten zu kooperieren.

6. Die Eskalation immer als Notlösung zur Wahrung der Regeln von Geben und Nehmen, bzw. der eigenen Rechte, darstellen und immer mit einem Angebot auf Deeskalation für den Fall der Leistung verbinden. Deshalb goldene Brücken einbauen, über welche die andere Seite ohne großen Gesichtsverlust gehen kann.

7. Wenn die andere Seite unsaubere Tricks gebraucht, etwa lügt bzw. blufft, ist es wichtig zu zeigen, dass man dieses bemerkt. Allerdings ist es meist besser, von einer moralisierenden Bewertung Abstand zu nehmen. Dann lieber unangenehme Fragen stellen oder auf eine Aufklärung durch Dritte drängen.

8. Den Kreis der Involvierten schrittweise erhöhen, dabei auch informale Kräfte einbinden, die hilfreich sein können; dies meist, bevor auf formal höhere Hierarchie-Ebenen eskaliert wird.

9. Eine genaue Dokumentation der Nicht- oder Schlechtleistung kann sehr hilfreich sein. Hier reine Fakten zusammenstellen. Die Emotionen können sich dann umso mehr beim Leser einstellen.

10. Es ist legitim mit Konsequenzen zu drohen. Allerdings in einer Form, die möglichst Trotzreaktionen vermeidet. Drohungen eher unspezifisch halten, denn man muss die angedrohten Maßnahmen unbedingt durchführen, wenn der bezeichnete Auslöse-Tatbestand eingetreten ist; man verliert sonst seine Glaubwürdigkeit. Besser ist es meistens, nur zu schildern, welche „schrecklichen“ Maßnahmen einem durch den Kopf gehen und dann zu betonen, dass man die ja eigentlich nicht will.

11. Wenn sich die Gegenseite zunehmend irrational verhält, ist es meistens günstig professionelle Dritte einzuschalten. Also Mediatoren, Schlichter, geeignete Stabstellen. Auch entfernte Organisations-Funktionen wie Aufsichtsrat, Betriebsrat, Verbände usw. Irgendwann auch Rechtsanwälte und sogar Gerichte.

12. Wenn man in ständigem Leistungsaustausch steht, kann man auch eigene Leistungen, die eigentlich fällig wären, zurückhalten, oder an anderen Stellen Kooperation verweigern. Hier muss man allerdings genau auf Angemessenheit achten, damit man sich nicht selber ins Unrecht setzt.

13. Vor jeder Eskalation muss man sich innerlich prüfen, wie weit man denn wirklich gehen will, falls die andere Seite „stur“ bleibt. Denn manchmal ist es besser – irgendwann auch mit Verlusten – den Kampfplatz zu verlassen. Ist das geklärt, kann man entsprechende Ressourcen an Zeit, Geld und Beratung einzuplanen.

14. Effektive Eskalation verlangt kluges, erwachsenes Handeln. Dies wird schwierig, wenn die eigene Betroffenheit, angesammelte Verletzungen und Erinnerungen an schlechte Erfahrungen eine gelassene Distanziertheit verunmöglichen. Spätestens dann wird es wichtig, Unterstützung in Form von Coaching oder Supervision zu organisieren.

15. Ist die Eskalation gelungen – die Gegenseite hat geliefert – kann man sich freuen und dies auch zeigen. Verhaltensweisen, die als Triumph gedeutet werden können, sollten allerdings unterlassen werden. Eventuell braucht es dann noch ein versöhnendes Ritual, um wieder zu normalen Austauschbeziehungen zurückkehren zu können.