Die Welt ist vuka! Na und?!

Es ist ja kein Geheimnis. Die Welt ist vuka. So heißt es überall, wo Strategie ganz groß geschrieben werden will, in Wirtschaft, Wissenschaft und irgendwo dazwischen bestimmt auch.

Da mag sich schon einmal die Ahnung einschleichen, dass sich ein groß angelegter Strategieprozess gar nicht mehr lohne: Ehe man damit fertig ist, beginnt der neue ohnehin schon. Morgen dreht sich die Welt doch auch noch. Vielleicht anders. Aber wer merkt das schon?!. Ein Change jagt den nächsten, ein Chef den anderen, auch Aktionäre wechseln, sogar Großaktionäre – oder aber es kommt uber, amazon und diese ganze Disruption.

Dann ist ohnehin alles egal, weil ganz digital.

Und dieses „dann“ ist vielleicht schon jetzt, oder war schon gestern, nur haben wir es bisher nicht gemerkt. Vielleicht sogar als einzige. Was soll’s?! „Taxi! – Ich will nach Hause!“

VUKA ist genau das. Der Versuch, diese unbeschreibliche Welt irgendwie zu beschreiben. Es ist kein Lösungskonzept für Überforderte. Es ist ein Beschreibungskonzept für die Erlebenden, deren Sprache diese Umwelt allenfalls mit „wahnsinnig komplex“, „“irsinnig schnell“ oder einfach „aus den Fugen geraten“ zu beschreiben versuchen.

Aber was bedeutet eigentlich, wir leben in einer VUKA-Welt?

VUKA ist ein Akronym aus 

  • V-olatilität bzw. volatil
  • U-ngewissheit bzw. ungewiss
  • K-omplexität bzw. komplex
  • A-mbiguität bzw. ambig.

Volatilität

oder Was interessiert mich mein Geschwätz von Gestern?!

Volatil bedeutet, dass die Welt sich auch sprunghaft und extrem schwankend ändert, nicht mehr nur allmählich andeutend, sondern von „jetzt auf gleich“ kann Vieles anders sein. Wohl dem, der in einer solchen Welt, vorgesorgt hat, der z.B. damit gerechnet hat, dass ein wichtiger Kunde ausfallen kann, ein Zulieferer plötzlich nicht mehr liefert oder den ein sonstiges unvorhergesehenes, aber nicht völlig unwahrscheinliches Ereignis ereilt, das sein Geschäftsmodell mittelbar oder unmittelbar betrifft. Wohl dem, der nicht glaubt, dass seine Tätigkeiten unersetzlich sind.

Die Fragen, was würden wir in diesem (Krisen-)Fall tun und zur Umsetzung benötigen, müssen vorab gestellt und geklärt werden.

Wohl dem, der für den unternehmerischen Krisenfall nicht nur finanziell Spielraum aufweist, sondern z.B. auch die passenden Unternehmens-Webseiten a‘la „Fragen und Antworten“ oder „Was jetzt zu tun ist!“ bereits vorkonfiguriert hat.  Einen Vorläufer aus der „Alten Welt“ kennen wir dazu freilich auch: In jeder Presseredaktion schlummern „in den Schubläden“, die heute natürlich Festplatten sind, bereits fertige Nachrufe auf noch sehr lebendige Menschen. Natürlich dürfte es auch kein Zufall sein, dass ausgerechnet jetzt einige mehrhundertseitige Biografien zu Helmut Schmidt in die Buchläden kamen. Ihre Fertigstellung ist mit Sicherheit das Ergebnis eines „Warteprozesses“ oder besser Antizipationsprozesses. Wir sterben ja alle, obschon sich bei Helmut Schmidt einige nicht mehr so sicher waren…

Es kommt angesichts der Volatilität der Welt darauf an, Spielräume zu wahren, die eigenen Möglichkeiten zu erweitern, nicht in eine Position zu geraten, die nur eine Entscheidung zulässt. Agilität muss das Ziel sein in volatiler Umwelt. Hier ist es nicht immer einfach, Agilität von Inkonsequenz oder Opportunismus, Dünnbrettbohren etc. zu unterscheiden. Agilität ist vor allem ein Zeichen von Flexibilität und Akzeptanz für die Veränderlichkeit der Umwelt. Heinz von Foerster, der Radikalste Konstruktivist, meinte für sich dazu, man müsse so entscheiden, dass sich seine Möglichkeiten stets erweitern, statt verengen. Recht hatte er.

Ungewissheit

oder die akzeptierte Unwissenheit der Ungewissheit

Ungewissheit bedeutet, dass niemand verlässliche Angaben selbst über die eigenen Bereiche machen kann. Weder Politik, noch Wissenschaft oder Ökonomie können zielsicher Vorhersagen auch über kleine Bereiche vornehmen. Von den Großen ganz zu schweigen.

„Alles in allem, Eure Majestät, was das Versagen, den Zeitpunkt, das Ausmaß und die Härte der Krise [von 2008] vorauszusehen und sie abzuwenden…in erster Linie ein Versagen der kollektiven Vorstellungskraft vieler kluger Menschen…“, so antworteten 33 Experten  der British Academy am 22. Juli 2009 der Königin Queen Elizabeth, die fragte: „Warum hat niemand die Kreditkrise kommen sehen?“ (zitiert nach Rödder, 21.0, S. 62, 2015)

Von Niemanden konkrete Antworten verlangen zu können, ruft freilich Unsicherheit hervor. Einige verstehen das U in VUKA auch als Unsicherheit. Unsicherheit tritt direkt auf, wenn Kausalbeziehungen bekannt sind, aber unklar ist, ob sie auch im konkreten Fall greifen. Beispielsweise ist die Zuständigkeit der Politik in einem bestimmten Fall klar, aber offen, ob sie diese Zuständigkeit erfolgreich wahrnehmen wird. Diesbezüglich besteht Unsicherheit. Ungewissheit i.S.v. VUKA meint aber die Erfahrungssituation, dass völlig unklar ist, wer wofür genau zuständig ist – und niemand kann es mit Gewissheit sagen. Diese Ungewissheit bzgl. der Kausalketten versucht das U im VUKA-Konzept zu erfassen. Fatal wirkt sich oftmals aus, dass wir immer annehmen, mehr Informationen würden helfen, die Ungewissheit abzubauen. Aber das stimmt nur bedingt. Wir sind nämlich nicht vollständig in der Lage, die Relevanz und Bedeutung von neuen Informationen einzuordnen, da wir die Regeln des neuen Kontextes noch nicht verstanden haben. Der Ruf nach „mehr Informationen“, hört sich zwar gut und logisch an, ist aber eine Chimäre. Informationen sind Daten, denen eine Bedeutung abgerungen wurde. Dafür ist der Kontext der Daten wichtig, der unverstanden auch zu unverständlichen bzw. unzureichenden Informationen führt.

In unserem Beispiel würde das bedeuten, dass Jemand ganz sicher äußert, wer zuständig für das Problem ist. Wir können aber nicht mit Sicherheit sagen, dass dieser Jemand recht hat oder seine Ansicht bedeutsam (für uns oder andere) ist. Vielleicht haben andere schon anderes behauptet. Und wir kennen die Regeln nicht, um diese Informationen ihrer Richtigkeit nach einzuordnen. Wir leben im Ungewissen. Und Vertrauen tut not. Mit Risiko.

Was es in ungewissen Welten bedarf, ist zweierlei: Die auch hervorgerufene Unsicherheit aushalten und die persönliche Wartefähigkeit erweitern.

Es heißt, angesichts einer konkreten Gefahr, gäbe es zwei dumme Reaktionen: Die von denjenigen, die meinen, etwas tun zu müssen, und die von denjenigen, die meinen, nichts tun zu müssen.

Der Schlüssel im Umgang mit Unsicherheit ist das Streichen des Wortes müssen. Es führt zu einer Haltung der engagierten Gelassenheit oder wahlweise auch gelassenen Engagiertheit. 

Das betrifft aber lediglich den Umgang mit der zum Teil hervorgerufenen Unsicherheit, nicht aber den Umgang mit der zugrundeliegenden Ungewissheit, von der es hieß, dass einfach „mehr Informationen“ hier auch nicht unbedingt helfen. Es kommt vielmehr auf die Qualität der Informationen an und die ist abhängig von der Art und Weise, wie wir sie erlangen. Es geht nicht um mehr Wissen, sondern um getestetes Wissen, um Wissen aus Tests. In der Dunkelheit tasten wir uns Schritt für Schritt vor, wir testen in kleinen Schritten und messen, was geschieht. Wir bewegen uns auf Sichtweite fort, so dass Fehler nicht zu Katastrophen, sondern zu Korrekturen führen. Dazu bedürfen wir einer konstruktiven Fehlerkultur und einer dazu passenden Vorgehensweise. Wir haben dazu bisher keine bessere Darstellung als bei Eric Ries‘ ,Lean Start up!‘ gefunden. Pflichtlektüre für das Agieren in ungewissen Kontexten!

Komplexität

oder wieso sieht hier keiner mehr durch

Komplex bedeutet, dass die Auswirkungen weder vorab ausgerechnet werden können, noch dass sie im Nachgang auf ihre Ursachen hin zurückverfolgt werden könnten. Das betrachtete System, das eben auch die Umwelt sein kann, ist zu vielschichtig, als das es in seiner Funktionsweise durchdrungen werden könnte.

Das System agiert weder berechenbar noch vorhersagbar. Das Zusammenspiel der einzelnen Elemente bleibt „verborgen“, ihre ,Kommunikation‘ ein Rätsel, ihre Abhängigkeit aber „offensichtlich“. Es lässt sich vielleicht noch feststellen, dass selbstreflexive Rückkopplungen existieren und damit jede Chance auf Wiederholbarkeit eines Prozesses ausgeschlossen ist. Das System kehrt nicht mehr in den Ursprungszustand zurück, sondern ist nun ein anderes. Es gibt keine Werkseinstellungen, keine Stunde Null, kein Ausgangs- und kein Endpunkt. Das System lernt. Und, soweit es mit Sinn operiert, ist es, wie wir selbst, zum Lernen geradezu verdammt. Man kann zwar auch Lernen als Versuch deuten, Routine zu etablieren, aber für komplexe Systeme bleiben es untaugliche Versuche. Niemand steigt zweimal in den gleichen Fluss, bemerkte schon Heraklit, und verdeutlichte, dass sowohl der Fluss als auch der Schwimmer danach jeweils andere sind.

Was bedeutet das für das Agieren in komplexen Umwelten? Erstens, es lassen sich nur bedingt Rückschlüsse aus dem, was beobachtet wurde, für die Zukunft ziehen. Aus dem Beobachten von Ursache und Wirkung sollten wir nicht vorschnell Kausalitäten ableiten. In komplexen Systemen ist es Zufall, wenn sie sich wiederholen sollten. Zweitens, komplexen Systemen nähert man sich am besten selbst auf der Basis eigener Komplexität. In komplexen Umwelten zu agieren, erfordert selbst, die eigene Komplexität aufrecht zu erhalten – und auszuhalten. Nichts ist einfach, und schon gar nicht, man selbst. System und Umwelt dürfen sich spiegeln! Einfache Werkzeuge und simple Lösungen sind regelmäßig nicht ausreichend, um auch angemessene Lösungen zu etablieren. Auch wenn es genug „Stories“ gibt, die genau das Gegenteil nahelegen, so basieren sie regelmäßig auf kognitiven Kurzschlüssen. So wie jeder strenge Lehrer meint, seine Standpauken bewirken linear kausal, dass der Schüler beim nächsten Versuch besser ist. Aber das ist natürlich Quatsch. Quatsch ist es natürlich auch, wenn der Lobfetischist meint, sein Wohlwollen sei linear-kausal verantwortlich für das, was danach der Gelobte tue. Wir sind zwar verbundene, vernetzte Sozialwesen, aber nicht mit Eisenstangen, die unsere Bewegungen zu einem Nullsummenspiel machen würden: Mein Vorgehen, bewirkt dein Zurückgehen.

Wir sind bemüht, uns in die kausalen Ketten der Welt einzureihen, um irgendwie unsere Wirksamkeit zu spüren und anderen zu zeigen. Das ist menschlich. Doch weniger einflussreich, als wir meinen. In komplexen Umwelten sollten wir viel stärker den Charakter der Kooperation wahrnehmen, sowohl an der Problementstehung als auch -behebung. Damit begegneten wir der Welt regelmäßig angemessener.

In den Strategischen Dialogen kommt es deshalb besonders darauf an, nicht vorschnell „handwerklich“ zu werden, die Instrumente von einst routiniert zu nutzen, sondern sich wiedermal aufs Neue auf diese nur scheinbar verrückte Welt einzulassen. Komplexität erfordert engagierte Dialoge, weniger Diskussionen und Debatten, sondern das Zusammentragen unserer Vielschichtigkeiten und Andersartigkeiten, die dann zu gemeinsamen Lösungsansätzen und kooperativen Vorgehensweisen führen.

Ambiguität

oder wir werden niemals geben wir auf.

Ambig ist eine Welt voller Mehrdeutigkeiten, die auch widersprüchlich (ambivalent) sein können.

Ein Beispiel aus der Wirtschaftsumwelt zeigt die gegenläufigen, widersprüchlichen und teils paradoxen Tendenzen: Sowohl Vermassungstendenzen als auch Exklusivitätstendenzen existieren für bestimmte Produkte zeitgleich. Beide Strategien können erfolgreich sein. Zeitgleich. Wir erleben das am Fleischkonsum…einerseits „immer billiger“, andererseits „immer teurer“. Oder nehmen Sie die Tendenzen am Aktienmarkt: Apple, zum Zeitpunkt des rekordträchtigsten Gewinnquartals befindet sich auf dem absteigenden Ast an der Börse.

Natürlich, die Talfahrt beginnt auf dem Höhepunkt. Wo auch sonst.

Es kommt darauf an, diese auftauchenden Paradoxien zu akzeptieren und mit ihnen zu agieren, den Abstand zu wahren, um den Überblick zu ermöglichen. Paradoxie-Management, der Umgang mit erkannten Widersprüchlichkeiten ist dabei genauso wichtig, wie die Fähigkeit, die Ambiguitäten überhaupt zu erkennen und bestehen zu lassen, statt sie kognitiv auszublenden, weil sie unser Harmoniebedürfnis stören. Ambiguitätstoleranz nennt sich das und gehört genau hierher.

Was tun in der VUKA-Welt?

Hier besteht die Gefahr, schnell die altbewährten Rezepte auszupacken und darauf zu setzen: Volatile Umwelt ist bloß eine Frage der klaren Vision! Basta. Da wird der Welt gerade noch Komplexität zugeschrieben, da quellen auch schon aus dem eigenen Werkzeugkoffer bereits die linearen Lösungsinstrumente a‘la „eigentlich ist es ganz einfach…man muss nur…“. Oder die Welt wird in ihrer Vielfalt eingeebnet, indem man „das eigentliche Problem…“ gegen alle weiteren überbetont und nur daran arbeitet.

Und hier steckt genau die Herausforderung, die bei uns beginnt, nicht bei der Welt da draußen! Wir müssen unsere Wahrnehmung für das Unbekannte schulen. Wir sind so ahnungslos sicher.

War die Krise vorher erkennbar gewesen? Ja, das war sie, wenn wir die „schwachen Signale“ gehört und gedeutet hätten. Diese stehen aber im Management-Alltag mit den „starken Signalen“ in Konkurrenz und verlieren regelmäßig, so dass sich alle Arbeitsenergie auf die lauten Bereiche stürzt. Doch wie geht man mit „schwachen Signalen“ um, die man noch nicht einmal wahrgenommen hat?

Können wir davon ausgehen, dass es sie gibt? Macht der fallende Baum im Wald Lärm, wenn niemand ihn hört?

Umgang mit der VUKA-Welt

Wie gehen wir im Strategischen Dialog mit der VUKA-Welt um?

Wir präferieren: 

Lagerfeuer-Atmosphäre: Wir fördern in der Gruppe die Retrospektiven, erarbeiten auf unterschiedlichen Pfaden eine Gruppennarration im Dreiklang von Gestern-Heute-Übermorgen – die Personen erschaffen einen Gruppensinn! Teamentwicklung ´en passant!

Das Vorhandene Nutzen: Wir vermeiden Frontal- und Guru-Unterricht und minimieren jede Art von Wissensvermittlung – in der Gruppe ist ausreichend Wissen vorhanden!

Interessiertes Sehen: Wir aktivieren gemeinsamen Erfahrungsaustausch – die Andersartigkeit der Anderen wird begreifbar!

Gruppenreflexion: Wir sind Reflexionsmotoren – Die leisen, individuellen Töne werden vernehmbar!

Perspektivenvielfalt: Wir arbeiten nie allein in Strategischen Dialogen, so dass wir die Unterschiedlichkeiten sowie die Unsicherheiten und Mehrdeutigkeiten transparent vorleben –  und damit am Modell zeigen, wie wir bei unserer Arbeit damit umgehen.

Das Alles zusammen bietet keine fertigen Lösungen, aber die besten Voraussetzungen dafür allemal.