5 Gründe, weshalb 9 von 10 Mediatoren nicht von Konfliktvermittlung leben können.

Heute beim Laufen gingen mir verschiedene Gespräche durch den Kopf, als ich über unseren nächsten Beitrag für Detektor.fm nachdachte. (Du findest die Radiobeiträge hier.) Und dabei stieg in mir die Stimmung auf, die ich inmitten von Mediator_innen und beim Lesen von Aufsätzen nicht selten empfinde: Beklemmung und Unverständnis. Und dann will ich auch mal laut werden: So geht das nicht. Wirklich nicht!

So geht das nicht. Wirklich nicht!

Stattdessen aber nun der heutige Blogbeitrag zur Problematik, dass die praktizierenden Mediator_innen nicht genügend zu tun haben, obschon es allerhand zu tun gibt.

1)…weil die Konfliktparteien Ihnen nicht zutrauen, dass sie eine Lösung für ihre Probleme sind.

Die erste Wahrheit ist, dass Mediatoren unter Beobachtung stehen – von der ersten Minute an, von der sie gegoogelt werden. Wenn es überhaupt dazu kommt. Mediator_innen müssen daran arbeiten, dass Ihnen ihre Leistungen abgenommen werden, ihnen Kompetenz zugeschrieben wird. Ja, richtig gelesen: Kompetenz beschreibt weniger die Eigenschaften der Person, sondern die Zuschreibungen durch andere. Aber die Konfliktparteien sehen aktuell (noch) nicht ausreichende Gründe, Mediator_innen zu beauftragen – obschon es ausreichend Konflikte und Leiderfahrungen gibt! Wahrheit.

2)…weil sie den Konfliktparteien gleich zu Beginn sagen, dass sie ihr Problem nicht lösen werden.

Was lernen Mediator_innen in 90% der Fälle als erstes in Ausbildungen? Dass sie nicht den Konflikt lösen müssen. Die Lösung müssen die Parteien selbst finden (Achtung! Selbstverantwortungsautobahn!) Mediator_innen sind dabei sehr gelehrig.

Sie vergessen kaum je und gleich zu Beginn der Mediation, naja, eigentlich noch vorher auf ihren Webseiten zu betonen, dass sie keine Lösung des Konflikts haben. Ja, was sollen denn die Konfliktbeladenen damit anfangen?! Sie kommen in Sorge, voll Stress und Unmut, nicht ohne Ärger und Enttäuschung, jedenfalls aber verzweifelt. Und sie möchten eine Lösung für ihr Problem. Und der Mediator vermittelt ihnen eindeutig und wiederholt das Gegenteil! Großartig. Setzen. Fünf.

„Ich bin nicht verantwortlich für die Lösung des Konflikts. Da sind sie die Experten. Ich begleite sie aber gern auf ihrer Suche…“

Das ist keineswegs bloß eine Frage des Marketings, sondern des Einfühlungsvermögens, der Empathie, etwas, von dem Mediator_innen glauben, sie seien darin Experten! Naja, so recht lässt sich das nicht herausfinden. Es kommt einfach zu selten dazu, dass Mediator_innen das beweisen könnten. Da lässt sich dann aber jedenfalls schön weiter behaupten, dass in Punkto Empathie Mediator_innen „richtig gut“ sind.

3)…Weil sie glauben, die Menschen sind noch nicht so weit.

Nicht selten, insbesondere unter den Rechtsanwaltsmediator_innen, ist man der Meinung, dass sich „die Menschen“ streiten wollen und sich, auch nicht selten, bis aufs Blut fertig machen wollen. Das ist das, was sie im Anwaltsalltag erleben, Mandant_innen, die in die Kanzlei kommen und einen gewieften Rechtssöldner suchen. Die „andere Sorte“ von Mediator_innen meinen, dass die Menschen einfach noch nicht soweit sind, die Segnungen der Mediation zu erkennen, die Schönheit des Friedens und der Harmonie, Gefangene des Systems.

Dabei verkennen beide, dass das Rechtssystem konstituierende Voraussetzung von Mediation ist. Ohne Recht, keine Mediation! (Mehr dazu findest Du in diesem Blogbeitrag.)

Ohne Recht, keine Mediation!

Zugegeben, Recht ist ein wichtiger (Zusammen-)Halt unserer Gesellschaft. Und seine gute Übung hält uns alle auch ein Stück weit fest. Dennoch kann überall erfahren werden, dass Menschen sich ändern, wenn sie einen ausreichenden Vorteil, einen Nutzen erkennen, der die Nachteile aufwiegt. Was ist das bei der Mediation im Vergleich zur juristischen Lösungssuche?

Es stellt sich schon die Frage, wer wofür wie weit ist!

4)…Weil sie nicht selten ein Weihnachtsgedicht zu Ostern vortragen.

Mediation ist vielseitig, kann vieles sein und ist damit wenig konkret. Das hat Vorteile und Nachteile. Für Mediatorinnen ergibt sich daraus aber eine Entscheidungsfrage: Wie führe ich meine Mediationen durch, wie mediiere ich? Was ist mein Stil? Grundsätzlich lassen sich zwei große Richtungen unterscheiden. Es gibt den ermöglichenden Stil und den bewertenden Stil.

(Einen ausführlichen Beitrag zu den einzelnen Mediationsstilen findest Du hier.)

Der ermöglichende Stil macht es sich zur Aufgabe, die Konfliktparteien einer Situation „zuzuführen“, in der sie eine Entscheidung darüber gemeinsam treffen können, was sie gemeinsam tun werden. Mit dem facilitativen Mediationsstil (so der Fachbegriff) werden die Streitpunkte gemeinsam so aufbereitet, dass sie ohne Eskalation gemeinsam entschieden werden können.

Der bewertende Stil (evaluative Stil) bewertet von einem neutralen Standpunkt aus anhand eines objektiven Maßstabs die Stringenz der Argumentation und der einzelnen Standpunkte. In verrechtlichten Fragestellungen kommt der evaluative Mediationsstil durchaus nicht selten einer richterlichen Güteverhandlung gleich. Die Konfliktparteien nutzen dieses Vorgehen, um sodann selbst entscheiden zu können, was sie tun werden.

Mediator_innen sind aber praktisch auch nur Menschen. Sie bemühen sich darum, konsistent zu agieren und glauben, sich für einen Stil entscheiden zu müssen. Manchmal halten sie ein bewertendes Vorgehen für nicht legitim und schon gar nicht mediativ, manchmal glauben sie, sie müssen doch bewerten, weil das doch gewollt sei. Sie können sich gar nicht vorstellen, dass die ermöglichende Vorgehensweise auch „richtige Arbeit“ ist. Beide Male agieren Mediator_innen mit einem viel zu engen mentalen Bezugsrahmen und haben die mentale Freiheit noch nicht erfasst, die sie von ihren Mediant_innen erwarten.

Hope

5)…Weil sie, infolge der ersten vier Gründe sich, ihre Dienste und die Konflikte ihrer potenziellen Kunden abwerten.

Niemand will billig eine Mediation einkaufen. Was sagt denn der billige Preis über den Konflikt? Der Preis ist immer auch der Indikator des Wertes. Ist das Problem nichts wert, kann die Lösung nicht teuer sein. Das trifft für einen Konflikt noch viel mehr zu. Aber zuweilen haben Mediator_innen die Vorstellung, dass ihr guter Dienst für die Menschheit nicht auch noch etwas kosten dürfte. Nun, wer so viel abwertet, muss anderswo überbewerten: Das geschieht mit der Mediation selbst, die als „Königsweg der Konfliktlösung“ daherkommt, all die Unmenschlichkeiten und Systemfehler sozialisierter Rechtsgesellschaften zu beheben und der wahre Schlüssel zur Menschlichkeit zu sein. Nun, wenig liegt mehr daneben.

Mediation ist bestenfalls, aber schlicht eine Lösung auf ein (Konflikt-)Problem. Über beide Dinge, Lösung und Problem, muss Klarheit herrschen, wenn sie zueinander passen sollen. Mediator_innen sind auf dem Weg des Testens und Probierens, genau das herauszufinden. Dabei kann der Wert nur deutlicher werden – und damit die Qualität von Mediator_innen.

Nun, das war meine Sicht auf die aktuelle Lage. Was meinst Du, weshalb Mediatoren Schwierigkeiten haben, ihr Produkt auch wirtschaftlich in angemessener Weise zu verwerten? Ich bin gespannt auf Deine Meinung.