Das Konzept der Psychologischen Spiele in der Transaktionsanalyse
Teil 2: Ablauf und Darstellungsformen
Das Dramadreieck und Spieleformeln nach Berne und Christoph-Lemke in der Transaktionsanalyse
Die Psychologische Spiele sind ein Konzept der Transaktionsanalyse, das sich mit kommunikativen Mustern manipulativer Natur beschäftigt. Zumeist sind diese Psychologischen Spiele destruktiver Natur. Schon Eric Berne, der Begründer der Transaktionsanalyse, hat dieses Konzept maßgeblich entwickelt und mit seinem – man kann schon sagen – Bestseller „Spiele der Erwachsenen“ („Games People Play“, 1964) maßgeblich den frühen Erfolg der Transaktionsanalyse als Schule der Humanistischen Psychologie herbeigeführt.
In diesem zweiten Teil der kleinen Beitragsreihe zu den Psychologischen Spielen soll es um den Ablauf und die Darstellungsmöglichkeiten von Psychologischen Spielen gehen und damit um das Dramadreieck von Stephen Karpman sowie um die Spieleformeln von Eric Berne (Formula G) und um die sinnvollen und angemessenen Erweiterungen von Charlotte Christoph-Lemke.
Kleine Beitragsreihe zu den Psychologischen Spielen der Transaktionsanalyse:
Grafische Darstellungen von Psychologischen Spielen.
Eric Berne meinte einmal in seiner legendären werblichen Orientierung, dass Konzepte und Ideen, die sich nicht grafisch darstellen lassen, jedenfalls keine Konzepte der Transaktionsanalyse sein können. Alles, was TA ist, ist auch Grafik, ließe sich kurz und knapp dazu sagen, auch wenn diese mündliche Überlieferung – soweit ersichtlich jedenfalls – in der Literatur zur TA keinen Niederschlag gefunden hat. Wie dem auch sei…
Die kommunikative Dynamik, die sich in Psychologischen Spielen als destruktive Muster zeigt und konzipiert ist, wird in der Transaktionsanalyse im Wesentlichen auf zwei unterschiedliche Weisen (grafisch) dargestellt.
- Besonders häufig, weil eingängig und intuitiv erfassbar ist die Darstellung (und Kategorisierung von Spieletypen) im sog. Dramadreieck von Stephen B. Karpman. (Sie dazu auch die nachfolgenden Beiträge dieser kleinen Reihe.)
- Klassisch ist die Darstellung von Eric Berne selbst, dessen Spieleformel, die sog. Formula G, die Anfänge der Spielekonzeption prägte und in seinem Beststeller „Spiele der Erwachsenen“ von 1964 Verwendung fand. In Form einer mathematischen Gleichung wurde hier versucht, die Zwangsläufigkeit und Vorhersagbarkeit von (ungehinderten) Spielverläufen betonend zu beschreiben.
- Es war späterhin Charlotte Christoph-Lemke, die die Spieleformel konsequent fortführte. Ihr ist es maßgeblich zu verdanken, dass die Wechselseitigkeit der Spielrollen und Spielzüge in die Formel aufgenommen wurde. Denn eines der wichtigsten Elemente manipulativer Spiele ist das unbewusste, aber kollaborative Element der Beteiligten. Wenn einer nicht will, können zwei nicht (Psychologische Spiele) spielen. Und dies geschah durch einen simplen Trick – Die Spieleformel von Berne wird wie in einem Spiegel dargestellt. Und schon ändert sich der Umgang mit der Spieleformel auch in der Praxis. Davon wird noch zu reden sein.
Wenn einer nicht will,
können zwei nicht (Psychologische Spiele) spielen.
1. Karpmans Dramadreieck
Das Dramadreieck als Konzept für die Arbeit in der Konfliktberatung wurde hier an anderer Stelle im Blog bereits besprochen und ausführlich dargestellt. Auf diesen Beitrag wird hier verwiesen.
2. Bernes Spieleformel
Eric Berne hat das Konzept der Psychologischen Spiele mit einer Formel in Anlehnung an die Spieltheorie, die damals in den 1960er Jahren sowohl in den (ökonomischen) Sozialwissenschaften für Furore sorgte, versucht, ein Psychologisches Spiel – in seinem Verlauf – auf mathematische Weise darzustellen.
Exkurs: Das lag ganz im Trend der Zeit. Vielleicht kennen Sie auch das Grid zur Darstellung des Gefangenendilemmas und den Möglichkeiten des nächsten Zuges. Auch hier wurde auf eine mathematische, weil spieltheoretische Darstellung zurückgegriffen. Oder anders: So wurde die Spieltheorie in dieser Zeit entwickelt. (Weiterführende Links: Leidinger/Aman: Einführung in die Spieltheorie, Vorlesungsskript Wirtschaftstheorie)
Diese Bernesche Formel betrachtet das kommunikative Geschehen aus der Perspektive eines(!) Beteiligten. Das führt dazu, dass implizit die Annahme bestärkt wird, dass es einen Spieler gibt, der andere verleitet, „sein“ Spiel mitzuspielen.
Bernes Formel beschreibt einen Spieler, der spielt und einen „Mitspieler“, der verführt, hineingezogen und manipuliert wird.
Das war die analytische Stärke des Spiele-Konzepts – und seine konzeptionelle Schwäche zugleich.
Definition und Strukturierung der Merkmale Psychologischer Spiele
Psychologische Spiele sind
-
-
- Transaktionsketten,
- bei denen A (Spielinitiator) eine attraktive Falle durch einen doppelbödigen Stimuli stellt,
- die das (Spiel-)Interesse des B (potenzieller Mitspieler) weckt und
- zu einer doppelbödigen Reaktion führt,
- so dass ein Rollenwechsel angeregt wird,
- der zu einem Moment der Perplexität und
- zur Auszahlung der (beiderseits unbewusst) erstrebten Spielgewinne führt.
-
(1) „… Transaktionsketten …“
Da es sich bei Spielen um Transaktionsketten handelt, sind mindestens zwei Personen erforderlich, damit ein kommunikatives Spiel zustande kommen kann. Soweit Berne und andere Transaktionsanalytiker*innen meinen, es seien auch „einseitige Spiele“ möglich (sog. „Kopfspiele“, „Solitär-Spiele“ oder „Phantasie-Spiele“), handelt es sich eigentlich um Verhaltensweisen, die tatsächlich keinen Spielcharakter aufweisen, auch wenn sie zu ähnlichen Resultaten (wie etwa ungute Gefühle oder Körperverletzungen) führen. Ihnen fehlt das transaktionale bzw. kommunikative Element. Drei- und mehrseitige Spiele sind freilich möglich. Die Transaktionsketten eines Spieles können beliebig ausdauernd fortgesetzt werden; ihr kursorischer, also wiederkehrender Charakter ist maßgebend.
(2) „… attraktive Falle durch doppelbödigen Stimuli …“
Spiele werden eingeleitet, indem der Initiator A unbewusst eine „attraktive Falle“ (engl. „con“) aufstellt. Spiele haben infolge ihrer verdeckten Transaktionen einen unbewusst doppelbödigen Charakter, der sie von Operationen und Manövern unterscheidet.
- Operationen sind zwar ebenfalls kursorisch. Sie weisen aber keine verdeckten Botschaften auf. Diese sind transaktional auf nur einer Ichzustandsebene angesiedelt. Insoweit handelt es sich um einfache Komplementärtransaktionen.
- Manöver würde jemand hingegen einleiten, wenn er einem anderen bewusst eine Falle stellt. Ein solch beabsichtigtes Vorgehen ist kein Spiel, weil es insoweit an verdeckten Transaktionen mangelt. Spieler jedoch handeln unbewusst oder zumindest halbbewusst.
Beispiel: Fragt ein Mitarbeiter immer wieder nach, ob er seine Arbeit richtig macht oder bittet er stets um Lob und Anerkennung, die er auch erhält und schon oftmals erhalten hat, handelt es sich möglicherweise, aber nicht pathologisierend(!) lediglich um Operationen, sofern er kein verdecktes Anliegen damit kommuniziert, (Berne 2001, 41 f.).
(3) „… Spielinteresse bei einem potenziellen Mitspieler weckt …“
Die „attraktive Falle“ schnappt zu, wenn der gewählte Transaktionspartner und potenzielle Mitspieler „spielanfällig“ ist, also eine kommunikationspsychologische Schwäche hat, bei der sich der Stimuli einhakt und diese beansprucht. Hier zeigt sich die Perspektive Bernes deutlich, die auf kommunikationspsychologische Momente abstellt, wenig sozialen Kontext und strukturelle Bedingungen einbezieht. Oder anders: Wie generell die Transaktionsanalyse auf Kommunikationspsychologie fokussiert, blendet sie zwar wichtige Einflussfaktoren aus, hebt dafür diejenigen Aspekte hervor, die im Einflussbereich der beteiligten Personen liegen.
Diese kommunikationspsychologische Schwäche des Beteiligten wird im Englischen „gimmick“ genannt. Sie entspricht häufig einer Skriptüberzeugung und ist damit Ausdruck einer Grundeinstellung jenseits von „Ich bin o.k., du bist o.k.“, weshalb es sich der Sache nach um eine psychosoziale Wunde handelt, die im Verborgenen noch schmerzt und durch die Reinszenierung des eigenen Spieles bzw. Mitspielens aufgelöst werden könnte.
(4) „… zu einer doppelbödigen Reaktion führt …“
B tappt transaktional in die „attraktive Falle“, wenn und soweit er sein Mitspielinteresse (response) signalisiert. Das geschieht ebenfalls durch eine doppelbödige und unbewusste Botschaft gegenüber A, so dass der eigentliche Inhalt außerhalb der bewussten Wahrnehmung beider Spieler mitgeteilt und verstanden wird.
Das ist auch schon das transaktionale Kernelement psychologischer Spiele:
unbewusste verdeckte Komplementärtransaktionen.
Jeder Spieler bedarf zumindest eines Mitspielers, der jedoch – und das ist bedeutsam – sein eigenes Spiel initiiert. Als Mitspieler eignen sich deshalb solche Menschen, die Spiele bevorzugen, die sich komplementär zum eigenen Spiel verhalten. Die Aktion des B, die sich aus der Sicht des A als Mitspielinteresse darstellt, ist aus der Sicht des B selbst eine Einladung – und umgekehrt. Spielsequenzen sind damit komplementäre Transaktionsketten von verdeckten Transaktionen, bei denen bestimmte Ebenen für beide Spieler unbewusst sind. Kommt es zum Spiel, ist jeder Initiator des eigenen Spiels und Mitspieler eines anderen Spiels.
Damit wird auch der Grundannahme von Entscheidungsfähigkeit und Autonomiestreben Rechnung getragen: Weder kann ein Spielinitiator den Mitspieler zum Spielen zwingen, noch kann er linear-kausal bewirken, dass der andere die Rolle wechselt. Er vermag ihn lediglich zum Spielen einzuladen („verführen“). Jeder Teilnehmer ist und bleibt jedoch auch beim Spielen (mit einem anderen) für seine Handlungen alleinverantwortlich.
Beispiel: Das zuerst erkannte Spiel heißt – nach Berne – „Warum nicht – Ja, aber …“ („WANJA“) und kommt zustande, wenn A anderen (B) ein Problem unausgesprochen schildert (z. B. schweres Seufzen, Jammern, Klagen, Zaudern etc.), auf der verdeckten psychologischen Ebene B auffordert, das Problem durch Unterbreiten von klugen Vorschlägen zu lösen. Tappt B in die „attraktive Falle“, indem er Vorschläge ungefragt unterbreitet („Warum probierst Du nicht einmal …?), wird A als gewiefter WANJA-Spieler des B’s Vorschläge gekonnt abperlen lassen („Ja, aber das klappt nicht, weil …!“; „Das habe ich auch schon probiert, aber …“). Soweit B hier Mitspieler im WANJA-Spiel von A ist, spielt er als Hauptakteur sein eigenes Spiel: „Ich versuche nur, Dir zu helfen …“ („IVEDIH“), für das er A als opfertauglichen Mitspieler benötigte. (Mehr dazu im 5. Teil dieser Beitragsreihe)
(5) „… so dass ein Rollenwechsel angeregt wird …“
Durch die doppelbödige Reaktion regt B einen Rollenwechsel bei A an. Die Wende in der Spielsequenz wird eingeleitet (engl. „switch“). Dies stellt – neben der Unbewusstheit der Spieler – das wesentliche Charakteristikum eines psychologischen Spiels dar. Häufig wechselt A mit der Spielrolle auch den Ichzustand. Dabei handelt es sich um die strukturellen Eltern- und Kind-Ichzustände. Im Erklärungsmodell des „Dramadreiecks“ wird die ursprüngliche Rolle des „Verfolgers/Täters oder Opfers“ verlassen und zu einer anderen gewechselt. Diese neue Rolle korreliert mit der Botschaft, die zuvor verdeckt kommuniziert wurde.
(6) „… zu einem Moment der Perplexität … führt“
Der Wechsel des Ichzustands sowie der damit einhergehende Rollenwechsel führt zu einem „Moment der Perplexität“ (engl. „crossup“). Dieser kann als Enttäuschung erlebt werden und ist in körperlichen und emotionalen Sensationen wahrnehmbar (Augenzwinkern, veränderte Sitzhaltung und Atemvorgänge, Erröten, Schwindelanfälle etc.). Da B nicht nur Mitspieler des A ist, sondern selbst auch Spielinitiator und Hauptakteur des eigenen Spiels, nimmt A seinerseits, als Mitspieler des B, Entsprechendes bei und für sich wahr. Diese Spielsequenz verdeutlicht besonders intensiv, was insgesamt gilt: psychologische Spiele sind zirkulär wirkende Kommunikationsabläufe, die sich einer reinen Kausalbeschreibung entziehen.
Psychologische Spiele sind zirkulär wirkende Kommunikationsabläufe,
die sich einer reinen Kausalbeschreibung entziehen.
(7) „… Auszahlung der erstrebten Spielgewinne …“
Im Moment des Wechsels und der Wahrnehmung eigener Verwirrung kündigt sich die Auszahlung des unbewusst erstrebten Spielgewinnes an (engl. „payoff“). Dabei handelt es sich um die Bestätigung skriptgebundener Empfindungen und Gedanken über sich, die anderen und die Welt, so dass die damit verbundenen Verhaltensmuster gerechtfertigt und stabilisiert werden. Dieser Spielgewinn ist von Beginn an konkret definiert, mag das dem Spieler auch unbewusst bleiben. Grundlage ist das eigene Lebensskript, weshalb der Spielgewinn häufig „überraschend und doch oft als vertraut“ eingestrichen wird.
Beispiel: Der „WANJA“-Spieler bestätigt sich die Erfahrung, dass ihm niemand helfen kann und er letztlich allein mit seinem unlösbaren Problem bleibt bzw. die anderen auch nicht klüger sind. Komplementäre „IVEDIH“-Spieler bestätigen sich ihrerseits, dass niemand auf sie hört und Menschen generell undankbar sind.
3. Die Spiele-Formel nach Charlotte Christoph-Lemke
Charlotte Christoph-Lemke war eine deutsche Transaktionsanalytikerin, die erst kürzlich im Dezember 2019 in München mit 82 Jahren verstorben ist.
Sie hat in Ihrem Beitrag zum 11. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Transaktionsanalyse ihre praktischen Beobachtungen aufgegriffen und in einem Aufsatz im Kongressreader entsprechend formuliert, dass stets zwei Spieler*innen „zusammen“ agieren und jede*r ein eigenes Psychologisches Spiel spielt. Während Berne die Spielsequenzen aus der Sicht eines Spielers betonte und lediglich am Rande auf ein komplettierendes Zusammentreffen von Spieler*innen eingeht, stellte Christoph-Lemke dieses Moment in den Mittelpunkt.
Indem sie „Formula G“ (G-ame) mit einer Feedbackschlaufe bzw. gespiegelt darstellend versieht, zeigt sich die Wechselhaftigkeit und Komplementarität des Spielens Psychologischer Spiele: Denn die Schlussfolgerung ist eindeutig: Niemals wird nur ein Spiel gespielt, es sind mindestens zwei Spiele, die jeweils auf die Spieler verteilt sind.
Jeder spielt letztlich für sich, indem er mit den anderen spricht.
Attraktive Falle (Con) und Spielanfälligkeit (Gimmick) sind verdeckte Transaktionen, die wechselseitigen, wiederkehrenden Charakter haben. Die kommunikativen Beiträge der Beteiligten A und B weisen jeweils beides auf, sowohl den Charakter einer attraktiven Falle für den anderen als auch die eigene Spielanfälligkeit. Die beobachtbare Eingangssequenz der Spieler zeigt damit den Ausgangspunkt zweier Spiele, die ineinandergreifen. Je nach Perspektive (Wessen „attraktive Falle“ als ursächlich deklariert würde) werden die Rollen verteilt perspektivenabhängig verteilt.
Hiermit trägt Christoph-Lemke der transaktionsanalytischen Grundannahme von Entscheidungsfähigkeit und Autonomiestreben vollends Rechnung: Weder kann ein Spielinitiator den Mitspieler zum Spielen zwingen, noch kann er sich als Opfer der Spielinitiative des anderen deklarieren. Die Spieler laden sich jeweils zum Spielen ein und spielen sodann jeweils ihr eigenes, favorisiertes Spiel. Das ist der Verführungscharakter Manipulativer Spiele.
Im folgenden dritten Beitrag der Reihe wird das Konzept der Psychologischen Spiele in den Kontext der Transaktionsanalyse gestellt – und auf diese Weise die Zusammenhänge zu anderen TA-Konzepten hervorgehoben. Daran wird deutlichen werden, was sich hier im zweiten Beitrag angedeutet hat: Das Konzept der Psychologischen Spiele ist ein Grundpfeiler der Transaktionsanalyse und führt eine Vielzahl anderer Konzepte und Ideen der Transaktionsanalyse zusammen – in das komplexe Kommunikationsgeschehen der Psychologischen Spiele.
Fragen, Anregungen und Ergänzungen sind – wie immer – in den Kommentaren erwünscht. Vielen Dank!
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