Betreuungsmodelle für das Kind nach einer Trennung der Eltern
Vorteile und Nachteile des Residenzmodells, des Wechselmodells und des Nestmodells
Einführung
Wenn Eltern sich trennen oder scheiden lassen, dann ist eben nicht nur die Perspektive als Paar neu zu ordnen, die beiden Elternteile müssen auch ihre elterliche Aufgabenwelt neu sortieren. Und da hier ganz besonders das Kind bzw. die Kinder betroffen sind, die zudem Schutz und Fürsorge beanspruchen dürfen, ist diese Angelegenheit letztlich nicht nur eine Sache der Eltern. Mediator*innen in einer Trennungs- und Scheidungsmediation sind deshalb gut beraten, wenn sie die Belange des – wahrscheinlich – nicht anwesenden Kindes in der Mediation ausdrücklich fokussiert.
Für die Frage, wie die Betreuung des Kindes angemessen gewährleistet wird und tragfähig neu sortiert wird, kommt deshalb eher früher als später die Frage nach der neuen Form der Betreuung auf. Dem Elternpaar stehen hier grundsätzlich drei unterschiedliche Betreuungsmodelle zur Auswahl, die freilich dann individuell angepasst werden können.
- Es gibt das Residenzmodell, bei dem das Kind vorrangig bei einem (betreuungsberechtigten) Elternteil lebt und ein (umgangsberechtigtes, unterhaltsverpflichtetes) Elternteil zeitweise besucht.
- Es gibt daneben das Wechselmodell, bei dem das Kind weitestgehend hälftig von beiden Elternteilen betreut wird. Das Kind wechselt dann wöchentlich, zweiwöchentlich oder monatlich seinen Wohnort und damit seinen Lebensmittelpunkt
- Und es gibt das Nestmodell, bei dem das Kind in der Wohnung bleibt und sich die Eltern zeitlich abwechseln, das Kind dort zu betreuen, ansonsten aber in anderen Wohnungen ihr neues Leben neu zu ordnen beginnen. Hier braucht’s also drei Wohnungen.
Als Mediator*innen wissen wir, wie wichtig es ist, nach einer Trennung eine geeignete Betreuungsregelung für die Kinder zu finden. Das ist häufig die vorrangige, in aller Regel die bedeutsamste Frage bei Scheidungs- und Trennungsmediationen. Gesetzlicher Auftrag und auch Fokusziel in der Mediation ist es, das Wohl des Kindes in den Mittelpunkt zu stellen, wenn wir auch zugleich die Bedürfnisse der Eltern berücksichtigen und zur Entfaltung bringen lassen wollen.
Im folgenden Beitrag werde ich die drei grundlegenden Betreuungsmodelle – das Residenzmodell, das Wechselmodell und das Nestmodell – knapp vorstellen und ihre Vor- und Nachteile benennen. Für die Arbeit in der Mediation ist es mehr als hilfreich, die Grundlagen dazu zu wissen, um seine Interventionen und die Mediationsgespräche generell gut planen zu können.
Residenzmodell
Beschreibung: Beim Residenzmodell lebt das Kind hauptsächlich bei einem Elternteil, während der andere Elternteil regelmäßige Besuchszeiten erhält, zu denen er berechtigt, aber auch verpflichtet ist. Besuchszeiten bedeutet, dass das Kind besuchsweise bei diesem Elternteil verweilen darf, nicht, dass das Elternteil die Residenz besuchen darf. Dies ist gewissermaßen das traditionelle Modell, das oft gewählt wird, weil auch vor der Trennung ein Elternteil die Hauptverantwortung für die Betreuung übernommen hatte. Gewissermaßen wird die gewohnte Arbeitsteilung nun mit unterschiedlichen Wohnorten der Eltern fortgesetzt.
Vorteile Residenzmodell:
- Stabilität: Bei allen Veränderungen auch für das Kind, die mit der Trennung einhergehen, der Wohnsitz bleibt für das Kind. Das ist für jüngere Kinder besonders wichtig, zumal mit dem Wohnort auch die Kita-Plätze und Schulen als Fragestellungen aufkommen würden. Das Residenzmodell ist für diese sozialen Anlaufstellen des Kindes Stabilität gewährleistet.
- Klare Strukturen: Durch feste Besuchszeiten wissen alle Beteiligten, wann das Kind bei welchem Elternteil ist.
- Schul- und Freizeitaktivitäten: Die Teilnahme an schulischen und außerschulischen Aktivitäten, der Kontakt zu Freunden, Bekannten, Verwandten ist planbarer, wenn der Wohnsitz nicht nur beibehalten wird für das Kind, sondern auch infolge der verstärkten Betreuung durch ein Elternteil auch faktisch ermöglicht wird.
- Weniger Kontaktfläche zwischen zerstrittenen Eltern: Bei schwieriger Kommunikation zwischen den Elternteilen bietet dieses Modell weniger Anlass für Konflikte.
Nachteile Residenzmodell:
- Gefühl der Zerrissenheit: Das Kind kann sich zwischen den Eltern hin- und hergerissen fühlen.
- Entfremdung/Schwächere Bindung: Die Kontinuität in der Beziehung zum nicht betreuenden Elternteil muss auf neue Füsse gestellt werden und wird zuweilen als schwächer erlebt. Es gibt freilich auch Elternteile, die infolge der Trennung eine neue Arbeitsteilung finden – und überhaupt zu einer erlebbaren Teilung gelangen. Mitunter ermöglicht und erzwingt erst die Trennung der Eltern, dass sich ein Elternteil für eine fixe Zeitdauer der Betreuung verpflichtet und sie auch (allein) ausübt. Das mag nicht viel sein (ein kurzes Wochenende aller zwei Wochen), aber es ist mitunter überhaupt eine erlebbare Zeitdauer.
- Ungleichgewichte bzgl. Verantwortungsübernahme, Verantwortungserleben, Verantwortungsemotionen: Das Residenzmodell fordert von dem vorrangig betreuenden Elternteil mehr ab. Dieses trägt die Hauptverantwortung, ist stärker mit den Alltagsproblemen belastet (Gesundheitsfragen, Vorsorgefragen, Kita- oder Schulproblemen etc.). Spiegelbildlich erlebt der andere Elternteil sich mitunter ausgeschlossen, abgeschnitten, wirkungslos, aber mitunter auch stärker finanziell belastet. Diese Ungleichgewicht führen nicht selten zu Spannungen zwischen den Elternteilen.
- Gebundenheit bzw. eingeschränkte Flexibilität: Der betreuende Elternteil kann weniger flexibel sein bei beruflichen und persönlichen Verpflichtungen. Dieser hat eben ein Kind zu Hause zu betreuen, während der andere Elternteil allein und in dieser Hinsicht frei und ungebunden den Großteil seiner Lebenszeit (er-)lebt. Die Besuchszeit selbst wird dann häufig als willkommene, erlebnisreiche, spannende gemeinsame Zeit mit dem Kind erlebt, die gar nicht einschränkend, sondern umfangreich bereichernd erlebt wird („Wochend-Daddy“). Das führt mitunter zu Neidgefühlen und Ungerechtigkeitserleben beim anderen Elternteil.
Wechselmodell
Im Wechselmodell teilen sich die Eltern die Betreuung des Kindes etwa gleichmäßig. Das Kind wechselt zwischen den Haushalten der Eltern, z.B. wöchentlich oder monatlich. Grundidee ist, dass das Kind in etwa zu gleichen Teilen zu beiden Elternteilen Kontakt- und Betreuungszeit erhält und beide Elternteile sich auch betreuend erleben. Hier lässt sich dann auch nicht mehr im klassischen Sinne von Besuchszeiten sprechen, sondern das Kind ist vollständig an jeweils einem der beiden Wohnorte anwesend. Bei aller Stabilität hinsichtlich der Bezugspersonen werden dem Kind erhebliche Veränderungen hinsichtlich Wohnort und persönliche Logistik zugemutet.
Vorteile Wechselmodell:
- Rollen- und Aufgabenverteilung: Beide Elternteile bleiben aktiv im Leben des Kindes und teilen sich die Verantwortung elterlicher Betreuungsanforderungen. Das Modell der Arbeitsteilung wird aus den jeweils individuellen Perspektiven gerecht(er) aufgeteilt. Während in der Paargemeinschaft die Arbeitsteilung häufig nur aus der Paarperspektive heraus vorgenommen wurde (Motto: Wer mehr verdienen kann, übernimmt häufig auch diesen Part verstärkt, so dass das tradierte Rollenmodell gesellschaftlich fortleben konnte…), rückt nach der Trennung die Logik der Individuen wieder in den Vordergrund.
- Stabile, v.a. aber gerecht aufgeteilte Beziehungsräume: Das Kind hat kontinuierlichen Kontakt zu beiden Elternteilen in jeweils gleicher zeitlicher Intensität.
- Zwei Zuhause: Das Kind kann, muss sich aber auch in beiden Haushalten heimisch fühlen.
- Gerechte Aufteilung: Die finanzielle und betreuerische Belastung wird gerechter verteilt.
- Vielfältige Erlebnisse: Das Kind hat die Möglichkeit, von beiden Elternteilen unterschiedliche Erfahrungen und Perspektiven zu sammeln; erst recht, wenn beide Elternteile wieder neue Partnerschaften eingehen.
Nachteile Wechselmodell:
- Anspruchsvolle Konstruktion: Eine effektive, intensive und ehrliche Kommunikation zwischen den Eltern ist notwendig. Hoher logistischer Aufwand ist zudem nötig (Übergaben!).
- Nähe der Wohnorte: Die Wohnorte sollten nah beieinander liegen, auch um Schul- und Freizeitaktivitäten des Kindes nicht zu beeinträchtigen. Generell möglich erscheint das Wechselmodell nur, wenn beide Elternteile in einer Stadt wohnen.
- Belastung durch Wechsel: Die regelmäßigen Wechsel sind aufregend, zuweilen anstrengend vor allem für das Kind. Ständiger Wechsel in den sozialen Normen, der Beziehungskulturen, erst recht, wenn vollständige Patchworkfamilien im Zuge der Entwicklungen aufkommen, also neue Lebenspartner der Elternteile, ggf. mit zusätzlichen Geschwistern.
- Unterschiedliche Regeln und soziale Normen: Es kann schwierig sein, konsistente Erziehungsstile und Regeln in beiden Haushalten aufrechtzuerhalten. Die Absprachen und Informierungen dazu können auch die Eltern überfordern.
- Logistische Herausforderungen: Der ständige Wechsel kann logistische Schwierigkeiten bezüglich Transport und Terminplanung mit sich bringen. Wo ist welches Spielzeug, was muss immer mit dem Kind zusammen umziehen (Kuscheltiere, Spielgeräte etc.)
Nestmodell
Beim Nestmodell bleibt das Kind in der gewohnten Umgebung, während sich die Eltern mit der Betreuung in diesem Nest abwechseln, ansonsten aber in neuen, eigenen Wohnungen ihr neues Leben aufzubauen und einzuleben beginnen. Die Eltern benötigen folglich jeweils eigene Wohnungen für die Zeit, in der sie das Kind nicht betreuen.
Vorteile Nestmodell:
- Stabilität für das Kind: Das Kind muss nicht umziehen und behält seinen gewohnten Lebensmittelpunkt ebenso bei wie die Kontaktfläche zu beiden Elternteilen.
- Bekannte Umgebung: Das Kind wohn an einem Wohnort, der nicht neu ist, behält praktisch seine vertraute Umgebung und muss sich nicht ständig neu anpassen. Für das Kind gibt es nicht den Stress durch die ständigen Wohnortwechsel. Unter Fairness-Gesichtspunkten erscheint das erstrebenswert: Wenn nur die Paarbeziehung der Eltern zerbricht, nicht aber die Elternbeziehung mitzerbrechen soll, sollten auch die Eltern die Unwägbarkeiten der Wohnortswechsel auf sich nehmen. Aber das ist lediglich ein normativer Gedanke, der kaum praktikabel ist.
- Gute Bindung zu beiden Eltern: Durch den regelmäßigen Wechsel bleibt eine enge Beziehung zu beiden Elternteilen prinzipiell bestehen.
- Konzentration auf das Kind: Eltern können sich abwechselnd voll und ganz auf das Kind konzentrieren, ohne Ablenkung durch andere Verpflichtungen.
Nachteile Nestmodell:
- Ressourcenintensiv: Es müssen in der Regel drei Wohnungen finanziert werden. Zudem haben zwei Menschen, die Elternteile, jeweils zwei Wohnorte, statt ausschließlich das Kind. Hier spielen nicht nur familiäre Ressourcen eine Rolle, sondern auch gemeindliche: „Gibt es überhaupt das entsprechende Wohnungsangebot?
- Geringe Privatsphäre: Die gemeinsame Nutzung einer Immobilie kann die Privatsphäre der Eltern beeinträchtigen.
- Gute Kommunikation erforderlich: Eine reibungslose Kommunikation zwischen den Eltern ist unerlässlich.
- Organisatorischer Aufwand: Der regelmäßige Wechsel der Eltern im gemeinsamen Haushalt erfordert eine gute Organisation und Abstimmung.
- Emotionale Belastung: Die Eltern müssen sich regelmäßig voneinander verabschieden und das gemeinsame Zuhause verlassen, was emotional belastend sein kann. Dies gilt umso mehr, wenn das Kindesnest einstmals das Paarnest war, was häufig der Fall ist.
Schluss
Als Mediator*innen ist es auch unsere Aufgabe, Familien zu helfen, das für sie stimmigste Betreuungsmodell zu finden. Und optimal wird keines der Betreuungsmodelle in jedem Detail den Ansprüchen genügen. Das ist der ohnehin schwierigen Situation geschuldet.
Jedes Modell hat seine eigenen Vor- und Nachteile, die wir in der Mediation durchaus den Eltern transparent machen können, ohne gleich als Familien- bzw. Fachberater auftreten zu müssen. Wichtig ist, dass das Wohl des Kindes Priorität erhält, zumal die Person in aller Regel nicht anwesend ist. Durch unsere Unterstützung können wir in der Trennungs- und Scheidungsmediation dazu beitragen, dass nach einer Trennung wieder Stabilität einkehrt und ein neues Familiendesign entstehen kann.
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