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Die Strategische Mediation
Teil 1: Plädoyer für einen überfälligen Perspektivwechsel.
Die Mediation sieht sich von zwei Herausforderungen in die Zange genommen. Die eigene Vergangenheit ist davon gekennzeichnet, dass Ihr Lösungsangebot nicht attraktiv scheint und kaum jemand Mediation beansprucht. Und die sich digitalisierende VUKA-Welt gibt auch keinen Anlass anzunehmen, dass sich ohne eigenes Zutun daran etwas ändern wird. Daran anschließend werden zwei Thesen formuliert. Entsprechende Erläuterungen werden in zwei Beitragsteilen aufgesplittet.
1. Zwei Herausforderungen für die Mediation
Die Mediation in Deutschland sieht sich aktuell zwei enormen Herausforderungen gegenüber.
Einerseits werden ihre Dienste nicht beansprucht, andererseits deutet die sich digitalisierende VUKA-Welt keine Änderungen dieses Zustands an. Die erste Herausforderung ist eine Tatsache, die andere eine Behauptung. Beides soll im Folgenden dargelegt werden.
a) Mediation? Nein, danke!
Zunächst zur Tatsache. Mediation zündet nicht – jedenfalls nicht in Deutschland. Das geht aus dem Bericht der Bundesregierung über die Auswirkungen des Mediationsgesetzes hervor, der im Juli 2017 veröffentlicht wurde.[1]Mediation bearbeitet gesellschaftlich in keinem nennenswerten Umfang Konflikte, MediatorInnen sind mit Anfragen für Mediationen nicht ausgelastet. Sie verdienen ihr Geld anderweitig – mögen sie ihren Blick auch immer auf Konfliktpotenziale gerichtet halten.
Dieses Ergebnis der Evaluation des Mediationsgesetzes, das seit 2012 in Kraft ist, ist für sich schon erstaunlich, aber es kommt noch schlimmer für MediatorInnen: Angetreten im Selbstverständnis einer dringend benötigten Alternative zu gerichtlichen Verfahren, wird nicht nur festgestellt, dass Konfliktparteien kaum Mediation beanspruchen, sondern dass seit gut zehn Jahren auch noch die Klageeingangszahlen bei Gerichten stark rückläufig sind.[2]Gerade die Konfliktparteien, die immer weniger vor Gericht erscheinen, tauchen nicht bei denen auf, die sich als passende Alternative angeboten haben! Also am Bedarf liegt es nicht, wohl aber am Produkt.
Zwar blieb der Aspekt rückläufiger Klageeingangszahlen lange Zeit selbst unter ExpertInnen unbemerkt, findet aber mittlerweile auch Erwähnung in der Tagespresse.[3]Trotz lückenhafter Datengrundlage zeichnen sich bisher zwei Gewissheiten ab.
– Zunächst zum Rückgang der Klageeingangszahlen: In der Zivilgerichtsbarkeit sank das Aufkommen seit 2000 durchschnittlich um 25%[4], in der Arbeitsgerichtsbarkeit Baden-Württembergs[5]um ganze ca. 30%. Auch die Finanz- und Sozialgerichtsbarkeit ist seit 2008 wieder stark rückläufig. Ein kurzzeitiger Anstieg in den Jahren davor war den juristisch schwammigen „Hartz-IV“-Gesetzen geschuldet. Klärende Rechtsprechung beendete diesen „Run auf die Gerichte“. Ausnahmen sind aktuell lediglich Asylgerichtsverfahren sowie das konstant beanspruchte Bundesverfassungsgericht. Genaue Zahlen für einzelne Gerichte und Bundesländer werden aktuell ermittelt und halten sicherlich noch ein paar Überraschungen parat.
– Überdies haben wir darüber Gewissheit, dass die Mediation an dem eben beschriebenen Umstand nicht schuld ist.[6]Weder die Anzahl der tatsächlichen Mediationen noch sonstige Einflüsse der ausgebildeten MediatorInnen, die nicht selten Schlüsselfunktionen in Organisationen besetzen dürften, geben irgendeinen ernsthaften Anlass zu behaupten, die Mediationsbewegung sei eine Ursache für den Rückgang der Klageeingangszahlen.[7]
Beide Gewissheiten müssen MediatorInnen staunend und enttäuschend zurücklassen: Ihr Leistungsangebot wurde und wird nicht intensiv(er) beansprucht, obschon die Zeichen der Zeit nicht nur infolge des Mediationsgesetzes, sondern auch im Rückblick auf einen historisch erstaunlichen Klagerückgang günstig gestanden haben.
Der Schluss ist wohl zulässig: Die Mediationsbewegung ist in den letzten zehn, zwanzig Jahren für sich gewachsen, hat AnhängerInnen in gehöriger Anzahl gefunden, die eine Ausbildung gemacht und sich in Verbänden organisiert haben, nicht aber KundInnen. Hier ist der Zugang, das Schloss oder der Schlüssel einfach noch nicht gefunden worden.
Und nun zur Behauptung.
b) VUKA goes digital!
Die Notwendigkeit für ein „problemangemessenes Konfliktmanagement“ existiert und wird weiter steigen. Aber was ist das bedrängende Problem? Geht es tatsächlich in heutigen Konfliktlösungen um ein Ausblenden der „Gefühlsebene“? Sind die Gefühle tatsächlich das, was die Konflikte angemessen bearbeiten lässt oder nur ein Aspekt am Wegesrand, der im Übrigen abnimmt? Für eine Antwort müssen wir von der individuellen zur gesellschaftlichen Ebene springen.
Seit der Mitte der 1990er Jahre, als das US Army War Collegein Carlisle Barracks/Pennsylvania ihr Strategie-Konzept entworfen hat, um die neue Welt(un)ordnung mental zu erfassen, sind zwar erst wenig mehr als zwanzig Jahre vergangen, aber diese Zeiten erscheinen heute tatsächlich aus einem vergangenen Jahrtausend – und sind es ja auch in der Tat. Das zugrundeliegende Projekt wollte grundlegende Fragen zur Führung und Strategie weltweit auf eine neue Basis stellen. Doch nach dem Untergang des sowjetischen Kommunismus und der Ostblockstaaten blieb nicht viel mehr übrig, als zu konstatieren, dass die Welt eben vuka ist.[8]Militärisch, politisch, gesellschaftlich und wirtschaftlich…, kein Gedanke blieb mehr, was er vielleicht bis dato mal war – eine emotionale Stütze, vielleicht seelischer Halt oder Grundlage einer irgendwie gearteten, nicht selten ideologisch gefärbter Gewissheit. Die Welt tickte vollkommen anders – und mittlerweile vollständig digital.
Für die Mediation, die ein ernsthaftes Angebot für die individuellen, sozialen und gesellschaftlichen Konfliktlagen in der Welt sein möchte, wird es deshalb weiterhin nicht an Gelegenheiten mangeln, sich zu bewähren, ganz im Gegenteil. Doch offensichtlich muss sie ihr Selbstverständnis, ihre Strategie und ihr Potenzial ebenso vorbehaltlos auf den Prüfstand stellen. Ich will meinen, dass es nicht ausschließlich darum geht, dass es um verbesserte Überzeugungsarbeit bei den Konfliktparteien geht. Mir scheint, es geht eher darum, die eigenen Gewissheiten zu hinterfragen und neu zu justieren.
Doch was bedeutet es konkret, mit vukaesken Umständen umgehen zu müssen? VUKA ist ein Akronym aus V-olatilität, U-ngewissheit, K-omplexität und A-mbiguität.
Volatil bedeutet, dass die Welt sich für den Einzelnen vermehrt sprunghaft ändert und infolge unserer Konnektivität mit globalen Einflüssen und Auswirkungen verstärkt umzugehen ist. Wir lesen amerikanische oder chinesische Nachrichten, weil sie für unseren nächsten Schritt heute schon Bedeutung erlangen können. Wohl dem, der in einer solchen Welt vorgesorgt hat. Konflikte halten dazu an. Volatilität fordert verstärkt Antizipationsprozesse, Dinge heute zu tun, damit sie morgen bei Bedarf zur Hand sind. Mediationen, so scheint mir, muss das bei der Konfliktbearbeitung beachten. Und sie eignet sich dafür.
Ungewissheit bedeutet, dass selbst in alltäglichen Fragen niemand mehr den Überblick hat. Die Kultur des Zweifels hat sich aus der Wissenschaftswelt ausgebreitet in die Alltagswelt. Moderne Wissenschaft trat mit dem revolutionären Anspruch auf, nichts zu wissen und alles in Zweifel zu ziehen, nachvollziehbare Beweise zu erheben und sich bewusst auf Zwischenergebnisse zu verlassen – bis ein Gegenbeweis erfolgt ist. Heute gibt es keinen Bereich, der nicht diesem Element wissenschaftlicher Kultur unterliegt. Das ruft auch Unsicherheit hervor. Und es erscheint paradox, dass heutzutage allerorts auf Wissenschaftlichkeit Wert gelegt wird, gerade in der Annahme, Sicherheit und Seriosität zu erlangen. Dabei kann die Geschichte der Wissenschaft, vor allem eines zeigen: Notwendig ist souveräne Umgang mit Ungewissheit. Sie gilt es auszuhalten und ihr Annahmen stets aufs Neue zu testen. Das geht nur mit einer konstruktiven Fehlerkultur, die nicht zu Katastrophen, sondern zu Korrekturen führt. Fehler kommt vom Fehlenden, nicht vom Falschen. Genau dafür kann Mediation Raum bieten, aber er muss ein Raum des mutigen Testens, Experimentierens sein und deutlich machen, dass wir an der Vorläufigkeit arbeiten, nicht an der Endgültigkeit. Konfliktlösungen können nicht mehr den großen Wurf vorbereiten oder dem Konflikt „auf den Grund gehen“. Mediation kann hier durchaus verstärkt Agilität anbieten.
Komplexität lässt uns die geltenden Regeln der sozialen Welt nicht mehr durchschauen, wir erlangen keine letztgültige Gewissheit mehr. Das mag uns nicht von früheren Zeiten unterscheiden, was es aber tut, ist das Wissen darum. Wir wissen, dass wir steigende soziale, dynamische und emergente Komplexität[9]verursachen und mit den Konsequenzen umgehen werden. Die Welt ist zu komplex, verhält sich also weder berechenbar noch vorhersagbar. Sie ist der Anlass, weshalb Mediation sinnvoll ist – die gleichberechtigte Bearbeitung des Konflikts im gemeinsamen Kontext, so dass die vielschichtigen Perspektiven und Andersartigkeiten der Beteiligten Gehör und Zugang in die gemeinsame Konfliktbearbeitung finden.
Ambiguität beschreibt die Widersprüchlichkeit der Welt. Informationen – auch wahre – sind stets mehrdeutig und widersprüchlich in sich. Mediationen bieten die Möglichkeit, diese Mehrdeutig- und Widersprüchlichkeiten kommunikativ zu tolerieren und ihre Bedeutungen für die strategische Konfliktbearbeitung zu nutzen. Ambiguität ermöglicht und erzwingt Perspektivenwechsel.
2. Thesen
Nun stellt sich die Frage, wie die Mediationsbewegung auf diese Herausforderungen reagier? Hier möchte ich zwei Ansatzpunkte thesenartig in die Diskussion führen.
Einerseits muss Mediation ihr Alleinstellungsmerkmal unter den drittgestützten Konfliktmanagementverfahren in den Fokus ihrer Arbeit rücken: , nämlich dass sie angesichts eines eskalierten Konflikts die Möglichkeit bietet, strategisch eine angemessene Lösung zu erarbeiten. Andererseits geht es für die Mediation wohl auch darum, ihre geistesgeschichtlichen Wurzeln umfassender zu erkunden und gewissermaßen zu akzeptieren. Die (Über-?)Betonung psychologischer Lösungsangebote im Geiste der Humanistischen Psychologie erscheint zunehmend einseitig belastend. Als Lösungsinstrument des 20. Jahrhunderts für Probleme, die aus den Konventionen des 19. Jahrhunderts herrühren, ist die Humanistische Psychologie allein nicht in der Lage, die gesellschaftlichen Problem- und Konfliktstellungen im 21. Jahrhunderts anzugehen.
Daraus folgen zwei Thesen:
- These 1 –Die Mediation bietet die Möglichkeit, explizit mit der (vorgestellten) Zukunft Auswege aus dem aktuellen Konflikt zu erarbeiten. Hierfür kann sie die Erfahrungen der systemischen Organisationsberatung aufgreifen und für den Mediationsprozess verarbeiten.
- These 2 –Das Lösungsangebot der Mediation, das „Heil“ für sich und die Konfliktparteien in der Emotionsarbeit zu finden, vernachlässigt den zweiten großen Ideenstrang der Mediationsentwicklung, der sich buchstäblich im Konzept der „Kuchenvergrößerung“ manifestiert. Die mit den Schlagworten „Entdeckung der Zukunft“ und „Entwicklungen im Frühkapitalismus“ umrissene geistesgeschichtliche Tradition gilt es, für die Mediation aufzuarbeiten und fruchtbar zu machen. [10]
3. Erläuterungen
a) Die Konfliktparteien müssen mit ihrer Zukunft rechnen, statt sich nur eine zu wünschen!
Erst wenn Mediation die Zukunft als Reflexionskategorie für die Konfliktbearbeitung in den Blick nimmt, statt lediglich zukunftsorientiertzu arbeiten, wird sie sich von anderen Konfliktmanagementangeboten abheben.
Zukunftsorientierung in dem Sinne, dass der Konflikt für eine bessere Zukunft bearbeitet wird, reicht nicht aus, um den Mehrwert von Mediation zu generieren. In diesem Sinne ist jedes Konfliktmanagementverfahren zukunftsorientiert. Noch nie ist jemand in den Krieg oder vor Gericht gezogen, um die Vergangenheit zu ändern. Es geht „immer irgendwie“ um die Zukunft.
Was RichterInnen und MediatorInnen diesbezüglich unterscheidet, ist das kommunikative Instrumentarium. RichterInnen steuern die emotionale Ebene vielleicht nicht direkt an, aber ein Einfluss durch das Urteil ist auch nicht ausgeschlossen. RichterInnen müssen den Konflikt eben an einem gesetzlichen Maßstab messen. Und im Gesetz haben Emotionen nicht den dominanten und expliziten Platz eingeräumt bekommen wie das in der Mediation gelehrt wird. Das ist manchmal von Vorteil und manchmal nicht. Das Missverständnis lauert aber dort, wo eine unbedeutende Differenzlinie überbetont wird.
Dass RichterInnen und MediatorInnen unterschiedlich mit Emotionen umgehen, ist evident, aber aus der Perspektive des Konfliktmanagements nicht bedeutsam. Beide agieren für eine bessere Zukunft, keiner will die Vergangenheit ändern oder leugnen. Beide zielen auf eine „gerechtere“ Gegenwart und Zukunft. Die einen verordnen diese, die andere lassen ordnen, weil sie meinen, dadurch wird diese Ordnung stabiler. Ob das so ist, kann hier dahinstehen, es kommt auf etwas anderes an: Auch wenn MediatorInnen andere Maßstäbe benutzen und der Kommunikationsprozess anders – vielleicht harmonischer – verläuft: Letztlich erwachsen daraus auch „bloß“ Ausgleichsmaßnahmen, die die Parteien freiwillig durchführen und vereinbaren. Ein Beispiel mag das verdeutlichen: Entwickelt sich im Mediationsprozess eine Entschuldigungssituation, etwa auf der Grundlage der gewaltfreien Kommunikation (Rosenberg) oder des Vier-Ohren-Modells (Schulz von Thun), mag sich der Streit beruhigen und alle Beteiligten mögen durchaus herzerwärmt und zufrieden nach Hause gehen. Das ist ein Erfolg, eine erfolgreiche Mediation. Vor Gericht wird nicht auf die Entschuldigung hingearbeitet, sondern eine anderer Ansatz für den Ausgleich verfolgt, eben weil es nicht nur um die Konfliktakteure geht, sondern auch um die Konfliktbetroffenen im Umfeld. Dennoch, der Zeitbezug ist identisch: Eine Unebenheit, die in der Vergangenheit aufgekommen war, wird ausgeglichen. Die spezifischen Konsequenzen der KM-Verfahren (Gericht oder Mediation) bleiben Ausgleichsmaßnahmen. Es macht strukturellkeinenUnterschiedfür den Zeitbezug des Konfliktmanagementansatzes, ob RichterInnen nun wegen einer vergangenen Beleidigung verurteilen oder es in der Mediation zu einer Entschuldigung kommt. In beiden wurde zukunftsorientiert agiert.[11]
Was Mediation indes eröffnen kann, ein Gericht aber nie, ist, dass die Konfliktentscheidung selbst mit der Zukunft rechnet, dass die Entscheidung auf Füße gestellt wird, die bereits einen Abdruck in der (vorgestellten) Zukunft hinterlassen haben. Das wäre eine strategische Vorgehensweise, bei der der Konflikt Beziehungsaktualisierungen veranlasst – ob nun im persönlichen oder im organisationalen Bereich. Damit würde ein Konflikt nicht mehr als Fehler im System erscheinen, sondern eine fehlende Feinjustierung kennzeichnen. Das wäre den Umständen und Bedingungen in einer vukaesken Umwelt angemessen. Damit würde die Mediation den Anforderungen an ein Konfliktmanagementinstrumentarium in einer „ONLIFE-Gesellschaft“ (Floridi) gerecht, das weniger mit den Lösungsangeboten des 20. Jahrhunderts wuchert.
b) Das strategische Element
Was kennzeichnet jedoch dieses strategische Element? Strategie befasst sich explizit mit zukunftsorientierten, nicht selten überlebensrelevanten Fragestellungen eines sozialen Systems.Strategie reizt zu Überlegungen, welche Entwicklung wünschenswert und welche Zukunft erstrebenswert ist.[12]Dabei gilt es – in einem ersten Schritt – zu beachten, nicht einfach die tagesaktuellen Wünsche an die Zukunft zu benennen, sondern ein „Bild aus der Zukunft“ heraus entstehen zu lassen. Im zweiten Schritt lassen sich dann systemangemessene Operationen planen: Wie kommen wir von hier dorthin? Was müssen wir in die Wege leiten, um (über-)morgen dort zu sein? Welche Stolpersteine lauern auf diesen Wegen? Welche Erfahrungen haben wir diesbezüglich miteinander bereits gemacht (…hier spielt die Vergangenheit eine Rolle!)?
Doch wie gelangen derartige strategische Elemente in eine konfliktveranlasste Mediation? Ist das überhaupt für eine Mediation angemessen? Nun, das hängt zunächst konkret vom Auftrag ab, der verhandelbar ist. Von allein bzw. allein durch die Konfliktparteien wird es nicht passieren. Denn Mediation wird weder darunter verstanden noch damit beworben. Das hängt mit dem aktuellen Selbstverständnis von Mediation zusammen (dazu der 2. Teil des Beitrags).
Das strategische Element muss durch MediatorInnen aktiviert werden. Greifen sie nicht weiter in die Zukunft aus und holen sie sie nicht in die gegenwärtige Kommunikation, bleibt sie links liegen – und die Mediation ist bestenfalls eine angenehme, emotional mitunter durchaus interessante Schlichtung. Holt der Mediator allerdings die Zukunft in die gegnewärtige Konfliktkommunikation, schöpft er das Potenzial aus, das ihm als Mediator nicht selten auch zugestanden wird.
Methodisch kann die Mediation auf die Erfahrungen der organisationalen Strategieberatung zurückgreifen – was auch bereits zum Teil geschieht.[13]Besonders lohnenswert scheint m.E. hier der Weg durch das „U“ zu sein, wie ihn Otto Scharmer in seinem Organisationsentwicklungsansatz „Theory U“[14]formuliert hat. Übrigens ein Ansatz, der seinen Ausgangspunkt im Konfliktmanagement nahm und von Friedrich Glasl und Dirk Lemson entwickelt wurde[15]. Damit könnte die strategische Mediation durchaus in Unternehmen und Organisationen aussichtsreiche Chancen haben, sich als ernsthafte Konfliktmanagementmethode zu etablieren.
Wir wollten doch den Kuchen vergrößern, und uns nicht nur gut beim Backen unterhalten!
Was mit der geradewegs kapitalistischen Idee der Kuchenvergrößerung geschehen ist und weshalb die Mediation davon profitieren kann, sich auf diesen geistesgeschichtlichen Strang zu besinnen, wird im zweiten Teil dieses Beitrags behandelt. Statt den Kuchen vergrößern zu wollen, ging es der Mediation vor allem um harmonisches Backen.
Fussnoten und Literatur
[1]Zum Download vom Bundesjustizministerium bereitgestellt unter https://www.bmjv.de/SharedDocs/Downloads/DE/StudienUntersuchungenFachbuecher/Evaluationsbericht_
Mediationsgesetz.pdf?__blob=publicationFile&v=1
[2]Höland/Meller-Hannich: Nichts zu klagen? Der Rückgang der Klageeingangszahlen in der Justiz. Mögliche Ursachen und Folgen, Baden-Baden 2016.
[3]Siehe FAZ vom 3.8.17, online abrufbar unter http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/justiz-richter-ohne-klaeger-15135311.html.
[4]Rottleuthner, Prozessflut und Prozessebbe, in: Höland/Meller-Hannich, Nichts zu klagen, 2016, S. 103.
[5]Natter, Die Arbeitsgerichtsbarkeit in Baden-Württemberg, in: Höland/Meller-Hannich, Nichts zu klagen, 2016, S. 46.
[6]Rottleuthner, Prozessflut und Prozessebbe, in: Höland/Meller-Hannich, Nichts zu klagen, 2016, S. 110.
[7]Zu möglichen Ursachen siehe ausfrl. Weigel, S. INKOVEMA-Blog: https://inkovema.de/blog/rueckgang-der-klageeingangszahlen-bei-deutschen-gerichten/
[8]Ausführlich zum VUKA-Konzept Guwak/Strolz, Die vierte Kränkung, Berlin 2012.
[9]Dazu immer noch lesenswert Otto Scharmer, Theorie U – Von der Zukunft her führen, Heidelberg 2011.
[10]Da diese sozialhistorischen Entwicklungen eine umfangreichere Nachzeichnung benötigen, wird dies in einem zweiten Beitrag, voraussichtlich im kommenden Heft der Spektrum der Mediation, erfolgen.
[11]Inwieweit die Zukunft tatsächlich friedlich gestaltet wird, kann niemand mit Sicherheit vorhersagen und hängt maßgeblich davon ab, was die Parteien gelernt haben. Unbestreitbar aus historischer Sicht ist zumindest, dass die Menschen dank des staatlichen Rechts unfassbar umfassende Lernprozesse weltweit absolviert haben – und friedlicher miteinander umgehen (Dazu umfassend Pinker, Steven: Gewalt – Eine neue Geschichte der Menschheit, 2012). Einen solchen evidenten Beweis hat die Mediation noch nicht erbringen können.
[12]Instruktiv dazu Nagel, R. / Wimmer, R.: Einführung in die systemische Strategieentwicklung, Heidelberg 2015.
[13]Vgl. etwa Faller, K.: Konfliktfest durch Systemdesign, Stuttgart 2014, auch Gläßer / Kirchhoff / Wendenburg, Konfliktmanagement in der Wirtschaft, Baden-Baden 2014.
[14]Scharmer, C. O.:Theorie U. Von der Zukunft her führen, Original 2007, Heidelberg 2011.
[15]Dazu Glasl, Prozesse der Organisationsentwicklung, in: F. Glasl und L. Houssaye (Hrsg.), Organisationsentwicklung. Bern, 1975.
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