INKOVEMA-Podcast „Gut durch die Zeit“

#89 – Singapur-Übereinkommen zur internationalen Durchsetzung von Mediationsvergleichen.

Vertraglich geregelte Verpflichtungen und vollstreckbare Vollstreckungstitel von Mediationsabschlussvereinbarungen

Im Gespräch mit Prof. Dr. Simon Heetkamp

Gut durch die Zeit. Der Podcast rund um Mediation, Konflikt-Coaching und Organisationsberatung.

Simon J. Heetkamp: seit 2022 beurlaubter Richter am Landgericht zugunsten einer Professur für Wirtschaftsrecht an der TH Köln; 2022 Sieger des eJustice Cup des Hessischen Richterbundes

Inhalt:

Singapur Übereinkommen über Mediation: Eine Einführung

Historie

Das „Singapur-Übereinkommen über Mediation“ ist ein Meilenstein in der Geschichte der internationalen Handelsgesetzgebung. Es wurde am 7. August 2019 zur Unterzeichnung in Singapur aufgelegt und am selben Tag von 46 Ländern unterzeichnet, einschließlich wichtiger Wirtschaftsmächte wie den USA und China. Die Entstehung dieses Übereinkommens, das auf amerikanische Initiative zustande kam, war das Ergebnis zügiger Diskussionen und Verhandlungen unter den Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen. Noch nie ist in so kurzer Zeit ein Übereinkommen unterschriftsreif entwickelt worden.

Anwendungsbereich

Das Singapur-Übereinkommen bietet einen einheitlichen rechtlichen Rahmen für die Durchsetzung von Vereinbarungen über vermittelte Vergleiche in Bezug auf internationale Handelsangelegenheiten. Es wurde mit dem Ziel konzipiert, den internationalen Handel zu erleichtern und zu fördern, indem es die Mediation als effiziente und anerkannte Methode zur Beilegung von Handelsstreitigkeiten etabliert. Länder, die das Übereinkommen ratifizieren, sind verpflichtet, Vergleichsvereinbarungen, die sich aus einer Mediation ergeben, nach ihren eigenen innerstaatlichen Vorschriften durchzusetzen.

Entwicklungsstand

Seit seiner Einführung hat das Singapur-Übereinkommen eine positive Resonanz erhalten und wurde von einer wachsenden Zahl von Ländern ratifiziert.

Mittlerweile haben insgesamt 55 Staaten das Singapur-Übereinkommen unterzeichnet, aber weder Deutschland noch ein anderer EU-Staat sind beteiligt. Nach entsprechenden Ratifikationen ist eine Anerkennung und Vollstreckung von Mediationsergebnissen nunmehr in zehn Staaten möglich (Belarus, Ecuador, Fidschi, Katar, Saudi-Arabien, Singapur, Georgien, Honduras, Türkei, Kasachstan).

Das Singapur-Übereinkommen über Mediation hat das Potenzial, die Mediation zu einem wichtigen Instrument in der internationalen Handelslandschaft zu machen und die Art und Weise zu verändern, wie Handelsstreitigkeiten gelöst werden. Doch ob dies gelingt, ist keineswegs eine ausgemachte Sache.

Die nächste Ratifizierung ist durch Uruguay vorgesehen, das Ende September 2023 das Übereinkommen nationalstaatlich ratifizieren will (LINK).

Kritik

Trotz seiner positiven Aspekte hat das Singapur-Übereinkommen auch einige Kritikpunkte aufgeworfen. Einige Kritiker weisen darauf hin, dass das Übereinkommen möglicherweise nicht ausreichend detailliert ist, was zu Unklarheiten in seiner Anwendung und Durchsetzung führen könnte. Darüber hinaus gibt es Bedenken, dass das Übereinkommen die Autonomie der Parteien in der Mediation einschränken könnte, indem es die Durchsetzung von Vergleichsvereinbarungen vorschreibt. Es gibt auch Bedenken, dass die Umsetzung des Übereinkommens in den innerstaatlichen Rechtsordnungen der verschiedenen Länder aufgrund von Unterschieden in den Rechtssystemen und kulturellen Normen Herausforderungen mit sich bringen könnte.

Schlussendlich bleibt festzuhalten, dass das Singapur-Übereinkommen einen wichtigen Schritt in Richtung der Erleichterung des internationalen Handels darstellt. Trotz der Kritikpunkte bietet es einen vielversprechenden Ansatz zur Lösung von Handelsstreitigkeiten durch Mediation und hat das Potenzial, die internationale Handelslandschaft maßgeblich zu prägen.

Juristischer Hintergrund: Dogmatik von Schuld und Haftung

Schuld und Haftung, Schulden haben und der Haftung unterliegen, das sind zwei verschiedene Dinge.

1. Schuld und Haftung

Schuld im Sinne einer obligatorischen Verbindlichkeit ist das Leistenmüssen des Verpflichteten.

Bei einem Kaufvertrag beispielsweise schuldet der Käufer dem Verkäufer den Kaufpreis. Kommt es zum Streit darüber und wird in einer Mediation eine neue oder konkretisierende Vereinbarung über die Zahlungsmodalitäten getroffen, begründet dieser Vertrag abermals eine schuldrechtliche Verpflichtung, also ein Leistenmüssen. 

Haftung bedeutet das Unterworfensein des Schuldnervermögens unter den Vollstreckungszugriff des Gläubigers. Erfüllt der Schuldner die ihm obliegende Schuld nicht, kann der Gläubiger die Forderung durch Klage und Zwangsvollstreckung erzwingen. Das Vollstreckenkönnen durch einen entsprechenden Vollstreckungstitel ermöglicht die eigenständige, durch die Staatsgewalt (Gewaltmonopol!) begründete Fähigkeit, „sich das Geschuldete zu holen“. In dieser zwangsweisen Durchsetzung verwirklicht sich die zur Schuld hinzutretende Haftung. Sie erstreckt sich idR auf das gesamte Schuldnervermögen (sog. unbeschränkte Vermögenshaftung). Ausnahmsweise ist die Haftung auf bestimmte Vermögensteile beschränkt, so etwa bei der Haftung des Erben (§ 1975 BGB).

2. Haftung ohne Schuld

Möglich ist eine Haftung ohne Schuld. Sie tritt auf, wenn nicht der Schuldner, sondern ein Dritter dem Gläubiger ein dingliches Sicherungsrecht (Hypothek, Grundschuld oder Pfandrecht) an einem ihm gehörenden Gegenstand bestellt. Dann ist der Dritte nicht Schuldner des Gläubigers, wohl aber haftet er dem Gläubiger mit dem Gegenstand, vgl. §§ 1147, 1204 iVm 1228 ff BGB (Sog. reine „Sachhaftung“ ohne persönliche Schuld“)

3. Schuld ohne Haftung („unvollkommenen Verbindlichkeiten“)

Eine Schuld ohne Haftung ist dann gegeben, wenn eine Verbindlichkeit zwar „freiwillig“ vom Schuldner erfüllt, vom Gläubiger aber nicht durch Klage und Vollstreckung erzwungen werden kann.  Zu unterscheiden ist bei derartigen unvollkommenen Verbindlichkeiten zwischen Verbindlichkeiten, denen bereits die Klagbarkeit und aus diesem Grunde auch die Vollstreckbarkeit fehlt, und solchen, die zwar klagbar, aber nicht vollstreckbar sind.

  • Unklagbaren Verbindlichkeiten sind z.B. Spiel, Wette (§ 762 BGB) und der sog. Ehemaklervertrag (§ 656), die keine Verbindlichkeit begründen. Beim Verlöbnis (§ 1297 BGB) begründet sich eine Verbindlichkeit zur Eingehung der Ehe, die jedoch nicht eingeklagt werden kann. Wegen der Verbindlichkeit können sich nach §§ 1298 ff  BGB aber andere klagbare und vollstreckbare Ansprüche ergeben.
  • Zu den nicht vollstreckbaren Verbindlichkeiten gehören Forderungen, auf deren Erfüllung zwar geklagt werden und bei denen ein Urteil ergehen kann, deren Durchsetzung im Wege der Zwangsvollstreckung aber trotzdem nicht möglich ist. Dies sind die Fälle des § 888 Abs. 3 ZPO, also Urteile auf Herstellung des ehelichen Lebens und auf Leistung von Diensten aus einem Dienstvertrag.

4. Exkurs: Obliegenheiten

Von den vollkommenen und unvollkommenen Verbindlichkeiten sind die Obliegenheiten zu unterscheiden. Sie begründen für den Berechtigten weder einen Erfüllungsanspruch noch bei Verletzung durch den Belasteten einen Schadensersatzanspruch (also keine „Schuld“) und geben keine Klage- und Vollstreckungsmöglichkeit (also keine „Haftung“). Es handelt sich vielmehr um Verhaltensregeln, bei deren Nichtbeachtung der mit der Obliegenheit Belastete einen Verlust oder eine Minderung einer Rechtsposition erleidet.

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