INKOVEMA-Podcast „Gut durch die Zeit“

#23 – Organisationale Ambidextrie.

Safety first und dann ein wenig Abenteuer wagen? Oder weshalb müssen Organisationen widersprüchliche Aufgaben intelligent(er) synchronisieren?

Im Gespräch mit Dr. Gudrun Töpfer und Christoph Frey

Gut durch die Zeit. Der Podcast rund um Mediation, Konflikt-Coaching und Organisationsberatung.

Dr. Gudrun Töpfer, Psychologin und Pädagogin, und Christoph Frey, Psychologe, arbeiten zusammen mit Kolleg*innen im Think Tank Ambidextrie (Nürnberg), der es sich zur Aufgabe gemacht hat, Ambidextrie von Organisationen zu erforschen und Unternehmen dabei zu helfen, sich – eben – ambidextrisch zu strukturieren und dergestalt den Herausforderungen zu begegnen. Was das konkret heißen kann und weshalb Ambidextrie aktuell in breiter Diskussion steht, erfahrt Ihr in dieser Folge.

Wissenswertes zur Ambidextrie:

Ambidextrie bedeutet in seiner einfachsten Definition das Nebeneinander von Exploit-Modus (Bewährtes erhalten und optimieren) und Explore-Modus (Innovationen verfolgen). Die beiden Modi sind wie zwei „Betriebssysteme“ für Unternehmen, die sich gleichzeitig widersprechen und ergänzen und die beide absolut kritisch für langfristigen Erfolg sind. Aus der Balance zwischen den beiden Modi ergeben sich verschieden Formen und Arten von Ambidextrie, die unterschiedliche Konsequenzen für die Umsetzung in die Praxis beinhalten.

Ambidextrie bedeutet in seiner einfachsten Definition das Nebeneinander von Exploit-Modus (Bewährtes erhalten und optimieren) und Explore-Modus (Innovationen verfolgen).

1. Was ist Ambidextrie?

Wörtlich übersetzt bedeutet Ambidextrie „Beidhändigkeit“, also eigentlich die Fähigkeit, mit der linken und der rechten Hand zu schreiben. In Bezug auf Unternehmen ist der Begriff schon in den 1970er Jahren aufgetaucht. Als von Agilität und Digitalisierung noch lange nicht die Rede war, wurde schon beobachtet, dass Unternehmen in zwei möglichen „Betriebssystemen“ laufen können und die Wirkung jeweils unterschiedlich ist:

Im einen (man nennt ihn Exploit-Modus) läuft das Unternehmen wie eine gut geölte Maschine. Jedes Rädchen sitzt am richtigen Platz, erfüllt seine Aufgabe, Prozesse laufen gut geplant und organisiert ab, es wird optimiert und verbessert und am Ende steht ein gutes Produkt, das zu den Bedürfnissen des Markts passt. Im Exploit-Modus geht das Unternehmen sparsam und effizient mit seinen Ressourcen um, es versucht, Qualität durch Kontrolle und verbindliche Regeln abzusichern. Da das Ergebnis oft vorhersehbar, der Ablauf kontrollierbar und die Ressourcen gut kalkulierbar sind, stellt der Exploit-Modus jenes Betriebssystem dar, zu dem die meisten Unternehmen im Laufe der Zeit tendieren – mit der Gefahr, sich im eigenen Regelwerk zu verstricken und nicht mehr aufnahmefähig für Entwicklungen in der Umgebung (Marktgeschehen, Trends) zu sein.

Der andere Modus (Explore-Modus) passiert das, was passieren muss, wenn ein Produkt nicht mehr so recht ankommt: Das Unternehmen orientiert sich in Richtung Innovation, es reagiert auf Entwicklungen und Trends von außen, prüft, testet, entwickelt, scheitert, setzt neu an und schafft es so, eine Neuigkeit auf dem Markt zu platzieren. Das Unternehmen ist in dieser Phase eher langsam, nicht so zielgerichtet und irrt sich auch gelegentlich.

Beide Modi sind für Unternehmen wichtig und man kann keinen der beiden Modi guten Gewissens einfach vernachlässigen – das Problem ist, dass sie widersprüchlich funktionieren und ihre Grundannahmen, Werkzeuge und Zielsetzungen verschieden sind. Dies macht das individuelle Ausbalancieren zu einem Handlungsfeld für Unternehmen und begründet den Forschungsbereich der organisationalen Ambidextrie.

2. Welche Formen von Ambidextrie gibt es?

Die beiden „Betriebssysteme“ der Ambidextrie (Exploit-Modus und Explore-Modus) sind in sich widersprüchlich: Sie bauen auf unterschiedlichen Grundannahmen auf, bedienen sich verschiedener Instrumente und Methoden und dienen unterschiedlichen Zielen. Wie sie sich zueinander verhalten, kann verschieden aussehen:

  • Sequenzelle Ambidextrie: Ein Unternehmen durchläuft die Modi nacheinander. So folgen auf Phasen des Explorierens jeweils Exploit-Phasen.
  • Kontextuelle Ambidextrie: Davon sprechen wir, wenn man den Widerspruch aus Exploit- und Explore-Modus als so gravierend einschätzt, dass ein Nebeneinander nicht möglich ist. Die beiden Modi „leben“ dann im Unternehmen z. B. in getrennten Abteilungen.
  • Strukturelle Ambidextrie: Davon kann man sprechen, wenn man davon ausgeht, dass beide Modi sich eher ergänzen und im Arbeitskontext ineinander integriert werden können und z. B. Aufgaben je nach Anforderungsprofil mit dem einen oder anderen „Modus“ bearbeitet werden.

Literatur zum Thema:

  • Tushman, M.L. / O’Reilly III, C.: Ambidextrous Organizations. Managing Evolutionary and Revolutionary Change, in: California Management Review, Vol. 38, No. 4 , p. 8-29, 1996.
  • Tushman, M.L. / O’Reilly III, C.: Ambidextrous Organizations, Harvard Business Review, p. 74-82, 2004.
  • Schumacher, Th. / Wimmer, R.: Widersprüchlichkeit gestalten. Zum Management von Kern- und Innovationsgeschäft in der ambidextren Organisation, in: ZOE 4/2020, 10-15.
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