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Mediation und Konfliktmanagement

# 41

A. Schwerpunktthemen:

– Systematisches Konfliktmanagement in Wissenschaftsorganisationen (WO)

– Exkurs: Sündenfälle deutscher Wissenschaftsgeschichte

– Aufbau und System der Ombudsstellen in WO

– Empfehlungen für die Mediationspraxis in W=

B. Konzepte für die Mediation

– Teil 9: Von der Anfrage zum Dreieck

Systematisches Konfliktmanagement in Wissenschaftsorganisationen

A. Wissenschaftsorganisationen

sind in Deutschland vor allem die BIG FIVE, zusammengesetzt aus

  • den öffentlich-rechtlichen Hochschulen, v.a. die Universitäten,
  • den Helmholtz-Zentren samt ihrer Institute,
  • der Leibnitz-Gesellschaft samt ihrer Institute,
  • der Fraunhofer-Gesellschaft samt ihrer Institute und
  • den Max-Planck-Instituten, die allesamt Mitglieder in der Deutschen Forschungsgemeinschaft sind – neben vielen weiteren Gesellschaften, Stiftungen und Akademien (der Wissenschaften!) etc.

Diese Organisationen haben einerseits Probleme und Konflikte wie andere Wirtschaftsorganisationen auch, andererseits aber stehen sie vor der besonderen Herausforderung, die „Gute Wissenschaftliche Praxis“ (GWP) zu schützen und zu fördern.

BTW: Mediation dient zudem in Wissenschaftsorganisationen auch selbst als Lehr- und Forschungsfeld.

B. Konfliktlandschaften in Wissenschaftsorganisationen

(=Anwendungsfelder für Mediation und weitere Konfliktmanagementverfahren)

  • Nicht wissenschaftsspezifische Konflikte,
  • Wissenschaftsspezifische Konflikte (Stichwort: Gute Wissenschaftliche Praxis)
  • „Übergangs- und Querschnittskonflikte“

I. Nicht wissenschaftsspezifische Konflikte in Wissenschaftsorganisationen

Hier treten Konfliktpotenziale in Wissenschaftsorganisationen auf, weil es sich eben auch um Organisationen handelt, so z.B. wenn die Wissenschaftsorganisation als wirtschaftliche Marktteilnehmerin auftritt und wie andere Organisationen auch mit Konfliktpotenzialen umgehen muss, z.B. bei Einkäufen, Immobiliengeschäften, also bei Konflikten mit Dritten etc.

II.  Wissenschaftsspezifische Konflikte

Wissenschaftsspezifische Konflikte drehen sich um das Problem von Wissenschaftsorganisationen, di e“Gute Wissenschaftliche Praxis“ zu sichern. Der  Bedarf an einer konstruktiven Bearbeitung von Konfliktpotenzialen in dieser Hinsicht, ist mit den veränderten Rahmenbedingungen wissenschaftlicher Erkenntnisgewinnung gestiegen.

  • Empfehlung der Hochschulrektorenkonferenz zur „Sicherung der guten Wissenschaftlichen Praxis“ Link

Hier stehen die Regeln, Verfahrensweisen etc. im Zentrum des Konflikts, die gute Wissenschaft ermöglichen und sichern sollen. Inwieweit Mediation hier Anwendung finden kann, ist unklar, da das Mediationsergebnis nicht völlig offen und kontextfrei erscheint.

III. Übergangs- und Querschnittskonflikte
Konflikte im Grenzgebiet zwischen wissenschaftsspezifischen und nicht wissenschaftsspezifischen Konfliktfeldern, z.B. bei arbeitsrechtlichen Konflikten, bei denen die Arbeitsaufgaben Forschungs- und Wissenschaftsfelder sind, aber auch bei Urheberrechtskonflikten (Geistiges Eigentum) etc…, die keineswegs ausschließlich in Wissenschaftsorganisationen auftreten, hier aber im Kontext der GWP etabliert werden.

Mitunter gibt es, wie z.B. an Universitäten und Hochschulen, Konfliktberatungsstellen, die als erste Anlaufpunkte fungieren und eine Verteilerfunktion übernehmen. Nicht selten sind diese ersten Anlaufstellen in der Personalabteilung verortet. Freilich dient auch die Rechtsabteilung als Anlaufstelle, obschon hier eine Verteilerfunktion gelebte Praxis sein mag, keineswegs aber eine Professionalisierung bzw. spezifische Aufgabenverteilung stattgefunden haben dürfte.

Exkurs: Sündenfälle deutscher Wissenschaftsgeschichte = Herausforderung für die Sicherung Guter Wissenschaftlicher Praxis (GWP)

Das Konfliktmanagement an deutschen Wissenschaftsorganisationen hat sich in den vergangenen Dekaden vor allem an zwei Skandalen ausgebildet und professionalisiert.

1. Friedhelm Herrmann und Marion Brach (Forschungsfeld)

Diesen beiden (damals!) hoch angesehenen Medizinern und Krebsforschern wurde Datenmanipulation und Veröffentlichungsbetrügereien in 94 Fällen nachgewiesen. Die „Task Force F.H.“ wies in ihrem Abschlussbericht einen systematischen Wissenschaftsbetrug nach, der bis dato schier unvorstellbar schien – der größte Betrugsfall der jüngeren Medizingeschichte!

2. Freiherr zu Guttenberg (Promotionsfeld)

Dem damaligen Bundesminister der Verteidigung wurde durch seine ehemalige Universität Bayreuth im Jahre 2011 der Doktorgrad entzogen, nachdem vor allem auf den Webseiten von GuttenPlag Wiki die Verstöße gegen die GWP zusammengetragen wurden.
Der sog. „Guttenberg-Effekt“ führte dazu, dass sich Hochschulen – auch auf öffentlichen Druck hin – verstärkt mit Verletzungen der wissenschaftlichen Regeln auseinanderzusetzen hatten. Im Zuge dessen wurden vor allem Untersuchungskommissionen, Promotionsausschüsse und Ombudsstellen gegründet, mit zunehmenden Aufgaben und Kompetenzen bestückt und in den Fokus der Verantwortung gerückt. Zudem gab die Hochschulrektorenkonferenz im selben Jahr Empfehlungen zur Qualitätssicherung im Promotionsverfahren ab.

C. Aufbau und System der Ombudsstellen in Wissenschaftsorganisationen

I. Konflikte und Fragen, die im Bereich der Guten Wissenschaftliche Praxis  und der wissenschaftlichen Integrität aufkommen, finden in Deutschland ihre zentrale Anlaufstelle beim Ombudsman für die Wissenschaften.

  • Ombudsman für die Wissenschaften in Deutschland. Link

Der Ombudsman für die Wissenschaften ist ein Gremium, das von der Deutschen Forschungsgesellschaft – konkret: dessen Senat – eingesetzt ist und in Berlin seine Geschäftsstelle hat. Das Gremium arbeitet neutral, fair und vertraulich. Aktueller Sprecher des Gremiums ist der Bayreuther Rechtswissenschaftler Prof. Dr. Stephan Rixen.

Dieses Gremium kann neben den lokalen Ombudsstellen angerufen werden.

II. Konkrete Aufgaben des Ombudsmanes der Wissenschaften sind:

  1. Beratung, d.h. in konkreten Konflikt- und Fragefällen zur GWP steht der Ombudsman mit Rat und Tat zur Seite.
  2. Vermittlung, d.h. in Konflikten mit Bezug zur guten wissenschaftlichen Praxis (GWP) tritt das Gremium als Vermittler auf und kann Vermittlungspersonen „entsenden“. Dabei tritt er als Konfliktmoderator auf, nicht als Mediator im klassischen Sinne.
  3. Veranstaltungen, d.h. der Ombudsman organisiert Veranstaltungen, um das Anliegen GWP zu verdeutlichen und zu verbreiten.
  4. Vernetzung, d.h. der Ombudsman vernetzt sich national und international mit Expertinnen und Experten im Bereich der wissenschaftlichen Integrität.

III. Leitlinien der Arbeit des Ombudsmans sind im Kodex der Deutschen Forschungsgemeinschaft normiert. Link

IV. Jahresbericht 2018 des Ombudsman für die Wissenschaften. Link
Die Jahresberichte aus den vorherigen Jahren finden Sie hier.

Exkurs: Ombudsman und Ombudsräte

Ähnlich einer Schiedsperson agiert der Ombudsman/die Ombudsfrau unparteiisch und fair zur Klärung von Konflikten. Mehrere Ombudspersonen in einem Gremium bilden einen Ombudsrat. Gelegentlich bleibt jedoch die Bezeichnung Ombudsman (z.B. der Wissenschaften) erhalten, dazu sogleich mehr.

In den 1970er Jahren hat sich die Institution weltweit ausgebreitet, stammt aber ursprünglich aus Schweden, wo 1809 erstmals ein Ombudsmann ernannt wurde. Anlass war das demokratische Anliegen des Konsumismus, die Bürger Wahlen zu ermöglichen, z.B. bei Wohnungen, Wasser, Wärme, Versicherungen. Hier galt es, die gewandelte Aufgabenerfüllung durch den Staat gegen Willkür abzusichern. Dafür ist der Ombudsman entwickelt worden. 

Der Begriff Ombud stammt aus dem altnordischen und bedeutet „Auftrag, Vollmacht“.

📖 Trentmann, F.: Herrschaft der Dinge. Die Geschichte des Konsums vom 15. Jhrdt. bis heute, München 2017, S. 745 ff.

D. Empfehlungen für die Mediationspraxis in Wissenschaftsorganisationen

  • Systematisches Konfliktmanagement aufbauen!
  • Mediation als ein Verfahren unter, neben, mit anderen Konfliktmanagementverfahren etablieren.
  • Mitarbeiter*innen der Verwaltung und des Wissenschaftsbereichs differenzieren.
  • Im Umgang mit Wissenschaftspersonal besonders zu beachten:
    • Keine Psychologisierung des Verhaltens! Auch das Soziale des Konflikts wirkt fremdartig.
    • Starker Hang zur Community! „Gesichtswahrung“ und Loyalitätsideen sind treibende Motive des (Nicht-) Handelns. Reputation der Beteiligten beachten!
    • Zu beachten sind immer auch (hochschul-)politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Einflüsse.
    • Externe, Methoden und Tools müssen wissenschaftsadäquat sein.
    • Rationalität- und Gleichheitsgebot beachten, aber Machtungleichgewicht nicht negieren! D.h. Auch wenn der Macht des richtigen Arguments besondere, geradewegs magische Macht zugeschrieben wird, agieren auch in Wissenschaftsorganisationen Menschen mit institutionell verliehener Macht.

Konzepte für die Mediation

Teil 9: Von der Anfrage zum Dreieck
Problemsituation, wenn die Mediatorin von Konfliktpartei 1 angefragt wurde:
Wer übernimmt die Anfrage bzw. die Einladung zur Mediation, wenn die Konfliktpartei 2 noch nichts von der Mediationsanfrage der Konfliktpartei 1 wusste?

Konfliktpartei 1, also die anfragende Person übernimmt: 

  • Vorteile: Autonomie der Konfliktbeteiligten stärkend; Neutralität wird gewahrt, kein Angriffspunkt für falsche Zuschreibungen mangelnder Neutralität
  • Nachteile: Konfliktparteien aktivieren mglw. ihre Konfliktkommunikation; Mglw. wird die Idee, die Streitigkeit mit einer Mediation zu klären, abgewertet oder zerredet; Gefahr weiterer Eskalation
  • Lösungsansätze: eigenen Flyer mitgeben, Verweis auf die Webseite (per E-Mail mit LINK, nicht mündlich), Checkliste oder Leitfaden mitgeben

Mediator*in übernimmt:

  • Vorteile: professionelle, deeskalierende Ansprache; bei Fragen, was in der Mediation passieren soll, ist der Anrufer auskunftskompetent; Zweiergespräch „gleicht die Ungleichheit gleich aus“
  • Nachteile: Gefahr der Überrumpelung; mglw. eskalierende Botschaft: Jetzt wissen davon auch schon Dritte?! (Gefahr von Rettungskommunikation, Einladung zur Passivität)
  • Lösungsansätze: KP1 kündigt – ggf. in einer Einwegkommunikation via Brief, E-Mail, sms etc. – die Kontaktaufnahme einer neutralen Vermittlungsperson bei KP2 an.

Deutlich wird, dass jedes weitere Vorgehen Risiken birgt und es letztlich keine „Er-Lösung“ davon gibt. Das wird sich im Übrigen durch die gesamte Mediation, so sie denn stattfindet, durchziehen. Vielmehr geht es um eine angemessene und selbstverantwortliche Regulierung der bestehenden Konfliktpotenziale zwischen den Konfliktbeteiligten.