Die Zukunft ist auch nicht mehr das, was sie mal war.

Weshalb Strategische Dialoge genau richtig für die eigene Vision sind.

In einer alljährlichen strategisch ausgerichteten Großgruppenarbeit eines Automobilzulieferers meinte ein Kunde, dass es ihnen am Standort „nicht besser gehen könnte, wenn da nicht die Zukunft wäre.“ Natürlich meinte er lediglich die Aussichten auf die Zukunft, aber wie wurde diese Zukunft diejenige, die uns antreibt?

Dieses Bonmot ist ein willkommener Anlass,

  • etwas über die Zukunft als Denk- und Reflexionsraum zu schreiben,
  • über unsere gemeinsam geschaffene Realität und
  • warum Visionen höchst erfreulich sind!

„Ich will Visionen“, meinte auch erst kürzlich der junge französische Staatspräsident Macron in seiner Rede an der Frankfurter Universität am Main. Und am nächsten Tag schrieb Deutschland unentwegt über Helmut Schmidt und sein gestörtes Verhältnis zur Zukunftsschau. Die Geschichte ist noch offen, wer tatsächlich zum Arzt gehen sollte.

Doch erst jenseits dieser ersten Reflexe wird die Sache wirklich interessant: Denn Visionen sind auch eine soziokulturelle Leistung, die zu einer postmodernen Denk- und Reflexionskategorie erwachsen sind. Die Zukunftsvision selbst ist ein Gesprächsthema, dass unsere „intersubjektive Realität“ auszuformulieren hilft. Und diese sog. dritte Realität steht in reger Wechselwirkung mit unseren innersten Wünschen, Gedanken und Gefühlen und leitet unser individuelles und kollektives Handeln. Das bedarf der Erklärung.

1. Wie Fussabdrücke aus der Zukunft uns den Weg weisen

Visionsarbeit, ob in Teams oder individuell, beschäftigt sich mit den gemeinsamen Vorstellungsbildern von der Zukunft.

Die soziale Fähigkeit von Menschen, eine intersubjektive Realität aufzubauen und ihr Einflusskraft zuzugestehen, ist einzigartig unter Lebewesen. Daneben gibt es freilich eine objektive Realität und eine subjektive Realität.

Visionsarbeit, wie wir sie heutzutage nutzen können, um unsere sozialen Handlungen hundert-, hunderttausend-, ach was, millionenfach zu organisieren, Pläne zu schmieden und Entscheidungen zu treffen, ist von zwei Rahmenbedingungeneingebettet:

  • der dritten, sog. „intersubjektiven“ Realität sowie 
  • der „Zukunft“ als Denk- und Reflexionskategorie.

a) Die intersubjektive Realität

Intersubjektive Realität ist die von uns Menschen in Interaktionen und in Kommunikationsnetzwerken erfundene Realität. Die Beteiligten glauben gemeinsam an diese Realität, obschon sie objektiv erfunden ist. Sie ist nicht greifbar und begreifbar nur, wenn man sie anerkennt. Die Annahme vieler, auch als Glauben bekannt, versetzt zuweilen Berge, nimmt aber zumindest steten Einfluss auf unser Handeln, Denken und Fühlen. Sobald dieser Glaube schwinden würde,  würden auch diese intersubjektive Realität schwächer werden und ihre Kraft verlieren. Sie würde untergehen und Geschichte werden, soweit man sich an sie erinnert.

Intersubjektiv ist weder objektiv, noch subjektiv. 

Objektiv sind Dinge, die existieren, egal, ob Menschen daran glauben oder nicht. Ein Baum existiert, auch wenn niemand an ihn glaubt. Die Erde ist auch real, sie existiert, auch wenn niemand da wäre, der sie sehen und genießen könnte.

Subjektiv sind hingegen Existenzen, die vom Glauben einzelner Individuen abhängen. Kinder glauben an den Weihnachtsmann oder stellen sich einen „unsichtbaren Freund“ vor. Diese Existenzen sterben in ihrer Bedeutung, sobald das Kind nicht mehr an sie glaubt. Zuweilen gilt das auch für Empfindungen, Gefühle, Interpretationen und andere Phänomene, die wir nicht methodisch messen können, aber als Betroffene von der Realität überzeugt sind.

Intersubjektive Realitäten sind hingegen nicht von dem Glauben Einzelner abhängig, wohl aber von dem kommunikativen Netzwerk als solchen. Dazu gehören etwa so wichtige Dinge wie unsere Götter und Religionen oder unsere Staaten und Gesetze, unsere Demokratie und unser Geld, alle sozialen Normen, denen wir (Un-)Wert und Existenz zusprechen. Sie alle haben diesen Wert und ihre Existenz, weil wir zusammen an sie glauben, sie für real, urmenschlich, unerschütterlich und universell halten. Doch sind alle diese Erscheinungen, deren Wert davon abhängt, dass ein soziales Netzwerk daran glaubt, darüber spricht und Bedeutungen zuspricht, bloße Erfindungen, nicht objektiv real, aber real einflussreich. Sie sind intersubjektiv, handlungsleitend, realitätsprägend. Das macht sie bedeutsam, auch für diejenigen, die ihnen eine andere Bedeutung zuschreiben.

Ein Geldschein ist objektiv zwar als Papier existent, aber seinen Wert erhält er durch den kollektiven Glauben an den Wert des Geldes – und dieser Wert schwankt mit diesem. An der Börse und am Wechselkurs ist das deutlich erkennbar. Wir wissen, wie existenziell erschütternd das Gefühl ist, wenn das Geld nicht mehr dem Wert entspricht, der diesem mal zugemessen wurde. Geld ist eine Glaubenssache vieler. Ohne diesen kollektiven Glauben, dieses gemeinschaftliche Interesse und Vertrauen in das Geld, wäre es nix wert. Geld ist Vertrauenssache und das einzige Medium, das es schafft, über alle Klassen hinweg, über alle Rassen, Altersklassen, Geschlechter und Herkunftsarten Verbindlichkeit, Vertrauen und Kooperation zu generieren. Das schafft nix sonst. Aber das tut hier nichts zur Sache. Hier geht es um etwas anderes. Nämlich dass Geld eine Erfindung ist, eine sozial generierte Erfindung, die Möglichkeiten zur Kooperation, Kommunikation und Kreativität schafft.

Auch Staaten, Unternehmen und Marken gehören zu den intersubjektiven Realitäten, Städte, Dörfer, aber eben nicht deren Straßen, Häuser sowie Flüsse, Wälder und Gesträuch. Diese sind objektiv real. Aber dass es eine Stadt gibt, die objektiv real ist, ist quatsch. Städte sind Erfindungen, die in der Kommunikation über sie Wirkkraft, geografische Grenzen und Bedeutung erhalten. So existiert auch eine Organisation nur in den sozialen Kommunikationen unter Menschen. Diese „Tatsache“ war der Anlass für den großen Soziologen und Organisationsversteher Niklas Luhmann zu formulieren, dass Soziale Systeme aus Kommunikationen bestehen, nicht aber aus Menschen. Es gibt nicht viele Ideen aus dem 20. Jahrhundert, die hilfreicher waren, unsere soziale Welt besser zu verstehen.

Schwierigkeiten mit der dritten Realität 

Es fällt oftmals nicht leicht zu glauben, dass unsere soziale Realität maßgeblich auf Erfindungen basieren und nicht (objektiv) real sind. Menschenrechte sind doch echt, sie gibt es doch, werden als objektiv und unabänderlich deklariert, oder nicht?! Nein, es gibt zwar Bücher, in denen sie objektiv aufgeschrieben stehen, in denen wir sie lesen können, aber das heißt nicht, dass ihr Wert objektiv ist, ihre Aussagekraft unabänderlich ist. Sie stehen in Buchstaben auf dem Papier genauso wie das Parteiprogramm der AfD. Und daran würde sich nichts ändern, auch wenn wir sie in Stein meißeln würden.

Weshalb fällt uns das so schwer, zu erkennen und in unserem Lebensalltag zu akzeptieren? Die Konsequenzen wären jedenfalls, dass ihr Fragilität klarer wäre und ihre soziale Existenz von unserem zwischenmenschlichen Engagement abhängt.

Drei Faktoren lassen sich ausmachen:

  • Unsere interaktiv und intersubjektiv erfundene Ordnung ist fest mit unserer materiellen Welt verwoben, unsere Firmen „haben“ Büroräume, Bankkonten, Fahrzeuge, Angestellte; wir tragen Arbeitskleidung und kaufen Bücher und Computer, die wir für unsere Arbeiten benötigen. Postboten suchen unsere Firma auf und bringen greifbare Briefe und Päckchen zu uns. Unsere Kunden und staatliches Personal kontaktieren uns und sprechen uns in unseren Firmenfunktionen an. Die erfundene Ordnung bewegt die materielle, objektive Welt, Dinge und Menschen. Es gibt StaatsanwältInnen und  PolizistInnen, die mit Schlagstöcken, Gefängnissschlüsseln und anderen objektiv-realen Gegenständen unsere Menschenrechte verteidigen müssen, damit diese ihre Kraft beibehalten. Menschen glauben an Menschenrechte und handeln und interagieren entsprechend – oder auch nicht. Die intersubjektive Welt ist mit der materiellen Welt zutiefst verwoben.
  • Unsere intersubjektive Realität steht außerdem in schier unauflöslicher Wechselwirkung mit unseren subjektiven Wünschen. Wir mögen zwar tief in uns hineinhorchen und unsere Herzen befragen, aber was rauskommt, ist nicht etwas Losgelöstes von der intersubjektiven Realität. Vielmehr ist „unser Herz ein Doppelagent“ (Harari), dessen Anweisungen von den Mythen und Legenden der Gesellschaft kommen. Die intersubjektive Welt ist mit unseren subjektiven Welten zutiefst verwoben.
  • Dass die Erfindungen der dritten Realität nicht so einfach als bloße Erfindungen akzeptiert und durchdrungen werden, hat zu guter Letzt genau damit zu tun, dass diese Erfindungen eben intersubjektiv sind. Der eigene Glaube oder die Abkehr davon ändert nicht viel und schon gar nicht sofort etwas an der dritten Realität. Es gibt noch viele andere Menschen, die für die Wirksamkeit der intersubjektiven Realität eintreten. Die intersubjektive Welt ist intersubjektiv und das einzelne Subjekt ist nur selten ein absoluter Diktator.

Bedeutung der dritten Realität

Und dennoch, dass, was hier mit dritter Realität bezeichnet wurde, ist das, was uns von anderen Lebewesen fundamental unterscheidet. Es gibt andere Lebewesen, die stärker sind als wir, größer, schneller, kräftiger, mutiger und anpassungsfähiger. Also was ist es, was uns zu HerrscherInnen der Welt werden ließ. Genau das, die Fähigkeit zur Ausbildung intersubjektiver Realitäten. Es ist also nicht die menschliche Sprache oder unser biologisch einzigartiger oppositioneller Daumen, auch nicht unser aufrechter Gang oder unsere nackte Haut, die uns zu einzigartigen ausdauerfähigen Dauerbrennern unter den Lebewesen macht; es ist die Fähigkeit zum Aufbau riesiger sozialer Ordnungssysteme aufgrund von Ideen und Überzeugungen.

Wir Menschen machen das ständig, erschaffen soziale Normen und reflektieren darüber, wir können kaum ohne in Gemeinschaft leben; davon zeugen z.B. soziale Gemeinschaften, Staaten, Kirchen, Geld oder Rechte generell. Es sind dies die Rechte, mit denen ihre Firma etwa Geld verdient, im Handelsregister eingetragen ist und auf deren Grundlage Verträge geschlossen werden oder auch einfach nur ein Paket geliefert wird: sie sind lediglich eine soziale Realität aufgrund von Interaktionen, die Vertrauen einfordern und schaffen. Aber es könnte auch alles ganz anders sein.

Zwischenfazit: Wir Menschen haben wie andere Lebewesen auch eine wahrnehmbare Umwelt (1. Realität: Außenwelt), wir können ihre Einflüsse spüren und entwickeln Emotionen und Gefühle (2. Realität: Innenwelt) und wir können uns über Dinge unterhalten, reflektieren und (Erzähl-)Welten erschaffen, die es außerhalb unserer Kommunikation nicht gibt (3. Realität: Soziale Fiktionen).

Und wenn wir auf so einzigartige Weise interagieren und uns Dinge ausdenken, die auf unser kommendes Denken, Fühlen und Handeln so großen Einfluss ausüben, liegt es auch nah, die Zukunft als solches in unsere Denk-, Fühl- und Reflexionsraum einzubeziehen. Das ist nicht selbstverständlich und sozialhistorisch noch nicht sehr alt; und wenn sich auch im Nachgang diese Tatsache als naheliegend ausnimmt, handelt es sich dennoch um eine soziale Errungenschaft von enormer Qualität.

b) Zukunft als Denk- und Reflexionskategorie

Ein Blick in die Geschichte lässt es so selbstverständlich wie erstaunlich erscheinen: Die Zukunft liegt in unseren Händen. Für uns postmoderne Menschen ist die Zukunft kein Zeit-Raum mehr, dessen Geschehnisse in „Gottes Hand“ liegen oder vorherbestimmt sind. Noch Viele im Gefolge Freuds betonten und interpretierten die Prägungen der Vergangenheit als so bedeutsam, dass zwischen Erklärungen und Entschuldigungen kaum unterschieden werden konnte.

Doch gilt heute stärker denn je zuvor, dass die Zukunft von uns gestaltet wird und im Zuge der Digitalen Transformation exponiert sich diese Annahme. Wir entwickeln zwar zunehmend Ängste, dass die Roboter und Künstlichen Intelligenzen sie uns aus den Händen reißen könnten, aber es zeigt sich durchaus auf dramatische Weise, dass das nicht die schlechteste Entwicklung sein muss – jedenfalls für unsere Nachkommen. Geht die Entwicklung tatsächlich in die Richtung, dass unser Glaube an die Prägungen der Vergangenheit abnimmt und die Vorstellung, die Zukunft ist offen, intensiver wirkt? Die Entwicklungen der Digitalen Transformation des Sozialen Lebens lassen Anzeichen erkennen.

Selbst der Tod ist nicht mehr sicher vor unseren Fähigkeiten.

Unsere Widersprüchlichkeit beim Denken über Zukunft 

Auch wenn wir die Zukunft in unseren Händen glauben, so ist sie in unserer Sprach- und Denkwelt dennoch widersprüchlich. Auf der einen Seite nehmen wir an, dass wir geprägt sind und unsere Erfahrungen unsere Zukunft (vorher-)bestimmen. Das Morgen als Konsequenz des Gestern, Historie als Vorhersagemöglichkeit, Historiker als Weissager. Wir glauben sehr häufig daran.

Auf der anderen Seite sprechen wir davon, dass die Zukunft offen sei, sozusagen direkt auf uns zukommt und wir diesen (Zeit-)Raum durchschreiten müssen. Die Zukunft als offener Raum. Wir durchschreiten ihn wie Museumsbesucher und können dabei entscheiden, wie wir ihn anschauen, wie lang, wie intensiv und damit die Zukunft gestaltbar ist. Daher das Konzept des Fortschritts.

  • Aber so bipolar sind die Vorstellungen von der Zukunft auch wieder nicht. Die Sache mit dem, was vor uns liegt, ist komplexer, geradewegs paradox. Es soll, wie kann es anders sein, Naturvölker geben, die Vergangenheit nicht „hinter sich liegend“ definieren, sondern als vor sich liegend? Um es kurz zu machen: Für sie ist die Vergangenheit sichtbar, weil gelebt und muss deshalb vor ihnen liegen, denn nur das ist für uns Menschen mit unseren Augen erkennbar. Die Zukunft liegt dann konsequent auch hinter ihnen? Sie winken hinter den Rücken über die Schulter ab, wenn sie auf die Zukunft verweisen. Unser Konzept von Fortschritt, das die Vergangenheit hinter sich lässt, ist das nicht so einfach begreifbar, geradewegs „rück-schrittlich“.
  • Mit dem Aus-Blick in die Zukunft hat es ebenso seine Bewandtnis. Visionen und damit die Bilder der eigenen Zukunft zu entwickeln, sind für einige der Anlass für einen dringenden Arztbesuch oder auch bloß eine kindische Spielerei. Beides verfehlt den Kern. In die Zukunft schauen ist ein mächtiges Instrument, Kategorien, Gradmesser und Ansatzpunkte für das gegenwärtige Handeln zu entwickeln, damit das getan wird, was wirklich anliegt. In die Zukunft schauen, ist entscheidungsvorbereitendes Handeln.

Dafür braucht es einerseits generell die Vorstellung, dass wir unserem Leben Gestalt geben können und andererseits, dass wir die einmal eingeschlagenen Wegen und getroffene Entscheidungen auch wieder korrigieren können. Das mag zwar seinen Preis haben, aber Ziel ist, das zu erhalten, was erstrebt wird.

Das erfordert zuweilen visionäre Kraft. Denn angesichts unserer sozialen Erfindungen von individuellen Prägungen und gesellschaftlichen Strukturen, ist der Ausblick in die Zukunft immer gegenwartsgebunden. Deshalb ist geschichtliche Erinnerung immer wieder vorzunehmen und ein Spiegel der Gegenwart.

Geschichte spiegelt Gegenwart, nicht Vergangenheit. 

Und so treffen intersubjektive Realitäten auf Visionen, die sich gegenseitig beeinflussen.

Und deshalb ist strategische Visionsarbeit überaus bedeutsam für die Gegenwart unserer Organisationen und Aktionen. Sie sind keine „großen Ziele“, sie sind auch nicht einfach nur Leitsterne, die fern funkeln und den vor uns liegenden Weg erhellen. Sie dienen nicht nur der Orientierung für Morgen, sondern vor allem des Hier und Jetzt. Das vielbeschworene in der Gegenwart agieren findet heute seinen Ausdruck auch in Interaktionen zum Gestern und Morgen.

  • Wer könnten wir noch sein?
  • Welches Leben könnten wir noch führen?
  • Was reizt uns in unserem Leben?
  • Welche Erfahrungen sind für uns hilfreich?

Wenn Sie Visionen haben, gehen Sie bitte nicht zum Arzt, sondern in den Dialog, schaffen Sie soziale Realitäten! Oder kommen Sie mit uns mit in einen eigenen Strategischen Dialog zu Ihrer Unternehmung und Gruppenaufgabe.

Schreiben Sie uns Ihre Erfahrungen und Anliegen, wir freuen uns!