Das Game-Pentagon der Transaktionsanalyse
oder organisationale Konfliktdynamiken mit dem „aufgepeppten“ Dramadreieck analysieren.
Einführung
Das Game-Pentagon (Spiele-Fünfeck) von Oswald Summerton ergänzt die Konfliktanalyse in Organisationen. Es handelt sich um ein wenig beachtetes, aber gleichwohl stimmiges und hilfreiches Konzept für die Beratungsarbeit in Organisationen. Dabei dient es keineswegs nur als Analysetool für Berater, sondern kann mitunter auch als Interventionstool, also für die explizite und transparente Beratungsarbeit mit den Klienten und Medianten genutzt werden.
Während das Dramadreieck verdeutlicht, aus welcher psychologischen Rolle und Grundhaltung heraus Personen in eskalierenden Situationen agieren (Verfolger – Retter – Opfer), zeigt das Game-Pentagon die sozialen Rollen auf, die in einem organisationalen Konfliktsystem besetzt werden (können).
Damit ergänzt das Game-Pentagon die Konzeptualisierung von psychologischen Spielen insbesondere in Organisationen.
Das Game-Pentagon zur Spielanalyse
Das, was die Transaktionsanalyse in ihrem Kontext als psychologisches Spiel definiert, lässt sich als Konfliktpotenzial und Konfliktsituation im Kontext von Mediation aufgreifen. Zwar ist eine Mediation nicht zu jedem Spielzeitpunkt indiziert, aber das Potenzial für Klärungs- und Mediaitonsgespräche besteht in jedem Falle.
Wendet man nun die Charakteristika eines (transaktionsanalytischen) Spiels nach der Spiele-Formel auf das Modell des Spiele-Fünfecks (Game Pentagon) an, dann zeigen sich die gewisse Überschneidungen beider Konzepte. Personen, die am Konflikt beteiligt sind, starten von einer bestimmten Position aus. Sie nehmen diese entsprechend ihrer persönlichen bzw. biografischen Präferenzen ein. Das erfolgt freilich nicht ohne Zutun der sonstigen Beteiligten. Ohne Kontext kommt es nie zum Spielen. Haben sich sozusagen die Einladenden und Eingeladenen zum Spielen kommunikativ zusammengefunden, kann sich die im Spiele-Konzept ausformulierte Konfliktdynamik entfalten. Die Beteiligten wechseln früher oder später Ihre Positionen (im Drama-Dreieck) und es kommt zur Spielauszahlung (i.S.d. Spiele-Formel).
Eine an das Dramadreieck angelehnte Perspektive formulierte Summerton und führte sie im Kontext der Transaktionsanalyse in die Debatte ein. Summerton konstruierte sein – im Gegensatz zum psychologisch-fundierten Dramadreieck eher – soziologisches Modell aus Beobachtungen konflikthafter Situationen in Organisationen.
Er schlug folgende „Platzhalter“ für die Konfliktbetrachtung, -analyse und die -planung von Interventionen vor und erweiterte damit das personelle Spektrum der Beteiligten und schuf auf diese Weise auch den Platz, um strukturelle und kulturelle Bedingungen der jeweiligen Organisation zu konzeptualisieren.
1. Der Sniper (Heckenschütze)
Sniper. Der Heckenschütze. Nicht gerade eine Rollenbeschreibung, die sich für die Kommunikation mit den Konfliktparteien in der Mediation eignet.
Gleichwohl – Ziel der Formulierung ist, Klarheit herzustellen. Das Pedant zum Verfolger im Dramadreieck bildet der Heckenschütze, der den Konflikt beim Namen nennt, Schuldige ausmacht und auch diese konkret benennt – und nicht selten damit bloßstellt. Ziel seiner Angriffe sind die Sündenböcke für die Misere, obschon sie nicht per se die Verantwortlichen sind, aber ausgeschlossen ist das auch nicht.
Bedeutsam ist, dass der Heckenschütze durch die Art und Weise seines Vorgehens die Konfliktdynamik anheizt. Ähnlich wie im Dramadreieck der Verfolger wählt der Heckenschütze eine Tonlage, die ein ruhiges Zuhören nur schwer erträglich machen. Vorwürfe, öffentliche Denunziationen und unverhohlenes Anschwärzen machen die konstruktiven Räume eng, Konfliktpotenziale besonnen zu bearbeiten.
2. Der Scapegoat (Sündenbock)
Der Sündenbock wird im Spiele-Fünfeck Scapegoat benannt. Diese Person (oder Gruppe) wird für das Problem verantwortlich gemacht – eben durch den Sniper (Heckenschützen). Mit der Ettiketierung der Verantwortlichkeit für die Misere wird zugleich ein Lösungsangebot veröffentlicht und den Umstehenden unterbreitet: Der Verantwortliche ist zugleich der Schuldige und mithin ist die Verurteilung und ggf. die Entfernung des Schuldigen auch die Lösung des Problems, die Erlösung von der Misere. Das ist die vom Sniper bewusst oder unbewusst entfaltete Sogwirkung.
Wo die Etikettierung der Schuld- und Opferrolle erfolgt ist, ist der Ruf nach dem Problemlöser nicht mehr weit.
3. Der Savior (Erlöser)
Savior heißt in der Übersetzung „Retter“ oder auch „Erlöser“.
Dem Erlöser wird die Aufgabe übertragen, wenn er sie sich nicht schon selbst genommen hat, das aufgetretene Problem zu lösen und die Beteiligten davon zu erlösen. Derartige Problemerlöser können Mitglieder der Organisation sein (Interne) oder auch nicht (Externe). Besonders bei Externen wird deutlich und sollte weniger verwundern, dass ihre Profession den Maßstab für die empfohlene Problemlösung darstellt: Anwälte empfehlen rechtliche Schritte, Mediatoren Mediation und Konflikttrainer Konflikttrainings.
Wie auch immer die Lösungsansätze lauten mögen, sie sind – auch infolge der Erwartungshaltungen der anderen Beteiligten – eher geeignet, Meinungen und Perspektiven zu bestätigen, denn zu erarbeiten. Sie stabilisieren eher das Etablierte als das sie die Konfliktsituation lernend aufgreifen und der Organisation als Lernphase zur Verfügung gestellt werden. Es mag zwar viel Wirbel um den Savior gemacht werden, aber letztlich geschieht im Spiele-Fünfeck nichts Wesentliches.
Diese Konfliktrollen in Organisationen erinnern an die Rollen im Dramadreieck. Summerton betont jedoch, dass es sich nicht um psychologische Rollen handelt, sondern um Positionen und Platzhalter, die in einem organisationalen Konflikt aufgrund der Organisation, der Strukturen und Prozesse, aufkommen.
Er erweitert diese Perspektive um folgende Mitspieler:
4. Spectators (Zuschauer)
Jede Theateraufführung wird erst dann vollständig, wenn jemand die Leistung der Protagonisten verfolgt und würdigt. Diese Aufgabe wird in der Regel von Zuschauern übernommen. Sie sind im klassischen Sinne nicht am Fortgang des Stücks beteiligt bzw. be-merken Ihren Einfluss kaum, mögen sie auch höchst interessiert sein.
Innerlich jedoch befriedigen die Zuschauer ihr Bedürfnis nach Stimulation, An- und Aufregung und die Möglichkeit, im Nachgang mit anderen Zuschauern und der überwiegenden Anzahl an Nichtanwesenden darüber zu reden (Klatsch und Tratsch). Nicht selten erfolgt all das in einer Atmosphäre der Gezwungenheit. Die Zuschauer „müssen“ den Konflikt der Streithähne aushalten, sich mit anhören und einen Umgang damit finden. Sie fühlen und denken glaubhaft, sie sind Opfer der Konfliktparteien, die mit ihrem Konflikt all die Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Kein Telefonat, kein Meeting, in dem es nicht um den Konflikt geht, auch wenn er nicht direkt angesprochen wird, so achten doch alle Beteiligten darauf, kein falsches Wort zu sagen.
Mögen die Umstehenden, die Team- und Organisationsmitglieder ähnlich den Zuschauern im Theater auch die Meinung pflegen, sie beobachten nur einen Konflikt, auf den sie keinen Einfluss haben, so sind sie doch höchst wirksam und einflussreich. Die sog. Bystander, das hat die Sozialpsychologie im 20. Jahrhundert zur Genüge festgestellt, sind wichtige Einflussfaktoren für die Frage, ob das Konfliktpotenzial der Arbeitsbeziehungen eskaliert und destruktiv wirkt oder reguliert und konstruktiv bleibt. Hier wie dort gilt: Raushalten ist nicht!
Deshalb ist es wichtig bei der Analyse von Konfliktdynamiken in Organisationen, die Umstehenden im Blick zu behalten.
Teammitglieder sind Konfliktbetroffene in jeder erdenklichen Hinsicht.
5. Stage Manager (Inspizient, Dirigent)
Dieser Platzhalter ist vorgesehen für jene Protagonisten, die dem organisationalen Spiel den Boden bereiten oder es starten, auch wenn sie zunächst nicht sichtbar sind. Sie setzen den Konflikt durch die vorgegebenen Rahmenbedingungen in Gang und überlassen vielleicht anderen, den Konflikt auszuagieren.
Der Stage Manager hält die Ressourcen bereit, aus denen der Konflikt entsteht, und auch, wie er gelöst werden könnte. Um die Bedeutung des Stage Managers zu erfassen, muss man den Blickwinkel auf seine vielfältigen und subtilen Einflüsse erweitern: Welche Schlüsselposition und -wirkeinflüsse hat er im Konflikt? Wen sieht er als die beteiligten Personen für den Ablauf des Dramas vor? Welche historischen, gesetzlichen oder unternehmenskulturellen Aspekte bilden die Folie für sein Handeln? Wie profitieren er und das System von der Unruhe, die er hineinbringt? Welchen Gewinn hat er davon, durch ein Machtwort oder die Zuteilung von Ressourcen den Konflikt zu regulieren?
Welches mentale Bild sich der Stage Manager von der konkreten Situation macht und auf welche mentalen Modelle und Konzepte diese stossen, beeinflussen den Entwicklung der konkreten sozialen und organisationalen Situation.
Das Game Pentagon in der Organisationsmediation
Wem das Dramadreieck in der Arbeit hilfreich war, den wird das Game Pentagon faszinieren.
Zwar vermag auch das Game Pentagon letztlich nur einen kleinen Ausschnitt aus der sozialen Wirklichkeit eines organisationalen Konflikts erfassen und abbilden (modellieren), aber schon viel mehr als das Dramadreieck und noch mehr als gar kein Modell.
Dabei ist besonders betonenswert, dass die Platzhalter im Game Pentagon soziologische Plätze in Organisationen darstellen, die in Konfliktsituationen besetzt werden (‚müssen‘) – und eben keine psychologische Rollen. Das mindert ein wenig die Gefahr der Psychologisierung und Personalisierung der Konfliktsituation, schließt sie aber nicht vollständig aus.
Den praktisch größten Wert hat m.E. das Game Pentagon in seiner Konzeptualisierung der „Umstehenden“ eines Konflikts. Sowohl Team-Mitglieder als auch Vorgesetzte und Kolleg*innen auf gleicher Ebene werden in das Modell der Konfliktdynamiken konzeptuell eingebaut. Sie sind nicht bloß Beobachter, auch wenn sie Zuschauer heißen!
Anders als das Dramadreieck verleitet das Game-Pentagon nicht zur Psychologisierung und Personalisierung des Konflikts. Vielmehr lenkt es die Blicke (des Mediators und der Medianten) auf den Kontext und generiert hilfreiche Fragen: Was sind die strukturellen Rahmenbedingungen in diesem Konflikt? Wie wird Konfliktpotenzial der Zusammenarbeit destruktiv entwickelt, statt konstruktiv genutzt? Wie geht das soziale System mit Spannungen und Engpässen um und organisiert Entlastung, indem einzelne Spannungen fokussiert und dynamisiert werden? Wie kommt es zur Auswahl des Sündenbocks? Wer profitiert davon, wer distanziert sich generell? (Auch hierbei besteht freilich die Gefahr der Etikettierung…nun mit den Platzhaltern des Game Pentagons.)
Zudem hilft das Game-Pentagon dem Mediator und Berater, seine eigene Rolle in der Kommunikation mit den Beteiligten zu reflektieren, zu diskutieren und zu klären. Selten ist ein Mediator nicht als Savior eingeführt worden.
[…] Beitrag von Dr. Sascha Weigel im INKOVEMA-Blog […]
Gut dargestellt in dem Beitrag. Wir nutzen das ja für die Weiterbildung „Coaching und Beratung mit systemischer Transaktionsanalyse“