Aufsatz: Was gesagt und gehört wird, wenn alle im Dramadreieck springen. 

Wie die Transaktionsanalyse (Konflikt-)Kommunikation modelliert

in: Konfliktdynamik 1/2023, S. 9-18

Dr. Sascha Weigel


Zusammenfassung

Der Beitrag stellt das Kommunikationsmodell der Transaktionsanalyse vor und erläutert die Vorzüge und Nachteile für das Konfliktmanagement, vor allem im Kontext von Mediationen. Es werden die drei Grundformen von Transaktionen – Komplementäre, Irritierende und Verdeckte Transaktionen – anhand konkreter Fallbeispiele vorgestellt und als Basiskonzepte für die zwei Prozessmodelle der Transaktionsanalyse aufbereitet: das Dramadreieck sowie die Psychologischen Spiele.

Auszüge

Einführung

Konflikte sind Kommunikationsprozesse, die aus unabgestimmten Problemlösungsideen und -versuchen der Parteien bestehen und deren kommunikative Kollusionen zur Eskalation führen (können). In einer Mediation geht es um die Bearbeitung eines Konfliktgeschehens, in dem die Kommunikationsbeiträge aufeinander abgestimmt werden – zunächst durch Entschleunigung und Unterbrechung von Konfliktlösungsideen. Letztlich soll die Mediation in eine gemeinsame, abgestimmte Entscheidung aller Parteien münden. Empfehlenswert für die Bearbeitung von Konflikten ist, die Vorstellung fallen zu lassen, es müsse ein Konflikt durch die Beteiligten bearbeitet werden, dieser müsse erhellt und ergründet werden, um ihn zu lösen, weil er wie ein Knoten im Beziehungsgeflecht wirke. Vielmehr erscheint es sinnvoll, die unabgestimmten Problemlösungsversuche als solche in der Mediation zu bearbeiten, statt sie als ein Konfliktgeschehen, an dem alle Seiten ihren Anteil tragen, zu deklarieren. Mit anderen Worten: Es gibt nicht den einen Konflikt, sondern je Partei eine Problemdefinition und ihre Problemlösungsversuche, die mit den Problemdefinitionen und -lösungsversuchen der anderen Partei(ein) kollidieren. Mediationen starten deshalb zu recht damit, dass sich die Parteien jeweils ins Bild setzen. Dieses „sich gegenseitig ins Bild setzen“ ist die Basis für gemeinsame Entscheidungen (Abschlussvereinbarung).

Die psychologische Schule der Transaktionsanalyse, die jeweils Wurzeln sowohl in tiefenpsychologischen als auch verhaltensorientierten  Verfahren hat, versteht sich gleichwohl als eine Strömung der Humanistischen Psychologie (dazu Schlegel u. Jucker 2011; Schlegel 1987). Für das Unterfangen einer Mediation stellt sie zahlreiche, unterstützende Konzepte zur Verfügung. Im folgenden Beitrag wird aus der psychologischen Schule der Transaktionsanalyse die Konzeption  zwischenmenschlicher Kommunikation vorgestellt. Dieses Modell zur Analyse von Transaktionen war letztlich auch Namensgeber der psychologischen Schule um Eric Berne, der ebenjene Transaktionsanalyse (als Schule) begründet hat….

In Konfliktsituationen kommt es ebenso wie in wie in Mediationen, in denen ebenjene Konflikte bearbeitet werden sollen, zuhauf zu irritierenden Transaktionen. Hier hilft die TA i.e.S. den Mediationspersonen z.B. dabei, Konfliktdynamiken zu identifizieren und sie grafisch darstellbar zu machen. Das hat mitunter nicht nur klärende, sondern auch entschleunigende Wirkung. Zudem werden auf diese Weise auch die beiderseits enttäuschten Erwartungen besprechbar gemacht. Zum Beispiel bietet eine irritierende Transaktion und die darin enthaltene formal-kommunikative Erwartungsenttäuschung („Du reagierst mit einem anderen Ichzustand als ich erwartet habe…“) die Möglichkeit, die sachlich-inhaltliche Erwartungshaltung anzusprechen. Nicht selten verbergen sich in diesen enttäuschten Erwartungen oftmals – auch unbewusste – Hoffnungen, Wünsche und Bedürfnisse, die, einmal erhellt und für alle klar benannt, für konkrete Lösungsansätze fruchtbar gemacht werden können.

Die Analyse irritierender Transaktionen kommt in der Konfliktanalyse eine enorme Bedeutung zu, vor allem zu Beginn von Konfliktbearbeitungsprozessen, weil sie direkt zu den interaktionellen Widersprüchen, den Streitthemen und Eskalationsstufen führt. Irritierende Transaktionen sind es zum Beispiel, die den sog. Switch (Ichzustandswechsel) im Kontext eines Psychologischen Spiels verdeutlichen sowie den Rollenwechsel im Dramadreieck: Scheinbar plötzlich, sozusagen „direkt nach dem Komma“, agiert eine Konfliktpartei nicht mehr in einer Verfolger-, sondern in einer Opferrolle („Lass’ mich in Frieden mit Deinen Bedenken und Sorgen um den Datenschutz, ich kann es nicht mehr ertragen!“)

Die zweite Kommunikationsregel der Transaktionsanalyse, die sich auf die irritierenden Transaktionen bezieht, lautet: Irritierende Transaktionen unterbrechen – infolge der überraschenden Ichzustandswahl – den momentanen Kommunikationsfluss (Themenwechsel, Pause, Abbruch) und leiten einen neuen Abschnitt im Kommunikationsfluss ein.

Bei irritierenden Transaktionen hat der Response eine besondere Stimulus-Funktion. In Konfliktsituationen etwa begründet diese „Stimulus-Funktion“ des Response die Sogwirkung, die es Konfliktbeteiligten so schwer macht, sich der eskalierenden Konfliktkommunikation zu entziehen. Es ist dieser Kampf um die (eigenen und fremden) Ichzustände, der die eskalierende Kommunikation verdeutlicht. Irritierende Transaktionen nötigen jeweils den Adressaten zu einer Neu-Orientierung in der Interaktion, deren Ergebnis sogleich mitgeteilt werden „muss“. Wer also in der Konfliktauseinandersetzung kommunikativ die Oberhand behält, indem er den anderen zu einem von ihm bestimmten Ichzustand „überredet“, lässt sich eben anhand der irritierenden Transaktionen bzw. konkreter anhand der funktionalen Ichzustände erkennen, die letztlich anvisiert und aktiviert werden.

D. h. die Beteiligten entscheiden (nach kurzzeitiger Irritation), wie sie auf das Angebot zu einem eigenen Ichzustandswechsel bzw. auf die Tatsache eines überraschenden fremden Ichzustandswechsels reagieren (wollen). Die Irritation und Notwendigkeit der Neu-Orientierung besagt dabei nichts über die Werthaltig- oder Vorzugswürdigkeit von irritierenden Transaktionen. Denn sowohl eine Eskalation eines Konflikts als auch dessen Deeskalation ist regelmäßig von ichzustandsbezogenen Irritationen begleitet.

So werden auch im Wege der Beratung sowie der mediativen Gesprächsführung Ichzustandswechsel anvisiert, sollen Erkenntnis- und Klärungsprozesse eintreten, die im Kontext der Ichzustandsanalyse in der Regel darauf abzielen, den Erwachsenen-Ichzustand zu aktivieren und die widerständischen, rebellischen, überangepassten oder auch dominanten und überfürsorglichen Verhaltensmodi zu beenden.

Irritationen sind also nicht per se eskalierend, sondern können auch Folge einer konstruktiven Intervention sein. Sie können auch einen produktiven Perspektivwechsel bei einer Konfliktpartei ankündigen.

Im Ganzen besehen zeigen sich irritierende Transaktionen als die wichtigen Wegmarkierungen bei einer – wirksamen – Konfliktbearbeitung.

vollständiges Literaturverzeichnis zum Aufsatz:

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