Aufsatz: Organisationale Ambidextrie und Organisationsmediation

in: Konfliktdynamik 03/2021, S. 211 – 218

Dr. Sascha Weigel

Auszug…

„…Kritische Würdigung

Die Ambidextrie-Forschung bietet ein Verständnis für den Veränderungsdruck und einen linear abgeleiteten, wenig überraschenden Lösungsansatz für Organisationen und Unternehmen. 

Macht halt beides, wenn’s was werden soll! 

Für das Verständnis der wirtschaftlichen Gegenwart von Unternehmungen werden die Veränderungsnöte durch die hinlänglich bekannten Umfeldveränderungen  in den Blick genommen, vor allem die Globalisierungsprozesse und ihre Rückführung, der Digitalisierungstendenzen sowie der kürzlich akut werdenden Viruspandemie. Für all diese Phänomene bedurfte es keiner expliziten „Ambidextrie-Forschung“. Nüchtern betrachtet, erscheint der Lösungsansatz weder neuartig, noch tiefgründig, obschon die Analyse selbst bestechend einfach und zutreffend ist.

Die Idee, die Zukunft beim Wirtschaften und dessen Organisation in den Blick zu behalten, ist keineswegs erst jüngst mit der Ambidextrie-Forschung aufkommen, sondern stellt den Kern kapitalistischer Wirtschaftsweise dar. Aus vorhandenem Geld Kapital machen, Organisationsstrukturen und -prozesse im Heute investierend aufbauen, um Morgen ein Mehr zu ernten, ist seit dem großen Wandel menschlichen Wirtschaftens in der Frühen Neuzeit existent und virulent. Wirtschaften nicht mehr als stetigen Kreislauf des Wiederkehrenden zu erleben, der freilich optimiert werden kann, sondern heute bereits Ressourcen dafür einzusetzen, die Morgen einen Mehrwert produzieren oder kurz, gesellschaftliches Wirtschaften nicht mehr als Nullsummen-, sondern als Mehrwertspiel realisieren. Um die strategische Notwendigkeit zu beschreiben, die organisationale und personelle Aufmerksamkeit auf zwei unterschiedliche Foki gleichzeitig zu richten mit einer biologischen Analogie zu begründen, erscheint angesichts dieses fundamentalen Wandels etwas hinkend. Bestenfalls. Zum einen hinkt der Vergleich in der Sache, denn Beidhändigkeit ist eben nicht Gleichzeitigkeit. Und zudem kommt, dass biologische Beidhändigkeit gerade deshalb etwas Besonderes ist, weil beide, also materiell unterschiedliche Gliedmaßen das Gleiche in gleicher Qualität ausführen sollen, während für Organisationen es eben darum nicht geht. Sondern hier soll in Gleichzeitigkeit Unterschiedliches vollführt werden. Und diese unterschiedlichen Modi werden einerseits – und zwar bei Gleichzeitigkeit – von unterschiedlichen Personen, Teams, Abteilungen und Bereichen ausgeführt, so dass die Ambidextrie-Idee schlicht als fancy beschriebene Idee der Arbeitsteilung erscheint. Oder aber, namentlich bei der „sequenziellen Ambidextrie“ sollen bzw. können beide Modi nacheinander geschaltet werden, was letztlich die Kernanalyse der Ambidextrie-Forschung, die Gleichzeitigkeit, konterkariert. 

Organisationale Ambidextrie und organisationale Konfliktbearbeitung

Die Ambidextrieanforderung an eine Organisation schlägt sich auch in der Herausforderung der Organisation nieder, konstruktiv mit den eigenen Konfliktpotenzialen umzugehen. Mit dem gewandelten Konfliktverständnis, das die Eskalationen nicht per se die organisationale Maschinerie bemakelt wird (Gefahr für Exploitation-Modus), sondern in Konfliktpotenzialen auch organisationale Veränderungs- und Innovationspotenziale aufscheinen können, die verstanden und genutzt werden „sollten“ (Aufforderung zum Explore-Modus), fordert den ambidextriebewussten Umgang mit diesen Konfliktpotenzialen heraus.

Dafür benötigt werden Verfahren, die dieses Spannungsfeld beachten können und entsprechende Vorgehensweisen anbieten. Das bedeutet, dass es Verfahren bedarf, die nicht nur den Konflikt als Makel sehen und beseitigen können, so z.B. das rechtsorientierte Verfahren, das auf Ausgleich gerichtet ist. Es bedarf dafür vielmehr Verfahren, die auch Transformation und organisationale Entwicklung als Zielmarke definieren und nicht nur als Nebeneffekte akzeptieren. Hier bieten sich Mediation und andere konsensuale Streitbeilegungsmethoden an. 

Wandel im Konfliktverständnis

Wesentlich für den Wandel des Konfliktverständnisses ist im Arbeits- und Wirtschaftskontext, dass eine konfliktäre Arbeitsbeziehung nicht sogleich ein Makel darstellt, produktionsbehindernd, produktgefährdend, als Organisations- und Führungsmakel zu deklarieren, sondern dass die durch den Konflikt offengelegten Perspektiven, Deutungs- und Definitionschemata organisational aufgenommen und entsprechend der strategischen Ausrichtung genutzt werden, um mit ihnen konstruktive Verständnis- und Lösungsansätze zu kreieren. 

Soweit Organisationen dem (Selbst-)Bild anhängen, dass sie einer gut geölten Maschine gleichen wollen, aktivieren sie den Exploitation-Modus und verstehen Konflikteskalationen als Gefahr für Effizienz und „Reibungslosigkeit“. Erst mit einem neugierigen Blick für das Unbekannte und Übersehene, gepaart mit der Bereitschaft, das Bestehende über den Haufen zu werfen, werden explorierende Aktivitäten freigesetzt und der Konflikt als konstruktive Aufforderung interpretiert. 

Konflikte sind – wenn auch möglicherweise nur in einem idealisierten Managementmodus, der von Innovationsnöten getrieben ist, nicht mehr ausschließlich der „Sand im organisationalen Getriebe“ oder das „Salz in der zwischenmenschlichen Suppe“, sondern möglicherweise der „Stein des Anstoßes“ für die erhoffte und notwendige Innovation.

Wandel in der Konfliktbearbeitung

…“

vollständiges Literaturverzeichnis zum Aufsatz:

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