Roundup-Post: Veränderter Umgang mit Konflikten?
8 Einschätzungen von professionellen Konfliktmanagern.
Wir haben Wissenschaftler, Berater und Mediatoren nach Ihren professionellen Erfahrungen und Forschungsergebnissen gefragt – und höchst unterschiedliche Ergebnisse erhalten.
Erneut haben wir uns an ausgebildete Mediatoren, Rechtsanwälte, Professoren und Konfliktberater gewandt. Thema der Befragung war dieses Mal unser Umgang mit Konflikten in Organisationen und als Individuen, im Gesellschaftlichen wie im Privaten.
Hierzu haben wir den Experten folgende zwei Fragen gestellt, die sie kurz und knapp beantworten mussten:
Hat sich der (gesellschaftliche) Umgang mit Konflikten Ihrer Erfahrung nach – im Privatleben bzw. in Organisationen – spürbar geändert? Wenn ja, wie?
Herausgekommen sind interessante Antworten, die das Thema in unterschiedlichen (beruflichen) Kontexten und aus verschiedenen Blickwinkeln beleuchten. Wir waren selber überrascht über die Vielfalt der Einschätzungen!
Aus den Antworten wird in der Gesamtschau ziemlich deutlich: Weder hat sich gar nichts geändert noch ist „Alles super“. Wir agieren in allen Kontexten und Arbeitsfeldern, sowohl im konkret-individuellen, persönlichen Lebensbereich als auch in abstrakt-generellen, gesellschaftlich-relevanten Regelungsatmosphären höchst differenziert und widersprüchlich, ringen um Ausgleich und Differenzierung zugleich und machen eins insgesamt deutlich: Konflikte sind uns nicht egal, unser Umgang mit ihnen höchst bedeutsam und für unser privates und gesellschaftliches Lebensglück relevant.
(Die optischen Hervorhebungen stammen von INKOVEMA.)
1. Rolf Balling
Lehrtrainer, Supervisor, Management-Coach und Berater von Organisationen, Gründer von Professio.
In Organisationen beherrscht inzwischen die seit Jahrzehnten verkündete Sichtweise, dass Konflikte nicht peinlich sind und sogar das Potenzial zu weiterführenden Lösungen in sich tragen, die Standard-Kommunikation.
Also redet man – und zeigt sich karrierefördernd – durchweg kooperativ und konflikt-konstruktiv, einschließlich der geäußerten Bereitschaft zur Mediation.
Allerdings ist damit die Gefahr entstanden, dass eine Mediation als taktisches Manöver in der eigenen organisationalen Positionierung eingesetzt wird. Und dies in der Hoffnung, gleichzeitig eine vorbildliche Kooperationsbereitschaft zu zeigen und – eher verdeckt – die Erfüllung der eigenen, bonusrelevanten Ziele voran zu treiben.Für einen Mediator – eine Mediatorin – wird es damit zunehmend wichtiger, sich nicht von einer deklamierten Kooperationsbereitschaft blenden zu lassen, sondern nüchtern und wachsam, Schritt für Schritt, in die Zone zu steuern, wo eine echte Auseinandersetzung – mit offenem Visier – ihre Eigendynamik entfalten kann.
2. Bertine Kessel
Geschäftsführerin, Coach, Supervisorin, Lehrtrainerin für Transaktionsanalyse
Nein. Nach wie vor erlebe ich in Organisationen, dass Konflikte entstehen, weil sie vermieden werden. Die wenigsten Menschen haben innere Bilder davon, dass in Konflikt gehen Entwicklung ermöglicht und dass es gut ausgehen kann, selbst wenn es zu Trennungen kommt. Menschen erleben dann völlig überraschend beschämende Degradierungen oder Trennungen, ohne dass vorher jemand mit ihnen in Konflikt gegangen ist über gewünschte Veränderungen – Leistungsbeurteilungen waren in der Regel gut.
Augenscheinlich fehlt Entscheidern der Mut, ehrlich in Konflikt über veränderte Rollenerwartungen zu gehen. Für Betroffene erschwert das die Verarbeitung, da der Konflikt nicht verstehbar wird. Ich wünsche mir mehr Mut zum offenen Konflikt!
Als Berater-innen können wir durch unsere mentalen Modelle die Entwicklung dieses Muts bei Entscheidern unterstützen. Anselm Grün nennt diesen Mut auch Tapferkeit: Menschen Schweres zumuten und ihnen dabei oder danach in die Augen sehen zu können.
3. Jutta Kreyenberg
Psychologin, Lehrtrainerin für Transaktionsanalyse, Fachbuchautorin
Einerseits erwartet man ja, durch agilere Rollen weniger Hierarchiekonflikte zu verursachen, andererseits werden die Anforderungen in einer schnelllebigen Zeit immer höher, Führungskräfte haben weniger Zeit. Oft haben sich dann Konflikte festgefahren, werden nicht gelöst und schwelen weiter.
Andererseits ergeben sich oft auch neue Chancen bei der Neustrukturierung von Abteilungen – ich erlebe, dass dann doch oft auch Unternehmen gleich zu Beginn mit Teambuilding Konflikten vorbeugen, Rollen klären, Führungskräfte sehr viel konstruktiver und kooperationsorientierter geschult sind als früher.
4. Prof. Dr. Caroline Meller-Hannich
Rechtswissenschaftlerin, Professorin für Bürgerliches Recht, Zivilprozess- und Handelsrecht an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg!
Neben die Konfliktlösung in der staatlichen Justiz sind immer stärker die Schiedsgerichtsbarkeit und verschiedene Formen Alternativer Streitbeilegung getreten. Hinzu kommen aber auch diverse Systeme des Kundenbeschwerdemanagements und „peer to peer“-Bewertungssysteme etwa im Online-Handel.
Die staatliche Justiz und auch die Schiedsgerichtsbarkeit bieten eine am Gesetz und an einem relativ engen Streitgegenstand orientierte Konfliktentscheidung durch Erkenntnis, welcher Konfliktbeteiligte im Recht ist.
Die diversen Alternativen Streitbeilegungsverfahren stellen immerhin ein nach bestimmten Gesichtspunkten von Recht und Fairness geordnetes Verfahren der Konfliktbeilegung zur Verfügung.
Beim Beschwerdemanagementund den Bewertungssystemen geht es in der Regel gar nicht mehr um die Frage, wer auf welchem Weg Recht bekommt.
Konflikte können natürlich nicht nur durch Recht, sondern auch durch Geld, Kulanz, nach den Regeln von (wirtschaftlicher) Überlegenheit oder durch Vergrößerung des Konflikts hin auf die Interessen der Beteiligten „gelöst“ werden.
Das Ziel sollte ein dem spezifischen Einzelkonflikt entsprechender Weg zum Umgang mit Konflikten sein. Die staatliche Justiz sollte dabei ihr fremde Formen der Konfliktlösung nicht als Ausgleich eigener Schwächen akzeptieren, sondern sich dem Wettbewerb stellen und durch größere Spezialisierung, Bürgernähe und moderne Kommunikation Akzeptanz zurückgewinnen. Einem Rechtsstaat steht freilich die Konfliktlösung durch Recht und Gesetz gut zu Gesicht.
5. Tilman Metzger
lizensierter Mediator und Ausbilder (BM®), Gründungsmitglied des Bundesverbandes Mediation
Ja, auch auf gesellschaftlicher Ebene. Die Gemeinsamkeit von 1933 und 2017 ist, dass es zahlreichen (möchtegern-) Autokraten gibt. Der Unterschied: Es gibt an vielen Orten heute eine streitbare, demokratische Bürgerkultur.
6. Günther Mohr
Psychologe, Volkswirt, Coach und Organisationsberater, Lehrtrainer für Transaktionsanalyse, Fachbuchautor
Also der Umgang mit Konflikten hat sich insofern in der westlich geprägten Kultur geändert, dass die Erwartungen von political correctness stark verbreitet sind und so offene konflikthafte Verhaltensweisen meist verpönt sind. Ich bin mir über die Auswirkungen nicht ganz im Klaren, weil die Emotionen, die durch äussere Situationen und innere Bewertungen der Menschen, ausgelöst werden, dennoch weiter da sind. Vielleicht fliesst es in sublimere Formen von äusseren Konflikten hinein oder auch in innere Diskrepanzen, die sich etwa in der hohen Burn-out-Rate zeigen. Der Trend zur Verinnerlichung von Konflikten wird auch durch die mentale Veränderung, dass der Einzelne, das Individuum verantwortlich ist und immer mehr als Selbst-Optimierer erwartet wird, unterstützt.
Der Populismusmit seiner Wieder-Auslagerung der Konfliktgrenze aus der eigenen Person in das Feld zu anderen Gruppen (Migranten, Andersgläubige, Politiker, Presse,…) ist in diesem Zusammenhang ein interessanter, aber für viele leider auch verführerischer Lösungsweg. Er wehrt sich aber dagegen, dass Konflikte in der Regel eine ungelöste innerpsychologische Seite haben.
7. Bernd Schmid
Erziehungswissenschaftler, Träger des Eric-Berne-Gedächtnispreis (2007), Life Achievement Award der Weiterbildungsbranche (2014).
Oh je, wie soll man Veränderungen in der eigenen Wirklichkeitsblase von soziologisch relevanten unterscheiden? Wir leben nach Jahren der Investitionen in Felder und Beziehungen privat wie auch beruflich in etablierten Verhältnissen und bewährten Beziehungen. Sowohl in Organisationen als auch privat hat sich verändert, dass wir Dinge mit Bedacht angehen und erst nach stufenweiser Bewährung darauf setzen.
Auch bei Konflikten halten wir den Ball flach, lassen ihnen nicht unkontrolliert Aufmerksamkeit zukommen. Lieber mal was stehen lassen oder hinnehmen als bei allem anspringen und klären. Aber wir sind bezüglich bedeutsamen Anderen auch wählerischer geworden. Wo die Passung zu schwierig ist, meiden wir weitere Zusammenarbeit, verwenden unsere Kraft lieber dort, wo etwas Wertvolles nachhaltig zu erreichen ist. Wenn dabei mit vertretbarem Aufwand konstruktiv zu beantwortende Konflikte zu lösen sind, gerne. Da überwinden wir auch Trägheit und Feigheit vor dem Partner. Wenn nicht, nehmen eben die Energie raus und machen das auch bei allem Respekt deutlich.
8. Prof. Dr. Reimund Schmidt-De Caluwe
Rechtswissenschaftler, Professor für Öffentliches Recht und Sozialrecht an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Zudem ein genauer Beobachter alltäglicher Situationen.
Nimmt man den Zeitraum der letzten 2 oder 3 Dekaden, so lassen sich m.E. doch einige tendenzielle Veränderungen des Umgangs mit Konflikten erkennen. Einerseits werden herkömmliche Hierarchien nicht mehr so selbstverständlich akzeptiert. Dies gilt sowohl innerhalb der Familienstrukturen als auch mit Blick auf größere Organisationseinheiten bis hin zum Verhältnis des Einzelnen zum Staat und seiner Verwaltung.
Gerade etwa im Bereich des Sozialrechts werden zunehmend eigene Rechte als solche wahrgenommen und auch eingefordert. Im Umgang mit der Verwaltung wird zudem verstärkt auf Partizipation bei individuell oder gesellschaftlich wichtigen Entscheidungen gedrängt. Hier scheint sich ein neues individuellesund darauf aufbauend auch zivilgesellschaftliches Selbstverständnis zu entwickeln.
Das Recht reagiert ambivalent auf diese Entwicklung. Einerseits anerkennend, indem mit Beteiligungsrechten Entscheidungsverfahren für Bürgerinteressen geöffnet werden, wie etwa im Umwelt- und Infrastrukturbereich. Andererseits abwehrend, indem feste Rechtspositionen des Einzelnen in Ermessensspielräume der Verwaltung verwandelt werden, wie z.B. im „Hartz 4-Bereich“.
Aber das Recht ist nur eine der Rahmenbedingungen für Konfliktbewältigungen. Soweit es, wie in der Regel, Spielräume belässt, kommt es darauf an, eine Kultur der Konfliktlösungen mit selbstbewußten und informierten Akteuren anzustreben. Hier sehe ich unsere Gesellschaft trotz aller Unkenrufe auf einem guten Weg.
Vielen Dank an die teilnehmenden Wissenschaftler, Berater und Mediatoren!
Was meinen Sie, verehrte Leser und Leserinnen, zum Umgang mit Konflikten? Teilen Sie den Optimismus, der großteils in den Antworten zum Ausdruck kam?
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Das Team von INKOVEMA.
In eigener Sache:
Den Optimismus teile ich im privaten Bereich. Beruflich trifft der Wunsch nach Mut zum offenen Konflikt zu.
Ich teile den Optimismus teilweise, teilweise aber auch nicht.
Ich bemerke im beruflichen Umfeld, dass sich mehr und mehr der kooperative Gedanke gegen einen kompetitiven durchzusetzten scheint (mal ganz vorsichtig ausgedrückt.) Allerdings scheint seinem Durchbruch noch eine gehörige Portion Scheu, um nicht zu sagen Angst entgegen zu stehen. Zu tief scheinen wir verinnerlicht zu haben, dass Konflikte „gewonnen“ werden müssen, und weniger gelöst. Dass wir auf keinen Fall als unterlegen, schwach oder geschlagenen aus einem Konflikt hervorgehen dürfen. Und Konzessionen schwächen uns scheinbar. Denn sie machen die Wehranlagen, die wir aus unseren Positionen errichtet haben, durchlässig. Damit angreifbar. Uns fällt die Aufgabe zu, Vertrauen zu schaffen, in die Prozesse und Methoden, aber vor allem auch in die Konfliktkompetenzen der Beteiligten, die ja unzweifelhaft in den allermeisten von uns schlummern.
Was mich mit Sorge erfüllt ist der Ton und der Umgang mit Meinungsverschiedenheiten, wie sie in den sog. sozialen Netzen zu beobachten ist. Ich tröste mich mit dem Gedanken, dass wir uns hier so verhalten, wie wir das in der (vermeintlichen) Anonymität im Straßenverkehr von einander gewohnt sind. Das Problem ist: Mein Fluchen und Schmipfen im Auto hören die Gemeinten nicht. Gott sei Dank, denke ich mir. Anders im Netz. Hier wird unser Umgang miteinander für alle nachlesbar. Und meine Hoffnung ist, dass wir uns von dem was wir dort oft lesen müssen, abschrecken lassen – und nicht abstumpfen und es uns nicht schleichend zum Vorbild wird.
Herzlich
Philip Gass
Vielen Dank für diese Einsichten, die mir durchaus plausibel erscheinen. Gerade der erste Teil Ihres Kommentars zum Spannungsfeld von kooperativen und kompetitiven Vorgehensweisen war erhellend. Mir scheint – vor allem im wirtschaftlichen Kontext – dass ein kompetitives Vorgehen zunehmend weniger beansprucht wird, weil die Kosten schlichtweg zu hoch sind: Wieder ist ein Kunde oder Geschäftspartner verloren oder geht verloren, die Probleme bleiben bestehen und falls die „Schlacht gewonnen“ wurde, so gilt das keinesfalls als Absicherung des eigenen wirtschaftlichen Überlebens. Auch wenn keine direkten Kausalitäten bestehen mögen oder pauschalisiert werden können: Kooperation, Netzwerkorientierung und kluges Investment sind mittel- und langfristig einfach ergiebiger. Die aktuellen Probleme können nicht im Gegeneinander gelöst werden, sondern bedürfen der Perspektivenvielfalt. Wer eine gute Idee braucht, braucht viele Ideen! Für das Konfliktmanagement bedeutet das vor allem die Fähigkeit zum Dialog, statt zur Diskussion, zum Austausch statt zum verbalen Einpeitschen, zur Bereitschaft, sich beeinflussen zu lassen als andere zu erziehen.