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Mediation im Feld Gesundheit und Krankheit
Mediation im Spannungsfeld der Kranken, Angehörigen, Helfer und Institutionen
Ko-Autorenschaft: Dr. Heinz Pilartz und Dr. Sascha Weigel
Krankheit, chronische Krankheit zumal, ist an sich schon bedauerlich genug, aber flammen zudem noch Konflikte auf, ist das Maß des Erträglichen für die Beteiligten schnell erreicht. Dabei kann ja Mediation, ein Kommunikationsverfahren zur Bearbeitung von Konflikten, gegen die Krankheit selbst nichts ausrichten! Vielmehr braucht es gute Ärztinnen und Ärzte sowie Medikamente, um die Krankheit zu bekämpfen. Was hat Mediation überhaupt im Umfeld von Krankheit und Gesundheit zu suchen?!
Doch wer in Gesundheitsinstitutionen arbeitet und Krankheiten bekämpft und Betroffene pflegt und mit Beteiligten arbeitet bzw. selbst unmittelbar oder mittelbar mit einer schweren chronischen Krankheit belastet ist, dem fallen sofort die kleinen und großen Konfliktpotenziale auf, die mit einer Krankheit einhergehen – oder besser daherkommen und Aufmerksamkeit fordern!
Im Folgenden geben wir einen Überblick über die unterschiedlich auflodernden Konfliktpotenziale und Anwendungspotenziale von Mediation im Feld Krankheit und Gesundheit. Ihnen allen liegen praktische Erlebnisse, direkte und indirekte Erfahrungen zugrunde, die wir zum einen als Arzt, andererseits als Jurist gesammelt haben und die in unsere Arbeit als Mediatoren einfließen.
Ausgangspunkt und Zielrichtung von Mediation aus Anlass von Krankheit ist, Konfliktpotenziale in den Blick zu nehmen und die vorhandenen Kräfte der individuellen Genesung sowie dem sozialen Beziehungsgeflecht zukommen zu lassen. Denn beide bedingen einander.
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1. Krankheit ist eine höchstpersönliche Angelegenheit – mit höchst öffentlichen Wirkungen
Krankheit ist höchst persönlich und privat, gleichzeitig wirkt sich Krankheit öffentlich aus.
Zwar erleiden nur die direkt Betroffenen die Krankheit: Sie sind die Kranken, sie ertragen die Schmerzen, bekommen die Medikamente verabreicht und müssen mit den biochemischen Konsequenzen leben, insbesondere den Nebenwirkungen. Und dennoch wirkt sich dieses Erleiden und Ertragen auch auf Umstehende aus – und keineswegs nur die Ärztinnen und Pfleger, sondern auch die Familienmitglieder, Freunde, Arbeitskolleginnen und Vorgesetzten. Sie machen sich Sorgen, fiebern mit, planen um, möchten helfen und unterstützen – und können doch nur beistehen. Aber immerhin. Krankheit wirft Pläne um, zerstört Wünsche, Hoffnungen und Sehnsüchte, ruft neue wach und fordert das gesamte soziale Netzwerk, die Familien, die Freunde und die Firmen heraus.
Mit Abstand betrachtet wird deutlich, dass aus den unterschiedlichen Positionen heraus verschiedene Bedürfnisse entstehen und befriedigt werden wollen. Durch eine aufkommende, dauerhafte oder sogar chronische Krankheit bleibt nichts mehr wie es vorher war. Und die sozialen Spannungen, Konfliktpotenziale und bestehenden Vereinbarungen und Kompromisse, die ohnehin bestanden, müssen erneuert und auf eine neue Grundlage gestellt werden. Widersprüche treten wieder zutage, Geklärtes fällt zurück und erscheint wieder unklar und die Situation als Chance sehen – das ist zunächst kaum möglich.
Was es bedarf, ist ein Gesprächsforum, das sich dieser komplexen sozialen Situation im Angesicht der individuellen Krankheit annimmt und die Konfliktpotenziale und Klärungsbedarfe Raum gewährt. Mediation erscheint hier als Mittel der Wahl.
2. Krankheit krempelt Gewohnheiten um
Schwere, dauerhafte Krankheiten ziehen den etablierten Rollenmustern den Boden unter den Füssen weg. Innerhalb der Familie, aber auch innerhalb der Firma und am Arbeitsplatz kommt es zu verschiedenen Vakua. Rollen werden nicht mehr ausgefüllt, müssen neu besetzt werden, Verantwortlichkeiten, aber auch Privilegien müssen neu verteilt werden. Gerechtigkeit wird zu einem enormen Gesprächsthema und zum Anlass, vorhandene Konfliktpotenziale zu eskalieren.
3. Der Umgang mit Gesundheitsvorsorge und Krankheitsverläufen ist ein zwischenmenschliches Pulverfass
Krankheit hat stets eine soziale Vorgeschichte. Sie bricht zwar subjektiv in ein Leben ein, aber sie wird zum Anlass, die Vergangenheit neu zu ordnen. Verantwortung und Schuld stehen meist schon vor der Tür, sobald der Kranke das Bett hüten muss.
Freilich, hier gibt es Abstufungen. Der unterschiedliche Umgang mit Krankheiten, mag mitunter für Kalauer und Gelächter sorgen („Männerschnupfen“), aber lustig bleibt das nicht lange und schon gar nicht immer, wenn es chronisch oder tatsächlich lebensbedrohlich wird.
Und nach wie vor gilt: Männer gehen in der Regel selten und viel zu spät zum Arzt. Vorsorge ist noch kein Raum, der auf männliche Anwesenheit zählen kann. Ähnlich unterbelichtet ist die Einflugschneise Ernährung und Bewegung, auch wenn sich hier viel getan hat in den letzten Jahren. Dennoch, die dadurch etablierten Konfliktpotenziale treten erst auf den sozialen Kommunikationsplan, wenn die Krankheit als Konsequenz erscheint. Dann sind Eskalationen nicht selten und die Konflikte stören das soziale Miteinander sowie die individuelle Genesung.
4. Krankheiten provozieren Opferverhalten
Wer schwer, chronisch und dann auch plötzlich erkrankt, fühlt sich oftmals als Opfer. Chronische, tödliche und plötzliche Krankheit ist schwer zu akzeptieren. Hochemotionale Betroffene sind geneigt, Opferverhalten zu etablieren, auch weil so viele Rettungsbemühungen und auch vermeintliche Verfolgerinformationen auftauchen. Wir sind heute alle psychologisch informiert und nicht selten esoterisch verführt. Wie oft werden Kranke auch als Schuldige behandelt?! Die Dicken werden zu Faulen und die Krankheit zur Strafe. Des Marathoni Herzinfarkt wird dann zur Anklage stilisiert, erst recht wenn parallel die Karriereleiter raufgeklettert wurde.
5. Krankheiten provozieren Verfolger-Verhalten
Krankheiten eignen sich hervorragend, Verfolgerverhalten zu rechtfertigen. Die Krankheit wird als Strafe des Körpers, der Biologie, der Natur selbst interpretiert, die das Unnatürliche, fehlerhaft Kultivierte zurechtrücken soll – aber der Kranke kommt so stur und eigensinnig daher. Vermeintlich stabile Sozialbeziehungen entpuppen sich im Angesicht einer schweren, tödlichen Krankheit als Verzweiflungsstationen, die neu sortiert werden müssen. Die Krankheit lässt niemanden kalt und unberührt.
6. Krankheiten provozieren Retter-Verhalten
Und dennoch – die Krankheit stärkt auch die Gefühle der Zusammengehörigkeit und sozialen, liebenden Verbundenheit. Nicht nur die Familien und Freunde rücken enger zusammen, auch die Mitarbeiter*innen in den Gesundheitsorganisationen (Krankenhäuser, Versicherungen etc.) sind um Hilfe bemüht. Und die Gefahr, zu viel Verantwortung auf sich zu nehmen, sich aufzuopfern, um den Kranken vermeintlich zu entlasten, ist groß. Retterverhalten ist in der Umgebung von Kranken zu Hause. Deshalb sind Enttäuschungen in den professionellen Organisationen, in denen Kranke versorgt werden, so weit verbreitet. Das hat beispielsweise enormen Einfluss auf das organisationale Kommunikations- und Konfliktverhalten und prägt damit die Organisationskultur von Krankenhäusern und Rehabilitationseinrichtungen.
7. Krankheiten fordern zunehmend mehr interkulturelle Kompetenzen
Zunehmen wird auch in Deutschland die interkulturelle Zusammensetzung sowohl in sozialen Lebensverbänden (Familie, Freunde etc), als auch in den entsprechenden Organisationen zur Betreuung und Versorgung von Kranken. Mit Krankheit und Tod wird jedoch höchst unterschiedlich in den verschiedenen Kulturen und Religionen umgegangen.
Diese Unterschiede sind sehr weitreichend und müssen bei der ärztlichen Behandlung von Krankheit, aber auch im Alltagsmodus der Beteiligten beachtet werden. Auf diesem Feld sind alle Lernende.
8. Krankheit fordert uns alle
Das sind nur einige Punkte von vielen für den sozialen Umgang mit Konfliktpotenzialen im Kontext von Krankheit und Gesundheit. Vieles, auch Wesentliches muss hier offen bleiben. Dennoch ist bestimmt deutlich geworden, dass Krankheit uns alle trifft – im privaten, familiären und vor allem auch im beruflichen Alltag. Klarheit gibt es angesichts einer schweren, chronischen oder tödlichen Krankheit weder im Hinblick auf die „richtige“ medizinische Behandlung, noch auf das „richtige“ soziale Verhalten untereinander. Und schon gar nicht bei Ausbruch und Wahrnehmung der Krankheit. Klarheit im Miteinander ist hier stets Ausdruck gelungener Aushandlungsprozesse.
Im Kontext von Krankheit ist Klarheit Ausdruck von gelungener Konfliktkompetenz.
Für Konfliktberater*innen und Mediator*innen ist das Anwendungsfeld „Krankheit und Gesundheit“ vor allem ein Anwendungsfeld in und mit Organisationen, in denen viel Familie und Freundschaft vorkommt. Das macht es unseres Erachtens zu einem „speziellen“ Anwendungsfeld für Mediation.
Hinweis in eigener Sache dazu: Eine praktische Vertiefung in Form einer beruflichen Weiterqualifizierung sowohl für „Gesundheitsarbeiter*innen“ als auch für Mediator*innen bietet INKOVEMA am 13.-14. September 2019 in Leipzig an. Wir haben die etablierten Mediator*innen Dr. Heinz Pilartz und Sabine Krause eingeladen und Sie gebeten, dazu eine Fortbildung anzubieten.
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