INKOVEMA-Podcast „Episoden der Mediation“
##15 – Mediation und Marketing I
Drachentötermarkt, Kannibalisierungseffekte und das Missverständnis um die Mediation?
Weshalb Mediation keine Alternative zum Gericht ist, sondern eine Form zu beraten ohne Ratschlag, die ähnliche Konfliktberatungsverfahren kannibalisiert hat.
Episoden der Mediation. Der Podcast zu den praktischen Fragen zur Mediation und des Konfliktmanagements.
Herzlich Willkommen zu den EdM,
dem Lehrstream von INKOVEMA zu den praktischen Fragen der Mediation und und des Konfliktmanagements.
Hier werden Praxissituationen der Mediation, aber auch von Coachings und Konfliktberatungen erläutert, reflektiert und eingeordnet.
Das ist Episdoe #15 – Mediation und Marketing I – Drachentötermarkt, Kannibalisierungseffekte und das Missverständnis um die Mediation?
Erst vor kurzem habe ich mit meiner engagierten, sehr erfahrenen Kollegin RA Dr. Susanne Perker im Podcast „Gut durch die Zeit!“ gesprochen, in Episode #112 ging es um Mediation in Familienunternehmen und mit Unternehmerfamilien, ein spannendes Thema und für Mediator*innen hochinteressant.
Und da ist ein interessantes Missverständnis zwischen uns zur Sprache gekommen: Ich brachte meine Skepsis gegenüber einigen verbreiteten Ansichten zur Mediation zum Ausdruck, so dass sich meine Gesprächspartnerin an den Diskurs zum Drachentötermarkt erinnert fühlte. In diesem Diskurs geht es um die Problematik, dass allem Anschein nach zu wenig Mediationen in Deutschland durchgeführt werden. Zu wenig, jedenfalls,
- im Vergleich zu den Erwartungen der Mediationsförderer,
- zu wenig auch im Vergleich zu den ausgebildeten Mediator*innen und
- zu wenig im Vergleich zu den wahrgenommenen Konflikten.
Ich finde, darüber kann man sich ja streiten. Doch vor allem unterliegt meines Erachtens dieser Diskurs einem Missverständnis, dass sich auch in dieser Metapher widerspiegelt.
Ich habe diese Metapher in diesem Podcast erstmals überhaupt verstanden! Ich dachte immer, es besagte, dass es halt mehr Drachentöter gibt als Drachen, aber Susanne machte mich darauf aufmerksam, dass die Metapher vor allem deshalb benutzt wird, dass es ja gar keine Drachen gibt und deshalb Mediatoren dumm rumstehen, weil es eben keine Mediationen gibt.
Aber für jemanden wie mich, der in einer erzgebirgischen Kleinstadt aufgewachsen ist, die das Drachentötermotiv im Stadtwappen hatte und der als Kind nahezu täglich ins Kino über den Drachenfelsen laufen musste, ist es nicht sofort einleuchtend zu behaupten, es gäbe keine Drachen.
Im Kontext jedenfalls von Mediationen lässt sich jedenfalls mit Fug und Recht sagen, es gibt genügend Drachen, denn diese stehen nicht für Mediationen, sondern für Konflikte. Und von denen gibt es zuhauf. Die Frage wäre also eher, wie finden Drachen und Drachentöter zusammen – oder anders: genau hier liegt das Missverständnis!
Nur, weil Konflikte, eskalierte Konflikte zumal, sich wie Drachen in den Lebens- und Arbeitsbeziehungen aufführen, folgt daraus noch nicht, dass Mediator*innen oder Mediationen allgemein die Drachentöter sind oder das Bild des Drachentötermarktes den Mediationsmarkt erfasst.
Dazu gibt es viel zu sagen. Und einiges möchte ich dazu auch in diesem Podcast sagen, obschon sich dieser Podcast im engeren Sinne mit Episoden der Mediation befassen will. Doch wenn es wirklich „zu wenige solcher Episoden gibt“, dann gehören hier auch die Dinge angesprochen, die zu solchen Episoden hinführen.
Zugegeben, die Anzahl an Mediationen pro Jahr hat sich in Deutschland – mit Sicherheit – in den vergangenen 30 Jahren vergrößert, vielleicht sogar stetig und zuweilen exponentiell. Belastbare Zahlen gibt es kaum, aber die Wahrscheinlichkeit ist sehr hoch. Erst recht, wenn man ein weites Verständnis von Mediation an den Tag legt, wie es Prof. Trenczek nahelegt, nachzuhören im Podcast Gut durch die Zeit, Episode #68.
Ich bezweifle allerdings ausdrücklich, dass diese – wenn auch zahlenmäßig ansteigenden Mediationen – überwiegend Konfliktfälle betrafen, die ansonsten vor Gericht gelandet wären. Dafür spricht auch der exorbitante Rückgang an Klagen bei den Zivilgerichten, der sich in den vergangenen 18 Jahren ereignet hat und der sich keineswegs in einem entsprechenden Anstieg an Mediationen widerspiegelt. Womöglich ist Mediation in der Tat für Konfliktparteien, die überlegen zu Gericht zu gehen, gar keine Alternative. Vielleicht ist Mediation einfach eine Methode, für die sich (ganz andere) Konfliktparteien in ganz anderen Konflikten entscheiden – oder auch nicht.
Wie erklärt sich dann der Anstieg an Mediationen? Abgesehen von den zahlenmäßig dürftigen Verfahren der Güterichter an den Gerichten, die wir hier ausklammern; … Womöglich ist der Anstieg von Mediationen vielmehr damit zu erklären, dass die Mediation Geschwisterverfahren ihres Beratungsansatzes kannibalisiert hat: Die Mediation ist zwar staatlich, vor allem justizpolitisch gefördert worden, um den Klagewellen, die in den 1980ern und 1990ern über die deutschen Zivilgerichte hereinbrachen, Herr zu werden: Es war ja nicht nur die Zeit, als Manne Krug, kurz bevor er die Telekom-Aktie anpries, als Liebling Kreuzberg die Advocard anpries, es war auch noch die Zeit, als der Gang zum Gericht als Ausdruck von Standfestigkeit, Rechtschaffenheit und persönlicher Verpflichtung zu sozialen Normen galt.
Mediation hat mit Justizpolitik so wenig zu tun wie Allparteilichkeit mit Neutralität. Wenig, aber es lässt sich gut verwechseln.
Dass also Mediation justizpolitisch gefördert, staatlich gewollt und gesellschaftlich ersehnt war und mitunter auch noch ist, trotz der Absage an die Mediationskostenhilfe, sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Mediation in einer gänzlich staatsfernen Sphäre wurzelt.
Mediation hat ihre Wurzeln in der Beratung ohne Ratschlag, wie es Prof. Wandhoff in seinem phänomenalen Werk „Geschichte der Beratung“ dargelegt hat. Mediation ist eine Form der Konfliktberatung, bei der eben kein Ratschlag erteilt wird – abgesehen davon, dass Mediation als Verfahren empfohlen wird. In der Sache rührt die Mediation aber aus dem gesellschaftlichen Impuls, der Autonomie des Einzelnen, seiner Eigenverantwortlichkeit und Selbstwerdung, den Vorrang einzuräumen vor dessen Verpflichtetheit gegenüber der Allgemeinheit. Während Recht also geronnene Sozialnormen sind und die Pflichtenwerte repräsentiert, steht die Mediation kultursoziologisch in der Tradition der Selbstoptimierung, des Autonomiegedankens und der Self Growth Bewegung, wie sie Andreas Reckwitz beschrieben hat.
Wenn man sich diesem Gedankenstrang nicht verschließt, dann wird schnell einsichtig, dass Mediation eben gerade nicht die Konfliktparteien anspricht, die auf dem Weg zu Gericht waren, sondern diejenigen vor allem, die ihren Konflikt – ganz im Sinne der Selbstoptimierung – utilisieren und nach einem Konfliktbearbeitungsverfahren gieren, dass dieses kulturell bedingte, aber höchst persönliche Moment bedient. Oder kurz: Ganz überwiegend finden Konfliktparteien, die einst klagewillig waren, nicht den Weg in die Mediation, sondern diejenigen, die auch früher schon nicht zu Gericht gegangen wären, sondern viel eher im Privaten eine Paartherapie gemacht hätten und im beruflichen eine Teamentwicklung, eine Teamsupervision und ein Teamcoaching, die sogleich zu einer Organisationsentwicklung eingeladen hätten. Alles, was – ganz im Stile des selbstverantwortlich zu organisierenden Selbstlernprozess – zu Selbstoptimierung geführt hätte. Man kann ja immer was lernen. Auch und gerade in Konflikten.
Aber, und das zum Schluss für heute, all das ist keineswegs pessimistisch für die Mediation gemeint: Ganz im Gegenteil. Der Zeitgeist, jedenfalls bis in unsere Tage, steht in dieser Tradition, so dass im Ganzen Mediation von einem weiteren Wachstum ausgehen kann. Und die Zeichen stehen m.E. günstig, dass Mediation den Weg des Coachings geht und zu einer etablierten Institution zur Bearbeitung von Konflikten wird, dem eine Tendenz zur sozialen Distinktion beiwohnt. Kurz, etwas Elitäres. Aber dazu ein andermal mehr.
Das war’s für Heute, vielen Dank fürs Zuhören, und vielleicht konntest Du die ein oder andere Idee für Deine Fallpraxis (weiter-)entwickeln. Laß’ es mich gern wissen – ich würde mich freuen, davon zu hören.
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Für den Moment verabschiede ich mich bei dir mit den besten Wünschen. Bis zum nächsten Mal!
Komm gut durch die Zeit!
Ich bin Sascha Weigel
Dein Host von INKOVEMA – dem Institut für Konflikt- und Verhandlungsmanagement in Leipzig und Partner für professionelle Mediations- und Coachingausbildungen.
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