Der Streit um die Mediation i.S.d. VSBG – 5 Besonderheiten
§ 18 ist der Grund, warum sich das
V e r b r a u c h e r s t r e i t b e i l e g u n g s g e s e t z
(kurz: VSBG) nicht nur für eine Partie „hangman“ mit Gewinngarantie, sondern auch als Thema für diesen Blogbeitrag eignet. Die Vorschrift ist für uns deshalb interessant, weil darin klargestellt wird, dass Verbraucherschlichtungsstellen zur Beilegung von Verbraucherstreitigkeiten auch Mediationen durchführen können. Außerdem regelt § 18 VSBG, dass bei solchen Mediationen grundsätzlich die Regelungen des Mediationsgesetzes (MediationsG) anwendbar sind.
Wie bereits von uns im Gesetzes-Kommentar von Althammer/Meller-Hannich gezeigt, steht hier eine nicht ganz einfach zu klärende Frage im Zentrum:
Handelt es sich hierbei um eine „reine“ oder besser allgemeine Mediation i.S.d. MediationsG oder um eine „spezielle“ Mediation, die um das Verbraucherrecht angereichert ist. Das wäre dann eine Mediation im VSBG-Kontext?
Mediation im VSBG-Kontext? Allgemeine Mediation oder eine um das Verbraucherrecht angereicherte Mediation i.S.d. VSBG?
Die Überschrift dieses Beitrages lässt schon erahnen, dass es durchaus Besonderheiten gibt, die bei einer VSBG-Mediation zu beachten sind. Die wichtigsten sollen im Folgenden dargestellt werden.
1) Keine freie Auswahl des Dritten
Der erste Unterschied liegt auf der Hand. In § 18 VSBG wird § 2 Abs. 1 MediationsG („Die Parteien wählen den Mediator aus.“) als einzige Vorschrift für unanwendbar erklärt. Anders als bei einer Mediation (außerhalb des VSBG, aber nach MediationsG), können die Parteien also nicht frei darüber entscheiden, wer die Mediation durchführt. Die Zuständigkeit der Verbraucherschlichtungsstelle und damit des jeweiligen Streitmittlers ergibt sich vielmehr aus dem Gesetz selbst (§§ 6 Abs. 1 i.V.m. § 4 VSBG).
Das heißt jedoch nicht, dass die Schlichtungsstellen nicht mehrere Mediatoren zur Auswahl stellen können. Nicht ohne klugen Hintergedanken haben die Medianten bei einer „reinen“ Mediation gemäß § 2 Abs. 1 MediationsG die freie Wahl. Die Erfahrung zeigt es: Mediationen und ihre Ergebnisse sind tragfähiger, wenn die Parteien die Dritte Person eigenverantwortlich auswählen können.
2) Anforderungen an den Streitmittler
Besondere Anforderungen hinsichtlich der Qualifikation eines mediativ arbeitenden Streitmittlers stellt § 6 Abs. 2 Satz 2 VSBG. Danach können nur solche Personen eine VSBG-Mediation durchführen, die „die Befähigung zum Richteramt besitzen oder zertifizierter Mediator sind“.
Das heißt aber nicht, dass Volljuristen (=“Befähigung zum Richteramt“) mediieren dürften. Für sie gilt über § 18 VSBG der § 5 Abs. 1 MediationsG, so dass sie eine Mediationsausbildung erfolgreich absolviert haben müssen (Zertifiziert nach § 5 Abs. 2 MediationsG müssen sie nicht sein.).
Da es den „zertifizierten Mediator“ überhaupt erst mit Inkrafttreten der entsprechenden Verordnung (ZMediatAusbV, Sept. 2017) geben wird, kann bis dahin allein der Volljurist mit Mediationsausbildung eine Mediation i.S.d. § 18 VSBG durchführen.
3) Gebot einer verbraucherrechtsorientierten Mediation
Betrachtet man die gesetzgeberische Vorstellung und das konkrete Setting einer VSBG-Mediation, zeigt sich eine weitere, maßgebliche Besonderheit: Die erstrebte Lösung des Verbraucherstreits soll sich am (Verbraucher-) Recht orientieren.
Das Verbraucherrecht ist der Leitfaden der Konfliktlösung im VSBG – auch in der Mediation!
Schlichtungsstellen sollen Verbraucherstreitigkeiten, die in erster Linie in Verbraucherrechten ihren (guten) Grund haben, beilegen. Und das möglichst zügig. Dass der Gesetzgeber rechtliche Gesichtspunkte dabei keinesfalls ausgeblendet haben wollte, zeigt sich an verschiedenen Stellen:
- Die Vorschrift des § 18 VSBG steht in engem Zusammenhang mit der ADR-Richtlinie (Alternative Dispute Resolution). In den Erwägungsgründen heißt es dort: „ Die Mitgliedsstaaten sollen gewährleisten, dass AS-Stellen in Bezug auf Verbraucher und Unternehmer Streitigkeiten […] unter gebührender Berücksichtigung der Rechte der Parteien beilegen.“
- Auch aus den Qualifikationsanforderungen an den Streitmittler lässt sich ein entsprechender gesetzgeberischer Auftrag ableiten. So kann selbst ein zertifizierter Mediator eine VSBG-Mediation nur durchführen, wenn er über „Rechtskenntnisse, insbesondere im Verbraucherrecht“ verfügt.
Das Gebot einer verbraucherrechtsorientierten Mediation hat aber auch Einfluss auf den Mediationsstil.
(Einen ausführlichen Beitrag zu den einzelnen Mediationsstilen finden Sie hier.)
Die Grenze zwischen Schlichtung und Mediation, die auch so schon nicht immer randscharf erfasst werden kann, dürfte bei der Mediation im VSBG-Kontext im besonderen Maße verschwimmen. Die Abgrenzung erfolgt üblicherweise vor allem anhand des Verfahrenszwecks. Bei der Schlichtung steht der konkrete Lösungsvorschlag im Mittelpunkt.
Und bei der VSBG-Mediation? Die VSBG-Mediation soll nach der oben dargelegten Auffassung das Verbraucherrecht aktiv im Blick behalten. Dementsprechend wird sich auch die Erwartungshaltung der Streitparteien einstellen. Mehr als in „klassischen“ Mediationen dürfte es auf die Mitarbeit des mediativ arbeitenden Streitmittlers ankommen. Und zwar in Form von (juristisch fundierten, sprich verbraucherrechtsorientierten) Lösungsvorschlägen und Ideen. Über eine entsprechende Parteivereinbarung – denn ohne Weiteres kann eine solche Mitarbeit des VSBG-Mediatiors trotzdem nicht erwartet werden – behält das Verfahren dennoch den Charakter einer („evaluativen“) Mediation.
4) Anspruch auf rechtliches Gehör
§ 17 VSBG gewährt den Parteien rechtliches Gehör, wohingegen man im MediationsG vergeblich nach einer entsprechenden Vorschrift suchen wird. Aber was ist bei einer Mediation i.S.d. §18 VSBG zu tun? Besteht hier ebenfalls ein Anspruch auf rechtliches Gehör, dem „prozessuale Urrecht des Menschen“? Wir meinen aufgrund der gesetzlichen Lage und angesichts des gesetzgeberischen Willens…„Ja, die Mediation im VSBG-Kontext verpflichtet zur Gewährung rechtlichen Gehörs“. Aber zugegeben, nicht alle sehen das so. Aber weshalb sehen wir das so?
Die Regelungen des MediationsG sind (für Mediationen im Kontext des VSBG) ergänzend heranzuziehen. Nach unser Auffassung bedeutetet dies aber andererseits gerade nicht, dass die Vorschriften des VSBG gänzlich zu missachten sind. Das VSBG bleibt mit seinen Regelungen anwendbar.
Das gilt allerdings nicht uneingeschränkt. Denn die ausdrücklichen Vorschriften des VSBG können mit den ausdrücklichen Regelungen des MediationsG kollidieren. Dann geht das MediationsG grundsätzlich vor (siehe aber Nr. 5 sogleich!).
Ein solcher Kollisionsfall ist hier indes nicht einschlägig. Denn es gibt kein Verbot rechtlichen Gehörs bei einer Mediation. Wenn Medianten in der Mediation über Recht reden wollen, ist auch darüber zu reden. Deshalb liegt hier keine Kollision einer Gebotsnorm (VSBG) und einer Verbotsnorm (MediationsG) vor. Vielmehr ergänzt die Gebotsnorm des VSBG die Regelungen des MediationsG, so dass bei einer VSBG-Mediation rechtliches Gehör zu gewähren ist.
Die Gewährung rechtlichen Gehörs wird im Rahmen einer Mediation nicht per Gesetz gefordert, im Rahmen einer VSBG-Mediation dagegen schon: § 17 VSBG.
Der mögliche Einwand, dass bei Mediationen die Beteiligten bestimmen, worüber geredet wird, führt unseres Erachtens auch nicht zu einem anderen Ergebnis. Das Gesetz verlangt ja nicht, dass ausschließlich über das Verbraucherrecht gesprochen wird und verbietet deshalb auch keine anderweitigen Themen. Das Gesetz verlangt lediglich, dass die rechtlichen Rahmenbedingungen besondere Beachtung (im Vergleich zu einer allgemeinen Mediation i.S.d. MediationsG) finden. Nicht weniger, aber eben auch nicht mehr.
5) Der Dritte in der VSBG-Mediation
Einen echten Kollisionsfall zwischen VSBG und MediationsG gibt es jedoch an anderer Stelle. Nach § 13 Abs. 1 VSBG können sich die Parteien im Streitbeilegungsverfahren (Schlichtung und Mediation) durch Dritte vertreten lassen – auch durch Anwälte. Im Anwendungsbereich des MediationsG (§ 2 Abs. 4) können Dritte hingegen nur miteinbezogen werden, wenn alle Parteien zugestimmt haben.
Vorschrift gegen Vorschrift.
Bloß: Welche setzt sich durch, wenn eine Mediation nach dem VSBG durchgeführt wird? Nach dem oben erwähnten Gedanken dürfte sich die Vorschrift des MediationsG durchsetzen.
Eine endgültige Antwort bzw. Bestätigung findet sich im europäischen Recht, konkret in den zwei Richtlinien. Die ADR-Richtlinie sieht ein entsprechendes anwaltliches Vertretungsrecht vor (vgl. Art. 8 lit. b). Die Mediationsrichtlinie ihrerseits sieht kein Zustimmungserfordernis der Gegenseite zur Mitwirkung des eigenen Anwalts vor. Das Europarecht ist also anwaltsfreundlicher, erlaubt die Mitwirkung „Vierter“ auch gegen den Willen des Konfliktpartners etc. Gestützt auf die ADR-Richtlinien sticht § 13 VSBG damit § 2 Abs. 4 MediationsG aus.
Das Ergebnis: In verbraucherrechtsorientierten Mediationen können Anwälte immer anwesend sein und mitwirken, egal ob die Gegenseite (oder der Mediator!) das nun möchte oder nicht. Das unterstreicht auch nochmals den gesetzgeberischen Willen, die Mediation nach § 18 VSBG verbraucherrechtsorientiert durchzuführen.
In einer VSBG-Mediation darf jeder auch gegen den Willen der Gegenseite den Anwalt mitnehmen.
5 Besonderheiten der VSBG-Mediation – auch für den VSBG-Mediator
Was deutlich wird: Die Mediation nach § 18 VSBG ist keine „reine“ Mediation i.S.d. MediationsG. Nach unserer Auffassung kann der VSBG-Kontext nicht einfach ausgeblendet werden, wenn der gesetzgeberische Auftrag des VSBG ernst genommen werden soll.
Dieser Befund wirkt sich natürlich auch konkret auf die Arbeit des VSBG-Mediators aus. Bevorzugt wird er auf einen evaluativen Mediationsstil zurückgreifen, wobei sein besonderes Augenmerk den Verbraucherschutzrechten zukommt.
Ob und wie erfolgreich die Methode der Mediation im Rahmen von Verbraucherstreitigkeiten künftig von der Praxis angenommen wird, ist nicht abzusehen. Angesichts der besonderen Umstände dürfte allzu große Euphorie diesbezüglich nicht angebracht sein. Anders als in der „klassischen“ Mediation geht es in VSBG-Mediationen in der Regel weniger um misslungene soziale Kommunikation. Die Interessen- und Sachlage wird regelmäßig eine andere sein. Die Motivation des Verbrauchers, das Soziale, Zwischenmenschliche etc. auf der Gegenseiten zu ergründen, dürfte wohl eher gering sein. Demgegenüber dürfte es Unternehmen vor allem auf die Vermeidung von negativer Publicity und Kundenunzufriedenheit ankommen.
Andererseits: Wer vermag schon im Voraus zu sagen, wo genau die wahren Interessen liegen? Mediation, das bedeutet immer auch: offen sein für Überraschungen.
Und wenn am Ende des Tages durch positive Erfahrungen mit der außergerichtlichen Verbraucherschlichtung das Bewusstsein für alternative Formen der Konfliktbeilegung insgesamt erhöht wird, kann das so schlecht ja auch nicht sein. Über kurz oder lang dürfte davon auch die (klassische) Mediation profitieren. § 18 VSBG ist deshalb unseres Erachtens kein Wolf im Schafspelz, keine Mogelpackung oder gesetzgeberisches Ungeschick, sondern eine erste gesetzliche Ausdifferenzierung des mediativen Instrumentariums, wie es 2012 grundsätzlich im Mediationsgesetz geregelt wurde.
Wir sind uns jedoch bewusst, dass die Regelungen des § 18 VSBG umstritten sind, mit guten Gründen auch anders verstanden, ausgelegt und gedeutet werden können. Deshalb sei hier ausdrücklich die Einladung an Sie gerichtet, in den Kommentaren die Möglichkeit zur Vertiefung, zum Austausch und zur Kritik wahrzunehmen. Wir würden uns freuen!
Sascha Weigel und Nikolas Vogel
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