INKOVEMA-Podcast „Gut durch die Zeit“

#179 – Mediation als soziale Technologie pastoraler Machtausübung

Menschenregierungskunst, Managerialisierung des Selbst u. Mitmachfalle als Facetten der Mediation

Im Gespräch mit Prof. Dr. Ulrich Bröckling

Prof. Dr. Ulrich Bröckling, Soziologe, Studierte Heilpädagogik und Soziologie; Professor für Kultursoziologie an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. Autor von „Das unternehmerische Selbst“ (2006) und „Gute Hirten führen sanft“ (2017).

Gut durch die Zeit.

Der Podcast rund um Mediation, Konflikt-Coaching und Organisationsberatung.

Inhalt

Mediation als pastorale Machtausübung

Ulrich Bröckling hat die Mediation in seinen Büchern als eine Form der „pastoralen Machtausübung“ beschrieben, die an die Rolle eines Hirten erinnert. Diese Vorstellung basiert auf Michel Foucaults Konzept der „pastoralen Macht“, das aus der christlichen Tradition stammt und die Beziehung zwischen einem Hirten (Pastor) und seiner Herde (Gemeinschaft) beschreibt. Diese Form der Macht ist nicht autoritär oder repressiv, sondern fürsorglich und lenkend.

Die Rollenaufgaben des Mediators ähneln – nach der Perspektive Bröcklings – denen eines Hirten in vielerlei Hinsicht, insbesondere in ihrer subtilen Ausübung von Macht und Führung.

  • Beide agieren als leitende Figuren, die darauf abzielen, Konflikte zu verhindern und zu lösen, indem sie eine ruhige und sichere Umgebung schaffen.
  • Ein Hirte führt seine Herde, schützt sie vor Gefahren und sorgt für Harmonie und Sicherheit, ohne dabei offen Macht auszuüben.
  • Er lenkt und beeinflusst die Herde durch sanfte Führung und unauffällige Kontrolle. Ähnlich agiert ein Mediator, der durch seine neutrale und allparteiische Haltung den Konfliktparteien hilft, miteinander zu kommunizieren, ihre Anliegen zu verstehen und gemeinsam Lösungen zu erarbeiten.
  • Der Mediator ermöglicht Vertrauen, fördert eine kooperative Atmosphäre und unterstützt die Parteien, sich auf ihre Interessen statt auf ihre Positionen zu konzentrieren.
  • Im Ganzen – und das wird mitunter wenig beleuchtet – üben Mediator*innen auch subtile Macht aus, indem sie den Rahmen und die Regeln des Mediationsprozesses bestimmen, wenn auch im Abgleich mit den Mediant*innen – und lenken die Richtung der Gespräche, ohne dabei dominierend aufzutreten.

Sowohl der Hirte als auch der Mediator nutzen ihre Rolle, um nachhaltige und friedliche Ergebnisse zu erzielen, indem sie die Beteiligten behutsam führen und leiten.

Was bedeutet das konkret?

Fürsorglichkeit und Führung: Die pastorale Macht basiert auf dem Prinzip der Fürsorge und Führung. Ein Hirte kümmert sich um seine Herde, führt sie zu Nahrung und Wasser, schützt sie vor Gefahren und sorgt dafür, dass sie nicht verloren geht. Diese Führung ist nicht zwanghaft, sondern sanft und unterstützend.

Individuelle Betreuung: Ein wesentlicher Aspekt der pastoralen Macht ist die individuelle Betreuung. Der Hirte kennt jedes Mitglied seiner Herde und geht auf die individuellen Bedürfnisse ein. Übertragen auf die Mediation bedeutet das, dass der Mediator sich um die individuellen Anliegen der Konfliktparteien kümmert und versucht, eine Lösung zu finden, die für alle akzeptabel ist.

Sanfte Beeinflussung: Mediation als pastorale Macht setzt auf sanfte Beeinflussung statt auf Zwang. Der Mediator lenkt die Parteien, bietet Perspektiven und Lösungswege an, ohne ihnen eine bestimmte Lösung aufzuzwingen. Die Parteien sollen selbst zu einer Einigung kommen, die von allen akzeptiert wird.

Freiwilligkeit und Autonomie: In der Mediation wird die Autonomie der Beteiligten respektiert. Die Parteien entscheiden freiwillig, an der Mediation teilzunehmen und sind auch frei in der Entscheidung, welche Lösungen sie akzeptieren. Der Mediator führt und unterstützt, aber er erzwingt keine Entscheidungen.

Kontraktualismus

Im Zusammenhang mit Bröcklings Vorstellung von Mediation als pastorale Machtausübung spielt der Kontraktualismus folgende Rolle:

  1. Mediation als Vertrag: Mediation kann als eine Form des sozialen Vertrags betrachtet werden, bei dem die Konfliktparteien freiwillig und rational zustimmen, an einem Mediationsprozess teilzunehmen. Sie erkennen, dass eine einvernehmliche Lösung für alle von Vorteil ist.
  2. Rationale Zustimmung und Freiwilligkeit: Die Teilnahme an der Mediation ist freiwillig und basiert auf der rationalen Einsicht, dass eine gemeinsame Lösung besser ist als ein fortdauernder Konflikt. Die Parteien stimmen den Regeln des Mediationsprozesses zu, weil sie die Vorteile erkennen.
  3. Sanfte Führung und Autonomie: Die Rolle des Mediators entspricht der eines Hirten, der die Parteien führt und unterstützt, ohne autoritär zu sein. Der Mediator hilft den Parteien, eine Einigung zu erzielen, die auf rationaler Zustimmung und gegenseitigem Nutzen basiert.
  • Bröckling, Ulrich: Das unternehmerische Selbst, Soziologie einer Subjektivierungsform, Berlin 2007
  • Bröckling, Ulrich: Gute Hirten führen sanft, Über Menschenregierungskünste, Berlin 2017.