Wenig ist verbindender als bereinigte Konflikte
…oder weshalb Konfliktbearbeitung nicht Hindernisbeseitigung ist, sondern Innovations- und Kreativitätsarbeit.
(Hier ungekürztes) Interview, LVZ 27. Juli 2019
Herr Dr. Weigel, was ist das eigentlich, ein Konflikt?
Die schwierigste Frage zuerst! Ganz anders als in Mediationen! Also gut, jedenfalls ist der Konflikt regelmäßig nicht das, was die Konfliktparteien vortragen. Entweder ähneln ihre Aussagen Krisenreportagen oder sie erzählen verzweifelt, wie ihre eigenen Lösungsideen abgelehnt wurden. Bei Konflikteskalationen, zum Beispiel durch Drohungen oder Lautwerden, Totschweigen oder der Einschaltung eines Anwalts, handelt es sich meist um, wenn auch missratene oder untaugliche, Versuche, den Konflikt zu beenden. Die Wirkungen sind meist das genaue Gegenteil der Absichten.. Selbst das An-Schweigen ist gut gemeint, muss aber später umso teurer bezahlt werden – mit einer Atmosphäre des Misstrauens. Um Konflikte zu verstehen, lohnt es sich kaum, sie zu definieren. Sie sind Ausdruck unseres sozialen und kommunikativen Einflusses auf andere. Das müssen wir verstehen lernen.
„Wer sich alles ersparen will, dem bleibt nichts erspart.“
Warum bringen uns Konflikte so sehr aus dem Konzept?
Weil wir Konflikte nur in Beziehungs- und damit in relationalen Abhängigkeitssituationen erleben. Konflikte sind in diesem Sinne Interdependenzsituationen: Wenn einer nicht will, können zwei nicht streiten. Das eigene Bild der Beziehung wird von der Realität enttäuscht. Die Vorstellungswelten, die sich auf die nahe oder ferne Zukunft beziehen, brechen beiderseits in sich zusammen. Es ist weniger ein Aufeinanderprallen der beiden Vorstellungen (das sind eher die vorschnellen und häufig untauglichen Lösungsideen!). Sondern die eigenen Vorstellungsbilder fallen in sich zusammen.
Eine Neujustierung steht an, die nicht ohne den anderen gelingt – oder gar nicht. Das heißt, jede Arbeits-Beziehung hat Konfliktpotenzial, das sich zunächst als Tanz um die Deutung und Gestaltung der Beziehung zeigt – und später in der Eskalation, bei den Versuchen, sich gegenseitig zu überzeugen, wenn es dahin kommt, als Kampf um Einfluss und Machtkämpfe zu verstehen sind. Was ansteht, ist jedoch, die – längst realen – (Beziehungsweise-)Veränderungen zu akzeptieren und den anstehenden Aushandlungsprozess anzunehmen. Hier geht es zunächst nicht um die Lösungsversuche zur Rettung der alten Vorstellungsbilder, sondern um einen Klärungsprozess, welche aktuellen Vorstellungsbilder existieren, wirken und inwieweit sie übereinander passen und ein neues gemeinsames Vorstellungsbild ergeben. Das ist der Ansatz einer strategischen Mediation. Das gilt im privaten wie im beruflichen Bereich.
Wann sollte man bei Konflikten im beruflichen Kontext eingreifen?
Als Führungskraft, wenn die Gesamtstrategie oder die Ziele der jeweiligen Abteilung in Gefahr sind. Kooperation einfordern, Vielfalt und damit Unentschiedenheit zeitlich begrenzt aufrechterhalten – und dann Entscheidungen und Entscheidungsprozesse organisieren. Unterschiedlichkeit darf (und soll) eine Zeit lang bereichernd wirken. Das ist das Wesen von Organisationen. Sie sind Entscheidungsmaschinen. Die große Kunst beim Konfliktmanagement ist, dieses Spannungsfeld von Unentschiedenheit und Entscheidungsnotwendigkeit verbindend zu prozessieren.
Hier tragen beide Seiten eine enorme Verantwortung füreinander: Diejenigen, die mächtiger sind, müssen darauf achten, die anderen zu hören und zu verstehen und ihre Absichten in die Entscheidung einfließen zu lassen. Und die anderen müssen sich dafür entscheiden, sich zu fügen, diese Entscheidung auch als ihre Entscheidung zu begreifen und mitzutragen. Beides ist enorm schwer – und braucht es in unseren turbulenten, sich globalisierenden und digitalisierenden Zeiten. In der VUKA-Welt (einfach googeln!) benötigen wir jede Unterstützung, die wir auch in denjenigen finden können, die wir als Bremser oder Antreiber erleben.
„In Moderationen und Mediationen steht die Zukunft zur Debatte, auch wenn manchmal die Vergangenheit im Wege zu stehen scheint.“
An wen richten sich Ihre Angebote?
Zuständig fühle ich mich für Funktions- und Entscheidungsträger in Organisationen. Also für Unternehmensleiter*innen, Teamleiter*innen, Projektleiter*innen, die etwas Neues und mit anderen schaffen wollen – und in diesem Sinne kreativ sind und Konflikten entgegengehen.
Warum wird Konfliktmoderation und -mediation immer wichtiger?
Weil unsere engmaschigere Vernetztheit und Verbundenheit durch die Globalisierung und Digitalisierung einerseits unsere Kommunikationsdichte erhöht und genau dadurch Gesprächs- und Verständnisräume benötigt werden, in denen wir Raum und Zeit unmittelbar und qualitativ neu erleben können. Das ist der Grund, weshalb Strategie- und Klärungsworkshops z.B. auf allen unternehmerischen Ebenen quantitativ und qualitativ zunehmen, nicht nur für die Top-Manager. (Dabei sagen alle, wir haben eigentlich keine Zeit, machen das dann und schließen sich für ein, zwei Tage weg…und – siehe da – alle sind zufrieden und fühlen neu ausgerichtet.
Das ist ja gerade unsere Chance bei der Digitalisierung, sozusagen im zweiten Maschinenzeitalter. Also – ja, nutzen wir die Technologie, um schneller und effizienter zu werden und, um dann wieder gemeinsam Tempo rauszunehmen und in der gemeinsamen Besinnung strategisch klug zu agieren.
Sie bieten nicht nur Konfliktmanagement und die Mediationsausbildung an, sondern bringen sich auch aktiv in die wissenschaftliche Debatte ein.
Das Institut agiert am Schnittpunkt von Praxis, Ausbildung und Wissenschaft. Als Wissenschaftler und Lehrbeauftragter der Universität in Halle ist mir die Verbindung und gegenseitige Befruchtung wichtig. Hier nutzen wir ganz unterschiedliche Möglichkeiten: Neben Fachartikeln, Büchern und Vorträgen führen wir seit Jahren einen Blog, entwickeln Podcasts mit dem Internetradio detektor.fm und informieren zu Mediation und außergerichtlicher Konfliktbeilegung kostenfrei in einem monatlichen Newsletter. All diese Aktivitäten werden wir zukünftig auf unserem Lern- und Wissensmanagement-Tool „Elemente der Mediation“ bündeln.
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