Aufsatz: Organisationsmediation in vukaesken Umwelten
Teil 1 – Für eine strategie- und zukunftsbezogene Konfliktbearbeitung
in: Perspektive Mediation 2/2019
Dr. Sascha Weigel
In ihrer erkennbaren Vielfältigkeit und -deutigkeit erscheint die Welt paradoxerweise eindeutig übermächtig; für uns Geister des 20. Jahrhunderts gefährlich, obschon sie in nahezu allen Belangen besser geworden ist als das, was wir von ihr annehmen. Dieses Paradox meint zuvorderst die Deklaration, die Welt sei vuka.
Alles ist volatil, höchst veränderlich, fragil, instabil, zuweilen erfreulicherweise flexibel, aber jederzeit fragwürdig und zweifelhaft. Die neue Stabilität ist der stete Wandel.
Ungewissheit äussert sich nicht nur darin, dass wir ein bestimmtes Szenario nicht einschätzen können, sondern auch, dass wir überhaupt nicht über eine entsprechende Wahrscheinlichkeit nachdenken: „Zusammengenommen, Eure Majestät, war das Versagen, den Zeitpunkt, das Ausmaß und die Härte der Krise [von 2008] vorauszusehen und diese abzuwenden…in erster Linie ein Versagen der kollektiven Vorstellungskraft vieler intelligenter und gebildeter Menschen…“. Das war die Antwort von 33 Experten der British Academy im Juli 2009 als sie von Queen Elizabeth II. gefragt wurden: „Warum hat niemand die Kreditkrise kommen sehen?“
Die komplexen Kommunikationsketten der unüberschaubar vielen Systemelemente untereinander erscheinen als Rätsel, obschon ihre Abhängigkeiten voneinander „offensichtlich“ sind. Selbstreflexive Rückkopplungenlassen sich feststellen, aber gerade dadurch bleibt die Chance auf Wiederholbarkeit ausgeschlossen. Das System kehrt nicht mehr in den Ursprungszustand zurück, sondern bleibt ein anderes. Es gibt keine Werkseinstellungen, keine Stunde Null, kein Ausgangs- und kein Endpunkt. Das System lernt.
Ambiguität trifft ins Mark einfacher Weltendeutung: Die Welt und ihre Erscheinungen sind mehrdeutig (ambig) und widersprüchlich (ambivalent). Deshalb sind Perspektivenwechsel so weltenverändernd. Wer auf dem Höhepunkt ist, beginnt die Talfahrt. Wo auch sonst, fragt sich jeder, der in Bergen gelebt hat – und das auch außerhalb Norwegens, wo es weniger regnet.
Was bedeuten derartig vukaeske Entwicklungen für die Mediationsbewegung, deren Kinderschuhe im 20. Jahrhundert entwickelt wurden? Was bedeutet das für eine derart hoffnungsvolle Unternehmung, die endlich auch die Konfliktparteien direkt und gemeinsam in ihren Konfliktsituationen „begleitend befreien“ wollte, wenn diese sie aber einfach nicht beauftragen?
In Organisationen geht es deshalb kaum um eine kathartische Reinigung (Glasl) der konfliktbeteiligten Menschen, sondern um die organisationale Bearbeitung strategischer Aufgabenstellungen.
Mediation dient als Kooperationsprüfstand und Kreativitätswerkstatt für Konfliktbeziehungen, die zurück zur Arbeitsfähigkeit geführt werden sollen.
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