Konflikte als Entwicklungstreiber im Transformationsprozess der öffentlichen Verwaltung
Ute Enderlein & Sascha Weigel
In: Verwaltung & Management 30. Jg. (2024), Heft 1, S. 3-11
Zusammenfassung
Transformationsprozesse gehen mit neuen Konfliktpotenzialen und Widerständen einher. Diese können als Lernchancen und Entwicklungstreiber verstanden werden – wenn man sie richtig angeht. Der Beitrag stellt ein Modell vor, mit dem Konfliktpotenziale in Organisationen systematisch in den Blick genommen werden können. Es werden konkrete Konfliktpotenziale benannt, die mit der digitalen Transformation der Verwaltung einhergehen können, und es werden Ansätze aufgezeigt, wie das organisationale Lernpotenzial von Konflikten nutzbar gemacht werden kann.
Auszüge
Einführung
(…) Tiefgreifende Transformationsprozesse – und in diesen befinden sich die Behörden und Einrichtungen der öffentlichen Verwaltung – bringen neue Konfliktpotenziale mit sich. Das haben Jajeśniak-Quast et al. in Bezug auf gesellschaftliche Entwicklungen herausgearbeitet. Sie zeigen, dass es in gesellschaftlichen Transformationsprozessen ein „…dreifaches Momentum für das Auftreten spezifischer Konflikte…“ gibt.
So gibt es erstens ein Hin- und Herpendeln zwischen der Öffnung gegenüber dem angestrebten neuen und dem alten Zustand. Das verursacht eine emotionale Spannung zwischen der Neugier auf das Neue und der Sicherheit des alten Zustandes und damit subjektive Zielkonflikte. Außerdem muss man damit rechnen, dass alte und neue Ordnungsmuster gleichzeitig wirken. Das kann zu Differenzen darüber führen, an welchem Muster man sich orientieren soll (Wegekonflikte). Drittens sind Transformationsprozesse mit radikalen Brüchen in der Werteordnung verbunden, was zu spezifischen Wertekonflikten führen kann.
Diese Perspektive gilt auch für den Transformationsprozess der öffentlichen Verwaltung hin zu mehr Agilität und menschenzentrierten digitalisierten Prozessen: Das Hin- und Herpendeln zwischen „Verwaltung Alt“ und „Verwaltung Neu“ erleben nicht nur „Verwaltungsrebell:innen“, sondern alle Mitarbeitenden der öffentlichen Verwaltung. Denn keine Verwaltungsebene, kein Bereich ist von der digitalen Transformation ausgenommen. Für das Nebeneinander alter und neuer Ordnungsmuster gibt es mittlerweile sogar neue Begrifflichkeiten. So beschreibt die „hybride Aktenführung“, dass Papierakte und elektronische Akte gleichzeitig geführt werden. Das Zusammentreffen alter und neuer Werte lässt sich besonders dort gut beobachten, wo „ewige“ Werte des Verwaltungshandelns wie z.B. die hierarchische Entscheidungsfindung auf Werte eines agilen Mindsets stoßen (z.B. Einbeziehung der Anspruchsberechtigten, iterative Lösungsentwicklung).
Was theoretisch leicht beschrieben werden kann, entfaltet sich in der Praxis häufig in komplexen Konfliktsituationen zwischen konkreten Menschen. Gerade die Digitalisierung als Transformation geht mit vielen konflikthaften Situationen auf verschiedenen Ebenen einher. Diese Konfliktsituationen sind nicht nur belastend für die Betroffenen, sie verursachen auch Kosten für die Organisation, insbesondere dann, wenn sie ungehindert eskalieren können. Diese Kosten entstehen z.B. über die Arbeitszeit der Beteiligten, die sie entweder für Auseinandersetzungen, das Nachdenken oder das Besprechen des Konfliktes benötigen oder weil sie innerlich gekündigt haben. Von hoher Relevanz insbesondere in Zeiten des Fachkräftemangels sind indirekte Kosten, die aufgrund krankheitsbedingter Langzeitausfälle oder Kündigungen entstehen. Der Konfliktlösungsansatz „Flucht“ kommt Organisationen besonders teuer zu stehen. (…)
»Unter Konflikten kann man das Aufeinandertreffen unterschiedlicher, nicht abgesprochener Lösungsansätze auf jeweils individuelle Problemdefinitionen verstehen.«
Konfliktpotenziale sichtbar machen
Das Trigon-Modell fasst sowohl Elemente einer Organisation als auch die wesentlichen Kernprozesse von Organisationen systematisch in einem Modell zusammen. Mithilfe des Modells lassen sich komplexe Organisationsanalysen durchführen. Das Analysetool lässt sich auch dazu nutzen, um Konfliktpotenziale in einer Organisation (im besten Falle vorausschauend) zu erfassen und entweder rechtzeitig präventiv oder – so sich die Potenziale in tatsächlichen Konflikten realisieren – angemessen kurativ zu behandeln.
Im vorliegenden Aufsatz wird diese Perspektive auf den Prozess der digitalen Transformation der öffentlichen Verwaltung angewandt, um Konfliktpotenziale, die in diesem Prozess in konkreten Organisationen entstehen können, systematisch in den Blick zu nehmen. Dies erfolgt hier in der Binnensicht, d.h. der Blick auf Konfliktpotenziale an den Schnittstellen von Verwaltung zu ihrer Umwelt (z.B. politisches System, Bürgerinnen und Bürger, Unternehmen) bleibt vorerst ausgeblendet.
Fazit
Wie Konflikte als organisationale Lernchancen nutzen?
- Auf konstruktive Konfliktkultur hinwirken
- Konfliktfähigkeit der Führungskräfte ausbauen
- Psychologische Sicherheit auf Teamebene erhöhen
- Projektleiterinnen und Projektleiter in Veränderungsprojekten für typische Konfliktpotentiale sensibilisieren
- Konfliktanalysefähigkeiten der Mitarbeitenden in Personalabteilungen ausbauen
- Konfliktfähigkeit der Organisation erhöhen
Die aktuellen Transformationsprozesse in der öffentlichen Verwaltung bringen nicht nur technologische Innovationen mit sich. Im besten Fall entstehen auch soziale Innovationen. Dazu zählen neue Formen des agilen Zusammenarbeitens in Behörden und Einrichtungen des öffentlichen Dienstes. Dazu zählt idealerweise auch eine neue Form der partizipativen, geteilten und transformatrischen Führung. Und dazu zählen grundlegende Strukturveränderungen mit einer (teilweisen) Auflösung der bisherigen Silos und flexibleren und vernetzten Strukturen.
Diese Innovationen im Sozialen werden den Kulturwandel in der öffentlichen Verwaltung maßgeblich beeinflussen. Als innovativ sollte dabei auch gelten, dass Konflikte in diesen Prozessen als normal und wertvoll für das organisationale Lernen angesehen werden und dass es gelingt, konstruktiv mit Differenzen umzugehen.
Diese Perspektive benötigt einiges an Überzeugung, denn Konflikte erscheinen zuallererst persönlich unangenehm, sozial riskant und organisational als Störpotenzial. Keiner will Konflikte bei sich haben. Und alle reden über sie – bei anderen. Sie stören einerseits die geplanten und getakteten Abläufe – und sind selbst soziale Prozesse, die nach gewissen „Gesetzmäßigkeiten“ ablaufen.
Konflikte kommunizieren ihr Innovationspotenzial in einer schrägen, schwer verständlichen Tonart. Es gilt also zuallererst (Verstehens-)Kompetenzen zu entwickeln. Instrumente aus der Konfliktforschung – wie der hier vorgestellte Analyseansatz – können dabei helfen.
Vollständiges Literaturverzeichnis zum Aufsatz
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- Bundesministerium des Innern und für Heimat (Hrsg.) (2021b): Handbuch für Organisationsuntersuchungen und Personalbedarfsermittlung: 2.5 Strukturen, https://www. verwaltung-innovativ.de/OHB/DE/ OrganisationshandbuchNEU/2_ Organisationsmanagement/2_5_Strukturen/ Strukturennode.html, zuletzt geprüft am 04.12.2023.
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- Weigel, S. (2021): Organisationale Ambidextrie und Organisationsmediation; in: Konfliktdynamik, 10. Jahrgang, Heft 3, S. 211-218.
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