Aufsatz: Antizipation und Prävention im Konfliktmanagement von Organisationen

in: Konfliktdynamik 3/2022, S. 172 – 179

Dr. Jörg Schneider-Brodtmann & Dr. Sascha Weigel

Aufsatz Dr. Sascha Weigel und Dr. Jörg Schneider-Brodtmann zur Veröffentlichung in der Konfliktdynamik, Heft III/2022 mit dem Themenschwerpunkt „Konfliktprävention“

Antizipation und Prävention im Konfliktmanagement von Organisationen

Die Bedeutung antizipativer und präventiver Ansätze im modernen Konfliktmanagement von Organisationen ist heute weitreichend anerkannt. Dabei geht es nicht nur darum, mögliche dysfunktionale Konfliktwirkungen frühzeitig zu erkennen und abzumildern, sondern zugleich auch den Blick für die konstruktiven Wirkungen von Andersartigkeit, Unterschiedlichkeit und Diversität zu schärfen. So können Konflikte als Indikatoren für Veränderungsbedarf dienen und einen Anreiz für die strategische und interessenbasierte Ausgestaltung von organisationsinternen Strukturen einerseits und externen Geschäftsbeziehungen andererseits schaffen. In diesem Sinne werden in dem nachfolgenden Beitrag verschiedene Ansätze und Erscheinungsformen eines antizipativen und präventiven Konfliktmanagements von Organisation überblicksartig vorgestellt. Strukturierend wird dabei zwischen innerbetrieblichen Maßnahmen einerseits und Maßnahmen im unternehmerischen Geschäftsverkehr (B2B) andererseits unterschieden.

Auszüge

Von Odysseus zum modernen Konfliktmanagementsyste

1. Der Odysseus Pakt

Odysseus war ein mutiger Mann. Er wollte die Stimmen der Sirenen hören und damit ein gefährliches Wagnis eingehen. Er wusste, dass es das Verderben eines jeden Mannes war, die Stimmen der Sirenen zu hören, die sie dazu brachten, Kurs auf die Insel zu nehmen, an deren Uferbrandung die Schiffe zerschellten. Und dennoch, er wollte die Sirenen singen hören.

Aber Odysseus war auch ein kluger Mann. Er wusste, dass sein späteres, die Sirenen hörendes Ich keine klugen Entscheidungen treffen, sondern Kurs auf die Küste nehmen würde. Der kluge „Odysseus jetzt“ musste den dummen „Odysseus später“ vor solchen Torheiten schützen.

Mithin kam es darauf an, die Dinge im Jetzt so für das Später zu arrangieren, dass kluge Entscheidungen auch dann noch umgesetzt werden, wenn der Dumme am Ruder ist. Der Sage nach hat Odysseus die Sirenen singen hören und die Gefahren gemeistert: Er hat seinen Männern befohlen, ihn an den Mast zu binden und keinesfalls seinen späteren „Befehlen“, Kurs auf die Küste zu nehmen, zu gehorchen. Die gesamte Schiffsbesatzung verschloss sich ihre Ohren mit geschmolzenem Wachs, so dass der Sirenengesang sie nicht erreichte und sie „stur“ Kurs halten konnten. Das zukünftige Problem eines irrationalen Odysseus wird durch einen vernünftigen Odysseus vorab gelöst. Einen solchen Pakt – in diesem Falle – mit sich selbst zu einem frühen Zeitpunkt, der Rationalität und Klugheit sichert, nennt man Odysseus-Pakt…

2. Bedeutung für das Konfliktmanagement in Organisationen

Wenn Menschen miteinander etwas Neues schaffen wollen, sei es privat oder beruflich, wird es zu widerstreitenden Interessen und Umsetzungsabsichten kommen, kurz: sie werden in Konflikt miteinander geraten. Mal mehr, mal weniger. Und nach allem, was bekannt ist über die Dynamik von Konflikten, ist es nicht die schlechteste Idee, Vorsorge zu treffen: Kluge Entscheidungen vorab zu treffen für die Fälle, in denen man nicht mehr bei Sinnen ist und den Überblick bzw. das eigentliche und gemeinsame Ziel aus den Augen verloren hat. 

Ausgangspunkt ist die Erkenntnis, dass Gegensätze wesentliche Elemente des sozialen Lebens und Konflikte an sich nichts Schlechtes sind („der Gesang der Sirenen ist schön“). Deshalb geht es im Kern auch nicht darum geht, das Entstehen von Konflikten um jeden Preis zu verhindern, sondern ihre Ausweitung und mögliche destruktive Austragung unter Kontrolle zu halten. Die (potentiellen) Konfliktparteien sollen befähigt werden, mit ihren Gegensätzen weniger destruktiv umzugehen (Glasl 2013, S. 22). Hieran knüpft die im modernen Konfliktmanagement anerkannte Unterscheidung zwischen Konfliktentstehungsprävention und Konflikteskalationsprävention an (PWC/EUV Studie 2016, S.89). 

Beide Ausprägungen des Präventionsgedankens zielen darauf ab, dysfunktionale Wirkungen von Konflikten abzumildern; einmal im Zeitpunkt (vor) der Entstehung und andermal bei deren Austragung. Gegenstand eines vorbeugenden Konfliktmanagements ist also nicht nur das frühzeitige Erkennen von Andersartigkeit, Perspektiven- und Interessenvielfalt und damit verbundenen Konfliktpotenzialen (Antizipation), sondern auch das vorbereitende Tätigwerden und Gestalten in der Gegenwart, um in der Zukunft rational und konstruktiv reagieren zu können, wenn sich die identifizierten Konfliktpotenziale entfalten (Prävention). Odysseus hat hierfür den Weg bereitet.

Dabei erscheint es sinnvoll, nicht nur mögliche dysfunktionale Konfliktwirkungen im Blick zu behalten und gegebenenfalls abzumildern, sondern zugleich auch den Blick für die konstruktiven Wirkungen von Andersartigkeit, Unterschiedlichkeit und Diversität zu schärfen. Denn wenn sich das Neue, Innovative und Zukunftsweisende oftmals nur im Konflikt gegen die Widerstände der Gegenwart und Gewohnheit durchsetzt, dann gilt es antizipierend und präventiv ebenso diese Potenziale im Blick zu behalten und ihnen zur Durchsetzung zu verhelfen.

Insoweit zielen Antizipationsmaßnahmen maßgebend darauf ab, die konstruktiven Wirkungen von Konflikten nicht verpuffen zu lassen, sondern nutzbar für die Organisation zu machen (Utilisierungsgedanke)…

II. Ansätze und Erscheinungsformen antizipativen und präventiven Konfliktmanagements

  1. Innerbetriebliche Maßnahmen
    1. Gesetzlich veranlasstes präventives bzw. antizipatives Konfliktmanagement
    2. Privatautonom veranlasstes präventives bzw. antizipatives Konfliktmanagement
  2. Maßnahmen im unternehmerischen Geschäftsverkehr 
    1. Anbahnung und Begründung von Geschäftsbeziehungen
    2. Umsetzung und Vollzug von Geschäftsbeziehungen

III. Wohin geht die Reise

…“

vollständiges Literaturverzeichnis zum Aufsatz:

  • Esser, Axel / Wolmerath, M.: Mobbing und psychische Gewalt. Der Ratgeber für Betroffene und ihre Interessenvertretung, 10. Auflage, Frankfurt am Main 2020.
  • Glasl, Friedrich: Konfliktmanagement, 11. Auflage, Stuttgart 2013.
  • Gläßer, Ulla / Kirchhoff, Lars / Wendenburg, Felix (Hrsg.): Konfliktmanagement in der Wirtschaft. Ansätze, Modelle, Systeme, Baden-Baden 2014; darin:
    • Gramm, Helmuth: Innerbetriebliche Mediatoren und Mediatorenpools – nicht nur eine Konfliktbearbeitungsinstanz, S. 73-92. 
    • Kirchhoff, Lars / Wendenburg, Felix: Professionalisierungsperspektiven – Konfliktmanagement als Dienstleistung und als Instrument werteorientierter Unternehmensführung, S. 473-487. 
    • Knobloch, Thomas: Konfliktmanagement als integraler Bestandteil des Risikomanagements von Kapitalgesellschaften, S. 375-393.
  • Hoffmann, Hannah: Mediationsklauseln in Verträgen zwischen Unternehmen, Diss. Köln, 2019. 
  • Klowait, Jürgen / Gläßer, Ulla (Hrsg.), Mediationsgesetz – Handkommentar, 2. Aufl. Baden-Baden 2018.
  • Knobloch, Thomas: Integration von Konflikt- und Risikomanagement (CMRM-Modell). Eine betriebswirtschaftliche Herausforderung für Unternehmen, Konfliktdynamik 2012, 224-232.
  • PricewaterhouseCoopers / Europa-Universität Viadrina (Hrsg.): Konfliktmanagement als Instrument werteorientierter Unternehmensführung, Frankfurt (Oder) / Frankfurt a.M 2013.
  • PricewaterhouseCoopers / Europa-Universität Viadrina (Hrsg.): Konfliktmanagement in der Wirtschaft – Entwicklungen eines Jahrzehnts, Frankfurt a.M. 2016.
  • Round Table Mediation & Konfliktmanagement der Deutschen Wirtschaft (RTMKM): Positionspapier der deutschen Wirtschaft zur Umsetzung der EU-Mediationsrichtlinie, ZKM 2009, 147-152.
  • Saintot, Valerie / Friedrich, Kristina: Das MeetingLAB der Europäischen Zentralbank. Ein Bericht aus dem Besprechungszimmer, OrganisationsEntwicklung 2016, 6-12.
  • Schmitz, Anja / Beer, Anne / Fölsing, Jan: Barcamps – Seismographen für emergente Veränderungen. Werkzeugkiste (62) OrganisationsEntwicklung 1/2020, 85-92.
  • Schneider-Brodtmann, Jörg: Konfliktprävention durch Verhandeln in der Wirtschaft, ZKM 2019, 225-227.
  • Schneider-Brodtmann, Jörg:  Deal Mediation. Mediation als Verfahren zur Verhandlungs- und Projektbegleitung sowie als Mittel zur Konfliktprävention in der Wirtschaft, Frankfurt a.M. 2021.
  • Unberath, Hannes: Mediationsklauseln in der Vertragsgestaltung, Prozessuale Wirkungen und Wirksamkeit, NJW 2011, S. 1320-1324.