INKOVEMA-Podcast „Episoden der Mediation“

#12 EdM – Es gibt keine Konflikte, es gibt nur einseitige, untaugliche Lösungsversuche

Als würden Konflikte zwischen den Konfliktparteien stehen und durch diese ergründet und bearbeitet werden können

Episoden der Mediation. Der Podcast zu den praktischen Fragen zur Mediation und des Konfliktmanagements.

Einleitung: Konfliktausschnitte und -themen

  • Hau ab! lass mich in Frieden!
  • Mir reicht’s! ich gehe, das höre ich mich nicht länger mit an!
  • Das war’s, Du kannst doch nicht einfach den Kunden anrufen, ich verlange dass du mich vorher informierst.
  • Ich hab mit dir keinen Konflikt, Du hast ein Problem, aber es ist dein Problem!
  • Du musst mehr mit mir reden!
  • Lass mich in Ruhe, ich muss überhaupt nicht mit dir reden!

Spannungsfeld: Konflikt und Konfliktmanagement

Was sie hier hören, klingt jeweils nach einem Konflikt, tatsächlich aber, von einer anderen Perspektive aus betrachtet, handelt es sich jeweils um kommunizierte Lösungsansätze. Wenn der andere machen würde, was gefordert ist, wäre der Konflikt ja vorbei. Und wenn der andere stattdessen akzeptieren würde, dass er nicht vorher gefragt werden müsse, wäre auch diese Episode vorbei. Um dieses Spannungsfeld von Konflikt und Konfliktlösungsansatz und was denn eigentlich der Konflikt ist und wo dessen Lösung beginnt, soll es heute gehen…MUSIK

Herzlich willkommen! Du hörst die Episoden der Mediation, dem Podcast von INKOVEMA zu den praktischen Fragen der Mediation und des Konfliktmanagement, Ich bin Sascha Weigel und erläutere in diesem Podcast Fragen aus der Mediations- und Konfliktberatungspraxis, stelle Konzeptionen und Modelle der Mediation vor und ordne unterschiedliche Perspektiven und Entscheidungsmöglichkeiten ein. Das ist Folge 12. „Es gibt keine Konflikte es gibt nur Einseitige untauglicher Lösungsversuche.

Traditionelle, romantische Sichtweise auf Konflikte

Nicht nur alltäglich, sondern auch in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung werden sich Konflikte als eine eigene Entität vorgestellt, die fast schon ein Eigenleben führen würden. Konflikte werden als etwas modelliert, das zwischen den Parteien stünde, manchmal als ein undurchdringliches Gestrüpp von Psychologie und Unergründlichem, manchmal als ein Eisberg, der sich zwischen die Parteien geschoben hat und manchmal als Sand im Beziehungsgetriebe. Immer aber sind Konflikte, die zwischen den Parteien auftauchen etwas, das ergründet werden muss, was durchleuchtet und erhellt werden muss, unter deren Oberfläche man schauen muss und deren Wurzeln angegangen werden müssen. Das mentale Bild zeichnet den Konflikt stets als einen Makel, der sich zwischen den Beteiligten entwickelt hat und wie Sand im Beziehungsgetriebe das harmonische Zusammenleben oder das produktive Zusammenarbeiten der Menschen stört. Dieses Bild ist traditionell und zeigt sich, wie ich angedeutet habe, in unserer Sprache und Denkweise über Konflikte.

Es handelt sich bei dieser Idee, der Konflikt als zu erhellender, zu verstehender und zu bearbeitender Makel, der ein regelrechtes Eigenleben entwickelt, um eine romantische Vorstellung des Konflikts. Romantisch nicht deshalb, weil der Konflikt romantisiert wird, sondern weil der Konflikt der zwischen den menschlichen Parteien steht, ein romantisches Vorstellungsbild unterstützt, nämlich dass ohne diesen Konflikt die Parteien in Harmonie und Zufriedenheit ihrem Glück und ihrer wahren Bestimmung entgegen gehen könnten.

Tatsache ist, Konflikte bestehen aus völlig unterschiedlichen Problemen, die miteinander durch die Problemträger derart gekoppelt sind, dass deren Lösungsidee mit der Konfliktpartei zu tun hat

Doch Tatsache ist, dass Konflikte nicht einheitlich durch die Konfliktparteien wahrgenommen werden können. Ihre subjektive Beteiligung und Verortung schließt das aus. Die Parteien können allenfalls ihre jeweiligen und konträren Problemwahrnehmungen, -beschreibungen und -lösungsversuche aufgeben und sich auf eine gemeinsame Problemwahrnehmung, -beschreibung und -lösungsfindung einlassen – womit das bisherige Bild aufgegeben werden würde.

Konfliktsituationen zeichnen sich dadurch aus, dass zwei Parteien konträre Problemwahrnehmungen und -beschreibungen haben und versuchen, ihre Problemlösungsansätze – notfalls auch gegen den Willen der anderen Partei durchzusetzen versuchen -, kommunizieren. Diese zwei konträren Problemdefinitionen prallen aufeinander und lassen die Beteiligten getrennt von einer gemeinsamen Problem- und Lösungsidee erleben und erscheinen. Es ist ein wichtiger Unterschied für die Praxis der Konfliktbearbeitung, ob man das Sprachbild belebt, dass beide Parteien einen gemeinsamen Konflikt bearbeiten, der sich zwischen ihnen aufgetan hat, und das auch in der Sprache zum Ausdruck bringt oder, ob man z.B. als Mediator von zwei unterschiedlichen Probleme spricht, die jeweils unterschiedlichen Problemträgern gehören, die der Meinung sind, dass für die Lösung dieser Probleme der jeweils andere benötigt wird. Für dieses zweite Sprachbild und seine praktischen Konsequenzen möchte ich in dieser Episode plädieren. Es hilft, in Mediationen empathisch Distanz zu wahren und der Verführung zu widerstehen, dass man selbst die bessere Lösung für den einen Konflikt hat, von dem man sich eben kein Bild mehr machen muss, wenn da NICHTS mehr zwischen den Parteien ist.

Vorgehen in der Mediation

In der Mediation, nachdem ein Mediationsvertrag geschlossen wurde und letztlich das Mediationsgespräch im engeren Sinne beginnt, starten wir regelmäßig damit, dass jede Seite erst mal ihre Sichtweise erzählt. Um nicht das Sprachbild des einen Konflikts zu beleben, lohnt es sich übrigens nicht mehr von Sichtweisen (auf einen Konflikt) zu sprechen, sondern von Problemwahrnehmungen und -beschreibungen zu sprechen. Beim Auftakt in der Mediation würde man also betonen, dass sich die Parteien über ihre jeweilige problematische Situation ins Bild setzen müssen und dass es dabei zwar zu Überschneidungen kommt, letztlich aber zwei unterschiedliche Problemwahrnehmungen und Problemlösungsansätze beschrieben werden. Und auf dieser konzeptionellen Basis ist das aufmerksames Zuhören einer Konfliktpartei auch ein wirklich neues Erlebnis.

Im Konflikt treffen also zwei völlig unterschiedliche Persönlichkeitswelten aufeinander, die bereits vorher und immer noch zeitlich und thematisch begrenzt zusammenpassen wollen. Ob nun glückliche Beziehung oder Konfliktbeziehung, im privaten wie im beruflichen, sie bringen sich stets und permanent in Aushandlungsprozessen zum Ausdruck – und im Konflikt gelingt der buchstäblich entscheidende Abschluss nicht mehr, stattdessen versuchen die Beziehungspartner ihre jeweiligen Lösungsideen auf die jeweils ganz eigenen Problemwahrnehmungen durchzusetzen – im Konflikt notfalls ohne oder gegen den ausdrücklichen Willen der anderen Seite. Die Eingangszitate haben das klischeehaft verdeutlicht.

Bei dem was wir Konflikt nennen, handelt es sich also um jeweils einseitige, untaugliche, und zur Unzeit, weil viel zu früh geäußerte Lösungsversuche, bei denen die Parteien erleben, dass der andere sie nicht mit trägt. Deshalb, so die Annahme, müssen sie vehementer vorgetragen werden.

Doch wie kommen die Partei von diesen einseitigen und untauglichen Lösungsversuchen nun zu gemeinsamen Lösungen?

Uabhängig von Tools und einzelnen Konzepten und Vorgehensweisen, lässt sich ganz generell ein Weg beschreiben, der auch in unserer menschlichen Biologie angelegt ist: wir haben zwei Ohren, die wir nicht verschließen können, auch wenn wir Töne nicht hören wollen. Andererseits haben wir nur einen einzigen Mund, den wir halten können, auch wenn wir etwas sagen wolle. Es lohnt sich also, dies nutzbar zu machen und zunächst einmal das Stakkato der eigenen Lösungsansätze zu unterbrechen und zuzuhören, welches Problem die andere Seite bearbeitet, von der sie annimmt, dass sie uns selbst zur Umsetzung benötigt, um dann umgedreht unsererseits Raum zu haben, das Problem oder die Probleme, die wir mit der anderen Seite haben, zu beschreiben und für deren Lösung wir das Handeln oder ein Unterlassen der anderen Seite benötigen. Das ist es, was ein Mediator in der Mediation zu Beginn anvisiert, organisiert, strukturiert und auf deren Vollendung Acht gibt. Allgemeinhin wird diese Phase der Mediation lediglich dazu verwendet, um eine Agenda oder ein thematischen Fahrplan für die Mediation zu kreieren; tatsächlich aber ist das die wichtigste Situation, in der sich zwei Problemwahrnehmungsträger zurücknehmen mit ihren kommunizierten Lösungsansätzen und in die individuelle Problembeschreibung gehen sollen, obschon sie doch stimmige Lösungsansätze parat haben! Das muss und wird auch häufig als eine Zumutung erlebt, die sich häufig nur dadurch ertragen lässt, dass man zugleich eine unabhängige Person „überzeugen“ kann, dass die eigene Sichtweise stimmig ist und der Lösungsansatz nicht ganz falsch sein kann – und mit Hilfe des Mediators die Überzeugung endlich gelingen möge. Diese Verlangsamung, ja geradezu das Zurückwerfen auf die Problembeschreibung und das Unterbinden jeglicher Lösungsideen, ist auch ein echter Lackmustest, ob die Parteien gemeinsam an einer Lösung interessiert sind – und damit ihre Lösung gemeinsam finden wollen.

Der Zeitraum, in dem beide Seiten gemeinsam ihre Probleme, die miteinander gekoppelt sind, darlegen und ihre häufig emotionalen Ausschläge erleben können, soll den gemeinsamen Raum schaffen, in dem die gemeinsame Lösungen Platz bekommen. Dieser Raum kommt, wenn überhaupt zustande, wenn die Parteien aufhören, sich von ihren Lösungsideen zu überzeugen oder versuchen, diese Lösungsideen durchzudrücken und zunächst sich gegenseitig ins Bild setzen und ins Bild setzen lassen.

In der Bearbeitung dieser aufeinanderprallenden unterschiedlichen Probleme und ihren untauglichen Lösungsansätzen durch die jeweiligen Parteien kommt es also zunächst darauf an, die Lösungsfindung auszusetzen und in diesem Sinne zu entschleunigen – denn dadurch, dass erst einmal ein gemeinsamer Raum geschaffen wird, der die Lösung tragen kann, gelingt die Lösungsfindung schneller. Das meint der Ausdruck: Langsam geht schneller.

Ohne diesen gemeinsamen Raum gelingt es nur, den Kampf des Abprallens der Lösungsideen zu verstärken oder die Unterwerfung der einen Seite unter die andere Seite.

Dieser Raum ist geschaffen, wenn die zwei divergierenden individuellen Problembeschreibungen auf eine gemeinsame Problembeschreibung gelungen ist und damit die Parteien sich neu aufeinander eingestellt und gemeinsam ausgerichtet haben, sozusagen nicht mehr von Angesicht zu Angesicht gegenüberstehen, sondern in eine gemeinsame Richtung schauen und eine gemeinsamen Lösungsweg, der schon mit der Mediation begonnen hatte, fortführen. Die weitere Arbeit in Mediation entspricht dann z.B. eher eines Workshops einer Arbeitsgruppe,

Das war’s für dieses Mal, vielen Dank fürs Zuhören, und vielleicht konntest Du die ein oder andere Idee entwickeln für deinen Fall. Wenn dem so ist oder dir der Podcast einfach nur so gefällt, lass’ es mich wissen und schreib mir gern dazu Deine Fragen, die mglw. noch offen geblieben sind.

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Für den Moment verabschiede ich mich bei dir mit den besten WünschenBis zum nächsten Mal! Komm gut durch die Zeit! Ich bin Sascha Weigel

Dein Host von INKOVEMA – dem Institut für Konflikt- und Verhandlungsmanagement in Leipzig und Partner für professionelle Mediations- und Coachingausbildungen.

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Element Nr. 20 – Konflikt