Der evaluative Mediationsstil (1/4) – Evaluative Mediationsdienstleistungen
Bewertende und bewährte Tätigkeiten von Mediator*innen in Mediationen
Blogreihe zur Evaluativen Mediation
- Evaluative Mediationsdienstleistungen. Bewertende und bewährte Tätigkeiten von Mediator*innen in Mediationen
- Rechtmäßigkeit evaluativer Mediationstätigkeiten.
- Mediationsmäßigkeit evaluativer Mediationstätigkeiten. Mediationsprinzipien als Rahmung evaluativer Mediationsdienstleistungen.
- Chancen und Risiken evaluativer Mediationsdienstleistungen. Do it!
Einführung
Mediationsstile lassen sich unterschiedlich kategorisieren und einordnen. Das ist natürlich hilfreich, um die verschiedenen Aspekte, die betont werden sollen, auch betonen zu können. Nicht ganz einfach lässt sich aber deshalb überhaupt ein verbindliches Vokabular und Verständnis für die einzelnen Mediationsstile selbst finden oder aufstellen.
In diesem Blog sind bereits mehrmals die Möglichkeiten einer Landkarte für Mediationsstile vorgestellt worden. Darauf sei hier verwiesen.
- Riskins Grid. Landkarten von Mediation (1/3)
- Meta-Modell der Mediation von Nadja Alexander Landkarten von Mediation (2/3)
- Basisgedanken von Mediation als Landkarte zur Verortung von Mediationsstilen. Landkarten von Mediation (3 von 3)
Im folgenden Beitrag soll es deshalb allein um die Tätigkeitsbereiche gehen, die in aller Regel und zuweilen auch in aller Entschiedenheit von anderen Mediationsstilen abgelehnt werden, die jedoch im Rahmen einer evaluativen Mediationstätigkeit erwünscht, abgefordert und durchgeführt werden.
Bandbreite der Tätigkeiten evaluativer Mediation
Evaluative Tätigkeiten, also bewertendes Arbeiten lassen sich für Mediator*innen am besten verorten, wenn man die Spannweite der Tätigkeiten insgesamt in den Blick nimmt, die neutrale Dritte prinzipiell durchführen können.
Dritte können einerseits lediglich moderieren, den Kommunikationsprozess begleiten und so wenig wie möglich „eingreifen“.
Sie würden auf einer noch niedrigeren, aber wirksamen Stufe auch einfach nur anwesend sein können, ohne dass sie etwas über Ihre Anwesenheit und Aufmerksamkeit hinaus kommunizieren müssten. Anekdote: In der englischen Premier-League gab es in den 1990er Jahren ein Projekt, um die Fan- und Stadienkultur zu verbessern: Als Aufseher*innen im Fanblock hat man einige der Mütter der Hooligans (Fussballfans) gewinnen und die aggressive Stimmungen der Fans ein wenig beruhigen können. Mittlerweile wird dieser Lösungsansatz in anderen Ligen übernommen (Brasilien). Dies nur als ein spezielles Beispiel für die Erfahrung, dass anwesende Dritte eine sozialisierende Wirkung auf Streitparteien haben können.
Moderierende Dritte nehmen die Themen und Kommunikationsbeiträge der Konfliktbeteiligten auf und strukturieren sie, sortieren sie und „lassen“ zu diesen dann vertiefende Beiträge zu. Sie sorgen dafür, dass die Konfliktbeteiligten moderat dazu kommunizieren (können), unterbinden Entgleisungen und Unterbrechungen und regen zum Austausch über die Sichtweise an. Derart begleitende Mediatoren forcieren nicht die Kommunikation, lassen diese aber auch nicht versiegen.
Im völligen Gegensatz dazu agieren neutrale Dritte ganz entscheidend, können, sollen und müssen anhand eines neutralen Maßstabs eine Entscheidung treffen, die sodann die Beteiligten bindend zukommt. Diese Funktion eines Dritten übernimmt die Richterperson. Neutral und unparteilich wird anhand eines konfliktparteienunabhängigen Maßstabs eine Entscheidung getroffen. Im Rechtsstaat, in dem ein staatlicher Richter agiert, ist es der Maßstab des Rechts.
Sog. Schlichter haben die Aufgabe, als neutrale Dritte in einem Streit eine – für alle Seiten annehmbare – Lösung vorzuschlagen, die sodann von den Konfliktparteien geprüft und als passend oder unpassend angenommen bzw. abgelehnt werden kann.
Mit diesen grundlegenden Einordnungen neutraler Dritter können im Folgenden einzelne Tätigkeiten evaluierender Mediator*innen schlaglichtartig aufgelistet werden.
Doch wenn man sich dem Für und Wider mediatorisch-evaluativer Tätigkeiten nähern will, ist es unerlässlich im Blick zu behalten, dass die Einsatzfelder für Mediator*innen höchst unterschiedlich sind:
- Ein Anwaltsmediator in einer Wirtschaftsmediation zwischen zwei international agierenden Firmen hat ein völlig anderes Arbeits- und Aufgabenfeld in der Mediation zu bewältigen,
- als eine Mediatorin in einer Gemeinde, in der über Infrastrukturmaßnahmen im Kontext der Energiewende und des Naturschutzes gestritten wird,
- ganz zu schweigen von einer Anwaltsmediatorin, die ein trennungs- und scheidungswilliges Paar begleitet,
- sowie ein Mediator, der in einem Team die Arbeitsfähigkeit wieder herstellen soll oder
- ein WG-Mediator, der in einer Erwachsenen-WG Alltagskonflikte vermittelt bzw.
- ein Mediator, der zwischen einem Landwirt und einer Jägerin einen Streit über Forst- und Jagdrechte vermitteln möchte.
Die Liste kann um ein dutzend Fallkonstellationen erweitert werden, bei der jeweils spezifische Aufgaben und Erwartungen von Mediant*innen anstünden.
1. Leitplanken darstellen, innerhalb derer sich die Abschlussvereinbarungen bewegen müssen
Evaluativ arbeitende Mediator*innen können proaktiv Rahmenbedingungen und Leitplanken darlegen, innerhalb derer die Lösungsideen angesiedelt sein müssen. Derartige Leitplanken können gesetzlich Grenzwerte sein oder auch finanzielle Rahmenbedingungen, die z.B. von Auftraggeberseite benannt wurden.
So hat, um ein einfaches Beispiel aus meiner älteren Praxis anzubringen, die auftraggebende Universität bei einem Streit zwischen Institutspersonal deutlich gemacht, dass es keine weiteren universitären Räumlichkeiten gibt, die für die Personen zur Verfügung stünden. Eine räumliche Trennung der Personen, die sich gegenseitig über die Jahre wehgetan hatten, kam insoweit nicht in Frage; möglich war es lediglich, die vorhandenen Räumlichkeiten anders aufzuteilen, was im Endeffekt auch geschah.
Etwaige Leitplanken, die der Mediator proaktiv in die Mediationsgespräche einspielen kann, könnten auch strategische Entscheidungen der Gesamtorganisation sein, die durch die Mediation nicht abgeändert werden würde. Dies stellt eine Rahmenbedingung dar, die den potenziellen Verhandlungsspielraum der Beteiligten bereits begrenzt. An diesem Beispiel wird auch deutlich, dass in einigen Konstellationen Mediation auch nicht allein dergestalt gedacht werden kann, dass alle relevanten Personen am Mediationstisch sitzen, sondern zuweilen auch Personen (bzw. Rollenträger) existieren, die über bestimmte Punkte angesichts eines Konfliktes nicht reden oder gar verhandeln wollen, aber damit auch „rahmensetzenden Einfluss“ ausüben. Und beauftragte Mediator*innen sollten diese Grenzen bei den Verhandlungen zwischen den Konfliktparteien im Blick behalten, um den Auftrag gut zu erfüllen.
In Familien- oder Erbschaftssituationen sind derartige Konstellationen auch denkbar. Auch hier kann die Mediationsperson z.B. die Ferien- oder Feiertage proaktiv benennen – und damit einer Seite gewissermaßen Unbehagen bereiten. Z.B. bei den Verhandlungen über ein Wechselmodell und welcher Tag in der Woche für den Wechsel gewählt werden soll. Denken hier die Beteiligten nicht rechtzeitig oder von allein an sog. Brückentage, Feiertagskonstellationen, die eine Seite stärker belasten als die andere, erscheint es ein Gebot der Effizienz und Nachhaltigkeit, dass die Mediationsperson darauf hinweisen darf.
Konsequenzen evaluierender Vorgehensweisen
Derartige Aufgaben führen in der Praxis auch dazu, dass sich der evaluierende Mediator mit dem Streitgegenstand und seinen Rahmenbedingungen auch schon vor Beginn der eigentlichen Mediationssitzungen vertraut macht. Er wird ggf. Akten(kopien) anfordern oder ausführliche Stellungnahmen einfordern. Das ist eine typische Intervention, um den Evaluationsauftrag erfüllen zu können und steht im Gegensatz zu anderen Mediationsstilen, die eher darauf Acht geben, möglichst gar Nichts und Niemanden vor Beginn zur Kenntnis zu nehmen.
Zudem macht hier – wie auch bei den anderen evaluierenden Tätigkeiten – der Ton die Musik: Inwieweit der Mediator mit seinen Evaluationen das Risiko eingeht, seine allparteiliche Stellung bei den Mediant*innen zu verlieren, hängt von der Art und Weise ab, wie er seine evaluierende Sicht einbringt.
Ein „Sie müssen aber beachten, dass im kommenden Halbjahr 5 Brückentage existieren, die für Ihre Partnerin zu fünf langen Wochenenden mit dem Kind führen, für Sie aber zu gar keinem derartigen Wochenende!“ klingt anders, als wenn zur „…meine Empfehlung zur Tragfähigkeit der anvisierten Vereinbarung…es sinnvoll erscheint, sich die Konsequenzen genau anzuschauen, damit es keine bösen Überraschungen gibt, oder?“.
2. Irrige Vorstellungen der Konfliktparteien von Leitplanken korrigieren
Ganz ähnlich liegt die Sache, wenn die Mediatorin registriert, dass die Konfliktparteien oder eine der Konfliktparteien von einer Kontextbedingung ausgeht, die gar nicht so existiert. Auch hier könnte eine realitätskonfrontierende Tätigkeit durch die Mediatorin seitens der („benachteiligten“) Mediant*innen negativ ausgelegt werden und als einseitiges Agieren zugunsten einer Konfliktpartei gewertet werden.
Beide Formen der Realitätskonfrontationen sind Ausdruck einer Kompetenz fachlicher Beurteilung der Sachlage, nicht einer Beurteilung einer Person bzw. einer Position dieser Person. Jedoch muss das keineswegs in der Praxis von den konkreten Konfliktparteien auch so gesehen und bewertet werden.
Das bedeutet zweierlei für die Mediationspraxis:
- Nur weil es rechtlich erlaubt ist (dazu mehr im zweiten Beitrag), als Mediationsperson zu evaluieren, heißt das nicht, dass die Mediationsarbeit leichter wird oder die Mediant*innen das auch gut finden. Wichtig ist, dass diese Mediant*innen derartige evaluierende Tätigkeiten beauftragt haben!
- Auch wenn man Evaluationen aus der eigenen professionellen Sichtweise als neutral einstuft und sie mit der Absicht für eine nachhaltige Lösung eingebracht hat, heißt das nicht, dass alle Mediant*innen das auch so erlebt haben, diese Einschätzung teilen oder ihr etwas Gutes abgewinnen können.
Zusammenfassend lassen sich diese evaluierenden Tätigkeiten auch als Sparringspartnerschaft verstehen: Die Mediator*in bietet sich an, die eigene Argumentationskette, mit der man überzeugen und punkten will, auf Schwachstellen hin zu prüfen. Dies kann oftmals gelingen im Dreiecksgespräch einer Mediation, zuweilen aber viel besser und gesichtswahrender in entsprechenden Einzelgesprächen nach § 2 Abs. 3 MediationsG. Zuweilen erschöpft sich eine derartige Intervention auch durch klärungsfokussierendes Nachfragen. Oder anders gewendet: Auch wenn sich Mediator*innen in ihrer Tätigkeitsbeschreibung nicht als evaluierend verstehen, so wirken ihre Nachfragen jedoch zuweilen genau in diese Richtung.
3. Lösungsansätze präsentieren (Wege aufzeigen)
Mediator*innen können auch den Auftrag erhalten (und annehmen!), dass Sie Wege aufzeigen, auf denen die Konfliktbeteiligten ihre Lösung erarbeiten und finden können.
Die Mediation als Verfahren stellt einen Lösungsansatz dar, den in aller Regel die Mediatorin empfiehlt!
Ein derartiger Weg stellt zunächst die Mediation als solche dar, ihr Verlauf in ihren Phasen wird präsentiert, erläutert, vorgeschlagen und unter der Verantwortung der Mediationsperson durchgeführt. Dieser mediatorische Weg soll auch zu einer allseits passenden Lösung führen, weshalb es völlig unnötig ist zu betonen, dass der Mediator keine Lösung bringt (nur um die Abgrenzung zum Richter zu betonen).
Die Mediatorin zeigt auch verschiedentlich Wege auf, indem sie die einzelnen Verhandlungspunkte strukturiert, sortiert, zuweilen aussortiert, um aus ihrer Sicht und in Absprache mit den Beteiligten eine Verhandlung überhaupt in Gang bringen zu können. Zuweilen muss der Verhandlungsspielraum der Beteiligten zeitlich oder inhaltlich eingeschränkt werden, damit er überhaupt genutzt werden kann. Indem die Mediatorin die Verhandlungsabschnitte verdaulich strukturiert, werden die Themen auch bekömmlich.
Derartige Begrenzungen, Zubereitungen und Verlagerungen von Themen, Fragestellungen und Entscheidungsnöten, die stets in Absprache getroffen werden, sind zwar von einer Warte auch eine prinzipielle Spielbegrenzung, aber sie sollen spielbare Spielräume überhaupt erkennbar machen und eröffnen. Es handelt sich also nicht um eine mediatorisch-diktierende Vorgabe, sondern um eine Stoßrichtung, die Verhandlungsspielraum eröffnen soll, ohne dass bereits direkt über einzelne Issues verhandelt wurde.
Zusatz
Eine in der Praxis besonders hilfreiche Intervention ist die (Haus-)Aufgabe, konkret die BATNA und die WATNA zu klären. Das sind generell zwei wichtige Verhandlungsvorbereitungen für Konflikt- und Verhandlungsparteien, die häufig unterlassen werden und die Verhandlungen erschweren.
- Die Best Alternative To Negotiated Agreement stellt dabei nicht die häufig beschworene Schmerzgrenze der Verhandlungspartner dar, sondern ist die Antwort auf die Frage, was denn nach Scheitern der Verhandlungen bestenfalls unternommen werden kann. Diese Antwort muss jedoch vor dem Scheitern bzw. vor dem Verhandlungsbeginn erfolgen. Denn die BATNA ist eine wichtige Messeinrichtung, um potenzielle Verhandlungsergebnisse bewerten zu können.
- Die Worst Alternative To Negotiated Agreement unterstützt die Parteien ebenfalls, um während der Verhandlungen einen klaren Kopf zu behalten. Ebenso wie die BATNA muss die WATNA vor Verhandlungsbeginn ausgearbeitet sein. Während der Verhandlungsverläufe sollten beide jederzeit einsehbar bleiben.
Die Leitfragen für die Mediationsperson für die WATNA und BATNA könnte salopp formuliert so lauten: Was wird bestenfalls/schlimmstenfalls jeweils von Euch im Nachgang unternommen werden, wenn Ihr Euch hier nicht einigt!
4. Lösungsideen präsentieren – Vorschläge unterbreiten (Ziele aufzeigen)
- Der Mediator agiert bereits evaluierend (und riskiert Einiges!), wenn er Vorschläge und Lösungsideen der Konfliktparteien, die diese bereits in den Mediationsgsprächen gemacht haben, abermals aufgreift und zur Disposition stellt. Denn er stellt die Konfliktparteien vor eine Entscheidung, die sie sich selbst, dem Anderen und dem Mediator gegenüber begründen müssen. Das Argument, dass diese Entscheidung bereits getroffen wurde, kann zwar versucht werden, aber genau dieses „Argument“ hat der Mediator mit seinem aktuellen Vorschlag, sich auf diese (ältere) Lösungsidee nochmals zu besinnen, bereits entkräftet. Oder anders: Diese Ablehnung ist eine Auflehnung gegen die Idee des Mediators, zu der dieser provoziert hat. Wie gesagt: machbar, aber nicht ohne Risiko. Dazu aber in einem späteren Blogbeitrag mehr.
- Weitergehend und mit größerem Risiko, aber auch chancenreicher ist es für Mediatorinnen, Lösungsideen und -vorschläge zu unterbreiten, die dem verstandenen Verhandlungsverlauf und den geäußerten Interessen und Bedürfnissen der Konfliktparteien entsprechen. Hierbei sollte eine Leitlinie sein, dass die Verbindung zu den Interessen und Bedürfnissen bzw. der Anknüpfungspunkt an den Verhandlungsablauf offensichtlich ist und nicht erst umständlicher Erläuterungen bedarf. Denn das führt schnell zu dem Eindruck, dass hier die Mediationsperson ihre Idee erst schmackhaft reden muss und überzeugen will.
- Ein Lösungsvorschlag, der für die Konfliktparteien neu erscheint und eher überraschend wirkt, weil er mehr in der Welt des Mediators entwickelt wurde, weil er auch auf ihr fusst, ist die stärkste Form der evaluierenden Intervention seitens des Mediators. Mit ihr sollte besonders sparsam umgegangen werden und stets begleitet von der (ernstgemeinten) Tatsache, dass dieser Vorschlag auch einfach abgelehnt werden kann.
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