Warum Mediator*innen fragen –
aber nicht Warum!
Fragen als Interventionen in Mediationen und Coachings
Einleitung
Es dauert nicht lang in Mediationen und alle wissen: Mediator*innen stellen Fragen.
Doch warum, wozu, weshalb – und wie konkret?
Generell gilt: In Gesprächen können wir selbstredend Fragen stellen, um Informationen zu erfragen, z.B. Zahlen, Daten, Fakten, aber auch Absichten und Wirkungen. Wir können aber auch – alle miteinander – die Anderen fragend prüfen, fragend kritisieren, sich – laut kommunizierend – fragend in ein gutes Licht rücken und den anderen fraglos fragend in den Schatten stellen. Wir können immer und überall – und nicht nur in Mediationen oder Coachings – fragend ermuntern, fragend loben, aber auch fragend einschüchtern, geradezu kleinfragen und abwertend Fragen stellen; wir können fragend Informationen senden, gar Lösungsideen.
Was wir nicht können, selbst wenn wir glauben, dass das doch noch möglich sein müsse: einfach mal zu fragen, so ganz ohne Kontext und Absicht.
Das geht wohl kaum. Wir erkunden nicht nur fragend die Welt, sondern geben sie auch preis – vor allem die unsrige. Und zuweilen verlieren wir uns auch und bleiben fraglos stecken. Wir können fragend – und bitte besonders in Mediationen – die Befragten, aber auch die An- wie Abwesenden schützen, und leider auch beschämen.
Fragen sind eine Welt für sich – und – zumindest in Mediationen – das maßgebende Instrument (in) der Welten erschaffenden Kommunikation.
Ein Beispiel für den Anfang, was eine Frage kann: „Ein Franziskaner sah einen Jesuiten im Zugabteil beim Brevierlesen rauchen! Etwas neidisch wies er ihn darauf hin, dass das verboten sei. „Im Gegenteil“, sagte der, „ich habe die Erlaubnis des Heiligen Vaters“. Erstaunt wandte sich der Franziskaner später selbst an den Vatikan und erhielt eine Bestätigung des Rauchverbots beim Brevierlesen. Wütend konfrontierte er den Jesuiten bei nächster Gelegenheit damit. „Ach entschuldige“, sagte der Jesuit, „Ich vergaß, dass Du Franziskaner bist und sicher gefragt hast, ob Du beim Brevierlesen rauchen darfst!“, „Ja.“ „Du hättest fragen sollen, ob Du beim Rauchen Brevierlesen darfst.“ (PS: Ich verstehe das Beispiel im Hinblick auf die Frage, aber was es mit Jesuiten und Franziskanern auf sich hat, das blieb mir bisher verschlossen. Hinweise gern in die Kommentare…)
Sinn von Fragen: Wirksamkeit
1. Das Instrument
Es gibt nicht per se gute oder schlechte Fragen. Als Instrumente sind sie von den Absichten und Kontextbedingungen in ihrer Wirkungsweise abhängig. Fragen sind die zentrale Intervention in Mediationen und ein kunstvolles Handwerk der Kommunikation überhaupt. Sie sind ein Instrument der Kontaktaufnahme, des kommunikativen Anklopfens. Sie sind wirkungsmächtig, weil sie Entscheidungen abverlangen und Handlungen nach sich ziehen. Es ist beispielsweise gar nicht so einfach, ein Gespräch ganz ohne Fragen zu führen. Versuchen Sie es einmal – und Sie merken, wie sehr sie kommunikativ auf Fragen angewiesen sind. Zudem merken Sie auch recht schnell und unangenehm, wenn an Sie in Gesprächen keine Fragen gestellt werden. (An-)Fragen sind nicht nur Prüfungen, sondern auch Erleichterungen.
Natürlich erfährt ein Fragender durch die Antwort Neues. Er erhält Daten und generiert Informationen. In Mediationen geht es aber weniger um diesen Aspekt. Maßgebend für Mediator*innen ist vielmehr die Tatsache, dass die befragte Person Neues erfährt! Fragen in der Mediation sind das Ergebnis eines Auswahlverfahren, über das allein die Mediationsperson entscheidet. Das begründet die Macht der fragenden Person.
2. Die mediationsrelevanten Wirkungen
- Die fragende Mediatorin führt das Gespräch.
- Der fragende Mediator „informiert“ die anderen übers Eck, was ihm wichtig ist.
- Die fragende Mediatorin gewinnt neues Wissen und neue Einsichten über die Beteiligten – genauso wie die Zuhörenden auch.
- Der fragende Mediator gibt sein Interesse (an der Sache und dem anderen!) preis.
- Die fragende Mediatorin strukturiert, setzt ihre Schwerpunkte, rahmt das Thema ein und bestimmt, wie – mit dem jeweils aktuellen Thema – fortgefahren wird.
- Der Fragende Mediator bestimmt, ob und wie er den Anwesenden Zeit und Raum zur Entfaltung gewährt.
Mediator*innen teilen ein, zu, aus und manchmal auch für immer. All das zeigt, dass in der Tat die Mediator*innen darüber bestimmen, wie die Konfliktparteien mit ihrem Konflikt verfahren. Diese Verfahrensherrschaft ist unstrittig und doch erst die gewählte Formulierung zeigt, welche Auswirkungen das auf den Inhalt hat.
Welche Frage zu welchem Zeitpunkt sinnvoll und damit wegweisend ist, hängt letztlich von den Hypothesen der Mediationsperson ab. Diese Hypothesen, ob bewusst oder unbewusst, leiten den Klärungsprozes. Eine maßgebliche Herausforderung ist dabei, dass sich die Mediationsperson über ihre Hypothesen und Annahmen Klarheit verschafft, sie prüft und ggf. verwirft. Dieser Prozess erfolgt vor allem im Modus des Fragens. Explizit im Fragen gegenüber den Konfliktparteien als auch implizit gegenüber sich selbst.
3. Fragen sind immer auch Trojanische Pferde
- Fragen enthalten stets implizite, häufig unbewusste Annahmen der fragenden Person;
- Fragen enthalten in aller Regel auch Annahmen und Unterstellungen über die befragten Personen und den abgefragten Inhalt;
- Nich immer gelingt es, dass die Annahmen als Hypothesen auch mental in der Schwebe gehalten und zur Überprüfung gestellt werden. Manche Hypothese wird früher oder später zur angenommenen Wahrheit.
- So geht der Fragende davon aus, dass er das Recht zur Frage hat, was nicht selten aus der Rolle und Funktion seiner Aufgabe hervorgeht.
- Ebenso geht der Fragende davon aus, dass der Befragte antwortet und eine Antwort parat hat.
- Beide gehen auch davon aus, dass das sinnvoll ist anzunehmen und durchzuführen.
4. Erlebensweisen und -reaktionen auf Fragen
- Fragen können hilfreich und förderlich erlebt werden. Die Reaktionen führen und sind de facto der berühmte und ersehnte „weitere Schritt in die erlösende Richtung“.
- Fragen können auch als Zwang und Druck empfunden werden. Sie wirken einengend konfrontativ, in die Ecke treibend.
- Fragen können einladend, öffnend, weitend, möglichkeitserweiternd erlebt werden. Derartige fragende Einladungen werden mit Blick auf eigene, vielleicht erst durch die Frage wachgerufene Wünsche und Bedürfnisse beantwortet.
- Fragen können aber auch beschämend und entblößend wirken, regelrecht obszön daherkommen. Die erfragende Entblößung z.B. persönlichkeitsintimer Aspekte durch die Frage wird durch die beschämende Antwort darauf, die gar nicht verweigert werden kann durch die befragte Person, abgelöst.
- Die Vorstellung, dass Sokrates die eigenständige Erkenntnis gefördert habe, ist leider nur eine Interpretation (von mehreren). Es ist nicht ausgeschlossen, dass die machtvolle, penetrant dummstellende, aber fokussiert drängende Befragung und Gesprächsführung Sokrates’ das Selbstbewusstsein aufhebt und die Gedankenpfade des Fragenden einzwängt: Der Befragte wird zum Knecht (Bodenheimer), der die Logik Sokrates‘ mitsamt der Implizitäten und Paradigmen folgen muss.
Macht und Umgang mit Macht
Wer sich befragen lässt, schreibt Macht zu. Wer fragt, schreibt sich Macht zu. Wer für’s Fragen bezahlt, zeigt, wieviel Macht er dem Fragen einräumt. Und wer sich fürs Fragen bezahlen lässt, zeigt, wie viel Macht er zugesprochen bekommen möchte, also verlangt.
Berater*innen, auch Mediator*innen werden genau deshalb aufgesucht, um diese fragende Macht, die den Inhalt, den Fokus, die Person, den Zeitpunkt und die Abfolge auswählt, zugeschrieben zu bekommen und anzunehmen. Die drängende Erwartungshaltung, Mediator*innen mögen diese Macht annehmen, hat ihre Berechtigung. Die Aufgabe und Rolle ist, mit dieser zugewiesenen und jederzeit entziehbaren Macht professionell umzugehen. Das will gelernt sein. Und Erfahrung tut Not.
1. Professionelle Machtrückübertragungswege
Wem solche Macht übertragen wird und wer sie annimmt, wohlwissend, dass sie jederzeit wieder weggenommen werden kann, tut gut daran, seine Kommunikation derart zu kleiden, dass die verliehene Macht die fragende Machtausübung gleichsam, aber förmlich bekleidet. Die formale Machtausübung impliziert die informelle Machtrückübertragung!
- Fragen als Bitten um Antworten und Einladungen zum Nachdenken formulieren: Bitten dürfen abgelehnt werden, Einladungen auch. Aber gestellt sind sie beide doch.
- Forderungen selbst führen zu Druck, der Widerstand hervorruft. Und die Warum-Frage führt regelmäßig zu Rechtfertigungsbemühungen und -stimmungen.
- Kommunikation des Kontexts ist wichtig: Der Kontext ist bei einer Frage immer die verfolgte Absicht und der Hintergedanke, der bewusst als Hypothese transparent gemacht werden kann. Diese Absichten und Hintergedanken sollten stets auftragsbezogen ausgestaltet sein.
- Den Anlass für die Frage im Gespräch mitteilen – zu diesem Zeitpunkt, in dieser gewählten Form, all das hilft, dass kein Widerstand aufgebaut wird.
- Ausdrücklich die Erlaubnis zu einer Nichtbeantwortung explizit einflechten.
- Sich für die Antwort bedanken, denn nach der Frage ist vor der nächsten Frage. Aber bitte kein geförmeltes Dankesbombardement.
2. Tomms Landkarte von Fragen und Absichten
Aus diesem Grunde zum Schluss eine Landkarte der Frageformen von dem Systemtheoretiker Karl Tomm, die auch Auskunft darüber gibt, welche Absichten und mutmaßlichen Wirkungen hervorgerufen werden.
Lieber Sascha
Vielen Dank für den spannenden Artikel!
Ich nutze in meinem Coaching (Elterncoaching) oft Aspekte aus dem hypnosystemischen Ansatz, um mit Fragen, alternative Sichtweisen oder Ideen zu vermitteln, welche neue Denkanstösse beim Gegenüber anregen kann. Oft sehr wirkungsvoll.
Herzliche Grüsse
Mihaly
Danke Mihaly, für Deine Reaktion. Viel Glück und gutes Gelingen in Deiner Arbeit im Elterncoaching!