Erneut haben wir uns an mit einer konkreten Frage an Expert*innen gewandt – diesmal an Organisationsarbeiter*innen, die als Mitglied von Organisationen Konflikte erleben, bearbeiten, managen oder sonst einen konstruktiven Umgang finden müssen.

Thema dieses Mal war der (mediative) Umgang mit Konflikten am Arbeitsplatz. 

Wir haben Expert*innen folgende zwei Fragen zur Beantwortung gestellt:

1. Was sollten Mediator*innen, die von Organisationen bei Konflikten an Arbeitsplätzen herangezogen werden, leisten (können):

  • für die Konfliktparteien, 
  • für die involvierten Führungskräfte und 
  • die beauftragende Organisation selbst?

2. Welche (zusätzlichen?) Kompetenzen benötigt gute vermittelnde Konfliktbearbeitung im Kontext von Organisationen?

Herausgekommen sind die folgenden, weit gefächerten Antworten, die das Thema in unterschiedlichen (beruflichen) Kontexten und aus verschiedenen Blickwinkeln beleuchten. Wir waren selber überrascht über die Vielfalt der Einschätzungen.

Bestätigt hat sich, was wir in unserer Praxis mit Organisationen in Mediationen erleben: Es werden unterschiedlichste Kompetenzen erforderlich, die sich nicht aus einem einzigen Quellberuf heraus entwickelt haben und entwickelt haben konnten. Mediation ist ein hoch anspruchsvolles Verfahren, dessen Unsicherheiten für eine nachhaltige Konfliktlösung zu Beginn hoch sind und erst im Laufe des Verfahrens bei den einzelnen Personen und Verantwortungsträgern abgebaut werden können.

1. Melanie Berger

Wien


eingetragene Mediatorin nach ZivMed (A), Wirtschaftsmediatorin, Lebens- und Sozialberatung i.A.u.S.
Website: www.melanieberger.eu

Ein Mediator, der Konflikte an Arbeitsplätzen bearbeitet, sollte ein grundlegendes Verständnis von Organisationen haben. Dazu gehören Betriebswirtschaft, organisationspsychologische Aspekte sowie (theoretische) Kenntnisse über die Vorgänge in Teams und Gruppen. Zudem ist es wichtig, genau zu schauen, wer an einer allfälligen Mediation teilnehmen muss, damit sie gelingt, da nicht nur die Interessen der Medianden, sondern auch die Interessen des Unternehmens und seine Ziele immer mit am Tisch sitzen. Die Teilnehmer sollten also so gewählt werden, dass in der Mediation alles entschieden werden kann, was zur positiven Konfliktbearbeitung beiträgt. Konflikte in Organisationen entstehen häufig, weil Unklarheit in Zuständigkeit und Verantwortung besteht – hier muss der Mediator genau eingrenzen, welche Konflikte sinnvoll bearbeitet werden können und welche auf anderen Ebenen zu lösen sind. Das kann zu einer neuen Mediation mit anderen Beteiligten oder dazu führen, oder dazu, dass die Organisation weiterführende Maßnahmen beschliesst. Speziell in Organisationen muss dem Mediator klar sein, dass das Ergebnis der Mediation sein kann, dass die Beteiligten einen anderen Umgang mit unveränderlichen Rahmenbedingungen finden und den Konflikt nicht immer vollständig lösen können.

  • für die KonfliktparteienEmpathie und die Fähigkeit, Ungleichheiten bei Rhetorik, Macht, etc. auszubalancieren.
  • für die involvierten Führungskräftegrundlegende Coachingkenntnisse.
  • die beauftragende Organisation selbstEine saubere Rollenklärung und eine genaue Beschreibung der Ziele und Erwartungen. Und den Mut, einen Auftrag abzulehnen, wenn die Bedingungen für eine Mediation nicht gegeben sind.

Welche (zusätzlichen?) Kompetenzen benötigt gute vermittelnde Konfliktbearbeitung im Kontext von Organisationen?

  • Ein Mediator muss in Organisationen auf Komplexität reagieren. Das bedeutet in der Praxis, dass die Ziele und Erwartungen sowie der Fortschritt von Mediationen laufend einer kritischen Prüfung unterzogen werden: Dabei muss man ständig fragen: Kann mit den Werkzeugen des Mediators das gewünschte Ziel (noch) erreicht werden? Ergeben sich während der Mediation neue Ziele? Müssen für eine erfolgreiche Mediation eventuell vorher andere Maßnahmen durchgeführt werden? Ist der Konflikt, der bearbeitet wird, tatsächlich ein Konflikt zwischen den Medianden oder entsteht er wegen organisatorischen Rahmenbedingungen?

2. Diana Kirchhof

Jena

Leiterin Personal Leibniz-Institut für Alternsforschung,
Business-Coach und Mediatorin

Mediator*innen in Organisationen sollten ein Verständnis für Prozesse in Organisationen haben (Systemisches Verständnis), für Hierarchien, für Führungsstile und auch sensibel dafür sein, vor welchen Herausforderungen Organisationen in der heutigen Zeit stehen. Aus meiner Erfahrung sind die Konflikte in Organisationen der heutigen Zeit stark geprägt von der sich (schnell) verändernden Arbeitswelt, insbesondere der (ungesunden) Führungs- und Fehlerkultur sowie den unterschiedlichen Werten der Generationen. Neue Arbeitsformen und Medien bringen sowohl Herausforderung für die Beteiligten in der Organisation selbst, als auch für den Mediator.

Konflikte in Organisationen befinden sich zumeist schon auf einer Eskalationsstufe, wo mehrere Personen beteiligt sind. Der Mediator steht möglicherweise vor der Herausforderung Team- oder Gruppenmediationen durchzuführen. Hierfür sind neben dem Mediationsverfahren und der Konfliktbearbeitung mit dem Einzelnen, Methoden aus der Teamentwicklung bzw. dem Teamcoaching von Vorteil.

Daneben agiert der Mediator in einer Organisation mit mehreren Interessenvertretern (Auftraggeber, Personal, Führungskräfte, Betriebsräte) Hier gilt es, sich auf die Ziele der Mediation zu konzentrieren, einen klaren Prozess zu verfolgen, um nicht von Einzelnen instrumentalisiert zu werden. Ein Mediator in einer Organisation sollte Kenntnis über weitere Hilfs- und Beratungsangebote der Organisation haben, um diese im Verfahren abzugrenzen bzw. einzubeziehen (Betriebsärzte, Externe Mitarbeiterberatung).

3. Nadine Kraft

Duisburg

Head of Human Ressources DAW

Was sollten Mediatorinnen und Mediatoren, die von Organisationen bei Konflikten an Arbeitsplätzen herangezogen werden, leisten (können):

  • Empathische, zugewandte Haltung. Ruhige Ausstrahlung in einem ja oft aufgeheizten Klima, Sicherheit ausstrahlend, dass es zeitnah Entlastung durch Klärung gibt. Strukturierte Vorgehensweise, Verbindlichkeit, Vertraulichkeit. Gute Kommunikation zwischen allen Parteien.

Welche (zusätzlichen?) Kompetenzen benötigt gute vermittelnde Konfliktbearbeitung im Kontext von Organisationen?

  • Blick für unternehmerische Notwendigkeiten: Stellenwechsel, neue Aufgabenzuschnitte etc. sind eben nicht immer machbar; es braucht also einen Blick für das Machbare bei Lösungen

4. Franz Ferdinand Kress

Stuttgart

Berater, GNH-Practitioner, Persönlichkeitsentwickler
Webseite:
https://www.ganzheitlicheunternehmensentwicklung.de/


Was sollten Mediatorinnen und Mediatoren, die von Organisationen bei Konflikten an Arbeitsplätzen herangezogen werden, leisten (können):

  • für die Konfliktparteien: Hier sollte zunächst der Fokus darauf liegen, die Handlungsfähigkeit der direkt beteiligten Menschen wieder herzustellen. Das bedeutet u.a. Sachverhaltsaufklärung, Klärung von Missverständnissen, wenn möglich räumliche / zeitliche Entzerrung, Trennung von Sach- und Beziehungsebene, usw. Günstig ist es, klare Spielregeln für den gegenseitigen Umgang zu vereinbaren, ggf. inklusive codierter Eskalationswarnhinweise.
    Sollte eine Beruhigung der akuten Konfliktsituation eingetreten sein, sollte in einem zweiten Schritt die Aufarbeitung des Konflikts erfolgen, mit dem Ziel die betroffenen Menschen dabei zu begleiten eigene Anteile, ungünstige Verhaltensweisen und systemische Aspekte zu erkennen. Das legt idealerweise die Grundlage, zukünftige Konflikte vermeiden zu können. Hierbei kann die Vereinbarung von Spielregeln für den zukünftigen Umgang hilfreich sein.
  • für die involvierten Führungskräfte: Mit den Führungskräften sollten mögliche persönliche Anteile und führungsseitig-systemische Aspekte im Zusammenhang mit dem Konflikt analysiert werden. Dysfunktionale Haltungen und Strukturen können das Auftreten von Konflikten ebenso befeuern, wie die mangelnde Fähigkeit oder Willenskraft sich mit den oftmals im Vorfeld abzeichnenden Konfliktfrühindikatoren angemessen zu befassen.
  • die beauftragende Organisation selbst: Für die Organisation ist entscheidend zu verstehen, ob es sich bei einem Konflikt a) um einen primär persönlich-zwischenmenschlich induzierten Konflikt handelt, b) der Konflikt teilweise oder ganz auf dysfunktionalem Führungsverhalten beruht oder c) der Konflikt Symptom bzw. Ausdruck eines Musters ist, bedingt durch ungünstige systemisch-organisational-kulturelle Rahmenbedingungen.

Welche (zusätzlichen?) Kompetenzen benötigt gute vermittelnde Konfliktbearbeitung im Kontext von Organisationen?

  • Neben der kommunikativen, moderativen, psychologischen Kompetenz sollte Konfliktbearbeitung vor allem führungsseitige und systemisch-organisationale Kompetenz aufweisen. Konflikte sind oftmals Ausdruck fehlender Orientierung, fehlender Regeln, fehlender Vereinbarungen bezüglich der inneren Haltung des gegenseitigen Umgangs und der Wertschätzung füreinander, fehlender Zielbilder, fehlender Sinnhaftigkeit, usw. In einem dysfunktionalen Umfeld sind Konflikte vorprogrammiert und stellen dann „lediglich“ ein Symptom dar – die Wurzeln liegen tiefer, die grundsätzliche Ursachenbeseitigung liegt dann in der Verantwortung von Führungskräften und Top-Management / Inhaber. So kommt noch eine wichtige Kompetenz für Konfliktberater hinzu: Demut und die Fähigkeit gut unterscheiden zu können zwischen Problem ( => änderbar) und unangenehmer Situation (=> nicht änderbar)

5. Elisabeth Kreutzkamm-Aumüller

Dresden, München


Geschäftsführerin Dresdner Backhaus GmbH
Mediatorin

Website:

https://dresdner-backhaus.de

Elisabeth Kreutzkamm-Aumüller

Was sollten Mediatorinnen und Mediatoren, die von Organisationen bei Konflikten an Arbeitsplätzen herangezogen werden, leisten (können):

  • für die KonfliktparteienZuversicht vermitteln, Wertschätzung und Verständnis (auch von der Geschäftsführung)  vermitteln und – auf Wunsch – auch „Blick von Außen“ anbieten und damit organisationsübergreifende Erfahrung mit Konflikten zur Verfügung stellen, also auch ein stückweit supervisorisch agieren können. Manche Mitarbeiter*innen benötigen – aus Geschäftsführungssicht mit Verlaub – durchaus schon ein Korrektiv, das ich oder meine Führungskräfte nicht immer selbst bieten können.
  • für die involvierten Führungskräfte: Führungsproblematik im Blick behalten und die Paradoxien der Führungskräfte akzeptieren, also keinesfalls in Konkurrenz gehen; Führungskraft nicht bei den Konfliktparteien in Verruf bringen, sich nicht über sie erheben etc. Hier würde ich gerne noch zum hervorheben wollen, dass es für die Geschäftsführung wichtig ist, dass vor allem die Führungskraft wahrnehmen kann, dass die Leitung hinter ihr steht bzw. sie unterstützen möchte, dass schwelende Konflikte nicht das Arbeitsleben lähmen.
  • die beauftragende Organisation selbstVerständnis aufbringen, dass Konfliktbearbeitung auch delegiert werden darf und dennoch verdeutlichen, dass der Konflikt zwischen Mitarbeitern auch ein organisationales Problem darstellt, das gerne auch mal auf die ganze Organisation übergreift. Das war z.B. der Grund, weshalb auch ich als Geschäftsführerin wusste, dass ich Vermittlungskompetenzen benötige und ein Verständnis für organisationale Konfliktbearbeitung.

Welche (zusätzlichen?) Kompetenzen benötigt gute vermittelnde Konfliktbearbeitung im Kontext von Organisationen?

  • Organisations- bzw. Systemkompetenzen, man muss nicht selbst Geschäftsführerin sein, aber ein Verständnis für die komplexen und belastenden Herausforderungen in der modernen Wirtschaft, zumal in Pandemiezeiten, das ist unverzichtbar. Ebenfalls ist es beruhigend, wenn man auftauchende Konflikte systemisch bearbeiten kann und nicht selbst gleich in Hektik ausbricht, man kann eine Distanz wahren. Zu lernen, dass man nicht in den Konflikt hineingezogen wird bzw. nicht Teil des Konfliktes werden muss, um ihn zu lösen, macht Führung deutlich einfacher.

6. Marcel Pirl

Halle

Personalmanagement Mitnetzstrom Halle
Mediator


Was sollten Mediatorinnen und Mediatoren, die von Organisationen bei Konflikten an Arbeitsplätzen herangezogen werden, leisten (können):

  • für die KonfliktparteienMediation ist innerhalb der breiten Mehrheit der Belegschaft wahrscheinlich als Begriff noch gar nicht angekommen, während dies in der Personalentwicklung als Methode schon längst geklärt ist. Das heißt für mich als Mediator, hier gerade am Anfang Aufklärungsarbeit zu leisten, wofür Mediation steht und wofür nicht. Des Weiteren habe ich aus der Praxis gelernt, sich als Mediator bewusst zu machen, dass das selbstverständliche „Gesicht wahren“ beider Konfliktparteien hier noch einen höheren Stellenwert einnimmt. Gerade für Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, welche nach jahrelangen Aufschub ihres Konfliktanliegens plötzlich darüber reden sollen oder innerlich sogar mit negativen Konsequenzen aus der Mediation heraus erwarten, sind klare „Spielregeln“ für die kommende Mediation sinnvoll, um die Chance zu erhöhen, sich überhaupt öffnen zu können. Das heißt für mich als Mediator, schaffe ich Vertrauen innerhalb der ersten Minuten aufzubauen? Bin ich über vorgegebene Spielregeln des Unternehmens informiert? Wie gehe ich mit informellen „Spielregeln“ um? Die gibt es, dessen bin ich mir schon im Vorfeld im Klaren.
  • für die involvierten FührungskräfteIst die Führungskraft Konfliktpartei? Hat die Führungskraft diesen Konflikt eventuell entdeckt und möchte ihn im Sinne des guten Betriebsklimas innerhalb seiner Abteilung geklärt bekommen? Das sind zwei Paar Schuhe. Im ersteren Fall habe ich Führungskräfte erlebt, welche sich wohlgefällig auf dem Stuhl hinsetzen mit einem zufriedenen und selbstsicheren Lächeln. Und der Mitarbeiter/ die Mitarbeiterinnen? Voller Energie und gleich zu Beginn schon eher aggressiv oder vielleicht sehr eingeschüchtert? Für mich als Mediator heißt hier die „Schwerstarbeit“ ein ausgeglichenes Machtverhältnis zwischen den beiden Konfliktparteien herzustellen. Wie das geht? Nicht leicht zu beantworten. Vielleicht mit gutem „Fingerspitzengefühl“ beim Redeanteil, der Vermittlung des aktiven Zuhörens und dem Gefühl der Unabhängigkeit gegenüber beider Konfliktparteien. Im zweiten Fall sind Führungskräfte vielleicht bemüht, wieder „Ruhe in den Laden“ zu bekommen. Eventuell haben sie im Vorfeld schon selbst Gespräche geführt, mit einem eher unbefriedigten Ergebnis. Nun soll der Mediator es richten. Als Mediator ist mir klar, hier wurden schon Themen angesprochen und das vielleicht des Öfteren. Schaffe ich es, die Konfliktparteien wieder zum Sprechen zu bringen? Sie sind vorbelastet und denken: „Wir sprechen darüber und es passiert keine oder wenig Änderung“.
  • die beauftragende Organisation selbstAls Mediator im betrieblichen Kontext stehe ich vor dem Dilemma. Ich werde bezahlt (und zwar nicht von den Konfliktparteien direkt) und es schwebt eine gewisse Erwartungshaltung an mich, dass nach der Mediation das Problem geklärt ist. Klar, wir können uns als Mediatoren immer auf unsere Unabhängigkeit berufen, aber ist das so einfach? Auch hier gilt, klare Abgrenzung zu anderen Methoden und Auftragsklärung.

Welche (zusätzlichen?) Kompetenzen benötigt gute vermittelnde Konfliktbearbeitung im Kontext von Organisationen?

  • Organisationen sind im Allgemeinen geübt, Probleme über Besprechungen, Projekte, Beratungen und Organisationsentwicklungen zu lösen. Somit sind die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen bereits mit vielen Methoden geschult und darauf eingestellt. Meist werden die Methoden in Organisationen jedoch nicht von den Konfliktparteien selbst ausgesucht. Hier können Organisationen Angebote schaffen, um die Unterschiedlichkeit verschiedener Methoden aufzeigen. Gibt es hier Ansprechpartner, vielleicht sogar mit Erfahrungswerten?  Um somit bestimmte Ängste und Vorbehalte zur Durchführung einer Mediation zu mindern.

7. Prof. Dr. Alexander Redlich

Hamburg

Diplom-Psychologe, Lehrer, Sozialpädagoge,
Professor für Pädagogische Psychologie im Fachbereich Psychologie der Universität Hamburg.
1. Vorsitzender im Vorstand von KoMeT e.V.
Website:
http://www.komet-hamburg.de/alexander-redlich


Was sollten Mediatorinnen und Mediatoren, die von Organisationen bei Konflikten an Arbeitsplätzen herangezogen werden, leisten (können):

  • Für Konfliktparteien sollten Mediator:innen neben den Werthaltungen und Techniken, die in jeder Mediationsausbildung vermittelt werden, vor allem sozio-emotionale Unterstützung bei der Bewältigung ihrer konfliktbegleitenden Belastungen leisten. Ob Enttäuschung und Ärger, Angst und Widerstand, Trauer und Verbitterung, Ambivalenzen und Sehnsucht nach Gewissheit usw. – es geht immer wieder darum, die aktuelle komplexe Gefühlsmischung einfühlend widerzugeben, d.h. nicht-diagnostizierend als Angebot zu benennen, um die Selbstklärung zu ermöglichen. Dabei geht es auch um die Wechselwirkungen und Dynamiken der Gefühle. Die Einfühlung in die Gefühlswelt der einen Partei sollte so formuliert werden, dass die andere Seite sich nicht angegriffen, beschuldigt, verurteilt fühlt. Man muss ständig üben zu erkennen, wie eine einfühlende Verbalisierung auf die andere Partei wirkt und welche Reaktion sie auslöst. Hier ist jede:r Mediator:in gefordert, die eigenen intuitiven Gefühlsverarbeitungsstrategien zu kennen, um sie nicht mehr oder weniger unterschwellig zu propagieren. Hier sind vor allem „neutralisierende“ Strategien problematisch, die darauf ausgerichtet sind, einen hohen Erregungsgrad in der Kommunikation zu vermeiden. Wer kennt sie nicht – die Frucht vor erregter Auseinandersetzung, die den Mediationserfolg bedroht? Wir alle können in diesem Bereich noch viel lernen.
  • Im Umgang mit Gruppenleitungen bei Konflikten in ihren Arbeitsgruppen besteht die Anforderung an Mediator:innen eher in der Bewältigung eines zu großen Respekts vor Personen mit hohem Status. Mediator:innen, die sich gegenüber „hochrangigen“ Führungskräften wie Chefärzt:innen, Geschäftsführer:innen u.a. als statusniedrig erleben, lassen sich leicht von diesen verleiten, ihre Sichtweisen weniger kritisch zu betrachten und ihnen vorrangig zu folgen; mehr als den Auffassungen der Konfliktparteien oder weniger bedeutenden Personen in Gruppen. So besteht die Gefahr, unbemerkt zum ausführenden Organ der Führungskräfte zu werden und ihre Interessenerfüllung mehr zu unterstützen als die der anderen Parteien in der Gruppe.
  • Bei der beauftragenden Organisation ist die zentrale Anforderung wiederum anders: Die auftraggebenden Personen wollen meist selbst nicht einbezogen werden und wünschen sich „Ruhe im Karton“. Sie haben genügend Probleme und Aufgaben zu bewältigen und wollen nicht durch überflüssige Störungen zusätzlich belastet werden. Mediation soll sie entlasten. Immer wieder habe ich erlebt, dass die Einbeziehung der auftraggebenden Ebene in den Mediationsprozess den entscheidenden Schwung in die Konfliktlösungsarbeit gebracht hat; nicht nur am Anfang in der  – von den Parteien oft als obligatorisch erlebte – Einführung der Mediation, sondern eher in zwischenzeitlichen Berichterstattungen durch die Mediator:in, Gruppenleitung und Konfliktparteien, in denen das Interesse der auftraggebenden Personen an einer Konfliktlösung motivierend wirkt. Im Auftragsgespräch neigt man als Mediator:in leicht dazu, den mehr oder weniger unausgesprochenen Auftrag „Halte mir die ganze Sache vom Leibe!“ direkt umzusetzen. So vermeidet man die unangenehme Aufgabe, über das Engagement der auftraggebenden Stelle zu sprechen und ihre Einbeziehung nicht einfordern zu müssen.

Welche (zusätzlichen?) Kompetenzen benötigt gute vermittelnde Konfliktbearbeitung im Kontext von Organisationen?

  • Aus diesen Überlegungen geht hervor, dass Mediator:innen selbststeuernde Kompetenzen benötigt, um die eigenen Befürchtungen wahrzunehmen, zu akzeptieren und damit in der Mediation bewältigen zu können – Befürchtungen, (a) dem Ausdruck unangenehmer Emotionen im Mediationsraum nicht gewachsen zu sein, wenn man sie an sich heranlässt und verstehend benennt, (b) mit statushöhere Personen konfrontiert zu werden und (b) die auftraggebende Stelle mit der Erwartung, dass sie sich für die Mediation engagiert einsetzt, vor den Kopf zu stoßen und damit den Auftrag zu gefährden. Diese Arbeit an den eigenen „inneren Teammitgliedern“, die diese Befürchtungen repräsentieren, sollte bei jedem Auftrag eingeplant werden, um die eigenen Kompetenzen nach und nach zu verbessern.
  • Natürlich gibt es noch viele andere Kompetenzen, die hier aufgeführt werden können, wie gruppendynamische Kenntnisse, Haltungen und Methoden oder das Erkennen und die praktische Berücksichtigung struktureller Rahmenbedingungen in einer organisationsbezogenen Mediation. Aber das sind neue Geschichten.…

8. Sabine-Inken Schmidt

Düsseldorf

Pädagogin
Lehrende Transaktionsanalytikerin
LinkedIn-Profil

Mediatorinnen und Mediatoren sollten sich in Organisationen einfühlen können. Wir sprechen zwar über Pandemie, aber es ist sind Konflikte aufgebrochen,  die vorher vielleicht kleine Risse waren. Fragestellungen, die vorher vielleicht in kleinem Kreis mit Freunden diskutiert werden, werden nun verbalisiert.  Es gibt für Meinungen nun auch Lobbies – wenn nicht im Unternehmen – so ausserhalb des Unternehmens. Die Hülle der Organisation ist an vielen Stellen osmotischer geworden – ob es nun politische Themen betrifft (die nicht als politisch gesehen werden) oder persönliche Themen. Die Veränderung der  Social Media Welt – also die Transparenz die vorher nicht sichtbar war – gefährdet den ehemaligen Arbeitsanspruch, dass man Arbeit und Privat trennen kann. Auf der anderen Seite erleben wir – genauso wie in der Gesellschaft – eine manchmal vorgegebene Richtung, die nicht jeder mittragen möchte, zum Beispiel die Anweisung, nun „she/her“ verpflichtend im E-Mail Absender einzufügen, um eine Gendergerechtigkeit durchzusetzen.
Mein Wunsch wäre, Führungskräfte stärker auf die Auswirkungen ihres Denkens vorzubereiten. Leicht daher gesagte Sätze bringen inzwischen ganze Unternehmen ins Schwanken – wie wir an Brew Dog und Gorillas in den letzten Monaten sehen konnten. Mitarbeitermeinungen haben Macht auf Kundenentscheidungen, das ist neu – und es wird Führungskräfte unter zusätzlichen Druck bringen. Der Mitarbeiter fühlt sich in der Meinungsmenge – seiner „Bubble“ – getragen.
Für Mitarbeiterist es wichtiger geworden, als Einzelner in seiner Identität gesehen und respektiert zu werden. Dies bedeutet auch, Wünsche zu nennen, die gesetzlich nicht möglich sind, wie totale Flexibilität des Arbeitsortes. Der Arbeitgeber ist durch den Gesetzgeber an Vorschriften gebunden, die im Namen Aller „weitergereicht“ werden – und die der Einzelne in seinem Wunsch nicht versteht. Das betrifft den Bereich Steuern, Sozialversicherung, Gesundheitsversicherung und auch Gesellschaftsrecht. Hier erlebt sich die Führungskraft als „hilflos“ – ein Gefühl – und ist es im Grunde auch. Mediatorinnen und Mediatoren können grossartige Prozessfacilitatoren sein, wenn sie alle Stakeholder an den Tisch holen können und die verschiedenen Interessen transparent machen und dadurch Lösungen erzeugen. An dieser Stelle wurde in der Vergangenheit der Betriebsrat gesehen, der selbst zum großen Teil hoffnungslos überfordert ist (verständlicherweise). So werden aus Schutzgedanken auf einmal unverständliche Hindernisse für Arbeitnehmer.
Für die Organisation wünsche ich mir, dass Mediatorinnen und Mediatoren die Organisation, ihre Strategie und das Umfeld verstehen – und vielleicht auch den Kunden. Es hilft besser, wenn auch der Mediator eine Vision hat, damit abgeglichen werden kann, ob es eine kurzfristige oder langfristige Lösung geben sollte. Sie sollten absolute Transparenz einfordern von der Unternehmensleitung – weil oftmals schon der ganze Bereich irgendwie verplant ist (Outsourcing, Umbau).
Kompetenzen? Auf jeden Fall Geduld, Standfestigkeit und Leidensfähigkeit. Meinungen zu ändern braucht Kraft – für alle Beteiligten. Auf jeden Fall sollte da Online Kompetenz sein, Offenheit und Mut und am Ende auch ein Verständnis fürs „Anders sein“ von jedem Beteiligten.

9. Stephan Tischendorf

Chemnitz

Pfarrer,
Zert. Mediator nach § 5 Abs. 2 MediationsG,
Gemeindeberater

Mediatorinnen und Mediatoren, die in Organisationen mediieren, müssen sich bewusst sein, dass sie in einem Feld agieren, das weit mehr als nur die Perspektiven zweier in Konflikt befindlichen Parteien umfasst.
  • Für die Konfliktparteien selbst sollten Mediatoren die Kraft aufbringen, einen geschützten Raum anzubieten, in dem der Konflikt bearbeitet werden kann. Absolute Vertraulichkeit scheint mir eine wichtige Voraussetzung, um beiden Parteien eine Zukunft in der Organisation (so das denn ein Ergebnis der Mediation sein sollte) ohne Gesichtsverlust zu ermöglichen.
  • Involvierten Führungskräften gegenüber sollte die Möglichkeit eröffnet werden, einen klaren, sachlichen Blick auf die Situation der Konfliktparteien als solcher zu gewinnen (was sie möglicherweise dazu bringt, wichtige unterstützende Entscheidungen zu treffen); dazu sollte auch vermittelt werden, welche Aufgabe der Führungskraft in der Bearbeitung des Konflikts zukommt. Verantwortung sollte nur temporär vom Mediator übernommen werden – die Verantwortung trägt im Wesentlichen die Führungskraft (insofern sollte sie, wenn möglich, auch in eine Konfliktlösung aktiv einbezogen werden).
  • Für die Organisation sollte die Mediation Stabilität bringen, um zum einen die Parteien (wieder) ihre  Arbeitsleistung erbringen zu lassen, zum anderen auch, damit die Ziele und Zwecke der Organisation erreicht werden können. Sollte sich durch die Mediation jedoch gezeigt haben, dass die Ursachen des Konflikts (auch) auf der Ebene der Organisation liegen, sollte die Mediation für Transparenz in Bezug darauf sorgen.
In Organisationen mediierend tätig zu sein, ist für mich eine besonders spannende Herausforderung: Mehr Menschen sind involviert, die Zahl der Perspektiven auf die Situation größer als in der „klassischen“ Situation, die Gemengelage oft komplex. Dafür ist aber im Grundsatz auch die Zahl der möglichen Lösungen und Lösungsansätze größer. Hier kreative Lösungen „herauszukitzeln“, ist für mich ein spannender mediierender, beraterischer Ansatz.