Die Doppelhelix von Konflikten
Denk- und Gefühlsrouten von Konfliktdynamiken
I. Zunächst einmal…
Um Missverständnisse und Mythen, die sich rund um das, was allgemein als Konflikte bezeichnet wird, gebildet haben, aus dem Weg zu räumen, seien ein paar einleitende Gedanken hier kurz skizziert:
- Der Konflikt selbst ist häufig nicht das drängende Problem, sondern nur der Anlass, vorschnelle Problemlöseversuche rauszuhauen („aus der Hüfte zu schießen“), die dann als Eskalationstreiber ihr Unwesen treiben.
- Häufig stellen damit die Kommunikations- und Interaktionsgeschehnisse, die als Konflikteskalation definiert werden, subjektiv Lösungsversuche dar, die aber doch völlig untauglich sind. (Es lohnt sich, diese Perspektive von Beginn an einzunehmen!)
- Ganz ähnlich wie mit sog. „Fehlern“ verhält es sich mit Konflikten: Der (zwischen-)menschliche unzulängliche Umgang mit diesen menschlichen Unzulänglichkeiten macht sie zu echten und teuren Problemen, nicht aber ihre Existenz selbst. So wie das Nichtkommunizieren von Fehlern (Vertuschungsversuche) diese erst der Gesamtorganisation richtig teuer zu stehen kommen, so führen vorschnelle, nicht abgestimmte und damit einseitige Lösungsversuche zur Eskalation und Verschlimmbesserung der Konfliktlage.
Aber nun im Einzelnen und konkret:
II. Ein Konflikt ist ein Klärungsprozess!
Konflikte sind Klärungsprozesse, die in einer schmerzhaften und verletzenden Tonlage daherkommen. Gewissermaßen ein Klärungsprozess auf die harte, niederschmetternde Tour. Beide Seiten versuchen kommunikativ (verbal oder sonst auf eine Weise!) Ihre Lösungsidee auf ein eigens wahrgenommenes und definiertes Problem – auch gegen den erklärten Willen des anderen – durchzusetzen.
Markant ist dabei,
- erstens dass das ganz eigene, d.h. wahrgenommene und definierte Problem nur unzureichend mit der anderen Seite kommuniziert, die gemeinsame Situation besprochen und die daraus entwickelte Problemlage gemeinsam definiert und entschiedenermaßen aufgelöst wurde. Die eigene Wahrnehmung und Schlussfolgerungen definieren sozusagen immer schon das Gemeinsame: Der eigene Tellerrand als Erdmeridian.
- zweitens, dass die Problemwahrnehmung und -beschreibung der einen Seite nicht mit der Wahrnehmung und Problemdefinition der anderen Seite identisch ist. Alle Seiten im Konflikt lösen unterschiedliche Probleme. Wichtig ist jedoch: Jede Seite will ein, nämlich ihr Problem lösen. Das trägt in sozialen Kontexten stets Konfliktpotenzial in sich, das sich eben in einem Konflikt realisiert hat. Konflikte sind also auch Problemsituationen, aber diese Probleme können nicht ohne An- und Mitsprache von Betroffenen einfach gelöst werden. Versuche der einen Seite führen zu Widerstand der anderen.
- drittens – und das beschreibt das Vorgenannte von einer anderen Perspektive: Das jeweilige Durchsetzen der eigenen Lösungsideen ist von den anderen Durchsetzungsversuchen abhängig. Die Lösungsideen, bereits umgesetzt als Problemlöseversuche, sind es, die aufeinanderprallen, denn sie sind jeweils voneinander abhängig. In aller Regel gilt (ganz abstrakt): B soll in den Augen von A etwas tun oder endlich unterlassen oder auch nur anders denken und wahrnehmen. Und für B trifft das in Bezug auf A genauso zu. Das ist die sog. Interdependenzannahme von Konfliktbeteiligten.
III. Interdependenzannahme
Diese interdependende Abhängigkeitsannahme wird emotional als Spannung und kognitiv als Irritation wahrgenommen. Das ist die Doppelhelix des Konflikts, denn „von nun an“ geht es weder allein um Emotionalität, noch um Rationalität. Denk- und Gefühlswelt sind bei uns allen eng verknüpft und gegenseitig bedingt, was in derartigen Konfliktsituationen besonders deutlich wird.
- Emotionale Spannung ist ein körperlich wahrnehmbares Kennzeichen für Beteiligte, dass der Konflikt tatsächlich existiert. Emotionen und Gefühle sind dabei für uns wie seismografische Instrumente und zeigen uns frühzeitig Konfliktpotenziale an. Z.B. können Verlustängste oder Befürchtungen vor dem Unbekannten aufkommen. Ebenso aber auch Ärger, Wut und Verzweiflung. Emotionale Aufladungen können dabei gewiss kognitiv gesteuert oder gar beruhigt werden. Doch Konflikteskalationen sind davon jedoch nicht vollends abhängig oder bedingt.
- Kognitiv äußern sich Konflikte häufig in Irritationen. Verwunderungen über bestimmte Reaktionen, z.B. über ihr Aufkommen an sich oder über die Art und Intensität. Die bisher geltenden Koordinaten des Zusammenspiels sind verschoben (worden?!) und gelten nicht mehr. Das Ungewisse und Unbekannte macht sich breit und führt seinerseits wieder zu einer verstärkten emotionalen Reaktion. Und bei allem Nachdenken über die Situation und auch „die Person“ des anderen, bei der „man sich fragt“, wie das geschehen konnte und wie die Person darauf kommt oder was ihr buchstäblich einfällt; all das macht deutlich, dass die vertieften eigenen Selbsterkenntnisversuche untauglich sind: Solange nicht der andere ernsthaft und offen befragt und ein Dialog über die gemeinsame Situation eingegangen wird, bleibt die Irritation existent.
- Beides sind allerdings auch Phasen anstehender Klärung – über den sozialen Kontext der eigenen Problembeschreibung.
Egal wie der „Klärungsprozess“ (Stichwort: Konflikteskalationsstufen) verläuft, auf allen Seiten drohen die Vorstellungswelten der Beteiligten zunächst einmal zusammen zu brechen. Das, was für die Beteiligten bis dato war und galt, geht scheinbar verloren, ist zu Ende und vorbei. Das ist ein umfassender Zusammenbruch der Vorstellungswelt – und subjektiv ein einschneidendes Erlebnis.
Die sodann verstärkte Konfliktaustragung, die weiteren Streitereien, Missverständnisse, Überredungsversuche, Verbalkämpfe oder auch handfesten Auseinandersetzungen sind keineswegs nur ein weiterer Aufguss des Konflikts, sondern weiterhin die (Er-)Lösungsversuche durch die Konfliktparteien selbst.
Erstens werden die eigenen Lösungsideen durchzusetzen versucht und zweitens die eigenen Vorstellungswelten (von der Beziehung und der – gemeinsamen – Zukunft) doch noch zu bewahren versucht. Das treibt die Eskalation weiterhin voran.
Doch was ist die Lösung?
Wie gelangen die Parteien in einen Gesprächs- und Erlebensraum, in dem sie sich selbst als wirksam erleben und damit als realer, voll akzeptierter Lösungsansatz der anderen?
Das wirft die Frage nach einem konstruktiven Umgang mit Konfliktpotenzialen und Konflikteskalationen auf, bei dem die jeweils anderen stets eine wichtige (Sprech-)Rolle einnehmen.
Sei’s drum, das würde hier den Rahmen sprengen.
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