INKOVEMA-Podcast „Gut durch die Zeit“

#188 – Beratung ohne Ratschlag – Beratung ohne Kompetenz?

Ein Beitrag zu den Beratungsexperimenten von Harold Garfinkel

Im Gespräch mit Prof. Dr. Haiko Wandhoff

Haiko Wandhoff:  Prof. für Ältere Deutsche Literatur an der Humboldt-Universität zu Berlin, arbeitet freiberuflich als Coach, Berater und Ausbilder. Im Jahre 2016 veröffentliche er seine 10 historischen Streifzüge durch die Geschichte der Beratung unter dem Titel „Was soll ich tun?“ – ein umfassendes historisches Werk zur Geschichte der Beratung.

Gut durch die Zeit.

Der Podcast rund um Mediation, Konflikt-Coaching und Organisationsberatung.

Zusammenfassung des Gesprächs

In dieser Podcast-Episode begrüßen wir erneut Prof. Heiko Wandhoff, einen erfahrenen Coach und Ausbilder, der uns Einblicke in die Welt der Prozessberatung gibt. Das Gespräch beleuchtet, wie Beratung als Prozess ohne direkte Ratschläge funktionieren kann, indem die Selbstreflexion und Eigenverantwortung der Ratsuchenden gefördert wird.

Prof. Wandhoff und der Moderator, Sascha Weigel, diskutieren ausführlich die theoretischen Grundlagen der Prozessberatung, einschließlich systemischer Ansätze und der Einflüsse von Theorien wie denen von Niklas Luhmann. Besonders hervorgehoben wird die Bedeutung von Vertrauen und die Schaffung eines sicheren Raumes, in dem Klienten eigene Lösungen entwickeln können.

Ein zentraler Punkt des Gesprächs ist die Auseinandersetzung mit einem historischen Experiment von Harold Garfinkel, das zeigt, wie Ratsuchende sinnvolle Perspektiven aus scheinbar willkürlichen Antworten generieren können. Dies unterstreicht die Fähigkeit der Ratsuchenden, aus Interaktionen Nutzen zu ziehen, selbst wenn diese zunächst nicht direkt auf ihre Situation anwendbar scheinen.

Diese Episode ist ein Muss für alle, die im Bereich Coaching und Beratung tätig sind oder sich für innovative Methoden der Konfliktlösung und persönlichen Entwicklung interessieren.

Vollständiges Transkript (mit Minutenangaben)

[0:00] Gut, 1, 2, 1, 2. Bei mir ist das soweit geübt. Wenn Sie kurz eine Ton… Ja, hallo, Test, 1, 2, 1, 2. Ja, es ist… Laut genug. Genau, ich kann das hier noch ein bisschen lauter machen und dann passt das. Genau. Und ich nehme das hier natürlich auch mit dem Tool direkt auf. Hier ist es. Da kriegen Sie jetzt wahrscheinlich einen Hinweis. Letzte Chance, die Datenschutzregelungen. Alles klar.

[0:39] Gut, Sie haben also die Pandemie auch gut überstanden. Tatsächlich, ja. Ich weiß gar nicht, wann haben wir denn eigentlich zuletzt gesprochen? Das war auch heiß. Das war, ich denke, im Sommer 2021. 21. 21. Und Sie waren doch in Portugal. Ich glaube, Sie haben in Portugal. Nee, in Spanien. Oder Spanien. Da bin ich jetzt gerade auch, ja. Ah ja, dann ist das, ja, genau. Genauso heiß und leise die Klimaanlage, aber ich glaube, die hört man nicht. Nee, hier ist rausgefiltert, da kommt bei mir gar nichts an. Sehr gut. Nee. Ja, die heißen Länder sind, ja, für den Urlaub schon, also, Also man muss gucken, dass man Schatten und Kühle findet. Ansonsten ist es wirklich zu heiß. Ja, im Moment. Also es ist auch erstaunlich, aber irgendwie auch nicht erstaunlich, dass die meisten Leute kommen, wenn es so heiß ist. Aber dann sind natürlich auch Ferien. Ja, aber im Moment ist es ein bisschen heiß. Aber Ende August, dann geht es ja irgendwann. Im September geht es ja dann schon wieder ein bisschen. Und dann kommen viele Monate, wo es sehr angenehm ist, dass es nicht so kalt ist.

[1:49] Ja, also ja, und es scheint irgendwie jedes Jahr wieder besonders heiß zu sein, aber die Sommerzeit ist einfach generell schon immer, glaube ich, in den Gefielten auf jeden Fall eine Zeit, wo man eigentlich nur still dasetzen kann und warten kann, bis es nachmittags wird. Ja, das stimmt. Da kommt ja auch die Siesta her, die man hier traditionellerweise macht. Also morgens kann man das machen und dann zwischen zwölf und fünf, sechs sollte man im Haus bleiben und alles zu machen.

[2:26] Genau. Gut. Wollen wir anfangen, Herr Wandorf? Brauchen Sie noch was für den Einstand? Nö, ich war ja erstmal ein bisschen überrascht, dass sie sich nochmal gemeldet haben und dann nochmal weitermachen wollten und dann habe ich natürlich nochmal ein bisschen reingeguckt zu Herrn Garfinkel und, Und ist ja auch eines meiner Lieblingsbeispiele, erzähle ich auch gerne, aber das können wir gleich ja schon im Gespräch, können wir das machen. Ja, also ich meine, genau, das war ja auch für mich der Anlass, durchaus deine tiefergehend auch zu besprechen, auch weil sie einfach auch in dem Metier ja auch praktisch arbeiten und jetzt nicht nur ausschließlich aus der Beobachterposition analysieren, sondern eben auch in der Ausbildung und auch wahrscheinlich auch direkt in der Beratung und Coaching sind. Und daher war das ganz passend. Gut, ich und daran hat sich wenig geändert, habe immer so eine kleine Einführung. Und dann, wenn ich zum Thema hingeführt habe, dann komme ich zu Ihnen. So, ganz kurz die Dateien zurechtschieben.

[3:35] Genau, gut. Herzlich willkommen zum Podcast Gut durch die Zeit. Der Podcasts rund um Mediation, Konfliktcoaching und Organisationsberatung. Ein Podcast von Inko Fehlmann. Ich bin Sascha Walke und begrüße dich und euch zu einer neuen Folge. Heute geht es um Beratung im ganz allgemeinen Sinn, die Beratung, Die Episode ist überschrieben mit Beratung ohne Ratschlag, Beratung ohne Kompetenz? Und wir werden uns mit Erkenntnissen, die gar nicht mehr die neuesten sind, aber doch immer wieder erhellend für Berater, für Coaches, für Mediatoren, vor allen Dingen auch für die, die eben dieser Beratungsidee folgen, Beratung ohne Ratschlag durchzuführen, also die Kraft der Lösung bei den Klienten selbst vermuten und dazu gibt es ganz interessante Erkenntnisse aus anderen Disziplinen und die werde ich heute mit Professor Heiko Wandhoff besprechen, der nach langer Zeit und auf Bitten meiner selbst wieder den Weg hier ins Podcaststudio gefunden hat. Hallo Herr Wandhoff. Herr Weigel, vielen Dank, dass Sie sich gemeldet haben und wir nochmal zusammenkommen. Ich freue mich.

[4:52] Wir haben ja drei Episoden zu Ihrem historischen Abriss der Beratung hier vor einiger Zeit durchgeführt. Und das Thema, was wir heute ansprechen, das ist auch in diesem Buch ausgeführt und war damals schon für mich so ein, ich habe mir schon einen Haken dran gemacht, so einen kleinen Merker, das muss ich nochmal vertiefen. Und dass das nochmal jetzt in einem Podcast-Gespräch möglich ist, das ist umso besser, weil dann doch nochmal die Gedanken neu auch sortiert werden können. Aber zunächst zu Ihnen, wie geht es Ihnen, was machen Sie? Es ist ja wieder, ich glaube, auch heißes Wetter, wir sind wieder im Sommer angelangt. Ja, mir geht es gut.

[5:33] Ich musste ja eben auch nochmal überlegen, als wir uns zuletzt sprachen, da waren wir noch in der Spätphase von Corona, das ist ja jetzt schon so weit weg, dass man sich kaum noch erinnern kann. Also mir geht das jedenfalls so, auch wenn es jetzt gerade Kommissionen gibt, um das aufzuarbeiten. Aber ja, es ist wieder warm, es ist Sommer. Ich bin auch jetzt gerade noch in der Sommerpause, nächste Woche. Geht es wieder los in die Arbeitswelt und ich bin wohl auf und freue mich, hier nochmal mit Ihnen über dieses Thema zu sprechen. Ja, und wir werden das Thema, also das Thema ist ja für das Medier von Coaching, auch von Mediatoren, die dem gleichen Ansatz letztlich folgen, wirklich nochmal beleuchtenswert, weil wir ja doch eine starke Tradition haben von Beraten und Ratschlag, da steckt das ja schon drin, also eine Fachberatung, da geht man halt zu einem Experten hin.

[6:32] Wir haben am Anfang gesagt, Beratung ohne Ratschlag, Beratung ohne Kompetenz, da habe ich ein bisschen geschluckt. Genau, ich habe noch ein Fragezeichen hingedacht, hingeschrieben. Ich bin ja auch Coach-Ausbilder und wenn ich in unseren Ausbildungen sagen würde, wir bilden hier Coaches ohne Kompetenz aus, dann würde würde ich gesteinigt werden. Das geht natürlich gar nicht. Aber man muss das ein bisschen erklären. Ja, genau. Da wollen wir hin, sozusagen. Ja, genau. Vielleicht, also dann nehme ich das mal als Aufschlag. Sozusagen der Ausgangspunkt, wir gehen zu jemandem, der Ahnung von der Sache hat. Von dem, was jemand als Ratsuchender, als Problem sieht. Wenn mein Auto kaputt ist, dann gehe ich zu jemandem, der von Autos Ahnung hat. Der muss jetzt nicht von anderen Dingen Ahnung haben. Also zum Beispiel davon, warum ich das bisher nicht gelernt habe oder so. Sondern ich will, dass der das repariert. Und wenn ich mit meinen Augen Probleme habe, gehe ich zum Optiker, weil ich denke, Mensch, der kann mir doch da das Beste raten.

[7:41] Aber trotzdem haben wir auch noch andere Ansätze. Vielleicht, wenn wir das mal einordnen, wie kommt es, ist, dass wir auch Beratung durchführen, ohne oder, Mit dem Ansatz, man muss überhaupt nicht, vielleicht ist es sogar hinderlich, von dem Fach, von der Disziplin selbst auch Ahnung haben, also dort Experte sein.

[8:06] Also mein Zugang wäre ja jetzt einer, ich bin ja ein systemischer Coach und bilde systemische Coaches aus. Und diese Idee des Systemischen, aus der kann man das vielleicht ein bisschen ableiten. Das geht ja zurück auf die Systemtheorie, vor allem Niklas Luhmanns Systemtheorie, die sagt, dass Menschen mit ihrem Bewusstsein psychische Systeme sind, die sind in sich geschlossen, die steuern sich von innen, die können wir von außen gar nicht beeinflussen. Das heißt, wenn ich jemandem einen Rat gebe, mach doch dies und das, dann ist das ja von mir her gedacht, von meiner inneren Landkarte, ich, was ich denke, was ist für diese Person passend, aber es ist gut möglich, dass das für diese Person überhaupt nicht passt. Und die Idee jetzt in der systemischen Beratung, im systemischen Coaching ist, dass es hilfreicher und nachhaltiger ist, wenn ich mich erstmal reinfrage in diesen Menschen, in diese Person, in seine Glaubenssätze und seine, wie wir das nennen würden, Wirklichkeitskonstruktion. Was ist eigentlich bei ihm oder bei ihr oben und unten? Was ist gut oder schlecht? Was ist gut und falsch? Und das kann ganz anders sein als bei mir. Und deshalb versuche ich nicht von meiner Landkarte aus Ratschläge zu geben, sondern gucke, wo sind die Ressourcen bei meinem Gegenüber, aus dem er oder sie…

[9:27] Lösungen für aktuelle Probleme ziehen kann. Das kann auch, hilft natürlich auch, wenn man ein bisschen Lebenserfahrung gesammelt hat. Sie haben eben gesagt, wenn mein Auto kaputt ist, dann gehe ich in die Werkstatt, dann suche ich jemanden, der was von Autos versteht. Dagegen kam mir gerade der Gedanke in den Kopf, bei uns geht es eigentlich darum, was von Menschen zu verstehen. Also es geht darum, und Menschen sind aber alle anders. Manche Themen sind ähnlich und wenn man das eine Weile macht, dann hat man natürlich auch schon Hypothesen, was da jetzt gerade vielleicht los ist. Oder es kann aber auch völlig daneben liegen. Und deshalb geht es ja eher darum, rauszufinden, wie findet unser Gegenüber selbst eine passende Lösung für sein Problem. Und dabei können wir aber behilflich sein. Wir sind nämlich nicht inkompetent, aber unsere Kompetenz liegt im Bereich der Prozessgestaltung. Deshalb unterscheidet man ja auch Prozessberatung und Expertenberatung oder Sachberatung. Also wir sind Expertenberaterinnen und Berater und können einen Prozess steuern, einen Coaching-Prozess. Aber wir wissen überhaupt nicht, was jetzt eine gute Lösung für unser Gegenüber ist.

[10:36] Bevor wir das nochmal vertiefen, unser Anlass war ja sozusagen unser Ausgangspunkt, diese historische Betrachtung. Was haben Sie für eine Erklärung, dass das aufgekommen ist? Das war ja zumindest so explizit noch nicht immer so gewesen, während man Fach- oder Sachberatung schon immer vorfindet.

[11:01] Scheint mir, oder so kam das in dem Buch auch, dass das erst so in den 80er Jahren aufgekommen ist, explizit so als Beratung ohne Ratschlag und dass das dann professionalisiert wurde. Ja, es gibt aber natürlich, geht das zurück auf, also sowohl, ich würde mal sagen, die ganzen Beratungen.

[11:18] Systemtheoretischen und auch kommunikationspsychologischen Forschungen, von Paul Watzlawick etwa, den man ja ganz gut kennt über sein Buch Anleitung zum Unglücklichsein. Das ist ja schon so Mitte des 20. Jahrhunderts in den 40er Jahren. Und dann gibt es auf der anderen Seite, also da geht es eigentlich darum, dass Kommunikation nicht mehr als so einen linearen Prozess zu denken mit Sender und Empfänger, sondern vielmehr auf Paradoxien und Rekursivitäten hätten und so zu schauen. Aber ich glaube, das andere ist Karl Rogers und die Gesprächstherapie. Also da geht es ja auch schon darum, nicht mehr wie in der Psychoanalyse noch, sich auf irgendeine Couch zu legen und der Psychiater ist derjenige, der das Spezialwissen hat, sondern man sitzt sich gegenüber face-to-face, vier Augen Kontakt und auf Augenhöhe im wahrsten Sinne des Wortes. Das ist, glaube ich, das ganze Setting, wie heute Beratung und Coaching stattfindet, ist das, glaube ich, grundlegend, diese Gesprächstherapie, wo es auch nicht mehr darum geht, dass der Therapeut weiß, was jetzt richtig ist, sondern sich hineinfragt in sein Gegenüber und versucht, diesen Menschen zu verstehen und zu gucken, wo sind die.

[12:29] Wo ist vielleicht so ein Leid, wo ist aber auch großes Glück und was kann hilfreich sein, um im Leben irgendwie zu wachsen und sich zu entwickeln. Diese Entwicklungs- und Wachstumsidee, die steckt ja in der Gesprächstherapie noch stark drin. Das ist im Coaching, glaube ich, dann auch ein bisschen zurückgefahren, weil im Coaching geht es ja dann oft um einzelne Themen, da sind wir ja auch nicht endlos lange mit jemandem zusammen.

[12:54] Aber ich glaube, der Ansatz ist ein ganz ähnlicher. Also insofern würde ich sagen, so Mitte des 20. Jahrhunderts bildet sich das aus, aber dass das dann Coaching genannt wird oder auch Beratung ohne Ratschlag oder dann auch systemisches Coaching, das Systemische kommt ja sehr stark aus der systemischen Familientherapie, also aus einem neuen Blick auf eine Familie als System zu gucken, nicht mehr einzelne Symptomträger zu behandeln, sondern die gesamte Familie eigentlich als ein Kommunikationssystem zu verstehen, wo eben auch Auffälligkeiten Kommunikationen sind. Das Kind, was auffällig ist, muss gar nicht an sich ein Problem haben. Vielleicht geht es darum, Aufmerksamkeit zu erzeugen, weil in dem gesamten System was gerade nicht gut läuft. Also wir können sozusagen auch schon vorher, vor den 80er Jahren, also schon mehrere Jahrzehnte vorher, eine Veränderung feststellen, wie die Seite der Beratungspersonen ihre Beratung durchgeführt hat und sehen dann den Patienten, Klienten anders, sehen ihn auf Augenhöhe. Man kann es sozusagen im Raum wahrnehmen, dass es anders ist, als auch die Art des Therapierens oder des Beratens läuft anders ab. Da können wir also Unterschiede feststellen.

[14:15] Die Frage sozusagen war, bevor wir uns die Seite der Klienten, der Ratsuchenden angucken, warum das eben auch funktioniert, denn das scheint mir ja unbestritten zu sein, dass das funktioniert. Was gab es für einen Anlass, das auf andere Art und Weise durchzuführen? Also war das eher, dass das bisherige Ratgeben unzureichend war oder wurden andere Dinge beansprucht? Was machen Sie sich da für ein Bild darauf, dass das eben solche Veränderungen gegeben hat? Ja, also in meinem Buch habe ich ja versucht, das so zu beschreiben, dass das Phänomen, was so in den 70er Jahren mit diesen ganzen psychologischen Trends, also das, was man so heute humanistische Psychologie nennt, da gab es ja dann plötzlich sehr viel. Dass plötzlich die Beratung im Hinblick, also Beratung gab es ja immer schon als eine Fachberatung, als eine Expertenberatung. Anfang des 20. Jahrhunderts gab es auch schon sowas wie sozialpsychologische Beratung im Hinblick auf Bevölkerungsentwicklung, Krankheit, in diesem ganzen Bereich. Gesundheitsberatung. Was ja von den Nazis dann auch ziemlich pervertiert worden ist.

[15:32] Aber dass sich Beratung jetzt auch auf ein Leben, auf ein menschliches Leben beziehen kann, das ist ja was relativ Neues. Das galt ja lange als, das haben wir ja im Coaching, kann ich mich noch daran erinnern, vor 15 Jahren etwa, wenn jemand ins Coaching kam, hat er das in der Regel erstmal für sich behalten, weil es war so ein bisschen ein Makel. Wenn ich ins Coaching gehe, dann heißt das, ich komme mit meinem Leben alleine nicht klar. Ja, das hat doch noch was Therapeutisches. Wo ich sehr viele Beispiele in dem Buch auch aufführe, wie in der gesamten Übergang zur Moderne, 17., 18., 19. Jahrhundert. Also, dass man sich beraten lässt, ist eigentlich ein Zeichen von Schwäche. Und das Subjekt, der Kant-Definition von Aufklärung, der Auszug aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit, so ähnlich formuliert er das. Das impliziert ja, ich bin ein Subjekt, ich komme mit meinem Leben klar. Und ich kann es gestalten. Auch jetzt niemanden, der mich bevormundet. Also Beratung wurde da eher als Bevormundung beschrieben. Da gibt es bei Goethe sehr schöne Zitate. Also wer berät, wer jemand anders berät, ist anmaßend, schreibt Goethe. Und wer sich beraten lässt, der ist irgendwie nicht in der Lage, selbst klarzukommen. Also das widerspricht diesem Bild des aufgeklärten Subjekts.

[16:54] Das ist, glaube ich, das, was wir in der klassischen Moderne hatten. Und dann kommt die Psychoanalyse, die damit ja gründlich aufräumt. Und zwar so gründlich, dass sie eigentlich sagt, das funktioniert sowieso alles gar nicht. Wir werden von unserem Unbewussten gesteuert und dieses ganze aufgeklärte Subjekt, das kann man vergessen. Und was dann die humanistische Psychologie macht, ist ja im Grunde eine Synthese aus den beiden. Also sie knüpft ja methodisch an die Psychoanalyse an, aber kehrt zurück zu diesem alten humanistischen Menschenbild. Wir sind Subjekte, wir sind Erwachsene. Aufklärung als pädagogisches Programm.

[17:35] Und damit auch als selbst erzieherisches Programm. Genau, aber das jetzt verbunden mit diesem Impuls, dass es manchmal auch hilfreich ist, sich beraten, sich therapieren zu lassen, wenn man mal irgendwo nicht weiterkommt. Das heißt jetzt nicht, dass grundsätzlich der aufgeklärte Mensch sich nicht selbst steuern kann. Das in so eine Balance zu bringen, einerseits das humanistische Menschenbild, das aufgeklärte Selbst Und dann aber auch die Möglichkeit, Beratung und Therapie in Anspruch zu nehmen, ohne das als Eingeständnis von Unfähigkeit und Unmündigkeit zu markieren.

[18:14] Ein Kollege von Ihnen, der Religionswissenschaftler Höscher, hat dann auch noch betont dazu, das scheint mir auch ein wichtiger Aspekt zu sein, dass erst in dieser Zeit dann auch durchgedrungen ist, sozusagen ins Volk, dass die Zukunft halt offen ist. Und dieses Zeichen der Moderne, ich kann die Zukunft beeinflussen. Also auch das gehört ja noch dazu für den Coaching-Bereich oder Selbstberatung, dass ich eine Idee entwickle, mein Leben ist nicht mein Schicksal, sondern ich kann steuern. Ich bin sogar selbst der Steuermann und kann das beeinflussen auf dem Weg. Es wird mir nicht nur mitgegeben. Und das ist ja auch nochmal eine Idee, die auch im Coaching stark gemacht wird, dass man eben nicht sich ausgeliefert fühlt, ob dem Arbeitgeber oder dem eigenen Elternhaus, sondern man kann sich a. Befreien und b. man kann das gestalten. Mhm.

[19:15] Da wären wir jetzt schon bei dem Fokus, die Ratsuchenden, die jetzt nicht nur, vielleicht auch gar nicht am eigenen Leib, aber das erleben, dass jetzt anders Rat gegeben wird. Und das führt ja auch durchaus heute noch zu Irritationen. Wenn die ratgebende Person irgendwie deutlich macht, hier gibt es nur Sätze mit Fragezeichen von mir. Es gibt jetzt keine, du sollst, du musst, und warum hast du das noch nicht gelernt? Also als Übergangsfrage, sondern es ist nach wie vor nicht eine sofort intuitiv erschlossene oder erschließbare Art, Rat zu bekommen.

[19:58] In der Tat. Und dennoch, es funktioniert scheinbar. Also es funktioniert. Coaching wird immer, also Beratungsmarkt ist gewachsen. Personen gehen doch zumindest so zufrieden raus, dass sie häufig wiederkommen. Und das haben sie in ihrem Buch auch aufgegriffen, was dort wirkt, wieso das wirksam ist, wenn diese einfache lineare Vorstellung, ich gebe Wissen weiter und wenn du das anwendest und richtig anwendest, dann geht es dir besser, dieses Ratgeben in Form eines Ratschlags, sondern dass dieses anregende, fragenstellende, kontextualisierende Thematik, dass das für die Ratsuchenden hilfreich ist. Was geschieht da und was wissen wir über diesen Prozess, dass das hilft?

[20:47] Also es ist ja vielleicht vorweg auch nicht so, dass ich das Ratgeben komplett von dem einen Pol zum anderen verschoben hätte. Es gibt ja viele Bereiche, wo es immer noch so ist, wie Sie gesagt haben. Da sagt mir jemand, was ich tun soll, wenn ich jetzt vielleicht eine Ernährungsberatung aufsuche. Dann sagt mir jemand aufgrund seiner Expertise, was ich vielleicht mehr essen soll und wann und womit anfangen und solche Dinge. Das gibt es ja auch. Aber ich glaube, das, worum es uns jetzt hier geht, ist das, was ich eben auch genannt habe, den Bereich der Lebensführung. Also das Coaching kommt meistens aus dem beruflichen Kontext, aber die Erfahrung, die wir machen, ist ja, dass im Coaching geht es immer um das ganze Leben und den ganzen Menschen. Weil auch wenn man arbeitet, lebt man ja. Das sind ja auch Themen, die man vielleicht aus dem Privaten mitbringt und so weiter. Wir können das ja auch vom anderen Pol sehen. Die klassische Fachberatung der Ärzte und Mediziner, Maschiner, deren eine große Debatte ist ja mehr zuzuhören und mehr einzubinden und nicht denjenigen als Maschine irgendwie zu sehen. Und da könnte man von einer anderen Polarität kommen und sagen, ja, es geht nicht immer um den Ratschlag, sondern auch, wie gelingt es, dass die Person mitmacht.

[22:08] Ja, und das kann man ja ganz schön auch daran sehen, dass die homöopathische Medizin, die ja gerade sehr unter Beschuss ist, weil ihre Wirksamkeit wissenschaftlich nicht messbar ist, aber das, was die ja machen, ist, dass sie sich viel mehr Zeit nehmen.

[22:24] In der Anamnese erst mal weiß ich nicht, wie lange, ich habe das selbst noch nie gemacht, aber was ich höre, wirklich viel länger als ein normaler Arzt bei einem Kassenpatienten. Sich einfach mit jemandem beschäftigen und fragen und so weiter. Und das alleine, da sind wir eigentlich ja schon beim Thema, dass ich mich irgendwo aufgehoben fühle, dass ich mich verstanden fühle, dass ich erzählen kann von mir, dass da jemand zuhört, dem ich auch vertraue, dass das etwas in mir aktiviert. Und das wäre jetzt auch wieder plastisch das, was die systemische Theorie sagt, die Selbstorganisation von psychischen Systemen, die steuern sich selbst, die reagieren aber auf Interventionen von außen, indem sie sie erstmal als Irritationen aufnehmen und versuchen sie irgendwie dann als Anregung oder manchmal auch als Störung zu interpretieren. Jedenfalls entscheidend von innen. Wir steuern uns ja von innen. Wir haben einen Eigensinn. Wir sind fundamental eigensinnig.

[23:26] Und das ist ja die Idee jetzt auch der systemischen Beratung, jetzt im systemischen Coaching, wenn wir jetzt von einzelnen Menschen ausgehen, dass das Wichtigste erstmal ist. Und da sagen wir in der Ausbildung immer 50 Prozent des Coaching-Erfolgs ist, dass da ein geschützter Raum ist, dass sich da jemand wohlfühlt, dass da jemand Vertrauen hat und sich öffnen kann. Und endlich kann ich mal jemandem diesen ganzen Mist erzählen, der mich da bedrückt. Und dann auch noch jemandem, der da gar nicht dran beteiligt ist. Der hört zu, der stellt Fragen, vielleicht auch Fragen, die mir sonst meine beste Freundin nicht stellen würde. Ein bisschen seltsame Fragen oder angemessen ungewöhnliche Fragen, wie wir das nennen.

[24:05] Und das hilft mir dann, so nach einer Stunde merke ich, da hat mir jetzt jemand gar nicht gesagt, was ich machen soll, aber der hat mich so in ein Gespräch geführt, dass ich plötzlich selbst ganz viele Ideen habe. Ja, einen neuen Sinn zu entwickeln, damit mein psychisches System wieder Sinn findet oder zufriedenstellenden Sinn oder erklärenden Sinn. Das ist ja letztlich schon die Wirklichkeit. Und vielleicht stünde die Homöopathie nicht so unter Beschuss, wenn sie dann am Ende sagt, hier, du musst aber die Kügelchen nehmen, da steckt das drin. Sondern wenn sie einfach es nicht tun würden, dann wären es wahrscheinlich welche, die ganz ähnlich wie Coaches arbeiten, nur eben nicht mit der Behauptung, dass da die Informationen irgendwo verborgen geschüttelt wurden. Das ist jetzt auch natürlich nochmal eine andere Frage. Ich will mich da auch gar nicht zu äußern. Selbst wenn es ein Placebo-Effekt ist, der ist ja auch nachweisbar. Also insofern hätten Sie ja auch noch einen Nutzen, wenn man einfach nur dran glaubt.

[25:13] Aber ich glaube, dieses Zuwenden, diese Wertschätzung, also wenn man zu normalen Ärzten geht, das kennen wir alle, dann ist das ja etwas, was ganz oft fehlt. Man wird da irgendwie durchgeschleust, weil sie nur bei Kassenpatienten so und so viel Euro für 20 Minuten kriegen, nach 5 Minuten ist man wieder draußen und da fühlt man sich nicht wertgeschätzt, da fühlt man sich nicht wohl. Und das ist ja der entscheidende Punkt. Und was mir dazu einfällt, der Umberto Maturana, ja einer der chilenischer Naturwissenschaftler, der ja mit dem Kollegen Varela damals vor längerer Zeit dieses Autopoiese-Konzept entwickelt hat, dass lebende Systeme sich aus sich selbst heraus erzeugen und fortsetzen.

[26:01] Der hat ja auch später so eine Biologie der Liebe entwickelt und sagt eigentlich, dass das, was uns Menschen ausmacht, ist, dass wir sprechen und dass wir lieben. Also er meint mit lieben wirklich, wir können nicht alleine existieren, wir müssen auf jemanden bezogen sein, auf ein soziales Wesen. Und die Grundvoraussetzung dafür, für dieses Lieben, ist, dass wir uns selbst lieben, dass wir so eine Selbstanerkennung, so eine Selbstwertschätzung haben. Und daraus entwickelt er so einen Beratungsansatz, wo es ganz radikal nur noch darum geht, einen geschützten Raum zu bilden, in dem wir uns wieder mit uns selbst verbinden können, könnte man sagen. Dass wir unsere Selbstliebe wiederfinden.

[26:46] Denn die Coaches, die ins Coaching kommen, die haben ja meistens eine problematische Situation, aus der sie kommen, in der es eben nicht mehr gelingt, diese Selbstwertschätzung, diese Selbstliebe zu erfahren. Und im Coaching kommt man in einen Raum, wo das alles ausgeschlossen ist, wo man anerkannt ist, wo man alles sagen kann und wo es dann am Ende nur darum geht, sich dort wieder mit sich und seinen Ressourcen zu verbinden, um wieder zuversichtlich rauszugehen, ins Leben zu gucken. Und das zeigt nochmal, wie wenig jetzt Interventionen es braucht. Also Interventionen im Sinne jetzt von bestimmten Methoden, die ich anwenden muss im Coaching, damit ich erfolgreich bin. Das ist ja sowas, was… Ja, und bei allen Ansätzen, die Sie jetzt so aufgezählt haben, wird mir immer deutlich, dass nicht allein die Seite des Ratgebenden wichtig ist, was der tut oder nicht tut oder wie er das tut oder auf welcher Theorie, sondern es ist ein voraussetzungsreicher Prozess, dass auch die andere Seite, die ratsuchende Seite.

[27:57] Eine bestimmte Verfassung, eine bestimmte Annahme, ein Sich-Einlassen oder was auch immer, wie man es bezeichnet, bedarf, damit dann das Gemeinsame wirkt, der gemeinsame Prozess des Ratgebens. Also dort ist sozusagen der wirkliche Wandel. Ich sehe nicht mehr den anderen als jemand, der braucht jetzt Wissen oder der braucht einen Schuss von Bug oder der braucht Information, sondern ich muss was kreieren, dass er etwas macht, was in seinem Hoheitsbereich liegt. Ja, oder besser noch, wir müssen gemeinsam was kreieren. Denn ich kann ja nicht für den was kreieren. Das ist ja jetzt auch, wenn jemand zu mir ins Coaching kommt, dann bilden wir ja in dem Moment auch schon wieder ein neues System, ein Coaching-System. Denn der ist ja in dem Moment, wo er mir gegenüber sitzt, ist er ja, spendiert er Interaktionen, die er ja sonst vielleicht nicht spendieren würde. Er verhält sich mir gegenüber so, wie er meint, sich einem Coach gegenüber verhalten zu müssen. und ich reagiere auf ihn, wie ich meine, mich einem Coachee gegenüber verhalten. Und damit erzeugen wir jetzt wieder eine ganz eigenartige, eigensinnige und eigentümliche Kommunikationsstruktur. Aber wir erzeugen etwas miteinander. Und das haben Sie eben so im Nebensatz so ja erwähnt. Also wir erzeugen einen Prozess miteinander.

[29:22] Ja, und das kennt sie bestimmt auch. Also mir ist es sowohl in der Lehre, also als Dozent passiert, als aber auch das mit Yato oder im Coaching, im Feedback-Prozessen dann deutlich wird, da habe ich was gesagt oder da habe ich was gemacht oder nicht gemacht. Ich kann mich meist nicht daran erinnern. Es ist dann auch nicht wegen oder für den Klienten oder die Ausbildungsperson oder die Studenten oder so gemacht worden, sondern was völlig anderes. Aber das nimmt der sich und sagt, das war für mich der entscheidende Moment. Da hat bei mir was Klick gemacht oder da haben sie rüber geguckt oder da haben sie weg geguckt und das war jetzt keine Intervention meinerseits, aber sie wirkte so und sie wird so aufgefasst. Und daher habe ich sozusagen die Betonung darauf gelegt, es braucht etwas, was der Klient für sich nimmt, um sich anregen zu lassen oder um sich auf neue Perspektiven zu bringen. Und manchmal…

[30:23] Also machen wir zwar viel, was wir wollen als Intervention, aber es verpufft im leeren Raum, wenn man mal schaut, was kommt da bewusst wirkend bei dem anderen an. Ja, das kenne ich sehr gut auch, dass dann jemand sagt, was Sie da und da gesagt haben, das war der Eye-Opener für mich. Und man selbst weiß überhaupt nicht mehr, wann habe ich denn das gesagt? Vielleicht war das jemand anders oder so. Und deshalb ist ja auch so eine, sagen wir ja auch, wir haben natürlich auch Interventionen, Wir versuchen das, dieses und jenes. Wir bilden auch Hypothesen, aber immer nur so als Angebote, weil genau wie Sie sagen, wir wissen ja nicht, was jetzt bei unserem Gegenüber anschlussfähig ist. Also bieten wir möglichst viel an, an unterschiedlichen Perspektiven auch. Auch so ein Leitsatz bei uns lautet, es könnte auch alles ganz anders sein, als ich gerade denke. Also versuche ich mich innerlich ein bisschen locker zu machen und den Hypothesenmuskel zu trainieren und in verschiedenen Richtungen mal zu denken und Angebote zu machen. Und was dann am Ende passt und was angenommen wird, das kann ich vorher gar nicht wissen. Und das kann man immer erst beobachten, wenn man es beobachten kann. Und wenn dann plötzlich jemand sagt, ja, das ist es.

[31:36] Ja, und es ist auch nicht egal. Es ist jetzt auch nicht so, dass wir sagen können, wir schreiben einfach nur mal Coach drauf auf den Büroraum und dann ist es egal, was wir tun. Wir haben schon Einfluss auf diesen Prozess, der bei dem Klienten, beim Ratsuchenden passiert.

[31:55] Aber, und jetzt komme ich so ein bisschen zu dieser Versuchsreihe, die…, den Namen, den der Harold Garfinkel aus ganz anderem Anlass gemacht hat und das wir heute ja so uns nochmal genau anschauen wollten, dass dann da etwas geschieht, obwohl es gar nicht dann linear, objektiv, nachprüfbar ist, dass das auch dazu führte. Also dass wir dann doch eben die Vorstellung irritiert bekommen, es ist wichtig, dass wir Interventionen planen und durchführen, und es ist wichtig, dass das das keineswegs dann auch linear zu dem führt, was wir wollen, sondern es bleibt ein Angebot, die Intervention.

[32:38] Ja, und es ist tatsächlich ja auch oftmals nicht so, wie Sie sagen, dass der Coach sagt, ach ja, das war es, sondern die wissen das ja manchmal auch nicht. Also es gibt ja, so erlebe ich das auch, Coachingstunden, da hat man selbst als Coach das Gefühl, ich weiß nicht, ob das heute so hilfreich war. Der Coach hier geht auch irgendwie mit einem etwas grüblerischen Gesicht raus und man weiß ja nicht, was ist jetzt passiert, denn das Wichtigste passiert ja danach.

[33:06] Das Gedenken geht ja weiter und manchmal kriegt man dann irgendwie eine Woche später eine Mail, wo dann drinsteht, das und das war total hilfreich für mich. Also das kann sein, manchmal auch nicht und dann muss man damit leben, dass man jetzt gar nicht weiß, wie es jetzt war. Das ist einfach ein offener Prozess und wir können in den anderen nicht reingucken und das ist was, womit wir leben müssen. Und das ist ja jetzt auch das Schöne bei diesem Experiment von Garfinkel, von dem Sie sprechen, dass die Klienten ja aufgefordert wurden, laut sozusagen nachzudenken, sodass man ganz genau verfolgen konnte, was die jetzt gedacht haben. Weil es dem Garfinkel ging es ja jetzt auch gar nicht so sehr um Beratung, dem ging es ja eher, der kommt aus der Wissenssoziologie und dem ging es eigentlich darum, wie sich Menschen in kommunikativen Situationen gemeinsam über irgendwelche lebensweltlichen Wissenbestände verständigen, wie sie sich orientieren. Das ist aber dann für die Beratung, gerade auch für die systemische Beratung, für die Beratung ohne Ratschlag, über die wir sprechen, eigentlich eine sehr aufschlussreiche Versuchsreihe gewesen. Vielleicht sollten wir sie noch mal kurz beschreiben. Ja, also ich fange mal an und dann können wir gucken. Also die Klienten wurden als Ratsuchende, sozusagen die Probanden als Ratsuchende.

[34:35] Sie sollten über ihre Probleme laut nachdenken, sprechen und Fragen formulieren.

[34:41] Die mit Ja oder Nein zu beantworten waren.

[34:44] Also soll ich mich scheiden lassen? Oder ich weiß nicht, ob ich das weiter studieren will. Soll ich das tun? Also dann so fokussieren auf das, was wir heute vielleicht so als Beratungsauftrag dann sehen und als Schlüsselfrage. Und das sollte eine Ja-Nein-Frage sein. Und der Ratgebende, in dem Falle dann der Experimentator, hat darauf geantwortet mit Ja oder Nein in einer Reihenfolge von zehn Fragen und hat vorher festgelegt, wann er Ja sagt und wann er Nein sagt. Alle Probanden haben die gleichen Ja-Nein-Abfolge bekommen.

[35:18] Das lief dann über ein Telefon oder so ein Mikrofon. Der Ja-Nein-sagende Berater war im Nebenraum. Und was ich noch ganz wichtig finde, das Ganze fand an einer Universität statt, an der University of California. Ich glaube, Ende der 50er Jahre schon an einem Ort der Wissenschaft, in dem man Vertrauen haben konnte. Das ist, glaube ich, ganz wichtig. Wo junge Leute befragt wurden? Man hat junge Leute befragt und man hat gesagt, es gibt eine neue Methode in der Fakultät für Psychologien, eine Alternative zur Psychotherapie. Das wurde also wirklich in so einen wissenschaftlichen Rahmen eingebunden. Die Berater wurden eingeführt als Berater in der Ausbildung und dann sollten sie ihr Problem beschreiben und hatten zehn Fragen, die mit Ja oder Nein zu beantworten sein mussten und die Ja’s und Nein’s standen vorher fest.

[36:16] Und das Faszinierende ist, dass die alle nach diesen zehn Fragen irgendwie ein gutes Stück weiter waren mit ihrem Problem, weil obwohl diese Fragen eigentlich ja gaga waren, die hatten ja mit dem Inhalt nichts zu tun, die Maschine hat diese Frage gestellt, hat diese Antworten gegeben und, Das Interessante ist dann zu sehen, weil wir eben, wie Sie gesagt haben, auch aufgefordert waren, jetzt ihr Nachdenken auch laut zu machen, sprechend, monologisierend, damit es aufgezeichnet werden und dann ausgewertet werden kann, kann man eben sehr schön daran sehen, was das dann ausgelöst hat. Ja, den Prozess der Sinngebung sozusagen. Wenn am Anfang irritierend war, wieso jetzt ja? Der kennt doch gar nicht meine Freundin oder so, meine Frau. Ja, ja, ja, genau. Ein Beispiel habe ich mir nochmal angeguckt. Ein junger Mann, ein jüdischer junger Mann, der eine nicht jüdische Freundin hat. Ich bin ja ein bisschen herangerutscht, das hat was mit meiner Geste zu tun gehabt, dass die Kamera auf mich zuzoomte.

[37:24] Also ein jüdischer junger Mann datet eine nicht jüdische Freundin und hat das Gefühl, dass sein Vater das nicht gut findet, obwohl der noch nichts dazu gesagt hat. Der hat aber auch noch nichts Ermutigendes gesagt und das wird beschrieben, das ist das Problem. Soll ich sie weiter daten, ist die Frage. Und dann klärt er das und fragt dann erstmal ganz offen, meinen Sie, ich sollte sie weiter treffen? Und dann sagt der Berater, my answer is no. Okay, dann denkt er sich, ja, okay, kann ich verstehen, der denkt jetzt an den Vater und so weiter und dann, jetzt redet er nochmal ein bisschen über den Vater und erklärt, wie der so ist und ob er dann mit ihm ein Gespräch führen sollte und dann kommt die Antwort, ja, und dann denkt er über dieses Gespräch nach und ja, vielleicht kommt aber bei diesem Gespräch gar nichts raus und ich habe trotzdem das Gefühl, der will das nicht, sollte ich sie dann trotzdem weiter treffen und dann sagt er plötzlich, yes, ja, wo er am Anfang no gesagt hat und dann, Da sagt auch der Proband, jetzt hätte ich ein No erwartet. Das ist aber jetzt erstaunlich. Fängt aber dann an, sich das zu erklären, da einen Sinn drin zu sehen. Was könnte der gemeint haben, dadurch, dass er jetzt Ja sagt und mich jetzt sozusagen ermutigt, sie weiterzutreffen. Also hat er irgendwas, das muss irgendwas mit dem Vater zu tun haben. Also er fängt an, sich einen Reim darauf zu machen. Das ist eigentlich das Spannende.

[38:46] Man könnte sagen, es ist eigentlich egal, was für eine Irritation kommt, sie bringt mich dazu, nochmal neu aus einer anderen Perspektive über meinen Thema nachzudenken. Und ich brauche gar nicht jetzt, was soll mir da jemand raten? Das ist ja eine Frage, da kann man jetzt nicht einfach sagen, mach das oder mach das nicht, das muss doch aus mir herauskommen. Da wird mir deutlich, dass es dann im Umkehrschluss auch überhaupt nicht schädlich ist, für eine Beratung ohne Ratschlag Ratschläge zu erteilen. Nein, gar nicht. Die können ja auch manchmal hilfreich sein. Ich habe ja gar nichts gegen Ratschläge.

[39:25] Es wird ja auch in der Mediation durchaus ganz stark in Ausbildungskontexten bloß keinen Vorschlag machen.

[39:34] Haltet euch da zurück. Das wird ganz stark auch propagiert in der Mediation, hat das nochmal andere Gründe, aber das Fundament ist genau diese Vorstellung. Nach diesem Experiment müsste man zumindest darüber nachdenken, das ist nicht das entscheidende Problem, dass da ein Vorschlag gemacht wird. Nee, das hängt natürlich jetzt noch von anderen Dingen ab. Das ist das, was ich, wir nennen das ja eher Hypothesen im Coaching. Und Hypothesen sind ja in dem Sinne keine Vorschläge, weil ich sehr deutlich mache, das ist jetzt so eine Idee, die mir jetzt gerade kommt. Kann sein, dass die passt, kann aber auch sein, dass die für Sie totaler Quatsch ist. Dann lassen wir sie einfach weiter vorbeifliegen. Also insofern muss, glaube ich, deutlich sein, dass ich nicht der Experte bin, der jetzt das sozusagen diagnostisch verordnet, sondern dass ich auch nur ein Mensch bin, ein Beobachter wie viele andere und dem gerade dieses durch den Kopf geht. Und das darf ich dann sagen. Also das ist natürlich und das ist ja auch, weiß ich nicht, wenn ich jemanden mir gegenüber habe und sehe, der ist in der Situation total unglücklich und dann sage ich manchmal im Coaching auch, also aus meiner Sicht, das ist jetzt nur meine Sichtweise, finde ich, solltest du aus der Situation raus. Das ist jetzt so ein extremer Fall, aber da lege ich mir jetzt nicht ein Sprechverbot auf, wenn ich merke, wie sehr jemand leidet.

[41:01] Mache ich dann auch mal sowas. Natürlich aus einer Haltung heraus, ich bin nicht derjenige, der das zu entscheiden hat. Ich bin auch nicht derjenige, der weiß, ob das für dich richtig ist. Aber aus meiner Sicht, das ist ja einfach nur auch mein Feedback, meine Wahrnehmung, die ich zur Verfügung stelle, aus meiner Sicht tut dir das nicht gut da in der Situation.

[41:24] Und damit kommt der zweite Aspekt, der mir da jetzt auch nochmal deutlich geworden ist bei dem Setting und bei der Durchführung, dass derjenige, die antworten, auch wenn sie zunächst irritierend oder niederschmetternd oder begrenzend sind, der Gestalt aufnehmen muss oder aufnimmt, dass er damit weiterarbeitet, dass er daran weiter überlegt und weitere Perspektiven oder Sichtweisen auf diese Fragestellung vornimmt. Da braucht sozusagen ein Zutrauen, dass das schon seine Richtigkeit hat, dass das jetzt ein Nein ist. Das heißt, das ist schon auch eine Form der sozialen Autorität, die notwendigerweise geschaffen sein muss, dass der Ratsuchende sich dann in diesen Arbeits- und aufwendigen Prozess begibt.

[42:21] Ja, Autorität. Also ich würde, glaube ich, lieber den Begriff des Vertrauens hier mal stark machen. Also Vertrauen, deshalb habe ich das eben nochmal erwähnt, dass dieses Garfinkel-Experiment an so einer Uni, University of California stattfand, in so einem Rahmen, wo man eigentlich erstmal sicher gehen konnte, das ist jetzt nicht irgendein Hokuspokus, sondern das ist was Seriöses. Ja, das ist was Seriöses und Solides. Und so ist das ja in der Beratung auch. Und gerade im Coaching. Coaching ist ja sehr stark ein Empfehlungsgeschäft. Es gibt ein Kennenlernen, ein Vorgespräch. Also da ist ja ganz wichtig, dass ich irgendwie einen guten Draht zu der Person habe, dass ich da ein Vertrauen aufbauen kann. Und dann ist das, das finde ich jetzt nochmal interessant, auch in der Auswertung dieser Garfinkel-Experimente, da taucht dieser Begriff des Vertrauens nämlich auch auf oder des Grundvertrauens. Der erste Punkt ist, dass ich, ich habe das Grundvertrauen, dass ich mit meinem Gegenüber ein gemeinsames und konsistentes Muster erarbeite. Also dass wir hier im guten Sinne, wir wollen hier gemeinsam was Gutes rauskriegen. Insofern hinterfrage ich das nicht, dass der jetzt Nein sagt und der spinnt ja, sondern gehe davon aus, das ist das, was ich mit Vertrauen meine, dass der sich da was bei gedacht hat im Sinne unseres gemeinsamen Prozesses, den wir hier haben. Ja.

[43:50] Und darum ging es dann dem Garfinkel vor allem aus dieser wissenssoziologischen Perspektive, dass wir uns auch über soziale Strukturen, dass es so ein Grundwissen gibt, so ein Grundkonsens, wie soziale Strukturen funktionieren, sodass wir uns überhaupt gemeinsam auf so einem Feld bewegen können, obwohl ja mein Berater immer nur Ja oder Nein sagt. Also ich unterstelle dem ganz viel, ich interpretiere da ganz viel rein Nein, und gehe davon aus, dass das auch vernünftig ist, was der sagt, dass das Hand und Fuß hat und so. Und das, glaube ich, ist wichtig dafür, dass das funktioniert. Und deshalb ist, glaube ich, wenn man das jetzt einfach irgendwo auf der Straße machen würde, jemanden sich schnappen würde, der einen gar nicht kennt, würde das nicht funktionieren. Es braucht diese Rahmung, ich bin ein Coach, ich bin ein Profi, ich habe hier einen geschützten Raum, ich nehme dich wertschätzend auf, es gibt im Vorlauf ein Kennenlernen und so weiter und so weiter. Vielleicht hast du noch eine Empfehlung, zu mir zu kommen. Und dann funktioniert das so, dass ich jede Intervention erst mal als eine Anregung nehme, auch wenn sie mich erst mal irritiert. Ich nehme sie als Anregung. Da muss irgendwas Gutes, Positives drinstecken und da fange ich an, drüber nachzudenken.

[45:10] Deshalb kann man im Coaching auch keine falschen Fragen stellen. Das ist ja manchmal in der Ausbildung, dass die Teilnehmenden fragen, ja, was ist denn, wenn ich mal eine falsche Frage stelle? Die gibt es ja nicht, da wir ja sowieso nicht wissen, welches die richtigen sind. Wir können das ja immer nur ausprobieren und beobachten, was passiert. Und das ist eigentlich ganz ermutigend, weil, finde ich, dieses Experiment, deshalb erzähle ich das auch gerne, gerade bei, wenn mal wieder so ein Thema aufkommt, Und das kennen Sie vielleicht auch aus Ihren Ausbildungen, dass die Teilnehmenden oftmals so das Bedürfnis haben, super viele Interventionen zu kennen, damit sie sich sicher fühlen und gute Coaches oder gute Mediatoren sind. Und wo wir eigentlich ja eher sagen würden, in der systemischen Beratung, die Haltung ist eigentlich viel wichtiger oder mindestens genauso wichtig. Und dann erzähle ich immer dieses Garfinkel-Experiment, wo die Interventionen daraus bestehen, dass eine Maschine vorher festgelegt hat, wann es ja und wann es nein ist. Das zeigt eigentlich sehr schön, dass es um andere Dinge geht. Ja, also…

[46:20] Dafür ist es auch sehr hilfreich. Also diese Furcht vor mir fällt mir jetzt die richtige Frage ein. Durch den vielen hunderttausend neuen Möglichkeiten. Wie soll man denn da die Richtige im richtigen Moment finden? Und das sieht alles so spielerisch aus oder so bei anderen. Dafür finde ich das sehr sinnvoll, aber eben auch, um deutlich zu machen, was alles getan werden muss, damit man als Coach von einem Ratsuchenden anerkannt wird. Also das halte ich für eine sehr voraussetzungsreiche Situation, die für Mediatoren, die ja nicht so mit ihrem Produkt, mit ihrem Prozess so etabliert sind und da auch gleichzeitig zwei Leute überzeugen wollen, die ja auch noch prinzipiell gegeneinander gerichtet sind. Da ist das auch da nochmal ein schwierigerer Ausgangspunkt, beide zu überzeugen, es ist sinnvoll, sich in einem Gespräch mit einem solchen Ratgebenden zu begeben.

[47:20] Also da ist es auch nochmal strukturell schwierig, aber was man da tun muss, das ist halt etwas, was so in der Ausbildung dann nicht hinten runterfallen darf. Also wie gelingt es mir, dass ich empfohlen werde, weil Empfehlung tatsächlich ein ganz starker Vertrauensfaktor ist für Ratsuchende, dass Ratsuchende sagen, egal was der sagt, das wird mir helfen. Ich werde damit was anfangen. Das ist ja nicht ein bewusster Prozess des Coaches, aber das ist schon die voraussetzungsreiche Situation und das kann man sozusagen genauso wenig linear beeinflussen. Ja und das ist ja auch heute, heutzutage hat sich das ja auch rumgesprochen, also es ist ja…, Kommt ja kaum noch vor, dass jemand ins Coaching kommt und man fragt den, wobei kann ich Ihnen behilflich sein? Und dann sagt er, ich dachte, das wüssten Sie.

[48:25] Manchmal taucht das aus, wenn man diese Frage falsch formuliert. Aber dass es im Coaching darum geht, sozusagen mit Unterstützung unter vier Augen, aber letztlich an sich selbst zu arbeiten, also eine Art Unterstützung bei der Selbstreflexion, das hat sich ja ein bisschen rumgesprochen. Das ist ja ein ganz eigenes Beratungsformat und das hat sich, glaube ich, auch ein bisschen in andere Beratungsformate auch ausgedehnt. Ich glaube, dass diese Vorstellung, dass man jetzt gar nichts wissen muss über den Klienten, der da vor einem sitzt. Jetzt sind wir fast wieder bei dem Ärzte-Thema. Und wie viel frage ich die eigentlich über ihr Leben und wie es denen so geht? Oder gucke ich nur wie bei einem Auto auf irgendwelche Teile, die da kaputt sind und die man in Ordnung bringen muss?

[49:14] Also ich glaube, das ist schon ein bisschen auch diffundiert in andere Beratungsformate. Dass man schon jetzt auch ein bisschen den Menschen anguckt und so. Also ich hoffe das jedenfalls. Ja, also das kann ich für die Mediation soweit überblickend auch bestätigen. Also Mediation kann da auf vieles zurückgreifen, was im Coaching an Erfahrung gemacht wurde, als auch, dass die Entwicklung des Coachings eine Erfahrung ist, die der Mediation zugutekommt. Aber eben auch gleichzeitig werden auch dort nochmal die gleichen Überbetonungen der eigenen Methodik in der Ausbildung durchgeführt und nicht wenig, aber doch unterbeleuchtet die Rahmenbedingungen, dass man dort einen Vertrauensaufbau oder eben eine soziale Autorität, dass das vorhanden sein muss. Damit überhaupt jemand die Anfrage stellt. Und das ist naturgemäß weniger, weil weniger Empfehlungsmanagement rein zahlenmäßig möglich ist und da auch eben noch nicht so viel passiert.

[50:26] So viel im sozialen Umlauf ist, an guten Erfahrungen. Das ist schon so. Aber ich halte auch die Grundsituation für schwieriger, dass halt zwei Personen, die stark miteinander im Konflikt sind.

[50:40] Überzeugt werden müssen, dass diese Person hilft. Und das ist einfach nochmal, also das ist bei einer Person schon nicht ganz leicht, aber heute wesentlich leichter als vor 30 Jahren. In einer Konfliktsituation, bei so einer Akutmediation fast unmöglich. Weshalb ich da aber das nur am Rande auch denke, das müssen die Strukturen vorher geschaffen werden, bevor der Konflikt aufkommt. Da muss schon die Vereinbarung getroffen werden, wenn es mal bei uns nicht gut läuft. Was ich denke ist, oder ich bin da kein Experte, aber ich stelle mir vor, dass es schwierig ist, diese Allparteilichkeit jetzt gar nicht zu haben, zu leben, sondern ich kann mir vorstellen, ich kenne das ein bisschen aus Paarberatung, dass sehr schnell einer oder die andere der Meinung ist, der ist ja auf der Seite meines Konfliktpartners und nicht auf meiner. Der ist irgendwie einseitig oder die ist voreingenommen und man fühlt sich plötzlich nicht mehr gesehen. Und dann steigt man da aus. Das Problem haben wir natürlich im Coaching so nicht. Das es dann wäre, also wenn die Mediation zustande kommt, ist das dann vor allen Dingen die schwierige Situation, weil man die auch gar nicht immer tatsächlich mitbekommt. Weil die meisten rufen jetzt nicht sofort rein, die sind doch auf der anderen Seite, sondern das ist schon auch ein gewisses Tabu.

[51:58] Ja, und sie merken das dann daran, dass nur einer wiederkommt oder gar kein anderer. Das wäre das Fatale. Manchmal kann man das noch in der Stunde merken und ansprechen, aber es bedarf dieser aktiven Anfrage der dritten Person, dass sie sagt, ich habe da was wahrgenommen, womit hängt denn das zusammen? Also eine Einladung gibt. Es ist erlaubt, mir zu sagen, dass man mich als ungerecht oder nicht parteilich gefunden hat. Und das ist natürlich wiederum eine Herausforderung für die Mediationsperson. Das ist schon so. Aber da hat eine Mediation schon begonnen. Das ist natürlich die Situation zeitlich nachgelagert. Dass überhaupt zwei Konfliktparteien in die Mediation finden, ist die große Hürde. Und ich denke, das hat auch mit diesem Vertrauensaufbau zu tun.

[52:51] Wo stehen wir jetzt mit diesem Experiment von Harold Garfinkel, der gar nicht an Beratung gedacht hat, aber dessen Aufzeichnungen und Testergebnisse… dazu geführt haben oder dazu führen können, zu interpretieren, ja, es ist, nicht so sehr das, was die Beratungsperson macht, sondern es ist viel entscheidender, dass die Ratssuche ansuchende Person in einem Zustand ist, wo sie zu reflektieren bereit ist, wo sie die Dinge aufnehmen kann, auch wenn sie irritieren. Was heißt das ganz praktisch für Coache? Was können die tun?

[53:33] Also wo stehen wir jetzt? Ich habe das in meinem Buch her beschrieben, indem ich gesagt habe, das ist eigentlich, Beratung stößt eigentlich immer einen Prozess der Selbstberatung an, diese Selbstreflexion. Und ich musste gerade noch mal dran denken, Garfinkels Experiment. Man kann ja 3000 Jahre weiter zurückgehen und an die Orakel denken in Griechenland. Da sind die Leute ja hingefahren mit ganz ähnlichen Fragen. Soll ich den oder die heiraten? Soll ich mich scheiden lassen? Und das Orakel war unglaublich vertrauensvoll, weil es war ja ein Gott, der dadurch sprach. Die Leute sind wochenlang unterwegs gewesen, um dann eine Frage zu stellen. Und die Antwort war ein Rätsel.

[54:17] Also da gab es ja keine klare Ansage, mach dies oder das, von irgendeinem rätselhaften Spruch. Und auf den drei Wochen, die man für die Rückfahrt brauchte, konnte man dann darüber nachdenken, was der jetzt bedeutete. Dass der was Vernünftiges bedeutete, war klar, weil das war ja ein Gott, der das gesagt hat. Also das ist doch mal sehr schön. Also das Vertrauen in die Situation, das Vertrauen in die Kompetenz jetzt auch meines Ratgebers und so weiter. Aber was ich jetzt damit mache, das muss ich für mich selbst entscheiden und da muss ich mir irgendwie einen Reim drauf machen. Und dafür habe ich wieder genug Zeit auf der Rückfahrt. Ja, das finde ich nochmal, den Zeitaspekt finde ich bei den Orakeln eigentlich sehr interessant. Und dann war das Problem irgendwann, man hatte so viel Zeit darüber nachzudenken, dass es dann irgendwann auch klar war, was man jetzt macht. Aber das ist ja auch ganz schön, Beratung ist ja eben immer auch so ein Innehalten, von sich Zeit nehmen und so eine Auszeit auch, so ein Rausgehen aus der Situation. Bei dem Orake war es tatsächlich klar, es wird ein Rätsel werden, was ich bekomme. Ich hole mir ein Rätsel ab.

[55:23] Da würden wir sozusagen, egal ob wir uns als Sachexperten oder als Prozessexperten verstehen, zumindest mit unserer Art von Fragestellen, Irritation und durchaus Fragezeichen hervorrufen. Was hat das jetzt zu bedeuten? Warum soll ich jetzt darüber nachdenken? Was hat denn die Person damit zu tun?

[55:46] Das ist da also ganz explizit als Rätsel gemacht worden und ist, glaube ich, gut besucht gewesen, das Orake. Ja, natürlich, weil es war ja immerhin ein göttliches Rätsel. Und dass sich ein Gott mit meiner Frage beschäftigt, ist ja schon mal ein unglaublicher Vorschuss an…

[56:06] Ja, an gut gemeinter Energie. Und was das für uns als Coaches und Berater heute bedeutet, also ich, das ist ja tatsächlich das, wenn wir nochmal auf den Ausbildungskontext kommen, dass die größte Herausforderung der Teilnehmenden unserer Ausbildung ist, aus diesem Ratschlagmodus erstmal rauszukommen. Das sind ja meistens Leute, die irgendwie in ihren Jobs Führungsrollen haben Und wo im normalen Leben erwartet wird, dass sie ständig Probleme lösen und anderen Leuten sagen, was sie machen sollen. Und im Coaching müssen sie das erstmal ablegen und das erstmal entlernen. Und ja, also das ist vielleicht die Herausforderung jetzt auch für Coach-Ausbilder in dem Kontext, es vielleicht tatsächlich dann auch einzuladen, auch auf die Selbstorganisation ihres Gegenübers zu vertrauen. Und auch darauf zu vertrauen, dass ich ein guter Coach sein kann, ohne dass ich tausend Interventionen aus dem Hut ziehe und ein Interventionsfeuerwerk abfackele, sondern einfach nur dadurch, dass ich da bin und dass ich zugewandt bin und interessante Fragen stelle, schon unglaublich wertvoll und wichtig und hilfreich bin.

[57:28] Das finde ich ein ganz passendes Schlusswort. weil das beruhigt, in dieser zunächst vielleicht vorhandenen Suche nach der perfekten Intervention. Ja, also es ist, genau, also mich beruhigt es. Und wenn man das irgendwie weitergeben kann, wenn man das übertragen kann an diejenigen, die da noch nicht so sicher sind und die Erfahrung noch nicht haben, dann, das ist das, was dann aber auch eine Übungsfrage ist. Man merkt das ja dann auch. auch im Tun und bei dem, was rauskommt. Und auch die Erfahrung. Und man hat eben auch ganz tolle Ideen für sein Gegenüber und der sagt aber, nee, da kann ich nichts mit anfangen oder habe ich schon versucht. Ach ja. Widerstand. Ich bin gar nicht ich, der hier Widerstand hat.

[58:21] Nein, ich meine, dass das auch eine Erfahrungsfrage ist, diese Wirksamkeit zu erleben. Und man muss sich auch als Coach darauf einlassen, Ohne, dass die eigene präferierte Lösung oder der Lösungsvorschlag geäußert wurde und umgesetzt wurde, dass wir sozusagen damit rechnen müssen, dass Coaches oder Klienten Besserung, Glück erfahren und ihn als geholfen erlebt. Und das gilt es tatsächlich zu fabrizieren und sich nicht wegzunehmen, indem man doch noch am Ende einen Lösungsvorschlag irgendwie einzuschleusen versucht.

[59:03] Herr Wandhoff, die Zeit ist leider für uns heute vorbei. Ich bin am Ende sowohl mit den Fragen und Themen, die heute diesen Versuch von Harold Garfinkel nochmal sozusagen in den Podcast geholt haben. Und bedanke mich bei Ihnen. Ja, sehr gerne. Hat Spaß gemacht. uns zum vierten Mal jetzt teilnehmen lassen haben an Erfahrungen als Coaching-Ausbilder, als Coach und auch als Gesprächspartner. Vielen Dank, das war sehr interessant und angenehm. Danke Ihnen. Gut, das wäre dann das Ende hier. Ich mache dann noch den Abschluss rein. Wir haben eine Stunde schon wieder rum gesprochen. Ich habe jetzt gleich noch einen Anschlusstermin, daher habe ich das jetzt als Abschluss genutzt. Ich weiß gar nicht, wie wir es gehandhabt haben bei dem ersten Mal, ob Sie das vorher nochmal hören wollten oder ob Sie dann einfach im Nachgang hören und schauen, ob das so passt. Für Sie war jetzt auch inhaltlich nichts rauszuschneiden oder so. Ist Ihnen da nicht irgendwie etwas passiert, was Sie sagen wollen, nee, das lieber nicht?

[1:00:25] Es gibt es bei einigen, daher kann ich mich nicht mehr genau daran erinnern, aber ich glaube, wir haben das auch relativ… Nein, ich brauche das vorher nicht zu hören. Ich schicke Ihnen das. Und schicken wir das, wenn es fertig ist. Genau. Da freue ich mich. Genau, ich schicke Ihnen das auf jeden Fall wieder zu. Aber bei einigen ist es manchmal so, die wollen das dann vorher hören nochmal, gerade wenn sie so ein bisschen in der Öffentlichkeit auch stehen. Ja, das passt schon. Ja. Gut, Herr Wandhoff. Gute Weigel. Ich wünsche Ihnen ein kühles Lüftchen, auch in Spanien. Ich habe jetzt hier gerade die Lüftung dann ausgestellt für den Podcast. Das macht, glaube ich, keinen großen Unterschied mehr. Es ist gerade auch warm in Deutschland, oder? Ja, es ist gerade ein sehr heißes Gebiet und es gehen jetzt die Gewitter los. Also es löst sich jetzt nach mehreren Tagen auf. Na denn. Also machen Sie es gut. Vielen Dank und auch einen schönen Tag und eine gute Zeit.

[1:01:24] Beratung ohne Ratschlag. Heute wieder mit Professor Heiko Wandhoff haben wir uns die Experimente von Harold Garfinkel angeschaut nochmal und diesen Nebeneffekt, diese Nebenerkenntnis in den Fokus gerückt. Das ist und warum es so ist, dass Ratschläge gar nicht erteilt werden müssen und dennoch Ratsuchende hilfreiche Gespräche erleben und für sich und ihre Fragestellungen einen Lösungsansatz entwickeln können. Wie das zusammenhängt, welche möglichen Gründe dafür sprechen und was das bedeutet, sowohl für uns als Coaches, als aber auch als Auszubildende von Coaching- und Mediationsausbildungen und damit eben auch, was es bedeutet für Coaching-Ausbilder, welche Schwerpunkte wie gesetzt werden können. Ich bedanke mich bei dir und euch, dass ihr hier wieder mit dabei wart. Hinterlasst gerne ein Feedback und eine Sternebewertung auf eurem Podcast-Catcher bzw. Auch Fragen oder Anregungen via E-Mail unter s.weigel.inkofema.de.

[1:02:42] Empfiehlt den Podcast gern weiter und abonniert ihn, wenn ihr das noch nicht gemacht habt. Ich verabschiede mich mit den besten Wünschen. Bis zum nächsten Mal. Kommt gut durch die Zeit. Ich bin Sascha Weigel, dein Host von IncoFEMA, dem Institut für Konflikt- und Verhandlungsmanagement in Leipzig und Partner für professionelle Mediations- und Coaching-Ausbildungen.

  • Erhard Schüttpelz: Die dokumentarische Methode der Ratsuche. Harold Garfinkels Experiment und seine Auswertung. In: Niehaus und Peeters, Rat geben, S. 93-105.

  • Wanhoff, Haiko: „Was soll ich tun?“ – ein umfassendes historisches Werk zur Geschichte der Beratung, 2016.