INKOVEMA-Podcast „Gut durch die Zeit“

#232 GddZ

Konfliktfeld Arbeitswelt

Wie sie wurde, was sie ist. Die religiösen Wurzeln unseres modernen Arbeitsverständnisses.

Im Gespräch mit Prof. Peter Nieschmidt.

Prof. Dr. Peter Nieschmidt ist seit 1976 Professor für Politikwissenschaften und war Professor für Politologie an der Hochschule München. Er war Mitbegründer und späterer Leiter der Planungsgruppe der Hochschule der Bundeswehr in München sowie Wissenschaftlicher Direktor am Sozialwissenschaftlichen Institut der Bundeswehr. In mehr als 30 Jahren machte er sich durch seine außergewöhnlichen Vorträge und Management-Seminare in zahlreichen Unternehmen einen Namen und hält bereits seit 1976 Vorträge und Managementseminare in Unternehmen, Institutionen und Hochschulen. Der emeritierte Professor hält heute noch regelmäßig Gastvorlesungen an Universitäten wie der Universität St. Gallen, RWTH Aachen und TU Chemnitz und ist als gefragter Führungsexperte und Keynote-Speaker tätig, der sich auf Themen wie Mitarbeiterführung, Arbeits- und Führungsfragen sowie den gesellschaftlichen Wandel von Arbeit spezialisiert hat.

Kleine Reihe: Felder von Mediation

Drei Weisen der Welterschließungen
Theoria, Praxis und Poiesis Die drei Wirklichkeitsbereiche, über die Peter Nieschmidt im Podcast spricht, gehen auf Aristoteles zurück und beschreiben fundamentale Weisen menschlicher Welterschließung
Theorie (Theoria)
Der Bereich der theoretischen Erkenntnis und Kontemplation. Hier geht es um das reine Verstehen und Erkennen der Welt, wie sie ist. Die Theoria zielt auf Wahrheit ab und umfasst Wissenschaften wie Mathematik, Physik oder Metaphysik. Sie ist zweckfrei und wird um ihrer selbst willen betrieben.
Praxis
Praxis ist der Bereich des ethischen und politischen Handelns. Die Praxis bezieht sich auf menschliches Handeln in Gemeinschaft, also das Initiieren sozialer Wirklichkeiten. Sie umfasst Moral, Politik und zwischenmenschliche Beziehungen. Ziel ist das gute Leben (eudaimonia) sowohl für den Einzelnen als auch für die Gemeinschaft. Die Praxis ist selbstzweckhaft – das Handeln ist selbst das Ziel.
Poiesis
Poiesis ist der Bereich der Herstellung und Produktion. Hier geht es um das schöpferische Hervorbringen von etwas, sei es in Handwerk, Kunst oder Technik. Die Poiesis ist mittelzweckhaft – sie dient der Erschaffung eines Produkts außerhalb des Handelns selbst. Diese Dreiteilung zeigt verschiedene Zugänge zur Realität auf: durch Erkennen (Theoria), durch ethisches Handeln (Praxis) und durch Schaffen (Poiesis). Jeder Bereich hat seine eigene Logik und Berechtigung für das Verstehen der menschlichen Existenz.

Inhalt

Kapitel:

0:11 – Einführung in die Arbeitswelt
13:00 – Der Protestantismus und der Kapitalismus
15:30 – Die Rolle der Führungskraft
16:05 – Identität und Motivation der Mitarbeiter
18:13 – Veränderung und Anpassung in der Arbeitswelt
19:32 – Herausforderungen der modernen Führung
29:21 – Konflikte in der Arbeitswelt
41:32 – Soziale Interaktionen und Konflikte
48:34 – Wahrnehmung und soziale Realität
1:02:01 – Phänomenologie in der Führung
1:14:45 – Der Weg zur phänomenologischen Wahrnehmung

inhaltliche Zusammenfassung

In dieser Episode beschäftigen wir uns mit einem zentralen Konfliktfeld, das jeden betrifft: die Arbeitswelt. Unser Gesprächspartner ist Prof. Dr. Peter Nieschmidt, ein versierter Experte im Bereich Arbeitsorganisation und -geschichte. Gemeinsam analysieren wir, wie vielschichtig und herausfordernd die Arbeitswelt ist und wie sie sich im Laufe der Zeit entwickelt hat.

Wir beginnen mit der Frage, wo die Wurzeln unserer aktuellen Arbeitskultur liegen. Nieschmidt führt uns durch die historischen Dimensionen und betont die entscheidende Rolle von sozialer Interaktion und Vertrauen, die ehemals essenziell für die Arbeitsbeziehungen waren. Die Umwälzungen in der Arbeitswelt der letzten Jahrzehnte haben auch die Konfliktpotenziale verändert. Während wir früher in stark hierarchischen Strukturen arbeiteten, in denen das Unterfangen oft isoliert ablief, gibt es heute eine wachsende Erwartung an die Selbstverantwortung und die Integration aller Mitarbeiter in Entscheidungsprozesse.

Nieschmidt reflektiert seine eigenen Erfahrungen als junger Absolvent in der traditionsreichen Siemens-Welt der 1960er Jahre. Die hierarchischen Strukturen, die ihm damals begegneten, sind heutzutage schwer vorstellbar. Er beschreibt, wie Arbeitsplätze vorstrukturiert waren und wie wenig Raum für individuelle Entfaltung blieb. Er weist darauf hin, dass das Festhalten an veralteten Strukturen in vielen Organisationen zu einem Vernichtungskampf zwischen Tradition und Innovation geführt hat.

Im Verlauf des Gesprächs geht es um die verschiedenen Traditionen des Arbeitsverständnisses. Wir untersuchen den Einfluss von religiösen Wurzeln auf die moderne Arbeitskultur und die Verschiebung von einem katholisch geprägten Ansatz, der auf vertrauensvoller Interaktion basierte, hin zu einem stärker profitorientierten, protestantischen Verständnis von Arbeit. Hierbei erkennt Nieschmidt die Herausforderungen, die sich für Führungskräfte ergeben, insbesondere in Zeiten von schneller Veränderung und unsicherem Arbeitsumfeld.

Besonders interessant ist Nieschmidts Ansatz zur Frage der Authentizität von Führung. Er argumentiert, dass echte Führungsstärke nicht nur auf einer formalen Autorität basiert, sondern auch auf der Fähigkeit, soziale Wirklichkeiten zu gestalten. Dies erfordert ein tiefes Verständnis für die individuellen Hintergründe der Mitarbeiter und ihre sozialen Kontexte. Der Dialog über die Wahrnehmung von Arbeit und Führung wird immer wieder mit der Frage verbunden, wie wir Vertrauen aufbauen und den Raum für persönliche Entfaltung schaffen können.

Abschließend wird der zentrale Gedanke, dass „gute Führung“ erlernt werden kann, kritisch beleuchtet. Nieschmidt betont, dass Führung nicht nur durch theoretisches Wissen, sondern durch praktische Erfahrungen und kontinuierliches Lernen geformt wird. Ein erfolgreicher Führungsstil erfordert Empathie, Hingabe und das Bereitschaft, soziale Dynamiken tief zu verstehen und zu fördern.

Dieser Podcast ist eine Einladung, die eigene Wahrnehmung von Arbeits- und Führungsstrukturen zu hinterfragen und die eigene Rolle in diesen Kontexten neu zu definieren. Es ist ein notwendiger Schritt, um Konflikte zu erkennen und aufzulösen, die uns im Alltag begegnen und die unsere Organisationen bis ins Mark betreffen können.

Vollständige Transkription

 

[0:02]Herzlich Willkommen zum Podcast Gut durch die Zeit, der Podcast rund um Mediation,
[0:11]
Einführung in die Arbeitswelt
[0:07]Konfliktcoaching und Organisationsberatung, ein Podcast von INKOVEMA. Ich bin Sascha Weigel und begrüße Dich zu einer neuen Folge. Und in unserer heutigen Folge soll es um ein Konfliktfeld gehen, das für alle und jeden sehr bedeutsam ist, nämlich die Arbeitswelt. Die Arbeitswelt ist vielfältig und einer unserer größten Wirkungsbereiche und auch der Bereich, mit dem wir mit den unterschiedlichsten Leuten in Kontakt kommen und damit hervorragend geeignet, um Konfliktpotenziale im sozialen Zusammenleben auszuleben, zu beleben, zu bearbeiten und auch zu guten Enden zu führen. Und um die Arbeitswelt zu verstehen, muss man sich anschauen, woher sie kommt. Und das ist schon eine Kernbotschaft meines heutigen Gastes, den ich mir dafür eingeladen habe. Ich begrüße bei mir hier heute ganz im realen Podcaststudio Prof. Dr. Peter Nieschmidt. Hallo Herr Nieschmidt. Hallo Herr Weigel, ich bedanke mich für die Einladung. Ich freue mich sehr, dass ich hier sein kann und hoffe, dass wir zu einem guten Gespräch kommen. Ja, ich auch, denn es ist auch für mich was Besonderes, hier auf der Baumwollspinnerei in Leipzig das Gespräch für einen Podcast zu führen.
[1:27]Ich kann das an der Hand abzählen von den 230 Episoden mittlerweile und daher bin ich froh, dass Sie der Einladung gefolgt sind, sogar nach Leipzig gekommen sind, hier auf das Gelände der Baumwollspinnerei, das schon einen hohen Symbolwert hat für Arbeitswelten, für neue Arbeitswelten, für untergegangene Arbeitswelten. Arbeitswelten und für Konflikte, die damit einhergehen. Bevor wir da tiefer einsteigen, vielleicht ein paar Worte zu Ihnen und wie es kommt, dass Sie sich mit der Arbeitswelt ganz speziell befasst haben und mit dem, was dort an sozialer Interaktion notwendig ist und auch möglich ist. Ja, ursprünglich war das gar nicht meine Intention, als ich als Student angefangen habe, mich in der Welt besser zurechtzufinden und vielleicht irgendwann eine Funktion auszufüllen. Ich bin von Haus aus nämlich mit einem gewissen theologischen Vorlauf gelernter Philosoph. Das heißt, ich verstehe von allem nichts, weiß das aber. Das ist Fachwissenschaftlern gegenüber schon ein Vorteil.
[2:36]Ich bin in die Arbeitswelt gekommen, weil ich 1968 nicht mit späteren linksliberalen Kollegen auf die Straße gegangen bin, um die Gesellschaft zu verändern, sondern ich wollte sie erst mal kennenlernen und bin als 30-Jähriger zu Siemens gegangen, um die Arbeitswelt kennenzulernen. Auf deren Veränderung hin ja viele große Studentenbewegungen, Massen, intentional zugingen.
[3:04]So, dort habe ich Arbeitswelt kennengelernt, eine Arbeitswelt, die es übrigens heute überhaupt nicht mehr gibt. Die Probleme, mit denen man sich damals beschäftigt hat, sind ganz andere geworden. Die Bereiche in diesem großen Konzern Siemens, bei dem ich dann zweieinhalb Jahre war, dann hatte ich gelernt, man arbeitet besser nicht bei Siemens, sondern für Siemens und das war lukrativer. Oder kurzum, das sagte schon wieder was aus, was das für eine Arbeitswelt war. Die war vorstrukturiert bis zum letzten Griffelspitzer hin. Diese Arbeitswelt gibt es übrigens nicht mehr. Der Bereich, der sich gar nicht ändern wollte.
[3:42]Das war ursprünglich mal die Milchkuh des Unternehmens, nämlich der Unternehmensbereich N-Nachrichtentechnik, hat sich, ich habe das später als Berater begleiten dürfen, Aber die wollten sich nicht ändern und die letzten Reste wurden dann Ende der 90er, Anfang der Nullerjahre verscherbelt an BenQ, an Nokia und wen immer. Den gibt es überhaupt nicht mehr. Die anderen Bereiche haben sich sehr stark verändert, hatten dann auch andere Strukturen und haben den Mitarbeitern andere Arbeitswelten geboten und sind deswegen bis zum heutigen Tage nicht nur da, sondern auch sehr erfolgreich. Insofern über Arbeitswelt kenne ich mich ein bisschen aus und können wir miteinander reden. Vielleicht können wir auch da auch schon einsteigen, wenn Sie sagen, das war die Milchkuh von Siemens, also das heißt ein sehr traditionsreicher Bereich, der gutes Geld verdient hat. Und Sie sagten, der wollte sich nicht verändern.
[4:35]Wie kam es dazu, dass Sie das mussten? Das ist ja heute Gang und Gäse. Und war damals wahrscheinlich eine Ungeheuerlichkeit. War ungeheuerlich in den 90er Jahren. Change Management nannte man das damals. Aber die wollten auch von ihrer Organisationsform nicht weg. Also eine tiefgestaffelte Hierarchie. Der Bereich war übrigens insgesamt an die 70.000 Mitarbeiter stark. Wenn man dort als junger Absolvent von der TU kommend einstiegt, dann brauchte man zwei Jahre, um sich überhaupt in dem Laden auszukennen. Alles wertvolle Arbeitszeit, die nur zur Orientierung nötig war. Also sowas kann nicht gut gehen. Ja, und es klingt auch in heutigen Ohren wie ein fernes Land, dass man in eine Organisation hinzukommt und erst mal auf den Zuschauerposten gesetzt wird und gesagt hat, jetzt pass mal genau auf, wie das hier läuft. Du kannst erst mal alles vergessen, was du weißt und nicht mal sperre die Ohren auf und dann kannst du in zwei Jahren richtig mitarbeiten. Das kann sich heute keiner mehr leisten.
[5:36]Vielleicht bleiben wir noch genau aus diesem beteiligten Blick, ehe wir dann mal so einen Draufblick drauf machen. Woher kam so ein Selbstverständnis, dass man glaubte, so bleiben zu können und auch in so einer tiefgestaffelten Organisation weitermachen zu können?
[5:58]Das hat ja Vorbilder. Solche tiefgestaffelten Organisationen, Hierarchien kommen ja nicht irgendwo her. Das hat viel zu tun mit den drei Traditionen von Arbeitsverständnis, mit denen wir mehr unbewusst als bewusst umgehen, die aber mal sehr, sehr real waren und die auch schon noch immer ihre Auswirkungen bis heute haben. Und da sind die traditionsreichen und relativ stabilen Ordnungsformen für Arbeit einmal, ich nenne es gerne den katholischen Arbeitsbegriff, also eine Arbeitsvorstellung basierend auf dem Ora et Labora der Benediktiner Mönche, also ich gehe da zurück ins 13. Jahrhundert, wonach Arbeit sehr stark Interaktion ist, vertrauenswürdige Interaktion. Anders wäre Landwirtschaft, wo 95 Prozent der Menschen damals arbeiteten in dem 13., 14., 15. Jahrhundert, gar nicht denkbar und gar nicht möglich gewesen. Interaktion also und zwar gelingende Interaktion, vertrauenswürdige Interaktion war eine feste Basis, eine grundlegende Selbstverständlichkeit, eine Voraussetzung für die Arbeitswelt.
[7:10]Was sich aber in seiner Bedeutung in den folgenden Jahrhunderten immer weiter zurückbildet, sagen wir mal so. Weil etwas Neues kommt dazu. Mit der Reformation, mit dem Entstehen der Städte entsteht eine ganz neue Arbeitswelt. Die Arbeitswelt des Handwerks, des Gewerbes, des Handels, der Verwaltung. Ganz neue Arbeitsvorgänge wie Planung, wie Kundenorientierung gewinnen an Bedeutung. Die Universitäten steigen auf. Also auch Gelehrte, die dann die Arbeit bestimmen. Ja, Gelehrte, die über Arbeit nachdenken, voraus dann vielleicht sogar so etwas wie, naja, es sind die Brillengläser, die Optik erfunden worden und dann werden die ersten kleinen Handwerksbetriebe und eines Tages Fabriken daraus. Das hat es im frühen Mittelalter, im hohen Mittelalter überhaupt nicht gegeben.
[8:05]Vielleicht nutzt man diese Vorstellung auch, also soziale Interaktion war eine Selbstverständlichkeit und war wahrscheinlich damals noch nicht in dieser Form funktionalisiert, wie es heute ist. Es dreht sich heute ja auch alles um Interaktionen, die gelingen sollen. Die Leute lernen ich Botschaften. Aber das war damals eine menschliche, eine nicht zuletzt meisterliche Kompetenz. Ein Meister, der keine Lehrlinge führen konnte, dessen Betrieb ging irgendwann auch. Einen, den gab es, den gab es einfach nicht mehr. Also mit anderen Worten, ich komme da später nochmal vertiefend drauf, das Erzeugen, das Aufbereiten, das Herstellen, möchte man sagen, aber es ist eigentlich kein Herstellen, von sozialer Realität. Das war eine Kernaufgabe, das war eine meisterliche Aufgabe.
[8:53]Das war kein Sozialklimbim. Das heißt, meinen Sie, dass das schon damals ein Aspekt war, dass nicht Fachkompetenz dann zum Erfolg führte, sondern Sozialkompetenz? Nein, das wurde mit Sicherheit noch nicht reflektiert. Zumal ja in den Städten etwas Neues entstand, nämlich das Herstellen von einzigartigen neuen Produkten. Das fängt mit der Goldschmiedearbeit an. Und in Schuhen und Räderbearbeitung etc.
[9:22]Es wird also zum Maßstab der Arbeit ein Höchstmaß an Qualität. Und das kennzeichnet den Meister. Auf meisterliche Arbeit kann ich mich verlassen. Da spielt die Kundenbeziehung schon auch noch eine Rolle mit. Aber je extremer die meisterliche Leistung ist, desto mehr kann das dann auch ein Kauz sein. Dann überlasse ich, falls ich überhaupt Lehrlinge habe, der Frau Meisterin hier. Kurzum, es verschiebt sich der Akzent weg von der sozialen Interaktion hin zur Herstellung einzigartiger und verlässlicher Qualität. Das ist deutsche Handwerksmeister-Tradition, die bis tief ins 19. Jahrhundert hineingeht.
[10:03]Da sind wir dann schon aber nicht mehr allein im katholischen geprägten Arbeitsverständnis. Nein, das ist gerade im lutherisch-protestantischen Bereich. Dort in den Städten, die ja eher dann dem Protestantismus, eher der Reformation zugewandt sind, da entsteht das. Wo dann auch Arbeit, bestimmt nicht das erste Mal, aber eine ganz besondere Aufladung erfahren wird. Das war der Weg, jetzt mein eigener persönlicher Weg zu religiöser Erlösung oder zu Gott. Ja, in jedem Fall ist es erstmal ganz praktisch und pragmatisch gesehen Existenzsicherung. Aber es ist auch, ein Meister darf sich und will sich auch nicht nur nicht vor dem Kunden, er will sich auch vor Gott nicht blamieren. Er hat einen Auftrag bekommen, hier Meister zu sein. Meister sein war nicht nur eine fachliche Qualifikation, es war eine Existenzform.
[10:54]Das musste ich in meinen mittleren Berufsjahren manchen jungen Assistenten erklären, wenn ich ihnen sagte, Professor zu sein, das ist eine Existenzform. Das heißt, du hast am Wochenende fürnöte deiner Studenten da zu sein. Du kannst nicht auf deinen Anrufbeantworter sprechen, ab Montag 11 Uhr ist wieder meine Sprechstunde. Wenn der nicht weiterkommt in seiner Arbeit oder vielleicht sogar ein persönliches, schwieriges Problem hat, an wen soll er sich wenden? Die Eltern verstehen ihn vielleicht gar nicht, überhaupt nicht. Dann hast du dafür da zu sein. Das heißt, da gibt es keine Trennung von Arbeitsplatz und Lebensplatz, Privatplatz, sondern ich bin überall Professor und jederzeit oder ich bin überall Handwerksmeister. Es ist eine Existenzform. Und damit ein hohes Maß an Identifizierung. Richtig, richtig. Und da ändert sich etwas mit dem Calvinismus, mit einer Religionsformabspaltung, passiert aber schon mit Calvin in der Zeit der Reformation, eine ungeheure Wertschätzung der Arbeit ihres Outputs, ihres Gewinnes wegen. Und er hat ein ganz, wie soll ich sagen, hochkompliziertes Verhältnis zu Gewinnen. Calvin definiert mal an einer Stelle Gewinn als den Segen des Herrn auf meiner Hände Arbeit. Eine ungeheure Bedeutungssteigerung und Legitimation für einen Gewinn. Hier liegt die Grundlage der moralischen Legitimation für kapitalistische Gewinne. Ah, okay.
[12:19]Und Gewinn heißt Erfolg? Gewinn heißt basiert auf Erfolg und darf sich monetär ausdrücken und das kann ich sammeln und muss es aber sofort wieder nicht verbrauchen, sondern wieder einsetzen, um den nächsten Segenschub sozusagen des Herrn zu bekommen. Also investieren, um weitere Gewinne zu machen, indem ich Produkte herstelle, die andere gebrauchen, die andere kaufen wollen und die dabei entstandenen Mehrwerte zum großen Teil kann ich ganz rechtmäßig der Unternehmer kassieren.
[13:00]
Der Protestantismus und der Kapitalismus
[13:00]Zwei Vertreter aus dem Protestantismus, die sozusagen, oder ich weiß nicht, gehört Calvin noch zum Protestantismus? Ja, ja, ja, das geht ja. Da hätten wir sozusagen das, was Werner Plumpe im Kapitalismus als Janusköpfigkeit bezeichnet hat. Auf der einen Seite war es ein Projekt des kleinen Mannes, die zum ersten Mal über Investitionen… Der wurde eingebunden. Das Projekt war es des Unternehmers, aber der kleine Mann wurde eingebunden und der kriegte plötzlich eine ganz andere Position. Aber Unternehmer wurde man sozusagen nicht, weil man Adliger war oder weil man kirchlich war, sondern weil man Bürger war, weil man jetzt mutig wurde. Weil man bürgerliche Freiheit haben wollte, weil man ein Gewerbe aufmachen wollte, was einem selber vielleicht erst eingefallen war oder was man übernahm. Es gab erbitterte Widerstände von den einzelnen Gilden, zum Beispiel der Schuhmacher oder der Lederaufbereiter, denen es nicht gefiel, wenn Unternehmer, die das vielleicht gar nicht unbedingt gelernt hatten, sondern sich ein paar Gelernte einstellten und dann viel billiger produzierten. Da gibt es schöne historische Beispiele. Die Kölner haben die ausgeschlossen, diese Neuunternehmer, weil die machten billigere Schuhe als die Meister in Köln.
[14:07]Und dann haben wir sozusagen einmal diesen Part drin, aber auch diesen oft kritisierten und auch zu Recht einfach nur den Gewinn als Erfolg definieren. Und nicht mehr Qualität, nicht mehr auch sozusagen die Umstände, was in der heutigen Arbeitswelt ja wieder versucht wird, auch einzubauen, dass das nicht nur der Profit entscheidend ist, sondern eben auch, wie es zustande kommt und ob es auf dem Rücken von Notleitenden stattfindet. Das ist neu dazugekommen. Das war ursprünglich im sogenannten Manchester-Liberalismus überhaupt keine Frage, überhaupt kein Problem. Die Arbeiter wurden schamlos ausgebaut. Das konnte man nicht mit Lothrop begründen, sondern da musste man auf Kalwin. Nein, das muss man mit Kalwin begründen. Wobei dann sofort eben auch auf der gesellschaftspolitischen Ebene Gegenbewegungen entstehen, entweder als Kommunismus oder Sozialismus oder als noch um eins näher am Betrieb ran in Form der Gewerkschaften und Betriebsräte. Die dann auch in der Lage sind, argumentativ den Unternehmer oder seine Geschäftsführer zu erreichen und zu sagen, wenn du die.
[15:18]Arbeiter sich krank arbeiten lässt, dann hast du langfristig da auch nichts davon. Du sollst hier also nicht Sozialhelfer oder die Caritas spielen,
[15:30]
Die Rolle der Führungskraft
[15:25]sondern geh bitte deinen Leuten so um, dass sie in drei Jahren auch noch gut arbeiten können. Und dann haben wir sozusagen, wenn wir auch jetzt die Jahrhunderte so über den Blick nehmen und eigentlich das religiös geprägte Verständnis oder Verständnisse von Arbeit nehmen, dann haben wir sozusagen alle Strömungen oder viele Strömungen, die heute auch in der Arbeitswelt diskutiert, Konflikte ausgetragen werden und wo sozusagen das Arbeitsverständnis als solches umkämpft ist. Also was ist gute Arbeit oder wie sollte Arbeit sein, dass wir das schon über die Jahrhunderte in ihren Wurzeln und Keimen erkennen können. Ja, das kann man.
[16:05]
Identität und Motivation der Mitarbeiter
[16:06]Und es ist ganz gut, eine Führungskraft sollte sowas zumindest im Hinterkopf haben, wenn sie den führen will und nicht bloß Vorgesetzter ist, der also Arbeitern vorgesetzt ist oder Angestellten oder Dienstleistern, um sie zu beaufsichtigen oder kontrollieren oder wie immer. Führen ist was ganz anderes. Führen ist letztlich dafür zu sorgen, dass meine Mitarbeiter sich entfalten können, dass meine Mitarbeiter arbeiten nicht, weil sie arbeiten müssen, um ihr Überleben sicherzustellen, sondern weil sie arbeiten wollen. Weil ihr höchstpersönlicher Prozess der Selbstwertung, der Selbstgestaltung, der Entstehung des Selbstwertgefühls.
[16:50]Dann bin ich erst Führungskraft in meiner von mir gestalteten Arbeitswelt auch tatsächlich erreichen können. Dann habe ich Mitarbeiter, die arbeiten wollen und nicht die arbeiten müssen. Ja, das ist ja auch ein Ziel vieler Organisationen, diese Identität oder nicht nur diese Motivation bei Mitarbeitern zu haben, sondern damit auch eine Identität, Identifizierung mit dem Arbeitsplatz, mit dem Arbeitgeber, mit der Organisation und damit der Arbeit zu haben. Eine Aufladung an Wert bekommt, also dass es ein Ort ist, bei dem ich mich entfalten kann.
[17:28]Dann scheint das mir gar nicht so ein ganz neuzeitliches Phänomen zu sein, sondern das ist schon etwas, was auch länger angelegt schon früher der Fall war, dass Arbeit diese Bedeutung hat. Ja, nehmen Sie den sozusagen in lutherischer Tradition stehenden exzellenten Handwerksbetrieb in einer Stadt wie Augsburg oder Nürnberg, wo in exzellenten Betrieben auch ein dürrer Betrieb eine größere Werkstatt oder die großen Silberschmiede und Goldschmiede in Augsburg, dort zu arbeiten, dort Geselle oder Hauptgeselle zu werden. Oder wenn man ganz viel Glück hatte, starb der Meister und die Meisterin nahm den besten Gesellen dann zum Ehegemahl.
[18:13]
Veränderung und Anpassung in der Arbeitswelt
[18:14]Weil das ist aufgrund des Höchstmaßes an Qualität, Originalität, Einzigartigkeit, Unverwechselbarkeit meiner Produkte, die ich gemacht habe, also aus meiner Arbeit entstanden. Von daher verstehe ich mich. Und da habe ich nur einen demgegenüber, der ich mich verantworten musste. Das ist Gott und das will ich unmittelbar. Dadurch wird die katholische Kirche mit ihrer Hierarchie völlig in Frage gestellt. Ich will ein unmittelbares Verhältnis zu Gott haben.
[18:45]Während der Katholik in traditionellen Glaubensformen, erst recht wenn er auf dem Dorf libt und in der Landwirtschaft, da ist der Weg zu Gott ungeheuer weit. Es geht erstmal über den Priester und dann irgendwann über den Bischof und dann über den Kardinal und dann vielleicht zum Papst, aber da komme ich gar nicht dran. Hier wird das Verhältnis des Einzelnen zu Gott unmittelbar gemacht. Ja, dieser Verlust an Autorität oder der da damals drohte, der scheint mir eine Parallele heute zu haben, wo das eher so als in der systemischen Organisationsberatung auch stark gemacht wird, dass man aufpassen sollte, nicht zu viel Identität oder Identifizierung zu fordern, was ja viele Unternehmen tun mit Purpose und New Work Ideen, dass Mitarbeiter am besten sind, wenn sie sich damit identifizieren.
[19:32]
Herausforderungen der modernen Führung
[19:33]Weil der Pferdefuß ist, dass sie dann für Change Management, wenn die Zeit mal anders werden, und sie sind heute ja sehr schnell sehr anders.
[19:41]Dann machen die nicht mehr so einfach mit. Und bildhaft wurde das an dem Steinmetz, der an der Kirche mitbaut und sagt, ich haue halt keine Steine, sondern ich baue an der Kirche mit, dass man denen dann im nächsten Projekt nicht einfach einen Kuhstall machen lassen kann. Da macht der nicht mehr mit. Das ist dann nicht mehr in seinem Level-Bereich. Da scheint mir eine Parallele zu sein, dass wenn man die Arbeit so auflädt mit Persönlichkeitsentwicklungsfundamenten, dass man dann die Funktionalität von Anordnungen, von heute geht es anders lang als gestern, dass das dann nicht mehr so einfach funktioniert. Würden Sie dem da mitgehen und zustimmen, dass das für die heutige Arbeitswelt dann auch eine Schwachstelle sein kann, wenn ich so hochmotivierte Mitarbeiter habe und denen sagen muss, ja sorry, aber heute sieht die Welt anders aus?
[20:45]Die Welt im Allgemeinen wird das nicht fordern, sondern es wird auf etwas sehr Konkretes zurückgehen, nämlich weil der Kunde das und das will oder will das und das und das ist viel einfacher zu produzieren und braucht nicht mehr unsere gesamte Persönlichkeitsanforderung sozusagen oder Identität. Die Führungsaufgabe ist hier, den Mitarbeiter so sehr mit in die Gesamtaufgabenstellung hineinzusehen, dass er das einsehen kann, dass er das nachvollziehen kann, dass er sagen kann, wenn wir bei dem, was mich sehr gereizt hat, nur allerhochwertigsten, ob das jetzt ein Softwareprogramm ist oder ob das ein, was weiß ich, an komplizierten, sei es Produktgegenstand oder Dienstleistung.
[21:31]Dass da die Auftragslage so ist, dass es bestenfalls den halben Betrieb ernährt. Aber andere haben sich aufgetan, was eigentlich auch nur wir in der Form können, aber was im Grunde die einzelnen inzwischen hochqualifizierten Kollegen eigentlich unterfordert. Wenn ich die in die unternehmerische Aufgabe mit reinnehme, dann sehen die das sehr schnell ein. Wir können die Gehälter der nächsten drei, vier Monate nicht bezahlen, wenn wir diesen Auftrag nicht auch machen, auch wenn der ein bisschen langweiliger ist als das, was wir bisher hatten. Also ich komme gar nicht drumherum, heute meine qualifizierten Mitarbeiter mit hineinzunehmen in meine Gesamtverantwortung. Mit anderen Worten, wenn das Schiff untergeht, haben wir gar nichts davon, wenn wir alle unsere Gehälter gehabt haben, aber dann saufen wir leider ab.
[22:17]Ich habe das hin und wieder in Konflikten in der Arbeitswelt so erlebt, dass das ein heiß umkämpftes Deutungsfeld ist. Wie schlimm ist es denn? Gerade jetzt, wenn man sich die Automobilwirtschaft der letzten 10, 20 Jahre anschaut, die einen … Die wurden abgekanzelt als Katastrophenmacher und so schlimm wird das nicht und das kann gar nicht sein, dass es so eine disruptive Entwicklung gibt. Andere haben das ganz nüchtern betrachtet, dass das also wirklich einen solchen Wechsel. Also es wird dann sehr viel Aushandlungsprozesse notwendig sein. Die nehmen zu, ganz, ganz, ganz gewaltig. Ich glaube, das ist auch eine Logik, die verständlich ist, wenn man so viele persönlichkeitsentwickelte Mitarbeiter hat, die man nicht einfach nur als Funktionsträger hin und her und raus und reinschieben kann. Muss ich mit in meine Aufgabe reinnehmen, dann sehen Sie das auch ein, dass man das machen muss. Und auf dem Punkt sozusagen in der praktischen Auseinandersetzung wurde dann paradoxerweise die Persönlichkeitsentwicklung im Sinne von, du bist ein eigenverantwortlicher Mitarbeiter, du hast einen Arbeitsvertrag und der darf gekündigt werden und deshalb kündige ich den und das ist nichts moralisch Verwerfliches, ist dann sozusagen plötzlich gegen ihn geschlagen worden.
[23:42]Also diese Vertrauensbande, auch in schwierigen Zeiten, werden wir in einem Boot bleiben, solange wir mit diesem Boot schippern können. Das ist dann umgeschlagen in Diskussionen und auch in Verwunderungen, wie, naja, wir haben doch einen Vertrag und der sieht vor, Arbeitszeit von 9 bis 15 Uhr und wenn eine Kündigung rechtmäßig ist, dann brauchst du dich nicht drüber aufregen. Das ist dieser schwierige Spagat und auch der Widerspruch zwischen Sicherheit einerseits und Freiheit andererseits. Die Menschen waren nie sicherer als in alten Lehensverhältnissen, wo der Feudalherr das gesamte Leben seiner Knechte und Mägde bestimmte, bis in den Freizeitbereich hineingehen. Sie konnten zumindest sicher sein, wer daran schuld ist, wenn sie geschlagen wurden. Aber sie waren dafür sicher. Und die Entwicklung geht dahin, und das hat sehr lange gedauert, das war im Grunde erst im 19. Jahrhundert bei uns erreicht, dass diese Leute sozusagen in die Freiheit entlassen wurden. Sie waren jetzt frei, konnten arbeiten, wo sie wollen, als Lohnarbeiter.
[24:50]Bedauerlicherweise gab es davon zu viel, sodass das Arbeitsangebot größer war als die Arbeitsnachfragen, wodurch die Löhne so schlecht waren. Stadtluft macht frei, Tagelöhner waren in der Stadt. Ja, und der Tagelöhner hatte Freiheit gewonnen, aber Sicherheit verloren. Der alte Kampf zwischen will ich mehr Freiheit, will ich mehr Sicherheit. Das prägt übrigens heute das politische Leben genauso. Man muss sich übrigens immer gerade, um eben kurz abzuschweifen, Amerika besteht aus lauter solchen Leuten, oder stammt von ihnen ab, die die Freiheit gewählt haben, statt die Sicherheit. Die sind auf die Schiffe gegangen, mit der Mayflower angefangen, … und so fort, um frei arbeiten zu können… Und wo es sie nicht gefiel, gingen sie woanders hin. Aber sie hatten keine Sicherheit mehr. Und der Gedanke kam mir vorhin und ich habe mir nicht ganz getraut nachzufragen, aber jetzt passt die Frage doch nochmal, weil sie die Amerikaner nennen, oder die Puritaner und wer auch immer, sozusagen dann als erstes da diesen Weg in die Freiheit gewählt hat, der zunächst mal ja wirklich mit Gefahren verbunden war. Und nicht nur ein Abenteuer war, sondern wirklich ein Himmelfahrtskommando. Die hatten wahrscheinlich eher Calvin in der Tasche als Luther. Ja, ja.
[26:10]Weil Luther ist ja, was das Politische angeht, bleibt er in der alten Ordnung. Er reformiert nur die Hierarchie der Kirche weg, aber nicht die der Fürsten. Da bleibt er ganz paulinisch, wenn Sie so wollen. Das steht in Paulusbriefen, hat Jesus nie gesagt. Aber bei Paulus steht, dass alle Obrigkeit ist von Gott vorher. Das weiß ich auch nicht. Römer 13, 1 folgende. Das ist Luthertum. Das ist bei Calvin nicht so sehr ausgeprägt, sondern das bestimmen wir auch selber, den Präsidenten. Das heißt, dass die auch einen anderen Art von, im 20. Jahrhundert, dann vor allem von Kapitalismus und von kapitalistischem Wachstum verstanden haben, als zum Beispiel der rheinische Kapitalismus. Ja, der immer eher ein sozialer Kapitalismus war. Da war, wenn Sie so wollen, immer ein großes Stück soziale Verantwortung groß.
[26:56]Häuschen für seine Mitarbeiter, Leverkusen und so. Das hat alles immer gleich soziale Traditionen, das kennt Amerika nicht so. Der Stand der Gewerkschaften in Amerika ist ein viel schwierigerer, das ist ein Kampfstatus. Ja, gleichwohl, um das auch nicht ganz zu, die haben ja dieses starke Mäzenatentum, diese Philanthropen und wie ist das einzuordnen, dass dort auch die Erfolgreichen und vor allen Dingen auch das sind dann eben auch vor allen Dingen wirtschaftlich Erfolgreichen, sich schon verpflichtet fühlen, auch philantropisch zu tätig sein, obwohl ich das schon sehe, das ist ein Unterschied als was hier ein rheinischer Konzern besitzt. Ja, man kann den Unterschied sehr genau heraus haben. Für den amerikanischen Unternehmer ist das, wenn sie so wollen, ein goldenes Schild an seinem Tor. Er fördert auch das und das. Der Rheinische muss das nicht haben. Der fördert aber seine Mitarbeiter, der lässt ihn nicht untergehen.
[28:01]Der hat aber auch stärker die Hand an den Teilen. Der baut ihn ja nicht nur Häusern. Im Grunde bleibt er so ein klein bisschen Grundherr. Er ist für seine Leute verantwortlich, aber dafür liefern sie ihm auch das bestmögliche und verantwortliche Arbeit. In Amerika ist das immer eher ein Geschäft. Deswegen, wenn ich sehr erfolgreich bin, dann bis hin zu Bill Gates, dann fördere ich HIV-Stiftungen, aber nicht meine Mitarbeiter. Ja, der Rheinländer verteilt es eher als Sicherheit für seine Lebensabendsicherheit oder wie immer.
[28:34]Aus dieser Tradition heraus schafft Bismarck seine Sozialgesetzgebung, dass er Unfallversicherung, Altersversicherung, dass sowas in Gang gesetzt wird, was der rheinische Kapitalismus schon vorher im Grunde gemacht hat auch. Ja, also wo schon alte Traditionen aufgebrochen werden, aber es werden neue Bindungen geschaffen. Also es ist jetzt nicht so, dass die ihre Häuschen irgendwo bauen durften. Die mussten das schon auf dem Fabrikgelände bauen. Ja, das blieb dabei. Siemens wird 1848 gegründet. 1849 ist bereits eine Sozialkasse da für Leute, die sich im Arbeitsprozess verletzt hatten oder was weiß ich, für die sorgt der Betrieb mehr. Und es war auch ein Riesenproblem damals. Ja, natürlich, war es ja auch.
[29:21]
Konflikte in der Arbeitswelt
[29:21]Vielleicht ist das ein guter Punkt, weil wir so das Feld aufbereitet haben in der heutigen Arbeitswelt. Zu schauen und zu sagen, da haben wir gleiche Tendenzen in den Streitthemen, die es da gibt. Also zum Beispiel anwesenheitlich am Arbeitsplatz oder überhaupt, was ist gute Arbeit.
[29:41]Und wir haben ja diese unterschiedlichen Zugänge. Ich komme ja eher so aus der akuten Konfliktsituation und bei mir gibt es dann schon Konflikte in der Bearbeitung. Sie kommen eher so aus der Führung, aus der Führungsthematik und schauen, was ist gute Führung oder was muss Führung machen. Und wenn soziale Interaktion das gemeinsame Feld ist, dann ist in der Führung der Umgang mit Konfliktpotenzialen offensichtlich. Ja, eine ganz zentrale Führungsaufgabe in der Tat.
[30:13]Und auch dazu habe ich ja nun wirklich 30, 40 Jahre lang Managementfortbildung gemacht, Managementseminare, Diskussionsrunden geführt. Da kamen wir ganz schnell dahin, dass wir hier auf etwas zurückgreifen müssen, was auf den ersten Moment vielleicht zu weit hergeholt erscheint, nämlich auf die altgriechische, altrömische Philosophie und ihre Einteilung, ihre Akzentsetzung. Ich spreche vom Wissenschaftsbegriff des alten Aristoteles, der drei Zugänge zur Wirklichkeit hat. Erstens Theorie, theoretische Erkenntnisse, theoretische Gewissheiten. Zweitens Praxis, praktische Zugänge zur Wirklichkeit, ob die nun eher fachliche, eher soziale ist, egal. Und drittens ein poietischer Zugang. Poietin heißt herstellen, machen, verfertigen, fabrizieren, reparieren. Also das, was so unsere konkrete vornehmlich handwerkliche Arbeitswelt angeht. Das sind für ihn die drei wichtigsten Wirklichkeitsbereiche, in die der Mensch hineinwirkt, die er durchleuchten will, in denen er Erkenntnisse gewinnen will. Vielleicht bevor Sie da weitermachen nochmal.
[31:31]Weil ich glaube das ist nicht sofort einleuchtend heute bei der Frage Theorie oder Praxis, wo der Unterschied zwischen der Praxis und der poetischen Poesis ist, weil ja dieses Herstellen, Verfertigen, Produzieren häufig mit Praxis gleichgesetzt wird. Genau, das ist etwas, was in der europäischen neuzeitigen Tradition völlig verwischt wird. Es wird im Grunde der Praxisbegriff genommen und auf den Poesis-Bereich. Also derjenige, der sein Auto selber reparieren kann, ist ein Praktiker. Der hat ein praktisches Händchen, sagen wir. Nein, überhaupt nichts. Der hat ein poetisches. Praxis ist was ganz anderes. Und was ist denn nun Praxis? Praxis ist das Hervorrufen, das Initiieren, das Ermöglichen, das Auf-den-Weg-Bringen, nicht das Machen, gemacht wird im Bereich der handwerklichen Herstellung, das Beeinflussen, also viel weichere Begriffe von sozialen Wirklichkeiten, die es ohne mich nicht gibt.
[32:28]Das ist die Praxis. Das ist Praxis. Das klingt sehr poetisch, aber ist gerade nicht die Poese. Es ist das, in Anführungsstrichen, Herstellen ist ja eigentlich kein Herstellen, sondern ein Hervorrufen, ein Ermöglichen, auf den Weg bringen von sozialen Wirklichkeiten, von sozialen Realitäten, also zum Beispiel von Stimmungen oder sich wohlfühlen. Und wenn ich sage, Leute, komm, jetzt geh mal essen, ich gebe einen aus und wir wollen uns einfach eine Stunde wohlfühlen, dann habe ich eine soziale Wirklichkeit hergestellt. Und damit ganz praktisch agiert, nicht? Ganz praktisch agiert, ganz genau. Das ist was anderes, als wenn ich irgendwas fabriziert hätte oder so. Zumal ich dabei darauf achten muss, passt das allen, die ich jetzt eingeladen habe? Oder der eine wollte eigentlich vielleicht lieber nach Hause gehen oder sonst was. Also ich muss da ganz viele Dinge, wenn ich Praxis gestalte, muss ich ganz viele Dinge berücksichtigen. Ich komme gleich noch dazu, ich brauche nämlich eine andere Wahrnehmungsweise den Menschen und den Mitarbeitern gegenüber. Kann ich ein schönes Beispiel bringen? Weil gestern hat mich eine Leitungskraft, die als Startup-Unternehmer frisch in ein kleines Unternehmen gewechselt ist, als Geschäftsführer angerufen.
[33:37]Ich brauche jetzt hier Unterstützung, ich weiß jetzt nicht genau weiter, aber ich habe schon einiges gemacht. Und der hat halt Techniker, der hat Verwaltungsleute und der hat Wissenschaftler in unterschiedlichen Professionen in der Organisation, die… Nur noch schlecht übereinander reden und nicht mehr miteinander arbeiten. Und seine Idee, die er absichern oder Bestätigung dafür haben wollte, war halt, ich muss die zusammenführen. Ich muss was machen, damit die sich wieder informieren gegenseitig, was sie tun. Die wissen, die werfen sich vor, ich weiß gar nicht, was du tust den ganzen Tag, wahrscheinlich nur rumlungern oder nur irgendwelchen Blödsinn machen. Und die müssen eigentlich, bevor sie wieder zusammenarbeiten.
[34:23]Müssen die in ein Gespräch gebracht werden, dass die sich wieder gegenseitig informieren, dass die sich austauschen. Und das sagen die, das ist Praxis und damit das ist Führung. Ja, ja. Übrigens, gerade wo Sie den Begriff, nein, Abschweifung, informieren benutzen, ein sehr schönes Wort, ein sehr bildreiches Wort. Ich muss etwas in jemand anders hineinformen. Informen, ja. Dazu muss ich erstens wissen, lässt sich das überhaupt formen, in Form bringen, was ich da transportieren will? Und lässt sich das in ihn, in den anderen, den ich informieren will, überhaupt hineinbringen? Das ist ein nicht ganz einfacher Prozess. Wir hauen uns heute bis zu 100, 150, 200, unter Umständen 1000 Infos um die Ohren. Das hat mit Informare eigentlich überhaupt nichts mehr zu tun.
[35:10]Ergo ist es heute, mit Infos umzugehen, ist fast eine Technik geworden. Und Informare war mal ein Prozess, ich musste erstmal vom anderen viel verstehen, damit der wirklich das, was ich ihm sagen will, überhaupt aufnehmen kann. Ich kann jemanden, der gerade in Angst ist, nicht eine Sachaufgabe geben, der hört überhaupt nicht zu, der ist ja mit etwas ganz anderem beschäftigt. Und diese Art des Informierens, das ist im Grunde im besten Sinne auch altgriechischer, altrömischer Philosophie, das ist Praxis. Das ist die Gestaltung von Praxis. Und an der Stelle….
[35:49]Sind wir fast so etwas wie die Götter? Denn die machen auch nichts anderes. Die beeinflussen ja die Schicksale der Menschen, indem sie handelnd etwas in die Welt setzen, was dann da ist und mit dem man sich auseinandersetzen muss oder durch was man gerettet wird oder eingebettet wird oder in schlimmster Weise konfrontiert wird. Das heißt, das Initiieren sozialer Wirklichkeiten. Sozial bitte jetzt sehr weit und umfassend verstanden, nicht als Sozialamt. Ja, zwischenmenschliche Aktion. Sondern die menschliche Interaktion.
[36:23]Und das ist eigentlich, man kann fast sagen, ein königliches Geschäft. Ob ein Abend gelingt oder nicht bei mir zu Hause, das hängt ganz stark von diesen meinen gestalterischen Fähigkeiten. Ob ich denen zum Beispiel ein gutes Essen, ob ich einen qualitätsvollen Wein oder nur was zum Saufen hinstelle, ob ich einen Fraß hinstelle oder etwas vorbereitet habe, dass sie sich nicht nur kulinarisch erfreuen, sondern sich geehrt. Das sind alles Handlungsweisen von mir, die den Abend machen, die den Abend zu dem werden lassen. Der dann übrigens durch einen, der zufällig reinkommt und da gar nicht reingehört, der das auch total kaputt machen kann. Die griechische Mythologie hat für sowas wunderschöne Beispiele. Zeus wollte mal wieder ein großes Fest machen, hat aber nur zwölf goldene Teller und 13 müssten eigentlich kommen. Und dann haben sie gesagt, die Göttin der Zwietracht, Eris, die lassen wir halt, die laden wir nicht ein. Die kriegt das natürlich mit, dass da eine Einladung ist. Was macht sie? Kommt kurz vorbei und bleibt ihrem Namen, weiß Gott, treu, schmeißt einen Apfel auf den Tisch und sagt, der Schönsten und geht wieder. Und schon sind die Göttin natürlich im Streit darüber, wer ist hier die Schönste.
[37:39]Können sie sich einigen und bleiben drei nach. Athene, Artemis und Aphrodite. Und die Götter können sich nicht einigen, wer die schönste von denen ist. Und die müssen dann ja suchen einen Menschen auf, der ja nun ihr ganz, wie sie meinen, unabhängig und neutral entscheiden wird, gehen zu Paris, einem Königssohn aus Troja, Sohn des Priamos und sagen, entscheide du. Und der entscheidet sich die Aphrodite, die Göttin der Liebe. Und sie verspricht ihm ja auch die schönste Frau der Welt. Athen hatte Klugheit versprochen. Das hat den Pater alles nicht so interessiert, aber schönste Frau der Welt. Bedauerlicherweise war die verheiratet. Nämlich Helena war mit einem griechischen König verheiratet. Man muss also erst geklaut werden. Und das ist der Beginn des Trojanischen Kriegs. Das ist durch eine Sozialhandlung, die kommt dahin, schmeißt einen Apfel auf den Tisch und sagt, der schönste. Es gibt Ursächlichkeiten, die wir nicht mehr im Blick haben. So kann man Streitereien. Alle Wahrscheinlichkeiten sozialer, Praxis entsprungen.
[38:40]Da sieht man, was für ein ungeheueriges Gestaltungspotenzial in den eigenen, Handlungsvermögen steckt. Wie gesagt, ich komme wieder zurück in unsere Arbeitswelt. Meine Mitarbeiter sich wohlfühlen oder nur machen, was sie machen müssen oder mit schlechter Laune konfrontiert werden. Mein Gott, das ist meine Aufgabe, das zu machen. Wenn ich noch schnell was anfüge. In Seminaren habe ich das oft aufgezeichnet, was denn so ein armer Vorgesetzter machen muss, wenn er zehn Mitarbeiter hat. Dann habe ich einen Dreieck gemalt, an die Spitze des Dreiecks meinen Vorgesetzten, meinen Arm, der übrigens… Der immer arm ist, also immer arm dran. Ja, der ist immer arm dran. Der ist dann nämlich hingekommen, ohne von irgendjemandem darauf vorbereitet worden zu sein, was er da jetzt zu machen hat. Denn diese zehn Leute, die ersten beiden sind gut fachlich und passen besten zusammen fachlich, aber sie können nicht miteinander, sie kloppen sich immer. Die nächsten beiden lieben sich, was übrigens kein Führungsproblem Den Vorgesetzten stört das überhaupt nicht, aber die anderen stört das. Warum? Weil die so glücklich sind. Die kommen ja montags morgens in Betrieb und sind glücklich. Die anderen sind das Freitag, das anständige Menschen.
[39:46]Daraus entstehen Konflikte. Katholische Menschen sind Freitag glücklich. Zum Beispiel. Aber Lutherianer kommen Montag glücklich. Der geht ja gerne rein, weil er Erfolg haben will. Der Nächste ist einer, der eher an seinem Stuhl sägt. Der ist gut, aber man muss ihn auch ein bisschen dämpfen. Da könnte einer sagen, hau ihm auf die Mütze, dann zeigt sein Pfeil nach unten und nicht mehr nach oben. Falsch. Das könnte Führungsnachwuchs sein, mit dem muss ich anders umgehen. Außerdem den habe ich schon längst, wo der Pfeil nach unten zeigt. Der ist beleidigt.
[40:14]Am Anfang war der gut und hat gute Leistung gebracht, plötzlich ist er beleidigt. Was steckt dahinter? Unter Umständen ein Einzelkind, der immer verwöhnt war zu Hause, war immer der Beste, wurde alles ihm hinterhergetragen.
[40:26]Das erwartet der von mir auch. Der war in anderen Verhältnissen nicht. Der erwartet von mir, dass ich alle zehn Minuten vorbeikomme und sage, hinterhobe, Donnerwetter, Sie haben ja schon wieder was produziert. Das können Sie nicht machen, das machen Sie mit den anderen nämlich auch nicht. Und so sind zehn völlig verschiedene Typen, so sind die Firmen halt schön. Ja, aber das ist halt die Aufgabe auch. Das ist die Aufgabe. Er steht vor, hat die Verantwortung und obendrein soll er ja auch eine bestimmte Leistung und Aufgabe erbringen. Er steht einem sozialen Interaktionsprozess vor und hat ihn zu verantworten, der mindestens 30 Prozent der geistig-seelischen Energien kostet, die meine Mitarbeiter überhaupt haben. 30 Prozent von den geistig-seelischen Energien gehen in diesem Kuddelmuddel des Miteinander auf. Und er muss noch ein paar kleine Führungsfehler machen, dann sind das 35 oder vielleicht sogar 50 Prozent. Wenn Arbeitsplatzunsicherheit dazukommt, sind es schon 50 Prozent oder noch ein paar mehr. Und das hat er überhaupt nicht gelernt. Aber das ist das Gestalten sozialer Wirklichkeit. Kurzum, jetzt ist ein Praktiker
[41:32]
Soziale Interaktionen und Konflikte
[41:30]gefragt, einer der Praxis versteht. Ja, und da sind wir ja tatsächlich mittendrin in der gegenwärtigen Arbeitswelt, die auch in Umfragen immer wieder das auch bestätigt, Konflikte sind das Thema schlechthin. Ja, ja.
[41:47]Etwas seichter formuliert, die sozialen Interaktionen, die Menschen beschäftigen, sind häufig Konfliktthemen und Konfliktpotenziale und wenn man nicht aufpasst, dann eskalieren sie und werden dann nicht nur ein Führungsthema, sondern ein Organisationsproblem. Und wobei man manchmal meint, Entschuldigung, wenn ich unterbreche, wobei man manchmal meint, mit Organisationstechniken solche Problemlagen am besten in den Griff zu bekommen. Nein, das geht mit Handlungskompetenz, mit praktischer Handlungskompetenz, nicht mit ein bisschen an Organisationsschrauben rumdrehen. Manchmal reicht jetzt, dass ich sage, ich muss die einfach auseinandersetzen. Wenn die nur noch über den Bildschirm kommunizieren und das dreimal am Tag, ist okay, weil Fachlinz sind so beide hervorragend, bestens geeignet für diesen Aufgabenstrang. Aber setzt die bloß nicht zusammen, die kabbeln sich den ganzen Tag.
[42:41]Und wo ich sozusagen hinaus will, ist die Frage, weil wir für alle guten Ratschläge, für alle guten Ideen, wir finden Beispiele, wo wir sagen, ja, da hat das so geklappt und wir finden Gegenbeispiele, wo das nicht geklappt hat. Wir finden Studien für jede Richtung, für jeden Ansatz, Und es scheint ein undurchdringbares Feld zu sein, von dem erstmal nur Leute wie ich, sie, Berater externer Art hinkommen und sagen können, da ist jetzt guter Rat teuer. Ja, ist auch. Meinen Sie, dass es ein auflösbares Thema ist im Sinne von, wo es das gibt, gute Führung? Also ist das etwas, was man sagen kann, gute Führung wäre in jeder Organisation auch erfolgreich? Oder ist es ein Begriff, der so spezifisch in der Praxis dann ist, wie die Personen vor Ort sind und man es nicht nur sich darauf vorbereiten kann, also man kann Führung mittlerweile studieren, man kann es lernen, aber…, Das kann man nicht studieren. Man kann lediglich was zur Kenntnis nehmen, lernen. Man kann sich Geschichten anhören. Aber bei Aristoteles steht ein sehr schöner Satz in der nekomachischen Ethik. Wenn du Gitarre spielen lernen willst.
[44:03]Dann reicht es nicht, wenn du dich stundenlang vor dir die Gitarre setzt und die anschaust und bis ins Letzte begreifst, wie sie gebaut ist, wie sie gemacht ist, wie der Klang ist. Nein, du musst üben, üben. Und das ist in der Praxis ganz genau so. Und deswegen ist es eine richtige Erkenntnis, wenn man sagt, dein Interaktionsraum muss fehlerfreundlich sein. Das heißt nicht, dass man den gleichen Fehler siebenmal machen darf. Nach dem zweiten Mal muss man bereits gelernt haben, das darf mir nicht nochmal passieren. Aber Fehler muss ich zulassen, sonst wird nicht probiert. Das macht das Führungshandeln in der Verwaltung so schwer. Denn in der Verwaltung der Vorgesetzte hat keinen großen Spielraum. Der hat Rechtsgrundsätze, der hat Verfahrensrichtlinien, der hat so viele Vorgaben, der ist an so viel eingeengt, dass der einen Spielraum für neue soziale Realitäten, die er gerne auf den Weg brächte, den hat er nicht. Der ist ihm untersagt. Verwaltung hat zu funktionieren. Und deswegen dauert da auch alles ein bisschen länger. Und das oberste, um in der Verwaltung was zu werden, das oberste Ziel für dich, beziehungsweise deine oberste Maxime ist, bloß keine Fehler machen. Kein Eintrag in die Akte. Auf die Weise wirst du aber kein Unternehmer.
[45:19]Fehlervermeidung ist das wichtigste Verwaltung. Und das finde ich schon auch ein Punkt. In diesem engen Korsett, weil ich das in der Praxis erlebe, gibt es hochkreative Leute, die eben doch noch gucken, wo ist das Korsett beweglich, wo sind noch Lücken. Das sind dann nicht die disruptiven Veränderungen, Aber es sind die Machbarkeiten und Ermöglichungen von Kleinen, aber für die Leute, die sie erreichen, wichtigen Punkte. Ich würde sagen, wenn Sie so jemanden haben, dann ist das eine leidenschaftliche Führungskraft. Das ist einer, der überall sieht, da kannst du was gestalten, da kannst du eine neue Wirklichkeit machen, die dann da ist.
[46:09]Keiner mehr wegnehmen kann. Und das kann auch eine unheimliche Befriedigung für einen selber bringen. Das höchste Lob, was ich haben kann auf meinem Grabstein, ist, wenn da ein paar Leute draufschreiben, ohne den Peter Nischmidt wäre ich das oder das nicht geworden. Dann habe ich sinnvoll gelebt. Nicht wie viel Geld ich verdient habe. Das ist unerheblich. Wir haben andere sowieso viel, viel, viel, viel mehr. Aber manche Dinge. Ich habe Studenten erkannt, die waren eigentlich nur mittelmäßig. Aber ich habe erkannt, unterrichten tut der gerne. Der verdient heute mehr Geld als meine Kollegen, als Redner. Das richtig erkannt, Begabung zu erkennen und zu dem werden zu lassen, was früher halt die Götter machten. Das ist ungeheure Befälligungs. Ich komme nochmal auf diesen Punkt zurück, dass Führung nur oder vor allem oder als Fragezeichen auch gelernt wird, in und durch der Praxis. Und ich komme nicht umhin, wenn ich Ja sage zur Führung, sage ich auch Ja zu Konflikten, die mich betreffen. Und aus denen ich nicht rauskomme und ehe ich mich versehe, bin ich Teil davon. Weil ich eben Ansprechpartner bin für Unzufriedenheiten, für Unzulänglichkeiten, für alles Mögliche, was in der Organisation nicht funktioniert.
[47:31]Und es könnte mich dazu verleiten, zu sagen, ja gut, Führung muss man immer wieder neu lernen und wenn man eine andere Organisation dann betritt, dann fängt man wieder bei Null an. Und dennoch, glaube ich, gibt es dieses, ich habe Erfahrung gesammelt in der Führung und ich weiß, wie man führt. Wo würden Sie sagen, stimmt das dann dennoch nicht, weil eine andere Organisation etwas anderes an Führung verlangt, in dem eben noch keine Erfahrung herrscht? Wenn ich jetzt mal ganz starke Kultur, unterschiedliche Organisationen nehme, Startup, wenige Leute hochmotiviert, wollen am liebsten 27 Stunden die Woche arbeiten und dann ein Konzern oder Verwaltung, also eine Großorganisation, wo man also weiß, okay, ich habe eine Funktionsrolle und ehe ich mich versehe, kriege ich meine Grenzen aufgezeigt. Vor allem, wenn ich in ein anderes Kästchen organisationslogisch hineinregiere oder mich nur informiere. Ja.
[48:34]
Wahrnehmung und soziale Realität
[48:34]Mich informiere, genau.
[48:50]Sonst ging alles drunter und drüber. Wenn ein mittelständischer Betrieb das machen würde, dann ist er binnen kurzer Zeit pleite. Er lebt davon, dass alle einander informieren. Du hör mal, an der Stelle läuft jetzt etwas ganz Schlechtes, könnte Auswirkungen auf deine Sache haben. Sagt er, danke für die Information. Aber wenn alles vorgeregelt ist, weshalb die ja übrigens auch rückläufig sind, weil die müssen sich selber immer mehr zerlegen oder filetieren oder wie immer sie das ausdrücken wollen, in kleinere Aktionseinheiten, als ob es kleine Firmen, als ob es Mittelständler wären. Wo übrigens die Hauptinnovation auch herkommt, die kommt gar nicht vom Großen. Deutschland ist Weltmarktführer in vielen kleinen. Gehen Sie ins, schauen Sie sich das im Sauerland an. Darf ich bei Ihnen auch so einfach Namen nennen? Ja, solange das nicht sozusagen zu Schaden kommt. Das ist überhaupt nichts Böses. Die Firma Mennekes, die machen Stecker. Die waren die besten Steckermacher auf der Welt. Stecker für? Für alles Mögliche. was die in der Wand hier stecken wollen, aber auch zum Beispiel für Elektroautos. Ich übertreibe jetzt, ich habe die Zahlen auch nicht genau im Kopf. Also wenn die 100.000 hergestellt haben gegen 100 an VW und 990.000 nach China, so früh waren die dran, hatten die Nase da richtig im Wind und wussten, was da gemacht werden muss.
[50:19]In Deutschland war mit der Ort, wo die meisten Drohnen und Drohnenanfänger erfunden worden sind. Airbus hat sich aber nicht dafür interessiert und die anderen Großen, die dann Militärgeschäft draus hätten machen können oder wie immer. Aber das war teilweise von ausgemusterten beziehungsweise in Pensionen gegangenen höheren Offizieren. Gedacht, überlegt, ich hätte meine eigene Verwandtschaft, hatte ich so einen Fall. Die haben alle weder ihre Entwicklungskosten noch ihre Reisekosten wiedergekriegt. Und als es plötzlich für Airbus interessant wurde, dann haben die es an sich gezogen. Die waren ihrer Zeit buchstäblich voraus. Ja, ja, ja. Das muss man leider sagen. Im Grunde entsteht das wieder aus guten Führungshorizonten, die das gemacht haben. Das waren alles, die über ihre Bereiche und Aufgabenbereiche hinaus gedacht haben. Und das entsteht nur durch gute Führung. Womit ich wieder bei dem Thema…
[51:14]Es ist ja eine Debatte, nicht nur unter Beratern, aber auch in der Wissenschaft und auch unter Führungsleuten. Ist Führung eine Kompetenz, die ich mitnehmen kann? Ist es eine professionsfähige, professionalisierbare Kompetenz, die unabhängig von der Organisation ist? Und die Gegenposition, würde ich fast sagen, ist so ein bisschen das, was ich raushöre bei Ihnen. Das ist so stark verbunden mit den sozialen Interaktionen der konkreten Leute vor Ort, dass ich schon gewissermaßen sagen kann, also wenn ich jetzt meine Organisation wechsle und woanders ein Team übernehme, fange ich de facto bei null mit dem Team an. Aber ich habe schon mal mit mir Erfahrungen gemacht, wie ich auf solche Ansprüche reagiere. Nicht nur mit mir, auch mit anderen, die im Übrigen anders waren als ich. Also kurzum, Sie kommen aus einer militärischen Führung, wo sehr viel vorstrukturiert ist, sehr viel klar. Die Hierarchie ist klar, müssen Sie nicht jeden Morgen beweisen, sondern steht einfach fest. Wenn Sie als solcher in einen Großkonzern gehen.
[52:19]Tun sie sich leicht. Bei einem Mittelständler ist es schon schwieriger, weil du da dauernd über deinen Bereich hinweg gucken musst, weil den anderen könnte das betreffen. Übrigens, wenn ich sage, soll der mal ruhig auf die Nase fallen, trifft das letztlich dann in einem kleinen oder mittelständischen Betrieb auch mich. Wenn der Laden dadurch erheblichen Schaden hat, dann ist mein Job mit dran. Also das tut das schon aus Eigeninteresse. Die Sorge kennt man im Konzern nicht. Nein, überhaupt nicht. Aber das Entscheidende bei der Führung, wenn Sie in einem Militärhaben gut führen können, können Sie das in jeder Verwaltung auch. Da sind die Arbeitsvorgänge anders. In einer Stiftung nicht. Wenn er jetzt plötzlich in eine große Stiftung wechselt oder in einen mittelständischen Betrieb oder in eine kirchliche Hilfsorganisation.
[53:11]Da kann er mit dem Erfahrungswissen, was er hat, das hält sich in Grenzen. Dass er aber soziale Interaktionsprozesse beeinflusst hat bisher schon, gesteuert hat, da hat er etwas bei gelernt und damit ist noch ein letztes Thema, was meines Erachtens hier in diesem Zusammenhang gehört, er hat hingucken gelernt. Er hat hingucken gelernt. Wir sind in unserer ganzen Ausbildung, vor allem im naturwissenschaftlich-technischen Bereich, alles sehr gute Analytiker. Analytik kommt von griechischen Analysen, das heißt auflösen. Wir lösen etwas in seine Einzelfaktoren auf und je genau und präzise ich das mache, kann ich sagen, welcher Faktor wirkt so und überall ist das gleiche Schema, nämlich Ursache-Wirkung. Die Ursache hat die Wirkung und wenn der da, dann so. Und ich kann die Struktur irgendwie feststellen. Ganz genau. Und eine ganz andere Betrachtungsweise, die gehört meines Erachtens unmittelbar zur guten Führungskraft dazu, ist Phänomenologie. Was heißt das?
[54:17]Eine erkenntnistheoretische Strang, wenn Sie so wollen, von der Antike bis heute, aber der ist eigentlich immer schmaler geworden, weil die Ergebnisse nicht so genau sind. Was ist Phänomenologie? Phänomenologie ist der Versuch, den Erkenntnisgegenstand zu begreifen in seiner Grundstruktur, in seinem Wesen, wie immer wir das nennen wollen, in seiner Gesamtheit. Nicht nur indem ich seine einzelnen Faktoren auflöse und auseinanderlege und zerlege. Wobei wir ja im Hinterkopf wissen, das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile. Also die Phänomenologen wissen das. Die Naturwissenschaftler sagen ja. Die Analytiker sagen Quatsch, jetzt fängst du an zu spinnen. Es kann nie mehr sein als die Faktoren. Oder wir haben einen Faktor noch nicht erkannt und jetzt gehe ich auf die Suche, wer das ist. Wir sind bestenfalls bereit zu der Aussage.
[55:10]Phänomenologie versucht den Erkenntnisgegenstand zu sehen, jetzt kommt der zentrale Begriff, in den Horizonten. In denen der Erkenntnisgegenstand ist, die ihn beeinflussen, die ihn vielleicht sogar manchmal bedingen oder konstituieren, also ganz stark, oder Teile davon sind. Okay, die also nicht sagen, ich habe einen Gegenstand vor mir und der ist für sich wie in einem Labor untersuchbar, sondern der hat selbst einen Kontext. Der hat selbst einen Kontext, er stammt sogar aus vielen Kontexten. Ich kann den Stein jetzt zwar untersuchen, aus was er beschaffen ist, aber der Stein hat eine Geschichte durchlebt und die würde ich raus analysieren. Seine Schönheit kommt dabei übrigens überhaupt nicht vor. Hat er aber irgendwo möglich. Aber gehen wir es auf Mitarbeiter. Wenn ich nicht wenigstens Ahnung habe von dem Werdegang meines Mitarbeiters, war er ein guter Schüler, war er ein lässiger Schüler, hat er gerne gelernt, lieber mit anderen zusammen oder lieber alleine?
[56:13]Ist er verheiratet, ist er nicht verheiratet? Hat er Kinder, hat er keine Kinder? Wie ist er aufgewachsen? Ist er ein Einzelkind oder ist es ein Familienkind? Was für eine Rolle spielte die Verwärtschaft? Das ist jetzt kein Herumschnüffeln im Privatleben des Mitarbeiters, sondern ein Versuch in die Horizonte, die ihn geprägt haben, die ihn zu dem gemacht haben, als der mir jetzt gegenüber sitzt, da ein bisschen mich hineinzufragen. Denn dann weiß ich ein bisschen mehr, wie steht er zu Geld? Ist das für ihn da, um sich etwas zu ermöglichen oder ist es ein Wert an sich? Und wie steht er zur Technik? Reizt es ihn, sein Auto selber zu reparieren oder was heute alles nicht mehr so geht? Aber früher war das schon ein wichtiges Qualifikationsmerkmal. Entschuldige, ich schweife immer ab, das hängt mir im Alter zusammen. Die DDR hatte die furchtbare Geschichte des Anno 89. Männer um die 45, 50, 55, die in dem System zurechtkamen und nicht nur zurechtkamen, sondern wenn der Nachbar eine Mauer bauen musste, konntest du nicht, du kamst nie an die Sachen ran. Aber der hatte Beziehungen, der hatte Verknüpfungen, der hatte Verbindlichkeiten. Von da kriegst du ja die Steine von da. Sogenannte Bückwirtschaft.
[57:25]Wunderbar. Und hat das hingekriegt und alle haben ihn bewundert deswegen. So, und jetzt kommt die Wende. Ja, Entschuldigung, das gibt es alles im Baumarkt. Dann gehst du zu Obi, da hast du das. Du brauchst auch noch Kohle, sonst nichts. Mein Stiefvater hat den Eisenwarenladen leer gekauft, als der das verschleudert hat. Also kiloweise geformtes Metall in Nägel und Scharniere.
[57:53]Die Erfahrung war, das ist morgen nicht mehr da. Ja, ganz genau. Und alle diese Qualifikationen sind von jetzt auf gleich weggefallen. Das ist fürchterlich. Das ist übrigens im Westen nie bedacht worden.
[58:06]Wahrscheinlich nicht in der Auswirkung. Ja, weil die waren kompetente Leute und das zieht sie von jetzt auf gleich nicht mehr, weil jetzt brauchst du nur noch Geld und die Läden sind alle da, wo du das alles kriegen kannst. Zurück zur Phänomenologie. Phänomenologie, der Versuch erstmal den Mitarbeitern. Weil es natürlich auch für mich ein Thema ist als ehemaliger.
[58:32]Ostsozialisierter. Es gab natürlich auch die, die die Chancen gesehen haben und die endlich Chancen ergreifen konnten. Natürlich, ja. Und in ihrer Kompetenz endlich sich auch verwirklichen konnten. Ja, absolut. Aber das ist schon ein wichtiger Punkt. Die muss ich übrigens beide anschauen. Ich hätte den, der das alles hat organisiert, obwohl das System eigentlich dagegen war. Sollte ja gar nie irgendwo individuell eine Mauer gebaut werden. Hatte niemand so gehabt. Ja.
[59:00]So. Wenn einer das kann, Aus dieser Kompetenz kann ich so viel anderes entstehen lassen. Da ist auch nie hingeguckt worden. Was ist das für ein fürchterliches Erlebnis dann eines, sagen wir mal, mit 50ers? Vom Westen her, die kommen, junge Leute, das nehmen wir schon, aber was wollen wir mit dem hier? In keiner Weise erkannt, über was für ein Potenzial der eigentlich verfügte. Übrigens nicht zuletzt auch im Sinne, dass der immer richtig, und damit bin ich wieder bei der Phänomenologie, richtig hingucken konnte. Richtig hingucken konnte, was kann der, was kann der, was kann ich mit dem, mit dem kann ich nur so umgehen, mit besser nur schriftlich, den anderen rufe ich an, zum anderen muss ich mit einer Pulle schnappsen und zwei Gläsern vorbeigehen an der Tür und dann ist das geregelt nach zehn Minuten, ja, dann sagt er, klar, mache ich für dich, ja, so. Und dieses richtige Hinschauen, den anderen Erfassen in seiner Wirklichkeit und aus seiner Wirklichkeit heraus und dann gezielt richtig zu handeln, das ist phänomenologiegestütztes Handeln, das ist ein verdammt kompetentes Handeln. Husserl, von dem stammt dieser Gedanke mit dem Begriff, den anderen den Erkenntnisgegenstand erstmal in seinen Horizonten wahrzunehmen.
[1:00:19]Ich würde ja sagen, das ist ein sehr aufwendiger Vorgang. Nein, das ist ein auswendiger Vorgang. Und sozusagen, ich kann nicht einfach loslegen. Nein, nein. Wenn ich auf die Führung, dann haben wir da sozusagen ein sehr voraussetzungsreiches Handeln, das den Anforderungen der Organisation nicht selten widerspricht. Jedenfalls auf den ersten, auf den zweiten, oftmals auch noch auf den dritten Blick. Weil der seine Arbeitsgruppe, sein Team, sein Projekt oder was ist, erstmal in die Entfaltung ihrer Potenziale bringen muss. Und erst wenn ihm das gelungen ist, dann kann er jetzt aus unternehmerischer Perspektive seine Aufgabe richtig erfüllen. Der Unternehmer könnte sagen, also man rechnet sich das, was du da eigentlich machst. Der geht mit denen vielleicht, sagt, ohne dreimal im Biergarten gehen läuft da gar nichts, ich muss die Gruppe erst kriegen. Ja, das ist aufwendiger, das kostet auch noch Geld, die Nachmittage. Der kann nicht immer sagen, zahle ich als Vorgesetzter alles selber. So viel Geld verdient der auch nicht.
[1:01:27]Vorgesetzte müssen für sowas einen Topf haben, aus dem sie das bezahlen können. Die Herstellung von sozialen Wirklichkeiten, die es sonst nicht gibt und die die alleine nicht machen. Ich muss auf einen Punkt aufmerksam machen, der mir natürlich in meiner Arbeit als Mediator dort aufscheint, weil ich ja ein sehr spezielles Setting habe, wenn ich jetzt nur mal das nehme, ein Mediationssetting, auch in Organisationen, wo dann doch zwar Hierarchie im Raum sitzen mag, die haben ihre Funktionsrollen,
[1:02:01]
Phänomenologie in der Führung
[1:01:56]aber die Art und Weise des Arbeiten ist doch sehr auf die Persönlichkeiten zugeschnitten. Und dann sitzen dort eben bestenfalls an allen Funktionsstellen in einer Konfliktsituation gut entwickelte Persönlichkeiten, die alle ihre Eigenverantwortlichkeit auch belebt haben, beanspruchen und auch in solches angesprochen werden. Wenn es um das Thema Führung geht, erlebe ich häufig diese Fixierung oder die Fokussierung der Führungskraft, die dann sagt, was soll ich denn noch alles machen? Warum soll ich mit dem in Bierdingen? Der kriegt doch seinen Lohn. Der muss doch schon motiviert sein. Und wenn nicht, dann ist das doch sein eigenes Thema.
[1:02:39]Also wie kriegt man das hin, dass man als Führungskraft bejaht, ich muss diese voraussetzungsreiche Arbeit leisten und phänomenologisch, das soziale Gefüge erkunden, erkunden, damit arbeiten und gleichzeitig aber darf ich mich auch nicht allein dafür verantwortlich fühlen, wenn dort einer Nein sagt und seinen Job nicht macht. Das finde ich, ist so eine, nicht nur eine Gratwanderung, sondern im dunklen Wald. Ja, und dann auch noch tanzen dabei.
[1:03:13]Und einen Bericht schreiben. Das ist ein Bericht In der Tat, da es so viele wirkliche Führungskräfte nicht gibt, die wachsen ja auch nicht auf den Bäumen mehr. Deswegen gibt es Vorgesetzte. Das ist eine schöne Differenzierung. Ja, den setzt dieser vor, der kriegt seine Vorgaben, seine Aufgaben, das führt er dann auch durch. Aber auf die Weise können sie in der Stadtverwaltung irgendeine Abteilung führen, aber in der Behandlung von Fragebögen oder so. Aber können sie nicht in einem Unternehmen eine… Das klappt auch heute nicht mal mehr in der Stadtverwaltung. Und nicht mal mehr da. Nicht mal mehr, die müssen rödeln. Stichwort Generation Z.
[1:03:59]Die erwartet heute von der Arbeit was anderes. Die kommen erst mal an mit Life-Work-Balance und was weiß ich nicht. Dahinter steckt eigentlich was anderes, nämlich der Anspruch wahrgenommen zu werden, als der, der man ist und der diese Aufgabe machen will und der sich da vielleicht auch drinnen entwickeln will. Der zentrale Begriff hier ist, die deutsche Sprache ist da wunderbar, ist Wahrnehmung. Ehe ich den anderen nicht wahrnehme, gibt es den überhaupt nicht. Wir sind alle sozial nicht nur konstituiert, sondern wir leben letztlich alle nur dadurch, dass wir in sozialen Feldern wahrgenommen werden. Wenn sie nicht mehr wahrgenommen werden, sind sie ein ganz armes Schwein. Ein Vierjähriger, der nicht wahrgenommen wird, schmeißt notfalls Scheiben ein und kommt jetzt die Polizei. Dann wird er wieder wahrgenommen.
[1:04:45]Von den Zeiten habe ich auch noch gehört. Ja, gut, das war früher aus meiner Jugend. Heute hat die Polizei auch anderes. Aber ich will den Punkt, weil der häufig genannt wird, gerade bei der jungen Generation, dass die dann Work-Life-Balance als erstes sagt. Der Streitpunkt, den ich häufig in Konflikten höre, wenn über die Generation gesprochen wird, dann kommen diese Punkte, die sehr schnell deutlich machen, nicht zu gebrauchen. Bei uns war damals noch richtig Zucht da drin. Aber in der Konfliktsituation, die wirklich dann dramatisch wird, sind das solche Unterschiedlichkeiten wie, da ist die Lernbiografie des Vorgesetzten, die Beschämung beim Gedichteaufsagen in der Schule. Die Horrorvorstellung, wo man in unseren älteren Generationen genau weiß, worum es geht. Da wurde man vorgeschickt und dann stande man dort mit hochrotem Kopf gesenkt und hat da was hingestammelt. Und wenn man cool damit umgehen konnte, hat man wenigstens in der Pause noch Freunde. Aber es war jeder beschämt. Ja, aber der Lehrer war dusselig, der sowas gemacht hat. Aber gut, dann waren die damals häufig so. Die Waldorfschule, ich sage immer Waldoofen, aber das ist freundlich gemeint, da muss der, ab der zweiten Klasse müssen die vortragen. Ja, und auf dem Punkt, das ist richtig.
[1:06:10]Wir haben es sozusagen mit der Erwartungshaltung bei Führungskräften zu tun, erst mal zugucken, wie das hier läuft. Und dann, wenn du es gelernt hast, dann frage ich dich. Nicht antworten, bevor ich dich nicht gefragt habe. Und es kommen junge Leute ins Unternehmen, die erwarten und denken, dass das die Normalität ist. Wann darf ich denn hier im Meeting meine erste Präsentation halten? Wieso wäre ich hier nicht gefragt?
[1:06:37]Nicht, dass sie sich für Größen wahnsinnig halten. Das ist überhaupt nicht der Punkt, sondern die sind einfach gewohnt, zu reden und gefragt zu werden. Sich zu äußern. Sich zu äußern, das lernen die im Kindergarten, nicht nur im Waldhof mittlerweile, sondern auch der Morgenkreis. Gott sei Dank woanders. Und was dahinter steckt, ist letztlich, es wird dem ungeheuren Bedürfnis wahrgenommen zu werden, denn erst dann bin ich da, dem Rechnung zu tragen. Je mehr ich das bei kleinen Kindern schon tue und auch bitteschön mit der Auflage, nur weil du da bist, bist du noch nicht alles wert. Er muss auch was produzieren. Und das ist doch die andere Seite von das soziale Gefüge wahrnehmen. Bei der Führungshaft haben wir ja gesagt, erstmal gucken, erstmal wahrnehmen, was geschieht. Ja. Und jetzt bei denen, sagen wir, produzieren. Denen Wahrnehmung geben und ihnen Chancen geben, dass sie wahrgenommen werden. Und wie gesagt, das gibt es nicht umsonst. Nur weil sie da sind, sind sie nicht schon wertvoll.
[1:07:42]Übrigens instinktiv handeln wir alle so. Das Baby, wenn es einmal, da ist es noch nicht mal Kleinstkind, es ist drei oder vier Monate alt, dann ist es bei jedem Baby zu sehen, wenn es einmal mitkriegt, die Mama freut sich, wenn es lacht. Von da an fängt es an zu lachen. Ich weiß, ich kriege dann den Response. Für nichts, nur für Stalin gibt es nichts.
[1:08:07]Das kommt erst später. Ich habe einen Dreijährigen, da bin ich froh, wenn der schläft. Der will nur das. Aber das ist das Entscheidende. Dieser Wahrnehmungsvorgang und Wahrnehmung zu ermöglichen, wenn ich meinen Mitarbeitern ermögliche, wahrgenommen zu werden. Zum Beispiel, dass ich ihnen das oder das beibringe. Ich habe einen Ausbildungsverfahren, das war bei uns Erwachsenenbildung. Also die konnten dann Volkshochschulleiter werden. Aber du müsstest erst mal unterrichten können. Aber da kann man Tipps geben, wie das geht und auf was du achten musst. Und dass du deine Teilnehmer anschauen musst. Als ob sie alleine da wären. Also immer wieder Einzelne anschauen. Wenn die das dann gemacht haben, die hatten plötzlich den Saal. Was heißt das? Das waren 20, 25. Ich habe die Kurse gebucht, aber die mussten unterrichten.
[1:09:01]Und dann waren sie plötzlich wer. Und haben es nicht. Und haben auch dabei gelernt, die hören mir umso besser zu, je genauer ich auf sie eingehe, indem ich sie anschaue oder in der Pause mit ihnen rede oder wie immer. Das heißt, ich habe versucht beizubringen, nahezubringen, stell soziale Wirklichkeiten her. Die hängen alle von dir ab. Die hast du gemacht. Die sind dann da. Die sind auch nur, da wirst du auch wieder gefordert. Dann sagen die, die wollen wir wieder haben. Ja, oder die. Phänomenologie sprechen. Und da würde ich nochmal einen kurzen Punkt, den ich auch unter Kollegen wahrnehme und mit Mediatoren. Und wir sind leider im Berufsstand, der sich kaum gegenseitig beobachtet. Und wir wissen im Grunde genommen nicht sehr gut, wie andere arbeiten. Das ist ja bei Fußballspielern anders Und bei Lehrern oder so kann man… Tolles Spiel insofern, das Fußballspiel. Permanent werde ich von euch leuten… Absolut. Es ist eine hochsoziale Aktion heutzutage. Und Profis verdienen nicht umsonst so viel Geld, muss man einfach sagen. Das ist einfach hartes Training und gar nicht mal am Ball. Und das wäre auch eine Parallele. Es hilft nicht einfach immer nur, das zu tun. Parallel ist sowohl der Fußballtrainer wie der Dirigent. Wenn der Dirigent nur sich sieht, wird er nie ein rannioses Orchester. Ja, genau.
[1:10:25]Führungsarbeit, also an das Team, wenn ich als Führungskraft hinzukomme oder wenn ich herausforderungsreicher befördert wurde aus dem Team zur Führungskraft für das Team, wie ich mich dann nähere und wie sich Konfliktberater oder Mediatoren an Konflikte nähern. Und da nehme ich auch wahr, es gibt welche, die sehr analytisch vorgehen und Konzepte und Modelle lieben, bei denen eine Analyse ermöglicht wird, um sich ein Bild machen zu können, das detailliert, bestenfalls auch irgendwie mathematisch zahlenorientiert begründet werden kann. Und dann gibt es welche, die benehmen sich eher so wie auf einem Spaziergang im Wald und erkunden diesen unbekannten Ort. Und wo ich vermuten würde, das sind eher so phänomenologisch motivierte, die also nach etwas suchen, was nicht, zählbar ist, was nicht messbar ist und dennoch wahrnehmbar sein kann. Nicht exakt. Das Exakte spielt in der Phänomenologie keine Rolle, sondern eher das Erfassen, das Begreifen. Ist übrigens schön, wenn die Hand dabei ins Spiel kommt. Das heißt, das ist nicht nur ein Denkakt. Kleine Kinder fassen alles an. Begreifen kommt von Greifen.
[1:11:47]Und wenn die nichts mehr zu greifen haben, deswegen ist das Handy die für die Kinder in der Jugend, das ist der Zugang zu einer zweidimensionalen Welt.
[1:11:58]Dreidimensional. Aber ich habe es in der dreidimensionalen Welt in der Hand. Oder was meinen Sie mit dem? Nein, ich meine, man sollte sie so viel wie möglich in soziale Wirklichkeiten schicken oder zum Basteln, zum Kneten, zum Bauen, dass sie dreidimensional sich bewegen. Dass nicht nur der Sinn Auge und Ohr noch gebraucht wird, maximal vor der Glotze, sage ich, oder vor dem PC oder beim Handy, sondern das Tasten, Schmecken, Riechen mit dabei ist. Obst wird heute gekauft nach Sicht und nicht nach Geschmack, ist ein Wahnsinn. Was für eine Verengung das ist. Aber das Auge ist mit. Sagt man, meins hat noch nie gegessen.
[1:12:41]Aber meine Zunge ist noch immer ganz gut. Ich kaufe nicht zu viel und ich trinke nicht zu viel. Dass die Geschmacksnerven alle erhalten bleiben. Aber ich greife den Punkt mit dem Handy auf, weil natürlich sehe ich als Teammitglied, der tippt schon wieder was im Handy und unterhält sich nicht mit mir, wenn ich schon so reflektiert bin, dass ich darüber sauer bin. Ich könnte ja auch einfach nur sagen, der ist faule, macht seine Arbeit nicht. Und der Wunsch, sich mit mir zu unterhalten, den kriege ich gar nicht richtig mit. Aber wenn ich den frage, was macht denn der mit dem Handy, ist es ganz häufig so, dass der gerade in sozialen Interaktionen mit Menschen ist, die ihm wichtig sind. Würden Sie sagen, dass das … Die unterlassene soziale Interaktion mit Anwesenden aufwiegt oder da was verloren geht. Das ist jetzt eher eine Frage der Höflichkeit. Oder dass ich dem anderen dann Auskunft gebe über mich, den ich jetzt gerade im Grunde missachte, weil ich mit dem Mann, dem ich beschäftige, ich habe was wahnsinnig vieles, das muss ich dem und dem sagen. Wenn er dann auch noch dazu sagt, weil du das gerade gesagt hast oder sie das gerade gesagt haben, das ist ja schon wieder gebaucht. Selbe Schuld. Man empfindet das aber nicht mehr so schlimm. Was ja auch gar nicht falsch ist. Das hat er dir ja gar nicht angelogen.
[1:13:59]Smartphone oder Internet ist ja eine Ermöglichung von sozialen Interaktionen. Ganz genau. Also ich lehne das nicht rundherum. Ich bin weder Ideologe noch Dogmatiker. Aber ich muss es so einsetzen, dass es immer wieder sozial verträglich ist. Dass ich den im Grunde in meinen, jetzt hier eben schnell am Handy was macht, ihn mit reinnehme und sage, es ist nicht zuletzt, weil du jetzt so wirkungsvoll zu mir warst, muss ich das sofort mitteilen. Weil der wartet drauf, dass er sowas hört. Dann habe ich ihn voll eingebunden. Und er ist bestätigt, er hat ja auch was Wichtiges gesagt. Mein Gott, der fragt mich beim nächsten Mal, hast du auch dein Handy dabei?
[1:14:45]
Der Weg zur phänomenologischen Wahrnehmung
[1:14:41]So weit muss ich kommen. So das Handlungskunst, wovon wir gerade reden. Und damit Praxis. Damit Praxis und das setzt voraus Phänomenologie.
[1:14:51]Wir müssen zum Ende kommen. Sie haben mir Zeichen gegeben. Ich würde das gerne so beenden, dass ich noch etwas mehr verdeutliche, was Phänomenologie zu leisten vermag und dass es ein Übungsweg ist. Wir hatten vorhin das Beispiel mit der Gitarre. Spielen lerne ich nicht, indem ich die Gitarre anschaue, sondern indem ich übe, übe, übe. Das Gleiche gilt für die phänomenologische Wahrnehmung. Wenn ich den dann über sie verfüge, dann sehe ich Sachen, die andere nicht sehen. Der größte Phänomenologe des 20. Jahrhunderts ist kein Philosoph, sondern ein Dichter, Rainer Maria Rilke. In seinen berühmten Ding-Gedichten, die alle in der Schule irgendwie kennengelernt haben, haben wir gelernt, dass Dinge nicht nur eine Vorderseite, sondern auch eine Innenseite, eine Rückseite, vielleicht sogar eine Geschichte, die wichtig ist.
[1:15:42]Eben Horizonte hat, die mehr dann einen erkennen lassen über dieses Ding. Uns geht es hier nicht um Dinge, sondern uns geht es um Personen. Und auch hier erweist sich Rilke als ein ungemein feinnerviger Phänomenologe hingucker. Das erste Gedicht handelt von einem König, der als 16-Jähriger auf den Thron kommt, Karl V., in dessen Reich die Sonne niemals unterging. Der kommt als 16-Jähriger auf den Thron und wird natürlich gemustert, ausgerechnet, belauert von den alten Männern im Kronrat hin. Die wollen ihn ausnützen, sie wollen ihn instrumentalisieren, aber die gucken nicht richtig hin. Und davon handelt das Gedicht, der König. Der König ist 16 Jahre alt, 16 Jahre und schon der Staat.
[1:16:33]Er schaut wie aus einem Hinterhalt vorbei an den Greisen vom Rad in den Saal hinein und irgendwo hin und fühlt vielleicht nur dies an dem langen, schmalen, harten Kinn die kalte Kette vom Vlies. Das Todesurteil vor ihm bleibt lang ohne Namenszug. Und sie denken, wie er sich quält. Sie wüssten, kennten sie ihn genug, dass er nur langsam bis siebzig zählt, er es unterschreibt.
[1:17:00]Die alten Männer haben sich sauber getäuscht. Da sitzt kein sentimentaler Jüngling, der sich nicht traut, sein erstes Todesurteil zu unterschreiben. Da sitzt einer, der ihnen das vormacht. Und sie berechnen ihn alle falsch. Der Junge war aus ganz anderem Holz geschnitzt. Aber als sie das gemerkt haben, war es zu spät. Da hatte er sie in der Hand, aber sie hatten ihn nie in der Hand. Da muss man halt richtig hinschauen. Haben sie aber nicht. Aber er umso mehr. Er umso mehr. Er hatte 16 Jahre lang Zeit. Ja, so. Und wie lernt man das nun? Hm. Ein anderes Gedicht von ihm, das über den für mich größten Schlauferkaiser Friedrich II., also um 1300. Nicht der Barbarossa, sondern das große Staunen der Welt. Ja, richtig. Und er schreibt ein Buch.
[1:17:53]Ich merke eine Gemeinsamkeit zwischen uns beiden. Über die Kunst mit Vögeln zu jagen. Und es hat er natürlich nicht selber geschrieben, er hat es diktiert. Aber warum konnte er das schreiben? Dieses Buch hat, das gibt es übrigens sonst nicht mehr in der abendländischen Geschichte, 700 Jahre wissenschaftliche Gültigkeit. Von 1250, da ist es geschrieben, bis 1950 gibt es nichts über Falken, was nicht in dem Buch schon drin stünde. Dann erst kommt Konrad Lorenz da her und spricht mit den Gänsen und was weiß ich nicht. Genau, das ist eines der bedeutendsten Lehrbücher überhaupt. Ja, das ist grandios. Davon handelt dieses Gedicht natürlich mit den Vokabeln der Falkenerei. Es ist vom Aufbräuen, die Rede hochziehen, der Unterliegerkappe auf dem Kopf, dass der Vogel ruhiggestellt ist. Es ist vom kühnen fürstlichen Traktat die Rede, also von dem Buch, was da geschrieben wird, der Erte, wenn er Niko ausübt. Aber es ist die Rede vom Aufbräuen, hatte ich schon. Also es sind einige Falkner-Vokabeln dabei, aber das ist man gleich. Aber es geht um was anderes. Warum und woher diese genaue, tiefgründige, eben nicht nur analytische und analytisch gewonnene Erkenntnis über diese Vögel und wie man mit ihnen jagen muss, hatte. Schon die erste Zeile ist das ganze Gedicht wert.
[1:19:15]Falkenbeize. Kaiser sein heißt vieles überstehen bei Geheimertat. Wenn der Kanzler nachts den Turm betrat, fand er ihn des hohen Federspieles kühnen fürstlichen Traktat in den eingeneigten Schreibersagen. Denn er hatte im entlegenen Saale selber nächtelang und viele Male das noch ungewohnte Tier getragen, wenn es fremd war, neu und aufgebräut. Und er hatte sich dann nie gescheut, Pläne, welche in ihm aufgesprungen oder zärtliche Erinnerungen tief, tief inneres Geläut, zu verachten, um des bangen jungen Falken willen, dessen Blut und Sorgen zu begreifen, er sich nicht erließ. Dafür war er auch wie mitgehoben, wenn der Vogel, den die Herren loben, glänzend von der Hand geworfen, oben in dem mitgefühlten Frühlingsmorgen wie ein Engel auf den Reiher stieß. In Vorträgen sage ich es so, meine Damen und Herren, so entwickelt und fördert man nicht nur junge Falken.
[1:20:14]Und billiger, dessen Blut und Sorgen zu begreifen, wer sich nicht erließ, billiger kriegen sie es nicht. Führen braucht eine Leidenschaft, sonst machst du das nicht. Und ein letztes Gedicht, das man hier durch geübtes Hingucken auch was lernen kann. Der Doge in Venedig, gemalt ist es hier ein Bild, was Rilke vor Augen hat. Der Doge Loredan von Bellini, gemalt 1509. Ja, verfassungsrechtlich hatte der eine ganz schwierige Aufgabe. Er soll Venedig immer mächtiger machen, aber das venezianische Patriziat, die Signoria, hatte natürlich Bange, dass sie putschen könnte. Und so, wie die das die Medici in Florenz gemacht hatten, wie das die Sforza in Mailand gemacht hatten, in Genua di Doria. Sie hatten ihn umstellt. Der konnte nie alleine mit fremden Gesandten reden. Könnte ja was anzetteln. Der war immer unter Beobachtung, immer. Bei diesem Dogen hätten sie sich das sparen können, das war kein Putschist. Der wollte nicht alleine gemacht. Titian hat andere gemalt, Dogen, die so vor sich ins Tischtuch greifen. Also da machst du besser mit viel Aufpassung drumherum. Aber bei dem Loredan von Bellini gemalt, wenn sie es sehen können, kann es auch ganz leicht googeln, da sehen sie ein Gesicht beherrscht. Ein Republikaner durch und durch.
[1:21:42]In die Weite blickend, aber vor Augen habend, dass man nicht mit allen allen alles machen kann, dass man da sehr genau auswählen muss, dass man Urteilskraft haben muss. Und die lernt man mühsam und langsam, all das spiegelt sich in dem Gesicht. Hören Sie das Gedicht. Fremde Gesandte sahen, wie sie geizten mit ihm und allem, was er tat. Während sie ihn zu seiner Größe reizten, umstellten sie das goldene Dogat mit Spähern und Beschränkern immer mehr, bange, dass nicht die Macht sie überfällt, die sie in ihm, so wie man Löwen hält, vorsichtig näherten. Aber er, im Schutze seiner halb verhängten Sinne, war dessen nicht gewahr und hielt nicht inne, größer zu werden. Was die Signorie in seinem Innern zu bezwingen glaubte, bezwang er selbst. In seinem greisen Haupte ward es besiegt. Sein Antlitz zeigte weh. Grandios dieser Schluss, nur vier Worte. Sein Antlitz zeigte weh. Das ist kein Putschist, das ist ein letzter großer, verantwortungsbewusster Doge von Venedig. Man kann in Gesichtern lesen lernen. Und ab 30 sind wir für unser Gesicht alle selber verantwortlich. Müsste ein machen, das Papa und Mama genetisch, aber dann machen wir es selber. Und das kann man lernen. Das muss man aber üben.
[1:23:06]Jetzt habe ich Ihnen alles gesagt, was ich weiß. Vielen Dank. Herr Nieschmidt, vielen Dank, dass Sie zu diesem Gespräch bereit waren, dass Sie nach Leipzig gekommen sind und hier im Podcast mit mir zu Führungen und Konflikten, Umgang mit Konfliktpotenzialen gesprochen haben und die Arbeitswelt in ihrer Historie skizziert haben. Vielen Dank. Ich darf mich bedanken. Ich bin sehr gerne gekommen und ich hoffe, dass das vielleicht sogar eine Gesprächsreihe wird. Ich komme gerne wieder und unterhalte mich gerne wieder mit Ihnen.