Mediation in Organisationen.

Ein Interview zur Arbeit von Mediator*innen in und für Organisationen mit Dr. Sascha Weigel.

Das – hier gekürzte – Interview führte Sarah Lipot im Dezember 2018.

Wie war Ihr Weg zur Mediation?

Ich habe neben dem Studium und im Referendariat bereits Seminare belegt zur eigenen Weiterbildung. Dort bin ich mit Beratungsprozessen in Kontakt gekommen, die mehr auf Prozessberatung Wert gelegt haben als auf Fachberatung – wo der Berater mehr weiß, das Fach besser kennt. Während bei der Prozessberatung eher mit dem zu Beratenden besprochen wird, wie derjenige das Problem angeht. In den Seminaren ging es entsprechend um solche Beratungsformen wie Coaching, Systemische Beratung, Transaktionsanalyse. Hier kam ich mit dieser Beratungsform zur Konfliktlösung in Kontakt und habe das als sinnvolle Form erkannt, Konfliktpotentiale anzugehen – neben der rechtlichen Beratung im Rechtssystem. Später – nach dem Studium und nach dem Referendariat – hatte ich beschlossen im Rahmen meiner Dissertation genau das zu vertiefen.

 

Der Konflikt ist nicht das Problem, sondern häufig sind diese Konfliktpotentiale wirtschaftliche Treiber und Quelle für wirtschaftliche Innovationen.

 

Warum brauchen Organisationen Mediation? Was sind typische Konflikte, die innerhalb einer Mediation gelöst werden können?

Der klassische Weg ist, dass Menschen versuchen die Konfliktpotentiale, die einfach existieren, wenn sie zusammenarbeiten, auszuhandeln. Das funktioniert bis zu einem gewissen Grad. Wenn das jedoch scheitert und sich die Parteien festgefahren haben, ist der traditionelle Weg, den Chef oder das Recht zu befragen. Entweder geht das dann über die Vorgesetzten oder direkt in die Rechtsabteilung, die Personalabteilung oder zu Gericht – es wird also das Rechtssystem bemüht. Die Frage ist dann: Wer hat – mit seiner Position – Recht? Wie sind die widerstreitenden Positionen zu entscheiden angesichts des Rechtssystems? Egal ob das der Anwalt beantwortet oder der Vorgesetzte sich für eine arbeitsrechtliche Maßnahmen entscheidet oder bei Gericht der Richter als der Dritte. Dieser Modus ist unzureichend für die Probleme, die zunehmend gelöst werden wollen. Der Konflikt ist nicht das Problem, sondern häufig sind diese Konfliktpotentiale wirtschaftliche Treiber und Quelle für wirtschaftliche Innovationen. Und daran sollten Unternehmen interessiert sein – die Innovation nicht aus dem Unternehmen zu treiben, sondern den Konflikt daraufhin zu begutachten.

Klassisches Konfliktpotential besteht z.B. zwischen der Produktion und dem Vertrieb bzw. dem Marketing. Die streiten sich immer, unabhängig von der Branche. Diesen Streit findet man in jeder Organisation. Das hat jedoch nichts mit den Personen bzw. genauer den Persönlichkeiten zu tun. Beide Parteien sind daran interessiert, dass die Firma erfolgreich ist. Das lässt sich jedoch nicht mit rechtlichen Maßnahmen, mit rechtlichen Verständnissystemen fördern. Dazu braucht es einen Gesprächsraum, wo die positiven Aspekte betont werden, und die kritischen Aspekte gut moderiert werden. Das kann Mediation schaffen, diesen Rahmen bietet Mediation.

Wenn ich Sie richtig verstehe, betonen Sie die innovativen Momente im Konflikt, die man nutzen sollte, damit Innovation möglich bleibt im Unternehmen?

Ja. Ich betone damit weniger – wenn sie das meinen –  emotionsbezogene bzw. menschbezogene Mediationsvorgehen. Die klassische Mediation hat das Verständnis, dass die emotionalen Aspekte und die Interessen der Beteiligten betont werden müssen, die hinter den Positionen stecken. Und Emotionen werden dabei häufig als Schlüssel zur Konfliktlösung verstanden. Menschen sind so aufgeheizt und blockiert – z.B. voller Wut oder Ärger – das hindert sie daran, alle ihre Möglichkeiten im Konflikt zu nutzen, klug vorzugehen. Das hindert die Konfliktlösung. Das ist ein sehr auf das Individuum bezogenes Vorgehen. So ist Mediation auch klassisch zu verstehen. Aber in Organisationen kommt das Interesse der Organisation noch zum Tragen, das ist ein wirtschaftlicher Aspekt. Das sind ganz dominante Rahmenbedingungen ähnlich wie das Recht auch eine Rahmenbedingung ist. Deshalb ist das im Vordergrund. Deshalb ist Mediation in Organisation Weniger eine Personenveranstaltung, sondern eine Organisationsveranstaltung. Die Organisation erscheint als eigenes Subjekt in der Mediation.

Das heißt, man betont bei der Mediation in Organisationen eher die Rollen und die Teilsysteme und wie diese zueinanderstehen, wie im Beispiel Vertrieb und Produktion?

Genau. Die sind bewusst differenziert worden in Organisationen, um besser zu wirtschaften. Dass es einen Vertrieb und eine Produktion gibt, das ist ja nicht zwingend, sondern Resultat menschlicher Entscheidungen. Die Spannungen, die darin besteht, gilt es zu nutzen und niemanden dafür die Kosten aufzudrücken. Natürlich ist eine Organisation nicht daran interessiert, ihre Mitarbeiter schlecht zu behandeln und diese zu demotivieren. Das heißt aber nicht, dass eine Mediation für die Mitarbeiter da ist.Das ist ein Neben-  bzw. Zusatzeffekt. Nach meinem Verständnis ist die Mediation in Organisation eine Organisationsveranstaltung. Sie soll zuvorderst der Organisation helfen.

Aber wenn es z.B. um Konflikte im Team geht, würden sie sich als Mediator für Organisationen auch darum kümmern, oder würden sie da eine klare Grenze ziehen und sagen, das ist jetzt jemand anderes zuständig?

Es kann auch sein, dass der Konflikt personal anzugehen ist. Das Menschen beispielsweise gewisse Antipathien füreinander hegen und sich verhaken in ihrer Psychodynamik. Das kennen wir aus psychologischen Verfahren. Dass Menschen in die Arbeitsstätte ihre Familiengeschichte mitbringen, in dem Chef z.B. immer wieder ihren Vater erkennen, oder durch die Kollegen immer wieder die Geschwistergeschichte auflebt, das kann auch vorliegen und muss bearbeitet werden, aber das ist dann vor allem eine Bearbeitung aus der Perspektive der Organisation. Es lohnt sich nicht in einer Organisationsmediation Psychotherapie zu machen. Obschon auch ein Ergebnis aus einer Mediation sein kann, dass eine Psychotherapie empfohlen wird. Dazu muss der Mediator seine Grenzen kennen und nicht versuchen im Rahmen der Mediation das irgendwie zu lösen, zu therapieren. Das geht nicht, das wissen auch alle Mediatoren.

Wie kann man sich eine Mediation in Organisationen vorstellen? Bezogen auf Auftraggeber, Ablauf, Beteiligte, den zeitlichen Rahmen?

Hier zeigen sich jetzt auch ganz praktische Unterschiede (zu anderen Mediationskontexten). In der klassischen Mediation ist es meistens so, dass eine der Parteien auch den Kontakt zum Mediator sucht und den Erstkontakt herstellt. Es muss dann die Frage geklärt werden, wie die andere Partei in Kenntnis gesetzt wird: macht das die Konfliktpartei selbst oder macht das der Mediator. In Organisationen ist es häufig – nicht immer, aber häufig – so, dass der Konflikt schon mal an eine andere Stelle herangetragen wurde oder dass der Konflikt dort schon mal bekannt wurde – beim Betriebsrat oder der Personalabteilung.  Wenn z.B. eine Führungskraft sagt, „es gibt ein Konflikt im Team, oder ich bin mit einem Team im Konflikt, was kann ich tun?“ Und dann übernimmt meistens die Personalabteilung den Kontakt zum Mediator. D.h. der Mediator wird, wenn er von einer Organisation angesprochen wird, in den meisten Fällen – nach Erfahrungswerten – nicht von einer Konfliktpartei angesprochen, sondern von einem Dritten, einer Vertretung. Das kann in kleinen Organisationen auch die Geschäftsführung sein. Der z.B. sagt, er hab „zwei Abteilungsleiter, die seit Jahren im Clinch sind und jetzt ist es eskaliert und ich weiß nicht mehr, was ich tun soll“. Dann hat also diese Vertretungsperson die Ansprache mit dem Mediator. Und es kann sein, dass der Mediator nicht vorher mit den Konfliktparteien spricht, sondern erst in der Mediation auf sie stößt. Was optimal ist aus einem klassischen Mediationsverständnis. Aber Finanzfragen, Terminfragen und Ressourcenfragen, das klärt er mit dieser dritten Person, die nicht mit im Raum sitzt, wenn die Mediation stattfindet. Das ist eine der größten und deutlichsten Unterschiede. Die alte Weisheit „wer zahlt, der bestimmt auch“, führt dazu, dass sich in der klassischen Mediation die Kosten unter den Streitparteien möglichst 50-50 geteilt werden. Hier ist es so, dass sich der Auftraggeber – Personalabteilung, Geschäftsführung – den Auftrag zu 100% bezahlt und den Auftrag auch klärt. Da hat man ein Dreiecksverhältnis. Das ist typisch für Mediation in Organisationen. Ist auch bekannt aus den Erfahrungswerten im Coaching beispielsweise. Beim Coaching hat ja auch der Coach die Klärung mit dem Auftraggeber und hat dann die Klärung mit den Klienten in einem anderen Setting.

 

Wie kann man sich dann einen Ablauf vorstellen? Gibt es einen Standard?

Es ist schon so, dass jeder seinen Stil und seinen Standard findet bzw. mehr oder weniger standardisiert vorgeht. Bei mir ist es so, dass ich zunächst mit dem Auftraggeber spreche. Da sitzen in aller Regel noch nicht die Konfliktparteien, um die es geht, mit dabei. Und dann, vor allem, wenn ich merke, Mediation ist schon passend, wir können hier moderierte Klärungsgespräche führen. Dann handhabe ich es ähnlich wie beim Coaching so – im optimalen Fall -, dass es ein „Übergabegespräch“ gibt, dass also die Konfliktparteien und die Auftraggeber (Geschäftsführer, Vorgesetzte, Personalabteilung) und ich als Mediator und die Auftraggeber (die Person die den Auftraggeber personifiziert) zusammen sind und der Auftraggeber den Auftrag an mich übergibt – in Anwesenheit der Konfliktparteien. So dass jeder weiß, welcher Auftrag existiert. Dann können wir nochmal über die Vertraulichkeit reden, die hier nochmal etwas Besonderes ist. Der Auftraggeber hat natürlich ein Interesse daran, zu erfahren, was dabei herausgekommen ist, bei der Mediation. Er hat aber nicht die Möglichkeit den Inhalt und die Details zu wissen. Und das muss eben auch deutlich sein. Dass jeder vom anderen weiß, was weitergegeben wird und was vertraulich behandelt wird. Und dann geht es weiter in die Mediation im eigentlichen Sinne mit den Konfliktparteien. Es endet mit einer Lösungsfindung, Lösungsidee oder in der Vereinbarung einer Testphase. Das wird dann in einem Rückkopplungsgespräch mit dem Auftraggeber wieder übergeben. Der Mediator übergibt den bearbeiteten Konflikt. Der muss nicht und ist auch in den seltensten Fällen gelöst. Sondern man findet Lösungen für das Problem, für das unterschiedliche Engagement. Arbeitsfähigkeit ist wieder hergestellt. Das kann durchaus noch „ruckeln“. Und kann Sinn machen sich in einem Monat oder halben Jahr telefonisch zusammenzuschließen, ob das funktioniert hat oder noch was nachgesteuert werden muss.

Das heißt, was den zeitlichen Rahmen angeht, kann es sein, dass man ein paar Monate später nochmal Kontakt aufnimmt. Gibt es aus ihren Erfahrungen eine ungefähre Zahl, wie viel Sitzungen so eine Mediation dauert?

Weniger ist immer beliebter. Es kostet Zeit und bindet die Ressourcen. Ich sag mal, 2-3 Sitzungen sind meistens in Ordnung, zu je 2-3 Stunden. Mehr ist dann eher eine Prozessbegleitung. Da sollte man sich schon einer Lösung für das Problem angenähert haben. Denn Ziel einer solchen Mediation ist immer Arbeitsfähigkeit wiederherzustellen und nicht die Vorstellung, wir müssen dem Konflikt auf den Grund und Boden gehen und mal richtig für Ordnung sorgen. Wir leben in einer komplexen Zeit, die permanent Konfliktpotentiale parat hält. Wir wissen das alle und wir brauchen uns auch nicht vorstellen, dass irgendwann alles gut ist. Sondern es ist häufig Arbeit, Konfliktpotentiale auszuhandeln und auszutarieren. Und Konflikte, die zur Mediation führen, sind solche, wo sich das Potential über das erträgliche Maß erhoben hat. Und hier gilt es, das wieder glatt zu bügeln und wieder Arbeitsfähigkeit herzustellen.

Hier sieht man dann also wieder den Ansatz, dass man aus der Perspektive der Organisation denkt im Gegensatz zu anderen Mediationsverfahren.

Ja genau. Die Sehnsucht, die vielleicht manchmal bei Personen vorherrscht, dass durch die Mediation alles wieder gut wird, alles anders ist und mein Arbeitskollege plötzlich mein bester Freund werden kann, trifft häufig nicht zu. Und da hat Mediation in Organisationen einen anderen Einstiegswinkel als z.B. Trennungs- und Scheidungsmediation, wo man eine klare Regelung treffen kann, die dann natürlich auch getestet werden muss, wo dann diese Organisation Ehe oder Partnerschaft beendet ist. Und es dann eher darum geht, die Organisation oder wenn man so will, das System Elternschaft, ausgehandelt werden muss. In Mediation in Organisation bleibt es in aller Regel bei dem System, wie es auch während und vor dem Konflikt war (Mitarbeiter, Kollege, Vorgesetzter). Es geht meistens nicht um einer Trennungsklärung. Obwohl das natürlich auch passieren kann, dass einer dann sagt, ich verlass das Unternehmen, wie können wir das am besten machen.

 

Wir sind es nicht gewohnt, in einem Konflikt, in dem wir nach einer Lösung gieren, jemand zu bezahlen, dass er anwesend ist und sich mit uns unterhält, aber keinen Ratschlag gibt, keine Lösung.

Der Mediator macht schon einen Ratschlag, indem er Mediation empfiehlt und für das Verfahren Fachberater ist.

 

Was ist das besondere an Mediation in Organisation im Vergleich zu anderen Konfliktlösungsverfahren? Und was sind mögliche Stolpersteine bzgl. des Gelingens und was besonders günstige Voraussetzungen?

Ja, das sind viele Fragen zusammen. Das Besondere im Vergleich zu anderen Verfahren, die auch Dritte hinzuziehen: den Schlichter, der Richter, ist, dass der Mediator keine Entscheidungskompetenz hat. Einige sagen schon auch, er kann Vorschläge machen und Ideen einbringen. Aber auch das ist durchaus umstritten und eine Stilfrage. Aber im Kern kann er nicht sagen, wie es gemacht wird. Während der Schlichter sagt, wie es am besten gemacht werden kann, er macht einen Schlichtungsvorschlag. Und der Richter sagt: so wird es gemacht und dann müssen die das so machen. Während der Mediator gar nichts inhaltlich zur Sache sagt oder nur in Ausnahmefällen. Und das macht es meiner Meinung nach – die nicht unbedingt Konsens sein muss – so schwer, das Produkt „Mediation“ zu verkaufen. Wir sind es nicht gewohnt, in einem Konflikt, in dem wir nach einer Lösung gieren, jemand zu bezahlen, dass er anwesend ist und sich mit uns unterhält, aber keinen Ratschlag gibt, keine Lösung.

Der Mediator macht schon einen Ratschlag, indem er Mediation empfiehlt und für das Verfahren Fachberater ist. Einzuschätzen, ob Mediation das richtige Verfahren ist. Aber dann sorgt er psychologisch für eine riesige Enttäuschung, wenn er sagt: „ich werde nichts entscheidenund ich kann ihnen nicht sagen, wer Recht hat. Es bringt auch wenig zu sagen, was ich machen würde an ihrer Stelle.“

Sondern eher hat er die Überzeugung, wenn die Konfliktparteien sich vertreten und einigen können, dann ist das die tragfähigste Lösung. Das sind wir Menschen nicht gewohnt, weil wir schon sehr fachlich orientiert sind. Und annehmen, es gibt doch einen Experten für Konflikte und der Mediator ist doch so ein Experte, der muss mir doch sagen, was das richtige ist. Aber dann gibt er nur Prozessvorschläge: unterhalten sie sich mal darüber, was sie wollen, die Interessen und Bedürfnisse dahinter. Das ist ungewohnt. Und am Ende kann man noch nicht mal sagen, ob es zu einer Lösung bzw. Einigung kommt.

Andererseits und gerade in Business-Fragen erlebe ich aber auch, dass den Kunden diese „Zurückhaltung in der Sache“ auch Erleichterung bringt, die Entscheidung nicht weggenommen wird, sie die Hoheit darüber behalten.

 

[Interviewerin]…Ich denke, dass es auch daran liegt, dass nicht von Anfang an klar ist, was der Mehrwert ist, weil die Beteiligten das Ende ja maßgeblich mitbestimmen.

Genau und das Gespräch als Mehrwert zu verstehen, als Klärung und Perspektivenerweiterung…ist eine Erfahrung, diese ist entweder da oder nicht. Wenn das noch nicht erfahren ist, zu sagen, dafür gebe ich Geld aus, mir das zu gönnen und ich mir das auch zumute, dann fällt es schwer, dafür einen Zugang zu bekommen. Und es ist im Grunde genommen ein unerhörtes Produkt, für so eine Unsicherheit viel Geld zu verlangen. Das ist bei einem Anwalt anders oder bei einem Richter, da gibt man viel Geld aus, aber man weiß auch, dass eine wirksame Entscheidung folgt. Das gibt mehr Sicherheit als dieses Unbekannte. Wir sind lieber mit einer schlechten, aber sicheren Entscheidung zufrieden, als mit einer Unsicherheit, das macht es so schwer, Mediation zu etablieren. Und dass – simplifizierend – die schlechte, aber sichere Entscheidung Geld kostet, steigert sie psychologisch eher noch. Während das die Unsicherheit hervorrufende Angebot der Mediation gegen Bezahlung eine hohe Reflexion und emotionale „Vorerfahrung“ benötigt.

Ist es im Umkehrschluss dann so, dass sich Unternehmen erst dann an Mediatoren wenden, wenn schon sehr viel passiert ist. Wenn es schon um drastischere Konflikte geht, wo Sie sich denken, es wäre besser gewesen früher eine Mediation durchzuführen?

Das kann eine Erkenntnis sein, dass, wenn die Mediation ein gutes Erlebnis wird, beim nächsten Mal ein Mediator früher hinzugezogen wird. Danach ist die Erfahrung ja da, dass so ein Gespräch helfen kann. Das muss man aber erst erleben, dass jemand durch Fragen stellen, neue Erkenntnisse befördert. Das ist ja eine der Kernmomente der Mediation: dass der Mediator Fragen stellt und dadurch neue Erkenntnisse bei den Parteien provoziert. Dieser Perspektivenwechsel…und das ist keine Wissensvermittlung, das ist eine Fragenkonsequenz und das lernen wir erst als Gesellschaft und als Menschen. Das hilft nicht so per se, wie auch eine Rechtsentscheidung nicht immer hilft.

Was sind Stolpersteine und was besonders gute Voraussetzungen für eine gelingende Mediation?

Ein Stolperstein ist ganz klar die Vorstellung, da „kommt die Lösung“, die Sicherheit durch falsche Versprechungen, z.B. auch durch den Mediator. Günstige Voraussetzungen sind entsprechend, wenn Menschen schon Erfahrungen damit haben, dass ein Perspektivenwechsel nicht einfach so passiert, sondern provoziert werden muss. Dass man diesen aber kreieren kann. Wenn da Menschen sind, die das kennen und können, ist das hilfreich. D.h. jegliche Erfahrung von Therapie, Coaching, Supervision kann helfen. Das sie einfach mitbekommen, das ist so, wie damals als ich mit guten Freunden oder mit meiner Oma geredet habe und die hat mir geholfen, meine Sicht zu verändern, da habe ich mich gut gefühlt, einfach weil sie mir zugehört hat und sie mich etwas Kluges gefragt hat. Solche Erfahrungen helfen, das Menschen wissen, das macht man, das kann helfen.

Wie verbreitet ist Mediation in Organisation? V.a. bezogen auf soziale Träger, im sozialen Bereich vs. in Wirtschaftsunternehmen?

Generell ist Mediation nicht verbreitet – branchenunabhängig. Das können sie hier: im Blogbeitrag „Kein Grund zur Klage?!“ auch nachlesen. Seit 15 Jahren gibt es in Deutschland viel weniger Klagen, einen dramatischen Rückgang. Aber diese Menschen gehen nicht, obwohl sie ja trotzdem Konflikte haben in die Mediation.Der Bereich ist dadurch nicht gewachsen. Mediation ist als Produkt ein Nischenprodukt, ein klassischer Ladenhüter, wenn man so will. Im Bereich von sozialen Organisationen und Gesundheitsorganisationen (Kliniken, Krankenhäuser, soziale Vereine) da ist Mediation als Name an sich etwas verbreitet, aber die Art und Weise mit Konflikten umzugehen ist viel verbreiteter. Absolut üblich für Teams in sozialen Organisation ist Supervision bzw. Teamsupervision. Das ein Teamsupervisor kommt und Fälle durchspricht oder eben auch Teamsituationen, weil diese Menschen in ihrem Beruf klassische mit Beziehungsdynamiken arbeiten und Beziehungsthemen aufgreifen. Das ist ja das Wesen von Sozialer Arbeit. Dieses Wissen darum, wenn ich mich auf Menschen einlasse, brauche ich auch „psychohygienische Veranstaltungen“, wo ich mich klären kann und nochmal Abstand gewinnen kann, um dann wieder eine gute Arbeit machen zu können. Deswegen ist dort diese Erfahrung von Perspektivenwechsel, Abstand nehmen und mit Beziehungsthemen umgehen viel stärker als in einem Automobilzulieferer oder klassische Industrieunternehmen. Aber, diese Erfahrungen und Ansätze sind stark personengetrieben, es geht um Psychohygiene, nicht um Organisations- und Strategieklärung. 

Supervisionen in sozialen Einrichtungen sind eher Personen- oder Teamveranstaltungen, weniger Organisationsveranstaltungen, Strategie- oder Businessfragen sind hintanstehend.

Ich würde aber dennoch weniger danach gucken, gibt es diesen Titel Mediation häufiger in diesen Unternehmen, sondern sind solche ähnlichen Prozesse wie Prozessberatung intensiver und häufiger im Unternehmen. Ob man die dann Mediation nennt oder Klärungsgespräche, Teammoderation, Teamsupervision, Teamcoaching ist zweitrangig. Mediation hat zwar dieses strukturierte gesetzliche Verfahren durch das Mediationsgesetz, aber vieles was in Mediation geschieht, geschieht auch in anderen Verfahren.

Würden Sie sagen, dass die Freiwilligkeit bei der Mediation in Organisationen anders ist als bei anderen Konflikten?

Ja, das, was nicht bewusst war, als sie den Arbeitsvertrag unterschrieben haben, kann dann als Beschränkung von Freiwilligkeit aufgefasst werden. Aber natürlich weiß jeder, wenn ich da (Mediation) nicht hingehe, dann kann mir das auf die Füße fallen. Dann schauen mich meine Kollegen komisch an, mein Chef wird das nicht verstehen und ggf. werde ich dann beschuldigt, dass ich Schuld bin an dem Konflikt und kann gekündigt werden, wenn der Streit eskaliert. Das ist auch nochmal ein Punkt im Zusammenhang mit Mediation in Organisationen.

Inwiefern nutzen Sie feste Verfahren in der Mediation und inwiefern gehen sie flexibel auf die Bedürfnisse der Klienten ein, je nachdem wie sich der Prozess entwickelt?

Feste Verfahrensbestandteile sind Auftragsklärung, Auftragsübergabe und Auftragsrückübergabe. Was in dem engeren Verfahren geschieht ist meistens etwas offener: Gespräche an einem runden Tisch, im Stuhlkreis; das kann aber auch Workshop-charakter annehmen, wenn es darum geht Ideen zu entwickeln. Alle Methoden der Prozessberatung, der Organisationsberatung und des Teamcoachings willkommen.

D.h. sie benutzen ganz unterschiedliche Methoden – je nach dem was passend ist für das Ziel.

Genau.

 

…das heißt bei Mediationen in Organisationen eben, den Konfliktpersonen die Perspektive der Organisation einzuspielen. Die geht häufig verloren, wenn sich Paul und Paula streiten. Konflikte nicht als schlecht und gefährlich zu sehen, von dem man weggehen muss. Sondern hinzugehen, das genau anzuschauen, das Licht anzumachen und in jede Ecke zu gucken.

 

Was sehen sie als größte Herausforderungen, schwierige Situationen und die schönsten Momente für Sie als Mediator in der Mediation?

Die größte Herausforderung ist immer das es soweit kommt: den Schritt zu wagen, zur Mediation zu gehen und zu sagen, ich lasse mich darauf ein. Dafür zu werben und das deutlich zu machen, wo dabei der Mehrwert ist, das ist für mich die größte Herausforderung.

Das zeigen auch Statistiken, die Skepsis, dass Mediation selten zustande kommt, aber wenn, wird es häufig bis zum Schluss geführt und auch mit hoher Zufriedenheit. Es geht „sehr schnell“ zu Gericht, aber die Zufriedenheit mit dem Ergebnis ist viel geringer. Während es in die Mediation zu schaffen die größte Herausforderung ist. Und für Organisationen heißt das, dass Mediatoren dieses Standing auch bekommen, wie es Organisationsentwickler oder Teamcoach haben, dass wir reguläre Ansprechpartner sind für Konfliktpotentiale und heikel Gespräche. Moderatoren, Mediatoren, dass diese externe Perspektive genutzt werden, als größte Herausforderung.

Und die schönen Momente sind einfach die Erfolgsmomente, ganz lapidar, wenn wir die AHA-Effekte erleben: „So habe ich das gar nicht gesehen, das war mir gar nicht klar, dass du das so gemeint hast, als du das gesagt hast, ich habe gedacht, du würdest…“. Da findet Perspektivenwechsel und AHA-Effekte statt. Das sind die schönen Momente.

Wer kann Mediator werden? Welche persönlichen Kompetenzen, formelle Bildung? Wie wird man guter Mediator?

Formal kann das jeder werden, ohne Begrenzungen. Die Ausbildung ist häufig an formelle Voraussetzungen geknüpft wie Berufserfahrungen, abgeschlossenes Studium o.ä. Ob es einem liegt, zeigt sich meistens in der Arbeit. Es braucht schon eine gewissen Zugewandtheit zu anderen Menschen, Interesse an anderen Menschen. Es ist ein hohes Engagement, das beide Perspektiven in die Kommunikation kommen. Es braucht Neugierde darin, wie passt das zusammen, was scheinbar nicht zusammenpasst. In der Mediation sitzen häufig Leute, die zusammengeführt worden sind durch den Konflikt – wenn sie nichts verbinden würde, würden sie nicht in der Mediation sitzen. Konflikt kann sehr verbindend sein. Und diese Perspektive einzuschleusen, wo ist das Gute in diesem Schlechten, wie wir den Konflikt häufig sehen. Das ist der Perspektivenwechsel, den Mediatoren anbieten. Und das heißt bei Mediationen in Organisationen eben, den Konfliktpersonen die Perspektive der Organisation einzuspielen. Die geht häufig verloren, wenn sich Paul und Paula streiten. Konflikte nicht als schlecht und gefährlich zu sehen, von dem man weggehen muss. Sondern hinzugehen, das genau anzuschauen, das Licht anzumachen und in jede Ecke zu gucken. Und damit mitzubekommen, es ist nicht nur, nicht schlimm, sondern richtig hilfreich. Und daran Freude zu haben, diesen Lernprozess zu ermöglichen, das braucht es, um Mediator oder Mediatorin zu werden.