Modell der Konfliktmanagement-Ebenen

25 Grundlagen von Mediation (9)

Das folgende Modell der Konfliktmanagement-Ebenen geht in seinen Ursprüngen auf G. Schwarz zurück und verdeutlicht einen Entwicklungsprozess, den sowohl Individuen als auch Gruppen und Gesellschaften durchlaufen – oder nicht. Es deklariert fünf voneinander unterscheidbare Ebenen, die eigenen Regeln und Anforderungen unterliegen und die jeweils spezifische Anforderungen an den Entwicklungsgrad der sozialen Kommunikation und ihrer Begleiterscheinungen aufweisen.

Zudem werde ich treibende Ideen der einzelnen Ebenen darstellen, die die Übergänge fordern und fördern.

Die Unterscheidung zwischen den verschiedenen Ebenen im Umgang mit Konflikten ist entscheidend. Dabei lassen sich die Stufen des Ausweichens und Kämpfens von denjenigen abgrenzen, auf denen Dritte im Konflikt aktiv werden. Diese Dritten sind in der Regel entweder in der Delegation oder Vermittlung tätig, und sie wiederum unterscheiden sich von den Verhandlungsebenen, auf denen die Konfliktparteien (wieder) ohne die Hilfe von Dritten agieren. Grafisch nimmt sich das in etwa so aus:

Ausgangspunkte des Modells der KM-Ebenen

Dass es sich um Ebenen handelt, soll verdeutlichen, dass die vorherige Ebene stets vorhanden bleibt und potenziell weiterhin zur Verfügung steht. Das Modell bewertet die einzelnen Ebenen nicht. Es gibt keine Ebene bzw. Bearbeitungsmethode, die per se besser oder schlechter, moralisch vorzugswürdiger oder verwerflicher als andere sei. Es obliegt den Beteiligten, angesichts der Kontextbedingungen (z.B. Rechtssystem) eigenverantwortlich zu entscheiden, welche Methode die für sie beste ist.

Das Modell weist darauf hin, welche Möglichkeiten grundsätzlich existieren und wo sich die eigene Wahl verorten ließe. Insoweit bietet es eine mentale Landkarte zur Analyse und weiteren Vorgehensweise in Konfliktsituationen und kann entsprechend anregend wirken, die eigenen Präferenzen zu reflektieren und gegebenenfalls die bisher genutzten Möglichkeiten zu erweitern.

Die Ausgangsperspektive für das Modellieren erkennbarer Konfliktbearbeitungsmethoden sind die Anforderungen an die soziale Kommunikation der Beteiligten. Auf der Ebene des Ausweichens besteht ein relativ geringer Anforderungsanspruch an die sozialen Interaktionsformen. Oder einfach ausgedrückt: Wenn einer ausweicht, merkt‘s der andere. Es bedarf keiner größeren Anstrengung, um sich verständlich mitzuteilen.

Damit ist der Konflikt keineswegs immer beendet, vielmehr kann er dadurch auch erst auf einer anderen Ebene bearbeitet werden. Zum Beispiel hat in Kriegszeiten das Hissen der weißen Flagge den Kampf durch „Ausweichen“ zwar beendet, oftmals aber erst Verhandlungen zwischen den Kriegsparteien ermöglicht oder sogar abgerungen (Was geschieht mit den Gefangenen? Und überhaupt jetzt?). Das Beispiel zeigt, dass relativ leicht zwischen den Ebenen bzw. Methoden oszilliert werden kann.

Während die soziale Interaktionsform des Ausweichens relativ trivial ist, steigern sich die Anforderungen an die Selbst- und Sozialkompetenzen auf den anderen Ebenen, sodass sich aus dieser Perspektive erst die Ebenen der Vermittlung und des Verhandelns als komplexe Anforderungsebenen darstellen.

Nun ist vom systemtheoretischen Standpunkt aus betrachtet jede Kommunikation zwischen Menschen komplex, weil Menschen „komplexe Systeme“ bzw. „nicht-triviale Maschinen“ (Heinz von Foerster) sind. Insoweit könnte eine Ungenauigkeit vorliegen, wenn das Modell das Ausweichen oder das Kämpfen als trivial bzw. einfach bezeichnet.

Allerdings handelt es sich hier um unterschiedliche Fragestellungen. Im Kontext von Konflikten ist Flüchten, Ausweichen oder Kämpfen zwar keine besonders komplexe Angelegenheit, kann jedoch in der Praxis mitunter problematisch sein.  Welches Verständnis derjenige aus der Flucht oder dem Angriff des anderen entwickelt, ist für den Flüchtenden oder Kämpfenden nicht vorhersehbar. Dieser Aspekt der Kommunikation ist komplex. Das Agieren als solches nicht.

Die fünf Ebenen der Konfliktbearbeitung: 

Ausweichen – Kämpfen – Delegieren – Vermitteln lassen – Verhandeln

Ausweichen und Kämpfen

Kampf- und Fluchtreaktionen, die sich gut in unserer neurobiologischen Struktur und in unserer „hormonellen Stressachse“ (Bauer) zeigen, sind unsere ursprünglichen Konfliktreaktionen. Ihr Vorhandensein sichert uns eine effektive Flucht und damit das Überleben, sofern dies notwendig wird. Sie helfen uns nicht nur in urwaldähnlichen Situationen, wenn wir mal einem gefährlichen Tier gegenüberstehen, was doch für die meisten von uns gewiss selten geworden ist. Doch auch im Großstadtdschungel gibt es mal die ein oder andere Situation, in der ein sofortiges, unüberlegtes Ausweichen ganz hilfreich sein kann. Aktiviert wird unsere hormonelle Stressachse jedoch viel häufiger in unseren alltäglichen Konfliktsituationen mit unseren Vorgesetzten, Lebenspartnern, Geschäftspartnern, etc..

Wir Menschen „bevorzugen“ grundsätzlich das Flüchten gegenüber dem Kämpfen, wobei hier der physische Kampf gemeint ist, nicht der Verbalkampf, der eine Form der kompetitiven Verhandlung ist. Physischer Kampf umfasst jegliche Formen der Konfliktaustragung durch körperlichen Kontakt mit Vernichtungs- oder Unterwerfungswillen. Der andere wird in seinem So-Sein nicht akzeptiert und bekämpft. Dabei entspringt derartiges aggressives Vorgehen nicht einem „Kampf ums Überleben“, sondern einem Gestaltungswillen gelingender Beziehungen (zu Dritten).

Delegieren

Kann der Konflikt nicht kämpferisch gelöst werden, weil nur Pyrrhussiege (also zu teuer erkaufte Erfolge) möglich wären und jede Flucht verbaut ist, bedarf es eines Dritten, um der gemeinsamen Pattsituation zu entkommen. An diesen Dritten werden bestimmte Entscheidungskompetenzen delegiert. In der intensivsten Delegationsform handelt es sich um einen entscheidenden Dritten, der über die Konfliktparteien und ihre Situation richtet, damit sie sich nicht selbst zugrunde richten. Dieser Dritte heißt konsequenterweise Richter.

Wird nicht gerichtet, sondern werden nur Empfehlungen ausgesprochen und können derartige Lösungsvorschläge auch abgelehnt werden, agiert strukturell ein SchlichterSchiedsrichter sind – nomen est omen – auch Richter, die jedoch von den Beteiligten selbständig ausgewählt werden dürfen.

Vermitteln lassen

Ein enormer Schritt in der gemeinsamen Gestaltung der (Konflikt-)Beziehung wird getan, wenn die Beteiligten einen Dritten hinzuziehen, ihm aber jede Entscheidungskompetenz in der Sache vorenthalten und ihn nicht damit beauftragen, eine Lösung des Konflikts zu finden, sondern die Parteien beim Finden einer solchen Lösung zu unterstützen. Diese dritte Person heißt dann Mediator oder, mit noch weniger Befugnis zu Interventionen, Moderator.

In der Mediation und auch in der Konfliktmoderation geht es mit der Hilfe einer dritten Person darum, eigenverantwortliche und konstruktive, also lösungsorientierte Verhandlungen zu führen. Dafür stehen Mediatoren und Moderatoren zur Verfügung. Die Beteiligten merken, dass sie ihren Konflikt letztlich selbst lösen müssen und im Grunde auch wollen, aber offenbar noch nicht können – und installieren dafür einen Dritten, der ihnen hilft, gewaltfrei und ebenbürtig zu kommunizieren und nicht (wieder) in verbale Gegnerschaft zu verfallen.

Deshalb achtet die dritte Person weniger auf die vordergründigen Konfliktgegenstände (Positionen), sondern mehr auf die oftmals nur leise anklingenden Konflikthintergründe (Interessen). Der Dritte regt die Beteiligten an, mehr diesen ‚Hintergrundgeräuschen’ zu lauschen, statt sich auf das Offensichtliche zu stürzen, was oft nur Oberflächliches, in Anfängen erst Benennbares enthält. Als „gemeinsamer Dritter“ achtet die vermittelnde oder moderierende Person auf die konstruktiven Elemente und verfolgt nicht die sich anbietenden Ansätze destruktiver Konfliktbearbeitung.

(Du willst mehr zum Dritten im Konflikt erfahren, dass schau Dir diesen Beitrag hier an.)

Verhandeln

Die umfassendste Ebene der Konfliktbearbeitungsmethoden führt „zurück“ zur Eigenständigkeit. Das Dreieck wird aufgelöst, der Dritte wird entlassen. Nun gilt es, gewachsen im Konflikt, wieder eigenständig zu agieren und auf diese Weise konstruktiv gemeinsam zu gestalten. Soweit die Parteien die Delegations- und Mediationsebene „übersprungen“ haben, verhandeln sie oftmals mit einer inneren Haltung der Gegnerschaft, also kompetitiv. Soweit sie sich jedoch als ebenbürtige und gleichberechtigte Verhandelnde verstehen, die fair und gewaltfrei ihre soziale Beziehung zufriedenstellend gestalten möchten, verhandeln sie kooperativKompetitive Verhandlungen führen allenfalls zu Kompromissen, kooperative Verhandlungen ermöglichen Konsense.

Wichtig zu betonen ist, dass die einzelnen Ebenen als Potenziale stets vorhanden sind und bleiben. Es ist ein kognitives Modell, das der Einordnung der Konfliktkommunikation dient und dadurch helfen soll, die eigenen Möglichkeiten zu erweitern. Tatsächlich sind alle Ebenen bedeutsam und die Wahl, welche genutzt wird, kann nur im konkreten Konfliktfall getroffen werden. Hilfreich ist dabei, wenn die eigene Persönlichkeit derart gereift ist, dass auf alle Ebenen grundsätzlich zugegriffen werden kann und keine mentalen Einschränkungen bestehen. Mentale Einschränkungen sind etwa (unbewusste) Vorurteile („Der ist so, mit dem kann man nicht reden, da hilft nur eins auf die Fresse!“) oder („Ich darf mich nicht gewaltsam zur Wehr setzen, auch wenn die andere mich schlagen will…ich muss flüchten oder mich unterwerfen.“).  Sie sind ihrer Art nach MUSS-Vorstellungen, die die vorhandenen Möglichkeiten begrenzen und abwerten. Die Transaktionsanalyse kommt ihnen mit dem Abwertungskonzept bzw. der -matrix bei. Förderlich ist zudem, wenn die eigene Entscheidung autonom und angesichts der guten Gründe der Andersartigkeit des Anderen getroffen wird. Hierbei geht es um Fähigkeiten wie Empathie, Voraussicht und Ok-Ok-Haltung.

Vertiefung: Mit Recht delegieren und mit Mediation lernen

Delegation erfolgt in unseren Tagen häufig im Namen und im System des Rechts. Da das staatliche Rechtssystem das maßgebende Delegationssystem ist, kommt ihm eine entscheidende Bedeutung im Rahmen des Modells der Konfliktmanagement-Ebenen zu.

Zwei wichtige Merkmale des Rechtssystems für das Allgemeine Konfliktmanagement interessieren hier. Einerseits die Machtkomponente des Rechts. Der Richter bzw. die Richterin verkörpert das Gewaltmonopol. Damit ist eigenmächtige Gewalt der Beteiligten unterbunden. Eine zivilisatorische Errungenschaft sondergleichen. Zum anderen lädt das Rechtssystem zu – in recht/unrecht binär codierten – Kommunikationen ein, also zu Verbalkämpfen. So wie die Delegationsebene hierdurch die physischen Kämpfe beendet, beendet die Mediation dank ihres Ausgleichs- und Vermittlungsgedanken die Verbalkämpfe.

(Du willst mehr zu den Leitideen und Basisgedanken der Mediation erfahren, dann findest Du hier einen eigenen Blogbeitrag.)

Mediation und Recht – fundamentale Differenz für den Dritten

Ist der Weg zurück zur Gewalt durch das Delegationssystem versperrt, geht‘s nur in die andere Richtung: Der Dritte „erhält“ andere Kompetenzen und Aufträge, den Beteiligten zu helfen, sodass sich das Angebot der Mediation vom Rechtssystem fundamental ändert. Während das Recht bestrebt ist, physische Befriedung zu erreichen, strebt die Mediation danach, die Möglichkeiten der Beteiligten generell mit Blick in die Zukunft auszuloten. Während das Recht (den Status quo ante) konserviert, aktiviert die Mediation zukunftsorientiert. Diese Aktivierung wird v.a. vom sog. Transformationsgedanken getragen.

Damit ist bereits angedeutet, was sich später noch deutlicher zeigen wird: Das Delegations- bzw. Rechtssystem bietet eine Lösung für das Gewaltproblem, nicht aber für den sozialen Konflikt als solchen. Die Parteien mögen die Richterentscheidung nutzen, auch ihren sozialen Konflikt zu beenden, gleichwohl bleibt das ein Nebeneffekt aus der Sicht der Richterperson. Maßgebend ist für sie, dass der Konflikt nicht weiter in Kampf und Gewalt eskaliert.