Win-Win oder der Siegeszug des Harvard-Verhandlungskonzepts in der Mediation

Vor einigen Wochen habe ich etwas zu den verschiedenen Stilen von Mediation geschrieben und sie in drei grundsätzliche Strömungen untergliedert. Dafür war es hilfreich, einen betont sachbezogenen Stil, einen vorrangig verfahrensbezogenen Stil und sog. transformative Stile zu unterscheiden.

Heute möchte ich zum sog. Harvard-Verhandlungsstil ausführlicher werden. Es handelt sich wohl um die verbreiteste Art, Verhandlungen praktisch zu denken und durchzuführen, wenn man das überhaupt quantifizieren kann. Jedenfalls scheint es der verbreiteste Stil innerhalb der Mediationsszene zu sein, weil wohl keine Mediationsausbildung umhin kommt, auf das zugrundeliegende Harvard-Verhandlungskonzept ausführlicher einzugehen. Auch wenn es nicht explizit für Mediationen kreiert wurde, wird es von Mediator_innen auf der ganzen Welt empfohlen.

Hervorgegangen ist es aus den Harvard-Verhandlungsstudien, die im Zuge diplomatischer Krisensituationen im Rahmen der israelisch-palästinensischen Verhandlungen im Camp David unter Jimmy Carter ab 1978 etabliert wurden.

Grundüberlegung des Harvard Verhandlungsstils

Alle Menschen verhandeln tagtäglich und wollen dabei ihre persönlichen Wünsche und Ziele verwirklichen. Dies geschieht in den verschiedensten Situationen, oft auch nebenbei. Selten wird dabei bewusst verhandelt oder unter diesem Titel gesprochen. Verhandlungen sind derart alltäglich, dass sich kaum jemand darüber Gedanken zu machen scheint.

Als Verhandlungen werden an sich nur schwierige Gespräche bezeichnet, in denen ein negatives Ergebnis droht oder sich generell geeinigt werden muss. Da greift der Glauben um sich, Kompromisse schließen zu müssen. Arbeitsplatzsuche, Berwerbungsgespräche führen, Personal einstellen, andere überzeugen müssen, Geld zu verleihen oder mit hohem Risiko zu geben, andere Menschen um einen riskanten Beitrag zu bitten, etwa eine Zustimmung oder Genehmigung oder sonst eine Gesprächssituation, die für einige mit erheblicher Pulserhöhung einhergehen würde.

Als Ergebnis von Verhandlungen erscheinen daher oftmals Kompromisse erstrebenswert oder gar notwendig. Jeder muss sich doch ein bisschen zurücknehmen oder etwas abgeben. Und wenn solche Kompromisse nicht gefunden werden, wird auf „Härte“ und „Unnachgiebigkeit“ umgestellt oder auf Selbstaufgabe und Gutmütigkeit („Der Klügere gibt bekanntlich…“).

Das Harvard-Konzept bietet eine dritte Alternative an, die diese Entschlossenheit in der Sache mit einer Sensibilität gegenüber dem Verhandlungspartner verbindet. Dieser Verhandlungsansatz wird Harvard-Verhandlungsstil genannt, der auch im Rahmen von Mediationen angewendet wird.

Destruktive Verhandlungsdynamiken aufheben

Das Harvard-Prinzip ist wohl das bedeutendste Konzept der sachbezogenen Mediation. Es basiert auf den Analysen der spieltheoretischen Konfliktforschung, die bestimmte destruktive Verhandlungsdynamiken aufzeigten. Zum Beispiel wird in schwierigen Gesprächen früher oder später unbedacht angenommen, dass der Verhandlungspartner das Problem ist – und nicht die gemeinsame Differenz in der Sachfrage.

Sehr beliebt sind derartige Problempersonalisierungen mit küchenpsychologischen Erklärungsmodellen angereichert: “Der ist halt stur! Das hat er vom Vater! Der war auch schon so…”.

Die Vorstellung des Harvard-Konzepts ist, dass, wenn eine ökonomische Rationalität in der Verhandlung (Platz) greift, eine Win-Win-Situation erkennbar wird, die zu einer konstruktiven Lösung führt (Ja, genau! „Win-Win“, das Credo der Mediation entstammt genau diesem Verhandlungsstil!). Dem ganzen  liegt die Vorstellung zugrunde, dass es eine optimale und objektiv feststellbare Lösung tatsächlich gibt und dass diese gemeinsam in der Verhandlung bzw. Mediation gefunden werden kann. Deshalb wird nach dieser Lösung anhand objektiver Bewertungsmaßstäbe gesucht.

Konsequent auf dieser Linie wird in der Mediationsszene etwa die Einigung, dass sich in der konkreten Streitfrage nicht geeinigt werden kann, als Misserfolg gewertet. Insoweit kann die Harvard-Methode für einige Mediator_innen durchaus als „erfolgsgetrieben“ erscheinen.

Handlungsansätze für eine Win-Win-Situation

1. Die Sachprobleme müssen von den Persönlichkeiten der Verhandlungsbeteiligten getrennt werden.

Die Personen sind nicht das Problem – auch wenn sie sich so benehmen. Das verleitet nur, das eigentliche Ziel aus den Augen zu verlieren und persönliche Animositäten zu große Bedeutung beizumessen.

2. Es müssen Lösungsoptionen entwickelt werden, aus denen ausgewählt und anhand derer verhandelt werden kann.

Vor allem beim Suchen von Optionen, die im Idealfall beiden Seiten den grösstmöglichen Nutzen bringen, ist Kreativität gefragt. Es sollte versucht werden, sich nicht auf die angeblich einzig denkbare Lösung zu fixieren.

3. Die Interessen der Beteiligten sollten offen gelegt werden und im Mittelpunkt stehen, nicht ihre Positionen.

Denn es sind die Interessen, die Menschen miteinander verbinden können und im Wege kooperativen Umsetzens erfüllbar werden. Besser als allein. Das ist überhaupt der Kern des mediativen Ansatzes!

4. Zur Entscheidung für eine Lösung sind möglichst neutrale Kriterien (gesetzliche Regelungen, ethische Normen etc.) heranzuziehen. Dieses Prinzip ist ursächlich dafür, die Harvard-Methode als sachbezogen zu bezeichnen.

Diese Vorgehensweisen hilft zunächst einmal, Basarverhandlungen zu vermeiden, in denen “bloß” gefeilscht wird.

Feilschen macht zwar Spaß, aber nur, wenn es um Wenig geht. Oder, wenn andere es tun.

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Das Harvard-Konzept geht hingegen davon aus, dass durch objektive Bewertungskriterien ermöglicht wird, dass die guten Beziehungen der Parteien zueinander erhalten bleiben. Auch schützen sie davor, unter moralischen Druck gesetzt zu werden, da die Verhandlung auch unterbrochen werden kann, bis der andere zu einer sachbezogenen Verhandlungsart zurückfindet. Da die Interessen und nicht die Positionen im Mittelpunkt stehen, wird verhindert, dass die Beteiligten auf ihren Positionen herumreiten.

Aktives Zuhören

Das Harvard-Konzept besteht aber nicht bloß aus berechnenden Regeln, sondern  erkennt z.B. den großen Wert einer tragfähigen Arbeitsbeziehung sowie eines entspannten Arbeitsklimas an. Deshalb legt es eine besonders große Bedeutung für den Erfolg auf das aktive Zuhören im Verhandlungs- bzw. Mediationsprozess. 

Verständnis entwickeln, ohne Einverstanden sein zu müssen

Ein weiterer wichtiger Punkt ist, dass Verständnis für die Gegenseite entwickelt wird, ohne mit allem einverstanden sein zu müssen. Jemanden verstehen heißt eben nicht, auch mit den Positionen oder Ansichten einverstanden sein zu müssen. Verständnis reicht aber, um die Kooperationsbereitschaft zu erhöhen.

Für Verhandlungen heißt das, dass es kein Widerspruch ist, dem anderen freundlich und offen zu begegnen und zugleich für seine eigene Sache entschieden einzutreten. “Gerade, weil ich Dich in Deiner Persönlichkeit und Andersartigkeit schätze, mute ich mich Dir mit meinen anderen Ansichten und Wertvorstellungen zu.” – könnte die zwischenzeilige Botschaft lauten.

Zugleich ist darauf hinzuweisen, dass die Harvard-Prinzipien auch dazu dienen, die eigene Emotionalität in Verhandlungen „einzurahmen“ und in den Hintergrund treten zu lassen. Hier gilt es einerseits, sich darin zu üben und andererseits diese Emotionen gegebenenfalls an anderer Stelle zu versorgen und nicht vollkommen ins unsichtbare Abseits zu drücken.

Dieses Training lohnt sich jedoch, weil es in kritischen Verhandlungen zu Gewinnen für beide Seiten kommt, die vorher nicht erkennbar waren. Und in diesem Sinne handelt es sich beim Harvard-Prinzip um eine wahrhaft kreative Methode.  Auch deshalb eignet sie sich hervorragend für die Aufgabenbewältigung in Mediationen.

Habt Ihr persönlich mit der Harvard-Methode Erfahrungen sammeln können?

Was hat denn bei Euch gut funktioniert in diesem Zusammenhang? Das würde mich an dieser Stelle besonders interessieren, freue mich aber auch über sonstige Kommentare und Hinweise! Auch wenn es etwas nicht wie gedacht funktioniert hat…