Interessen und Positionen

25 Grundlagen von Mediation (11)

Das Verhältnis von Positionen und Interessen ist von grundlegender Bedeutung für die Mediation. Dem liegt die Vorstellung zugrunde, dass Interessen miteinander vereinbar sind, während die Positionen sich in Konflikten nur verhärten können.

Die Begriffe selbst bedürfen jedoch einer kontinuierlichen Definitionsarbeit; von einem letztgültiges Verständnis kann nicht ausgegangen werden. Eine Standarddefinition jedenfalls hat sich bisher – soweit ersichtlich – noch nicht durchgesetzt.

Ich möchte Euch diese beiden zentralen Begriffe vorstellen und fragen, inwieweit Ihr in Mediationen mit diesen Begriffen umgeht. Schließlich ist es eine weit verbreitete Vorstellung, dass Konflikte in Mediationen entlang der gegebenen Interessen zu bearbeiten seien und dies den größten Erfolg verspricht. Zuvor möchte ich Euch jedoch ein paar Vorschläge aus der Mediationsliteratur vorstellen.

Interessen „verbergen“ sich hinter den Positionen

In der Literatur zur Mediation herrscht die Vorstellung, dass sich hinter den eingenommenen Positionen die „wahren“ Interessen der Beteiligten „verbergen“ würden. Da die Positionen sich verfestigt haben und starr sind, führen sie zum Konflikt. Positionen verknüpften dabei eine einseitig definierte Problemsituation mit einer einseitig vorteilhaften Lösung, heißt es bei Bastine, einem bekannten Mediator. Die zugrunde liegenden Interessen hingegen könnten zum Konsens führen und müssen in der Mediation herausgearbeitet werden.

Interessen sind im Kontext dieser Vorstellung in aller Regel generell formulierte Wünsche, weniger konkret als handlungsauffordernde Positionen. Interessen seien also allgemeiner Natur und abstrakte Umschreibungen, während Positionen konkret und eindeutig handlungsorientiert sind.

Analogie: Das beschriebene Verhältnis ist vergleichbar mit dem (abstrakt-generell formulierten) Gesetz, das den gesetzgeberischen Willen formuliert, und dem konkret-individuellen Verwaltungsakt, der möglichst eindeutige Forderungen enthält.

Nach einer Definition Fritjof Hafts, einem bedeutenden deutschen Strafrechtsprofessors, drückt sich in den Positionen, die die Konfliktparteien eingenommen haben, lediglich ein „Wunschtraum für eine erhoffte Zukunft“ aus. Positionen beschreiben danach, wie sich die Parteien ihre Zukunft vorstellen. Da es aber nur eine Zukunft geben könne, kann immer eine der gegensätzlichen Vorstellungen nicht verwirklicht werden, weshalb es zum Streit kommt. In den Positionen kann also die Ursache des Konflikts entdeckt werden.

Leider lässt sich aus dieser Feststellung nicht viel mehr ableiten, als dass die Parteien wahrscheinlich weniger Streit hätten, wenn ihre Positionen nicht so stark ausgeprägt wären. Übersehen wird von Haft, dass Interessen auch lediglich Wunschträume und Wunschvorstellungen sind. Auch sie sind auf die Zukunft gerichtet und können nicht viel mehr als Wünsche und Hoffnungen verdeutlichen. Und wenn es stimmt, dass die Positionen konfliktursächlich sind, aber auf den verborgenen Interessen beruhen, dann sind – nach dem Gesetz von Ursache und Wirkung – diese zugrunde liegenden Interessen die eigentlichen, wahren Ursachen für den Konflikt. Dann allerdings könnte man gleich das Leben der Beteiligten als – den Interessen zugrunde liegende – Ursache herausfischen und dieses für den Konflikt „verantwortlich“ machen.

Wenn Positionen und Interessen (in sich) zusammenfallen

Zudem gibt es „Fälle“, in denen Interessen genau durch die Positionierung durchgesetzt werden bzw. quasi deckungsgleich miteinander sind. Gerade vor Gericht kann es ein antriebsstarkes Interesse sein, seine Position zu verteidigen und durchzusetzen. Denn das eigene Recht, das immer auch eine Rechts- und Anspruchsposition ist, durchzusetzen, ist auch ein berechtigtes Interesse. Hier ist es nicht selten, dass sich Interessen nicht hinter den Positionen verbergen, sondern beide zusammenfallen, wenn nicht sogar identisch sind. In diesem Falle werden Konfliktmittler Schwierigkeiten haben und unterstellen müssen, dass sich doch noch was dahinter verbergen müsse. Es ist nicht nur Realität, sondern auch ein akzeptables Interesse, dass Menschen den Wunsch entwickeln, „einem anderen mal ordentlich die Meinung“ zu sagen. Ein solches Anliegen, Interesse und Bedürfnis können zwar mit Bastine als  „sekundäre Anliegen“ bezeichnet werden, jedoch bleibt es eine externe Bewertung, die den – wie auch immer gearteten – „primären persönlichen Anliegen“ den subjektiven Vorzug gewähren.

Ziel der Mediation: Vereinbarungen vertraglich festlegen

Du möchtest mehr über Mediation erfahren, dann schau‘ Dir doch diese Beiträge gleich mal an:

Widersprüchlich ist die Vorstellung, dass die Positionen die bad guys sind und die dahinterliegenden Interessen die good guys, betrachtet man das Ziel eines Mediationsverfahrens: Ein Großteil mediativer Arbeit besteht darin, die Beteiligten „von ihren Positionen herunterzuholen und abzubringen, so dass sie darauf nicht mehr bestehen“, sondern Flexibilität aufkommt, indem die Interessen miteinander verwirklicht werden. Eine erfolgreiche Mediation wird aber nicht festgestellt, wenn die Beteiligten frei von Positionen wären. Nein,  als so richtig erfolgreich gilt eine Mediation erst dann, wenn am Ende ein Vertrag aufgesetzt ist, der rechtlich wirksam und abgesichert und damit ganz schön fest Positionen festlegt. Eine derartige gerichtsfeste Vereinbarung am Ende einer Mediation ist geradezu das Erfolgsmerkmal einer Mediation. Die Festigkeit der (neuen und rechtlich abgesicherten) Positionen bestimmt die Qualität der Mediation. Die anfänglich verteufelte Ursache von Konflikten wird zum Erfolgsmerkmal gelungener Mediationen. Aber, um nicht missverstanden zu werden, all das spricht nicht gegen eine gerichtsfeste Vereinbarung, sondern soll lediglich anregen, über die Konzeption und Wirkungsweise von Mediation nachzudenken.

Das einfache Kausalitätsmodell von zugrundeliegenden Interessen und vorgeschobenen  und sich verfestigten Positionen stempelt mediative Arbeit zur „Schatzsuche“ ab oder zu einer Art „Puzzlespiel“, bei dem es darum geht, die richtigen Interessen für die richtige Lösung zu finden. Und nicht selten bestimmt dann der wirkmächtige Dritte, was richtig und förderlich ist, und was nicht. So kommt es vor, dass Interessen, die dem Mediationsprozess abträglich erscheinen, als „sekundäre Interessen“ behandelt werden und die „persönlich primären Interessen“ von der Konfliktvermittlerin festgelegt werden.

Die Mediation wirkt zirkulär

Mediation ist kein Findungsprozess im materiellen Verständnis. Es wird nichts gefunden, was auch ohnehin da wäre. Sondern es ist ein Entwicklungsprozess, in dem das entsteht, was am Ende (heraus-)gefunden wird. Es geht nicht darum, die richtigen Interessen zu finden, die sich irgendwo (vielleicht noch im Unterbewusstsein) verborgen halten. Vielmehr geht es darum, wahrlich kreativ zu werden, Neues, Nichtbesprochenes, Nichtausgesprochenes und damit Nochnichtexistentes der gemeinsamen Beziehung zu kreieren, zu schaffen und zu beleben. Das ist die kreative Kraft von Mediation, ist Kreationsarbeit.

Praktikern ist das schon längst aufgefallen; Alles kann Position und Interesse zugleich sein. Jedes Verlangen, ob nun auf Geld, ein Tun, ein Unterlassen. Die übliche Kausalvorstellung hilft dann nicht weiter.

Vorschlag

Um was handelt es sich dann? Was ist die maßgebende Differenz zwischen Positionen und Interessen?

Der Begriff „Position“ entstammt dem Lateinischen (positio) und bedeutet übersetzt „Stellung“ oder „Lage“, „Ein-Stellung“ oder „Stand-Punkt“, aber auch (Einzel-) “Posten“. „Interest“ ist ebenfalls Lateinisch und bedeutet, dass jemandem „etwas von Wichtigkeit ist“ bzw. „jemandem etwas daran liegt“, dass „jemand Anteil nimmt“ und „achtsam ist“.

Für Vermittlungstätigkeit maßgebend sind nun nicht Kausalitäten, sondern die Bezüge zur Umwelt des Interessierten. 

Interessenbekundungen können einen Umweltbezug aufweisen, können sich beispielsweise auf andere Menschen beziehen, müssen das aber nicht. Positionen ihrerseits haben nicht nur immer einen Umweltbezug, sondern dieser ist stets auch beanspruchend, aggressiv im ursprünglichen, nicht im moralischen belasteten Wortsinne, „nach Außen, in die Umwelt greifend“. Der sich Positionierende greift nach der Umwelt, beansprucht sie, letztlich ohne ihr eine Wahl oder Entscheidung darüber zu lassen. Eine Position ist nie ohne einen beanspruchenden Bezug zur Umwelt denkbar. Sie ist nicht bloß eine Meinung, auch wenn Medianten das häufig behaupten („Ist das doch bloß meine Meinung, dass er ein falscher Fuffziger ist, dass kann mir keiner nehmen.“). Außerdem stellt sie zur Umwelt einen für diese Umwelt merklichen Bezug her. Die Position ist ohne diesen Bezug zur Umwelt unmöglich zu verstehen oder gar zu verwirklichen.

Ein Interesse, auch ein kundgegebenes, weist diese Umweltbeanspruchung nicht (zwangsläufig) auf. Der interessierte Mensch offenbart sich ausschließlich seiner Umwelt, muss aber nicht einen „aggressiven“, beanspruchenden Bezug zu ihr herstellen. Anders der Positionierte, der die Umwelt beansprucht und in diesem Sinne „begehrt“.

Positionierende geben sich der Umwelt nicht nur zu erkennen, sondern wagen es zudem, etwas von ihr einzufordern. Nicht selten hat das zur Konsequenz, dass diese Person genau deshalb auf Ablehnung trifft, was wiederum eine stärkere Beanspruchung (sprich: Positionierung) zur Folge hat und so weiter und so weiter… Jeder kennt das aus Debatten und Diskussionen.

Weniger sind Positionen jedenfalls nicht. Sie sind Fixpunkte der eigenen Welt in der Umwelt und stehen deshalb stets „vor“ den Interessen. Sie sind die Anschlussstellen der Interessen zur Umwelt. Der sich positionierende Mensch kommt folglich ebenso wenig umhin, sich als – an seiner Umwelt – interessierter Mensch zu zeigen.

Wenn der interessierte Mensch seine Umwelt beanspruchen möchte, muss er eine Position einnehmen. Stellvertretend für jede Konfliktposition beschreibt diese Umweltbeanspruchung § 194 BGB. Dort wird der zivilrechtliche Anspruch, der Klassiker der Konfliktpositionierung“, als das Recht (legal-)definiert, „von einem anderen“ ein Tun oder Unterlassen verlangen zu können. Das sich darin äußernde Begehren, das sich eben noch keinen aggressiven „Weg nach Draußen“ gesucht hat, ist das, was Mediatoren „Interesse“ nennen. Potenziell gibt es unendlich viele Möglichkeiten, das Interesse aggressiv zu erfüllen. Konfliktlösung heißt dann, dass die anstehenden und zu wählenden Aggressionen (=Umweltbeanspruchungen) am besten miteinander abgestimmt durchgeführt werden.

Positionen sind Ausgangspunkte, nicht Endpunkte

In diesem Sinne sind Positionen stets zu aktualisierende Ausgangspunkte bzw. Bedingungen einer jeden Beziehung, sei sie in einer kooperativen oder in einer kompetitiven Phase.

Persönliche Offenheit seiner Umwelt gegenüber, gepaart mit einer gemeinsamen Beweglichkeit, ermöglicht dem Beziehungsgeflecht, neu auftretende Gegensätzlichkeiten und Probleme einverständlich zu beheben. Offenheit und Beweglichkeit misst sich dabei am Kommunizierten. Was kommuniziert wird, ist veröffentlicht, steht „draußen“ und nicht mehr „dahinter“, ist thematisiert und der gemeinsamen Bewegung anheim gegeben. Watzke spricht bei der Mediation deshalb auch von einem Tanz und Reigen, denen sich die Beteiligten hingeben – oder nicht. Mediative Arbeit, Vermittlung konkret, ist für ihn wie „Freejazz“, der auch eingespielte Muster auflösen möchte, um letztlich doch wieder in Harmonie zu verfallen. Eine Zeit lang jedenfalls.

Was jedoch „Drinnen behalten“ wird, zurückgehalten, ob bewusst oder unbewusst, bleibt verborgen und bereichert die gemeinsame Beziehung nicht. Mediation ist in diesem Sinne auch ein Aufklaren und eine Bewusstwerdung der eigenen Interessen und Motivationen. Deshalb ist der Mediation ein strategisches Moment nicht abzusprechen.

Damit scheint auch ein weiteres, essentielles Ziel mediativer Kommunikation auf: Es geht nicht bloß um ein Miteinander reden, um einen Austausch der Meinungen. Vielmehr geht es um ein klar definierbares und dank des Gegenübers um ein verwirklichungsfähiges Ziel: Die „Reise“ führt über den Konflikt mit dem „Gegner“ zu sich selbst zurück in die eigene (innere) Motivation und damit zur eigenen Mitte. Und der Konfliktgegner hilft dabei und ist unverzichtbar.

Nun sind das sehr grundsätzliche Gedanken, die im Alltag des Mediationsgeschäfts nicht stets präsent sind. Konfliktbearbeitung und -vermittlung erscheinen hier häufig als mühseliges Beackern unbestellter Felder zur Winterszeit. Aber selbst in diesem Falle wird klar erkennbar, welche Interessen Mediatoren leiten und mit welchen Positionen sie Medianten beanspruchen:

„Formulieren Sie Ihre Interessen und gehen Sie abgestimmt vor. Auf lange Sicht ist das der Weg gemeinsamen Erfolgs!“

Wie geht Ihr in Euren Mediationen oder Fortbildungsseminaren mit den Begriffen Interesse und Position um? Welche Differenzierungen nehmt Ihr diesbezüglich vor?

Ich freu mich auf Eure Anregungen und Kommentare.