Struktur des Mediationsverfahrens

25 Grundlagen von Mediation (3)

§ 1 Abs. 1 Mediationsgesetz – „Mediation ist ein […] strukturiertes Verfahren“

Als ich 1998 begann, Jura zu studieren, dauerte es nicht lange, bis man mich fragte, ob ich nun all die Paragrafen auswendig lernen müsse. Anfangs verneinte ich die Frage, leicht ungläubig, ob mir das nicht doch noch bevorstehen würde. Als ich dann aber merkte, was mir tatsächlich bevorstand, antwortete ich leicht verzweifelt: „Wenn‘s nur das wäre!“

Es ist nicht ungewöhnlich, dass hinter juristischen Begriffen zuweilen eine ganz eigene Welt steht. Dabei mag ich hier nicht das Wörtchen „eigene“ betonen, sondern „Welt“, um zu verdeutlichen, wie viel in einzelnen Wörtern an Inhalt gepackt wird oder auch hineininterpretiert werden muss.

Der Gesetzgeber des deutschen Mediationsgesetzes fordert von Mediatoren, dass sie „ein strukturiertes Verfahren“ durchführen, vgl. § 1 Abs. 1 MediationsG. Damit überlässt der Gesetzgeber glücklicherweise die weiteren Entwicklungen der Art und Weise, wie Konflikte vermittelt werden, den praktischen Erfordernissen und den Erfahrungen der Mediatoren.

Es stärkt die Vielfalt der Mediationsbewegung, wenn Mediatoren das Mediationsverfahren frei von detaillierten gesetzlichen Anforderungen weiter entwickeln können und viele unterschiedliche Vorgehensweisen der außergerichtlichen Konfliktvermittlung als Formen von Mediation aufgefasst werden können. Und müssen.

Das Mediationsverfahren muss ein strukturiertes Verfahren sein

Das Mediationsgesetz möchte die Verfahren der außergerichtlichen Konfliktbeilegung, insbesondere die Mediation, fördern und einen verlässlichen rechtlichen Rahmen für die Durchführung der Mediation schaffen. Was der Gesetzgeber mit der Strukturiertheit des Mediationsverfahrens gemeint hat, ist weder im Gesetz selbst noch in den Gesetzesmaterialien ausgeführt. Die Vorgabe genauer Verfahrensvorschriften durch den Gesetzgeber war offensichtlich unerwünscht: Schließlich weiß der Gesetzgeber nur zu genau, wie detailliert Prozessordnungen verfasst sein können und oftmals auch müssen. Für das Mediationsverfahren trifft das indes nicht zu.

Das Mediationsverfahren soll den Medianten  gerade dabei helfen, aus gewohnten Konfliktlösungsansätzen, rechtlichen Denkweisen und Verfahrensarten auszubrechen. Während im Recht danach gefragt wird, wer Recht hat und damit einen Anspruch, soll es in der Mediation gerade nicht um diese binär codierte Kommunikation (Luhmann) gehen. Hier soll der Blick stattdessen auf alternative, d.h. sozial komplexere, Kommunikationsformen und Lösungsansätze gerichtet werden.

Der klassische Schulfall der Mediation illustriert das nach wie vor eingängig: Im sog. „Orangen-Fall“ streiten A und B darüber, wem eine bestimmte Orange zusteht. Beide machen den rechtlichen Anspruch geltend, die Orange zu bekommen. Die Mediation stellt in diesem Fall die Frage, aufgrund welcher Interessen A und B die Orange haben möchten. Es geht nicht darum, die Position, dass die Orange jeweils beansprucht werden darf, zu verteidigen (z.B. A meint, beim letzten Mal hat B die Orange bekommen!), sondern die zugrunde liegenden Interessen zu verdeutlichen. Danach gefragt stellt sich heraus, dass A die Schale benötigt, um damit einen Kuchen zu backen, währenddessen B gerne einen Orangensaft trinken möchte. Die Lösung nach einer erfolgreichen Mediation wäre also: A bekommt die Schale, B die geschälte Orange. Wie sich das für Schulfälle gehört, ist das schön einfach.

In der Praxis ist es höchst kompliziert und zuweilen komplex, die Interessen herauszuarbeiten und miteinander in Einklang zu bringen, zumal sie sich im Laufe der Mediation ändern und weiterentwickeln können.

Die persönliche, intime Frage nach den Interessen und Wünschen in ein strukturiertes Verfahren zu betten, ist dabei nicht einfach und bedarf ein gerütteltes Maß an Flexibilität und Kreativität. Jedes Mediationsverfahren belebt sich aus sich heraus und ist nur ansatzweise in ein Verfahrenskorsett zu kleiden. Und so sehr Struktur die Kreativität und Flexibilität einengen kann, so sehr wird sie dennoch benötigt. Struktur hilft, um einen Dialog über die unausgesprochenen und zum Teil unbekannten Interessen überhaupt erst zu ermöglichen.

Die Bedeutung der „Struktur“ für die Beteiligten eines Mediationsverfahrens

Die gesetzliche Strukturanforderung dient hauptsächlich der groben Strukturierung der verfahrensbezogenen Hauptpflichten des Mediators. Das Mediationsverfahren ist zu Beginn davon geprägt, dass Sie als Beteiligte gemeinsam mit dem Mediator Vereinbarungen darüber entwickeln, wie sie im Weiteren miteinander arbeiten und umgehen wollen. Ein guter Mediator bzw. eine gute Mediatrix wird mit Ihnen gemeinsam vereinbaren, nach welchen Grundsätzen sie alle zusammen arbeiten wollen. Daran können Sie und die anderen Beteiligten im Verlaufe des Mediationsverfahrens die Qualität messen. Sie sind damit ganz anders in der Verantwortung für den Fortgang des Verfahrens, wie das beispielsweise im Gerichtssaal der Fall ist.

Wie ein Mediationsverfahren ablaufen kann

Das Mediationsverfahren wird in Absprache mit Ihnen vom Mediator geleitet. Grundidee ist dabei, dass alle Beteiligten zusammen in einem Arbeitsbündnis konkrete Ziele und Vorgehensweisen festlegen. Sie bringen hierzu die relevanten (Streit-) Themen und die notwendigen Sachinformationen ein. Der Mediator wird daraufhin die erkennbaren oder vermuteten Interessen mit Ihnen zusammen herausarbeiten. Bereits dabei dürfte Kreativität ebenso nützlich sein wie auch anschließend, wenn es dann darum geht, die identifizierten Interessen einer gemeinsamen Lösung zu zuführen. Bei all dem ist es die Aufgabe des Mediators die Verhandlung so zu leiten, dass Sie einen Weg finden der sowohl Ihren Interessen, als auch denen Ihres Konfliktpartners, entspricht. Die so erarbeiteten Lösungen werden dann in einer Abschlussvereinbarung festgelegt.

Woran Sie die Strukturiertheit des Mediationsverfahrens erkennen

Ob ein Mediationsverfahren strukturiert ist, erkennen Sie bereits daran, dass Ihr Mediator Sie über den möglichen Ablauf des Verfahrens aufklärt und Sie zugleich, mit Ihrem Einverständnis, in dessen Aufbau einbindet. Damit Sie, bevor Sie in eine Mediation gehen, eine ungefähre Vorstellung von deren Ablauf haben, werden im folgenden die wichtigsten Elemente des Mediationsverfahrens vorgestellt. Hierbei kann es sich der Natur eines offenen, also nicht genau festgelegten Mediationsverfahrens nach lediglich um solche Elemente handeln, über die weitestgehend Einigkeit unter Mediatoren und Konfliktexperten besteht.

Das Phasenmodell des Mediationsverfahrens

In der Wissenschaft hat sich inzwischen für die Darstellung des Mediationsverfahrens ein Phasenmodell etabliert. Es orientiert sich an dem sogenannten Havard-Verhandlungsstil, der vier Hauptprinzipien kennt:

1. Mentale Trennung der Persönlichkeit des Verhandlungspartners von dem Sachproblem, das man mit diesem hat.

2. Konzentration auf Interessen

3. Entwicklung möglichst vieler Lösungsoptionen

4. Bewertung der Lösungsoptionen anhand von neutralen, objektiven Kriterien

Diese vier Prinzipien finden sich in jeder Phase eines Mediationsverfahrens mehr oder weniger wieder. Es haben sich mehrere Modelle herausgebildet, die ihrerseits unterschiedlich viele Phasen benennen. (Dem interessierten Leser sei dafür meine Dissertation zum Thema empfohlen.) Folgende Phasen sind elementar und sollten in jedem Mediationsverfahren vorkommen:

1. Eröffnungsphase

2. Klärungsphase

3. Verhandlungsphase

4. Endphase mit Abschlussvereinbarung

Die verschiedenen Phasen gehen in der Praxis oftmals fließend ineinander über oder wiederholen sich zuweilen, doch ist kaum eine je überflüssig gewesen. Insbesondere die Klärungs- und Verhandlungsphase überlappen sich häufig innerhalb eines Mediationsverfahrens.

Die Eröffnungsphase – Herstellen eines gemeinsamen Arbeitsbündnisses

In der Eröffnungsphase geht es darum, dass Sie über das Mediationsverfahren aufgeklärt werden und zudem um den Schutz Ihrer Interessen. Sie müssen wissen, worauf sie sich einlassen. Gemeinsam mit dem Mediator und Ihrem Konfliktpartner möchten Sie herausfinden, ob der Konflikt überhaupt für ein Mediationsverfahren geeignet ist und ob Sie tatsächlich dazu bereit sind, eine Mediation durchzuführen. Dem Mediator oder der Mediatorin kommen in der Eröffnungsphase elementare Schutzpflichten zu: so wird er Sie in dieser Phase über den Umfang seiner Verschwiegenheitspflicht aufklären, sich über die Freiwilligkeit Ihrer Teilnahme und derer Ihres Konfliktpartners vergewissern, und Sie über den Ablauf der Mediation aufklären und sich selbst vergewissern, dass sie verstanden haben, worum es in einer Mediation geht. Dazu ist der Mediator gesetzlich nach § 2 MediationsG verpflichtet. Auch muss der Mediator Ihnen berichten, welche Punkte seine eigene Neutralität und Unabhängigkeit beeinträchtigen könnten und Ihnen Informationen über seinen fachlichen Hintergrund, seine Ausbildung und seine Erfahrungen mitteilen, vgl. § 3 MediationsG. Üblicherweise endet diese Phase mit dem Abschluss eines Mediationsvertrags (Arbeitsbündnis), in dem mindestens Zweck und Gegenstand des angestrebten Mediationsverfahrens benannt werden.

Die Klärungsphase – Welche Interessen bestehen

Die Klärungsphase dient dazu, dass Sie und Ihr Mediator gemeinsam die „Tiefenstruktur des Konflikts“ (Montada/Kals) erarbeiten. Hierbei werden sowohl Ihre eigenen Interessen und die Ihres Konfliktpartners ermittelt, als auch Ihre gemeinsamen Interessen. Der Unterschied zu einer rechtlichen Problemklärung liegt darin, dass nicht Ihre Ansprüche und Positionen im Vordergrund stehen, sondern Ihre hinter diesen Positionen stehenden Interessen.

Das zeigt ein Grundprinzip der Mediation: Nur zusammen können Sie Ihren Konflikt klären, während in juristischen Verfahrensweisen aus dem sozialen Konflikt ein rechtliches Problem kreiert wird, das ein Richter allein lösen kann. Was dann aber mit dem sozialen Konflikt geschieht, steht auf einem anderen Blatt…

(Wer bereits an dieser Stelle mehr über die Unterschiede zwischen Positionen und Interessen erfahren möchte, der sei auf den elften Beitrag der Reihe verwiesen.)

Die Verhandlungsphase – Wie unsere unterschiedlichen Interessen gemeinsame Lösungswege ermöglichen

Die Verhandlungsphase stellt meist den Mittelpunkt der Mediation dar. Hier steht im Vordergrund, gemeinsam nach einer kreativen Lösung zu suchen und die jeweiligen Optionen zu bewerten. Der Mediator fungiert hierbei als neutraler, allparteilicher Vermittler. Das schließt es aus, dass er irgendeinen Beteiligten bevorzugt oder benachteiligt. Andererseits ist es nicht ungewöhnlich, wenn er einzelne Optionen und Lösungswege ausschließt oder zumindest Bedenken anmeldet oder sie einer anderweitigen Fachberatung zu unterziehen vorschlägt. So können Steuerberater oder Rechtsanwälte hinzugezogen werden, um den Klärungsbedarf zu befriedigen. Es stellt wohl den wesentlichen Nutzen eines Rechtsanwaltsmediators für die Beteiligten dar, dass dieser rechtliche Problemstellungen anvisierter Lösungen zu erkennen vermag und auf juristische Probleme hinweist. Professionelle Konfliktvermittlung schließt es unseres Erachtens allerdings aus, dass dem Mediator zugleich ein Prüfungsrecht durch die Medianten zugestanden wird. Hier sollten Parteianwälte befragt werden.

Die Endphase – Erntezeit des Mediationsverfahrens

In der Endphase wird eine Abschlussvereinbarung erarbeitet. Der Mediator wirkt darauf hin, dass Sie eine solche Vereinbarung in Kenntnis der Sach- und Rechtslage treffen und deren Inhalt auch vollumfänglich verstehen. Er wird Sie über die Möglichkeit informieren, die Vereinbarung von externen Beratern überprüfen zu lassen. Bestenfalls wird ein Mediator mit Ihnen ein schlichtes Abschieds- und Dankbarkeitsritual durchführen, das sich freilich in einem aufrichtigen Händeschütteln erschöpfen kann. Wichtig erscheint in unserer Mediationspraxis vor allem, dass der gemeinsame, steinige Weg ausreichend gewürdigt wird und die Dinge, die (nebenbei über sich und die eigene Konfliktkompetenz) gelernt wurden, nicht verloren gehen. Die Endphase hat Ankercharakter – im Hafen des sozialen Friedens. Das gilt zumindest für die, die ihn erreicht haben.

Anwesenheitspflicht im Mediationsverfahren?

Die gesetzliche Strukturanforderung verpflichtet den Mediator nicht, dass die Mediation zwingend mit allen Beteiligten zusammen stattfinden muss. Statt einer solchen sog. Präsenzmediation ist es auch möglich, im Wege einer sog. Shuttle-Mediation zu verfahren. Bei einer solchen Shuttle-Mediation pendelt der Mediator zwischen den Beteiligten hin und her und vermittelt auf diese Weise zwischen den Beteiligten. In diplomatischen Angelegenheiten ist das keine Seltenheit. In rechtsschutzversicherten Streitfällen wird diese Variante in Deutschland seit einigen Jahren per Telefon angeboten und mit großem Erfolg durchgeführt.