Mediationsstile
25 Grundlagen von Mediation (2)
Dies ist der zweite von insgesamt 25 Blogartikeln, welcher sich mit den Grundlagen der Mediation beschäftigt.
Nachdem ich im ersten Artikel über die gesetzlichen Grundlagen geschrieben habe, geht es in diesem Beitrag um Mediationsstile – also die Art und Weise, wie ein Mediator bzw. eine Mediatorin arbeitet, wenn er oder sie Konfliktparteien vermittelt.
Einleitung – Drei Mediationsstile lassen sich grundsätzlich unterscheiden
So wie Mediatoren bei ihrer Arbeit auf unterschiedliche Konfliktbeteiligte treffen und sich in ihrer Vermittlungstätigkeit auf diese einstellen, gibt es auch unterschiedliche Ansätze bzw. Stile, zu vermitteln. Welcher Stil vom Mediator gewählt wird, hängt nicht nur von seinen persönlichen Vorlieben ab, sondern auch, in welcher Sache konkret vermittelt wird. Mediationsstile sind in ihrer praktischen Anwendung kontextabhängig. Und jeder Mediator sollte über eine Vielzahl an Möglichkeiten verfügen, um flexibel auf die vielfältigen Entwicklungsmöglichkeiten in Mediationen reagieren zu können. Einen Stil bezeichne ich hier allgemein als ein Stereotyp, das äußerlich wahrnehmbares Verhalten, inkl. Sprechweise, Gestik, Mimik, Wortwahl etc. beschreibt.
Grundsätzlich lassen sich drei Stile unterscheiden, die jeder für sich eine Vielzahl an Mediationsschulen, -methoden und -konzepte aufweisen können:
- die sachorientierte Mediation
- die verfahrensorientierte Mediation
- die beziehungsorientierte Mediation.
Die sachorientierte Mediation rückt das Konfliktfeld in den Vordergrund. Das Verfahren selbst sowie die Konfliktbeziehung der Beteiligten stehen eher im Hintergrund und werden für eine beidseitige Annäherung kaum in Erwägung gezogen.
Der verfahrensorientierte Ansatz erkennt den Schlüssel der Deeskalation und Einigung in der passenden Auswahl und Gestaltung des Verfahrens.
In der beziehungsorientierten Mediation, stehen die am Konflikt beteiligten Personen und ihre konfliktbelastete Beziehung im Vordergrund. Hier werden die relevanten Ansatzpunkte für die weitere Entwicklung gesehen.
Es deutet sich an, dass es keinen besseren oder schlechteren Stil gibt, sondern, dass die Stile jeweils für die konkrete Vermittlungsarbeit kontextabhängig eingesetzt werden sollten. Selbst innerhalb einer Mediation mögen die Stile wechseln oder untereinander gemischt werden. Allerdings wird jeder Mediator aufgrund seines Herkunftsberufs, seiner Ausbildung und Erfahrungen einen bevorzugten Stil aufweisen.
1. Sachbezogener Mediationsstil
Bei einer sachorientierten Mediation wird der „Konfliktgegenstand“ in das Zentrum gerückt, also das, was die Beteiligten als Streitpunkt benennen. Das kann z.B. Geld sein. Dieser Konfliktgegenstand wird dann soweit von den Beteiligten und deren Konfliktgeschichte „nüchtern“ betrachtet, sodass die aufgeladenen Emotionen einer sachlichen Debatte um eine angemessene Lösung nicht weiter im Wege stehen.
Für eine sachorientierte Vermittlungsarbeit sind Kenntnisse der Konfliktmaterie bzw. der zugrunde liegenden Branche durchaus von Vorteil für den Mediator. Die sachorientierten Medianten fassen nicht selten eher zu einem Mediator Vertrauen, der „einer von ihnen“ ist, dieselbe Profession ausübt(e) oder auf andere Weise fachliche Erfahrungen vorweisen kann. Grundlage einer sachorientierten Vermittlung ist die Vorstellung, dass es eine optimale und objektiv feststellbare Lösung gibt, die auch auf vernünftigen Wegen gemeinsam gefunden werden kann. Dafür werden konsequent objektive Bewertungsmaßstäbe herangezogen, auf die sich zuvor gemeinsam geeinigt wurde.
Als die bedeutendsten Methoden in diesem Bereich können wohl das „Harvard-Konzept“ und die spieltheoretisch fundierte Methoden genannt werden. Auf die Einzelheiten beider Methodenansätze und ihre zum Teil gemeinsame Entwicklungsgeschichte will ich hier nicht weiter eingehen. Hervorstechendes Merkmal jedoch ist für beide, dass die Persönlichkeiten der Konfliktbeteiligten nicht als Schlüssel für die Lösungsfindung angesehen werden, sondern ein Hindernis sein können. Die Harvard-Methode empfiehlt stets mit Nachdruck, das „Problem von der Person zu trennen“. Oder deutlicher: Das Sachproblem ist nicht die Person, aber die Person kann erschweren, das Sachproblem zu erkennen. Aus diesem Grunde zielt die Harvard-Methode auf eine positive Einigung über den Konfliktgegenstand ab, wofür möglichst neutrale, messbare und allgemein anerkannte Kriterien heranzuziehen sind.
2. Verfahrensorientierter Mediationsstil
Ein verfahrensorientierter Mediationsstil ähnelt durchaus dem sachbezogenen Mediationsansatz. Dennoch gibt es Unterschiede im Detail. Insbesondere Kenntnisse über das Konfliktgebiet werden für weitaus weniger erforderlich gehalten. Entscheidende Stellschraube für die Vermittlungstätigkeit ist das Verfahrensdesign. Der Mediator ist vor allem dafür zuständig, das Mediationsverfahren professionell und „state of the art“ durchzuführen. Dadurch sollen Verfahrenshindernisse ausgeräumt und die persönliche Gesichtswahrung der Beteiligten gewährleistet werden. Inhaltlich bringt sich der Mediator nicht ein. Ziel ist, dass die Beteiligten sich (wieder) inhaltlich verständigen können. Hier zeigt sich die Nähe zum sachbezogenen Mediationsstil.
In der Praxis ist eine gängige Methode der Verfahrensorientierung bspw. die Pendelmediation („shuttle mediation“): Dabei befinden sich die beteiligten Parteien in verschiedenen Räumen und der Mediator „pendelt“ zwischen beiden hin und her und sorgt mit diesem Verfahrensdesign für einen sachlichen Informationsaustausch. Die Kommunikation zwischen den Personen findet über den Mediator statt, der die aufflammenden Emotionen auf diese Weise herausfiltert. Generell nährt sich der verfahrensbezogene Stil aus Methoden, die den Ablauf des Mediationsverfahrens besonders betonen und darin den Schlüssel für die Einigung erkennen. Auf diese Weise gelangen einige Mediatoren beispielsweise zu dem Schluss, dass das Mediationsverfahren aus weit mehr als 5 oder 6 Phasen besteht, die – verfahrensgetreu durchlaufen – zum Ziel führen.
3. Beziehungsorientierter Mediationsstil
Beziehungsorientierte Vermittlungsansätze unterscheiden sich erheblich von den verfahrens- und sachbezogenen Ansätzen. Der entscheidende Unterschied ist, dass die zwischenparteiliche Konfliktbeziehung der konkreten Konfliktpersönlichkeiten im Vordergrund steht.
Der Mediator versteht sich nicht als Problemlöser, sondern in erster Linie als Vermittler zwischen Menschen. Er ist „Mitmensch“ (Duss-von Werdt) und bringt sich als solcher ein. Derartige Mediatoren dürften ihre Tätigkeit am wenigsten als „Dienstleistungen“ bezeichnen, sondern als „Dienst am Menschen“. Ein gewisses Sozialarbeiter-Ethos dürfte ihnen nicht fremd sein.
Die verfahrens- und sachbezogenen Ansätze trennen das Problem von den Menschen, um deren Persönlichkeit und Emotionalisierungen außen vor zu lassen. Die beziehungsbezogenen Ansätze weisen demgegenüber darauf hin, dass die Probleme nicht ohne die (sozialen Rollen der) Beteiligten zu verstehen sind. Die Prämisse ist, dass die Parteien sich verstehen müssen, um aufeinander zugehen zu können. Idealerweise soll also beiderseitiges Verständnis für die Betrachtungsweise und das Denken der anderen Seite entwickelt werden. Daraus entsteht dann auch eine gemeinsame Lösungsfindung.
Diese Ansätze betonen, dass die Basis mediativer Arbeit (sozial-) psychologische Kenntnisse sind. Ohne die könnten nur Kompromisse erreicht werden. Dem liegt der Gedanke zugrunde, dass jedes Individuum im Konflikt seine ganz eigene Persönlichkeit wiederfinden kann („Die Bürde des Menschen ist unantastbar“). Konflikte sind eine höchstpersönliche Angelegenheit, die niemand anderes als die Inhaber lösen „dürfen“, wofür sie allerdings zuweilen Unterstützung benötigen. Deswegen fördert Mediation ebenso die Persönlichkeitsentwicklung.
Zugrunde liegende Konzepte sind bspw. die Transformative Mediation nach Bush und Folger. Einer Lösung gehen demnach stets innere Veränderungen bei den Beteiligten voraus. Der Prozess der Mediation dient zum einen dazu, die Konfliktparteien zu bestärken, ihre wahren Interessen und Bedürfnisse zu klären und diese auch offen zu formulieren (empowerment). Zum anderen soll die Mediation dazu dienen, die Interessen, Bedürfnisse und Sichtweisen des Gegenüber anzuerkennen und als Anlass für einen eigenen und damit gemeinsamen Wandlungsprozess zu begreifen (recognition). Letztlich betonen die beziehungsorientierten Ansätze Mediation als Rahmen für soziale Lernprozesse. Ähnliche Ansätze mit ganz anderen Methoden und Konzepten sind beispielsweise die „Transgressive Mediation“ nach Watzke, die Mäeutische Mediation oder die Transaktionsanalytisch fundierte Mediation. Allen diesen Ansätzen gemein ist die konflikttheoretische Grundlage, dass die Beteiligten individuelle Verantwortung an der aktuellen und unerwünschten Situation tragen und diese als Schlüssel für den Ausweg gilt.
Abschluss
Auf den ersten Blick mag man meinen, dass verfahrens- und sachorientierte Mediationsansätze geeigneter für Konflikte im Wirtschaftsleben, in der Politik und Verwaltung seien. Schließlich steht hier „die Sache“ stärker im Vordergrund, da die Menschen bloß ihre (rechtlichen) Pflichten oder ihre Arbeit erfüllen. Auf der anderen Seite erscheinen beziehungsbezogene Mediationsansätze dann vorzugswürdig, wenn zwischenmenschliche Beziehungen gestaltet werden sollen, etwa in Familienstreitigkeiten, bei anstehenden Scheidungen, in Schulen oder in Betrieben.
Bei genauerer Betrachtung zeigt sich aber, dass jeder der drei unterschiedlichen Ansatzpunkte (Konfliktgegenstand, Verfahrensdesign, Konfliktbeteiligte) für den Mediator in seiner konkreten Vermittlungsaufgabe hilfreich sein kann, Hypothesen zu entwickeln, die Konfliktsituation angemessen zu konzeptualisieren und anhand dessen den Konflikt so zu vermitteln, dass die Konfliktparteien im Verlauf zu Konfliktpartnern werden.
Hätte nicht gedacht, dass es keinen besseren oder schlechteren Stil gibt. Ist es umständlich, wenn die Stile innerhalb einer Mediation wechseln bzw. untereinander gemischt werden?
Zu 3: Vermittler von Menschen, „Mitmensch“ und „Dienst am Menschen“ klingt gut! (Mensch ist in unserer Gesellschaft so selten geworden.)
Die Stile zu wechseln ist keineswegs umständlich, sondern vielmehr situativ erforderlich. Es handelt sich bei den Stil-Konzepten zumeist um ein Spannungsfeld verschiedener Ziele und Ideen, aus denen sich in der Praxis dann der Mediator bedient…Es gibt sicherlich einen individuellen Grundton, aber Mediatoren tun gut daran, die anderen Töne und Instrumentarien auch zu schulen und zu beherrschen.
Hinsichtlich der Frage der Menschlichkeit und Existenz von Mit-Menschen habe ich durchaus die Idee, dass wir in unserer Zeit damit echt Glück haben. Wir sind ziemlich frei und können auswählen, mit welchen Menschen wir Kontakt haben wollen und mit welchen nicht. Das gilt sogar familiär. Und all das steht unter dem Motto „Suche nach Glück“. Da kenne ich keine historische Epoche, in der beides in ähnlicher Weise möglich war.
Klingt dann doch logisch die Stile zu wechseln. Wieder was dazu gelernt, danke!
Stimmt, da hast Du Recht (meistens ja sowieso, behaupte ich mal)
Ich meinte das „Mensch sein“ bezogen auf z.B. Alten- oder Krankenpflege bzw. das Gesundheitswesen allgemein, wo man ja kaum noch Mensch sondern eher eine Nummer oder ein Kostenfaktor ist.
Ja, die Kosten sind ein enormer Treiber zur Veränderung, vielleicht noch stärker als die Digitalisierung, gerade in diesem Bereich.
Das sehe ich auch so.