Vertraulichkeit in der Mediation

25 Grundlagen von Mediation (6)

Die Vertraulichkeit in der Mediation ist ein grundlegendes, wenn auch gesetzlich nicht konstitutives Element. Auch wenn Mediation nicht vertraulich durchgeführt wird, bleibt es eine Mediation im Sinne des Gesetzes, obschon es möglichweise gerade deshalb nicht zu einer Lösung kommen könnte.

Über die Vertraulichkeit definiert der Gesetzgeber die Mediation.

  • § 1 Mediationsgesetz, Begriffsbestimmung: „Mediation ist ein vertrauliches und strukturiertes Verfahren, bei dem….“

Das Merkmal der Vertraulichkeit hat dabei zwei Funktionen:

Zum einen grenzt es die Mediation als „geheimes“, nicht-öffentliches Konfliktmanagementverfahren von den Verfahren ab, die öffentlich durchgeführt werden (müssen), wie z.B. Gerichtsverfahren.

Zum anderen stellt das Vertraulichkeitsmerkmal sicher, dass die Informationen, die in der Mediation ausgetauscht, mitgeteilt oder generiert werden, nicht in einem gerichtlichen Folgeprozess genutzt werden dürfen.

Da Vertraulichkeit den Schutz der Mediationsbeteiligten zum Ziel hat, können diese nach Absprache (auch im Nachgang) die Vertraulichkeit „beenden“. Vertraulichkeit ist verzichtbar, sagen Juristen dazu. Letztlich ist sie ein Ausdruck der Eigenverantwortlichkeit der Medianten. Daraus ergeben sich verschiedene Probleme, um die es im Folgenden geht.

Vertrauen und Vertraulichkeit in der Mediation

Vertrauen zueinander ist für zwischenmenschliche Kooperationsprozesse wichtig – bei der Konfliktbearbeitung aber nicht einfach zu erreichen. Für einen offenen Dialog, der kreativ die Interessen der Beteiligten austarieren soll, ist Vertrauen nicht unwesentlich. Der gesetzliche Versuch, Vertraulichkeit zuzusichern, ist durchaus verständlich. Vertraulichkeit wird deshalb als ein elementarer Bestandteil einer erfolgsversprechenden Mediation angesehen.

Vertraulichkeit ist in dieser Hinsicht Bedingung für das Mediationsverfahren. Und damit auch die Bedingung für gegenseitiges Vertrauen. Überdies ist neu gewonnenes Vertrauen auch eine mögliche Konsequenz von Mediation.

Vertrauen und Vertraulichkeit haben einen wechselwirkenden Charakter und bedürfen steter Beachtung in der Mediation.

Deshalb ist es beispielsweise Ed Watzke möglich gewesen, eine ganz eigene Methode zu entwickeln, die für einige Mediatoren das Verfahren auf den Kopf stellt – die transgressive Mediation: Watzke fordert die Medianten zu Beginn auf, uneingeschränkt und bedingungslos Frieden zu schließen – und sich ohne Vorbehalt zu trauen, ab sofort das beiderseitige Verhältnis auf neue Füße zu stellen. Das ist – gerade in hocheskalierten Konflikten – eine gehörige Zumutung. Aber sie trägt Früchte. Es ist erst dieser Friedensschluss, der eine im wahrsten Sinne ungewohnte (nicht ungewöhnliche!) Kooperation ermöglicht, die von Absprachen und Verträgen markiert wird. Und wer glaubt, das funktioniere nicht, möchte ich an dieser Stelle auf meinen Blogbeitrag zur transgressiven Mediation hinweisen.

Blogbeitrag: Transgressive Mediation nach Ed Watzke: Mediation ist pay-pay, nicht win-win!

Zur Eigenverantwortung: Vertrauen ist materiell, Vertraulichkeit formal. 

Verantwortlich für die Vertraulichkeit des Mediationsverfahrens sind alle Beteiligten, also sowohl der Mediator als auch die Medianten. Das birgt neben Chancen auch gewisse Risiken. Es kann sich letztendlich nicht absolut darauf verlassen werden. In einer Mediation teilt man vertrauliche und mitunter persönliche oder gar intime Informationen einer Person oder Gruppe mit, die (zumindest im aktuellen Konflikt) als Gegner erlebt werden. Sollte die Mediation scheitern, erhöht sich das Risiko und erwächst gegebenenfalls zum Schaden. Vielleicht erwachsen daraus Schadensersatzansprüche  – aber auch sie sind häufig nur ein schwacher Trost und unzureichender Ausgleich für etwas, was nicht ausgeglichen werden kann.

Vertraulichkeit ist gut und schön, aber Vertrauen bleibt in eigener Verantwortung. Die Frage, was ich dem anderen zu traue, muss ich mir selbst beantworten. Und diese Antwort wird zur Grundlage meiner weiteren  Handlungen. Mediation – und das zeigt sich hier wie sonst kaum – ist ein Verfahren, dass die Verantwortlichkeit für das eigene Handeln nicht ausschließt, sondern einfordert und damit riskiert, zu misslingen.

Gerichtsverfahren gelingen dagegen immer – weil stets ein Urteil wirksam ergeht.

Es ist keine Ausnahme in der Mediation, wenn Medianten mangels Vertrauen schweigen, nicht offen sind, weil sie nicht können – und dafür die Verantwortung übernehmen. Es ist keine Frage von Feigheit oder Schuld, wenn die Mediation nicht zu einer Einigung oder Abschlussvereinbarung gelangt. Niemand, kein Gesetz und kein Mediator kann garantieren, dass Offenheit zur Konfliktlösung führt. Es sind die Medianten, die von Minute zu Minute entscheiden, inwieweit sie sich öffnen und sich dabei völlig im Klaren bleiben müssen, dass das nicht zwingend zum gewünschten Erfolg führt.

Mediatoren sollten, wenn sie Offenheit zur Bedingung machen, aufpassen, dass die Medianten nicht daraus schlussfolgern, dass das die einzige Bedingung wäre. Meiner Erfahrung nach lohnt es, Mediation stets als ein gemeinsames Navigieren auf Sichtweite in unsicherem und unbekanntem Gelände zu verstehen. Dabei die Augen offen zu halten ist absolut notwendig.

Vertraulichkeit – nicht nur formal verstanden, sondern materiell aufgefüllt – entpuppt sich als ein komplexes Merkmal. Es ist mit dem materiellen Aspekt des Vertrauens verbunden und schleust die Ungewissheiten, Gefahren und Risiken des Miteinanders in das Mediationsverfahren ein. Hier mündet es in die Grundlage von Mediation: Eigenverantwortlichkeit. Der Gesetzgeber kann formale Anforderungen und Rahmenbedingungen stellen, z.B. im Gerichtsverfahren bestimmte Beweisverwertungen verbieten, aber einen absoluten Schutz vor Vertrauensverstößen und -missbräuchen gibt es nicht.

Gesetzliche Rahmenbedingungen für Vertraulichkeit (und Vertrauen)

Der Gesetzgeber hat eine Verschwiegenheitsverpflichtung für die Mediatorin und ihre Hilfspersonen statuiert, nicht aber für die Medianten.

  • § 4 Mediationsgesetz – Verschwiegenheitspflicht: „Der Mediator und die in die Durchführung des Mediationsverfahrens eingebundenen Personen sind zur Verschwiegenheit verpflichtet, soweit gesetzlich nichts anderes geregelt ist….“

Diese Verschwiegenheitsverpflichtung beinhaltet, dass Dritten gegenüber keine Informationen weitergegeben werden dürfen. Jedoch gibt es im Mediationsgesetz keine ausdrückliche Regelung (z.B. zu einem Vortrags- oder Beweisverwertungsverbot hinsichtlich der im Mediationsverfahren generierten Informationen). Systematisch dürften solche Regelungen auch eher in den Prozessordnungen der Gerichtszweige gefunden werden. Der Schutz durch Vertraulichkeitsregelungen bei Mediationsverfahren ist momentan unzureichend.

Aber gerade für Mediation in Unternehmen und sonstigen organisationalen Kontexten ist es erforderlich, dass durch die Mediation weder Beweismittel verloren gehen („Wenn ich hier etwas sage, dann darf ich das nicht mehr im Gericht später sagen?“), noch hinzugewonnen werden („Das sage ich Dir hier, aber Du darfst es nicht vor Gericht gegen mich verwenden!“).

Bedeutsam sind auch Konstellationen, bei denen negative Konsequenzen gefürchtet werden (müssen), die sich außerhalb von Konfliktmanagementverfahren realisieren.

Beispiel: Eine Abteilungsleiterin gesteht in einer Mediation mit Kollegen, dass sie einst für den Verlust von Gegenständen eines Kollegen oder der Firma verantwortlich war. Muss sie mit Kündigung durch den Arbeitgeber rechnen? Wenn ja, was ist mit der Vertraulichkeit? Wenn nein, können sich dann „stibitzende“ Mitarbeitende in eine Mediation „flüchten“, indem sie bewusst darauf hinarbeiten, diese Information in einer Mediation in die Unternehmens-Welt zu bringen? 

Deshalb liegt es letztlich in der Hand der Beteiligten, Verwertungsverbote vertraglich zu vereinbaren.

Die Vertraulichkeit und ihre Grenzen – die §§ 138, 203 StGB

Grundsätzliche Wertentscheidungen hinsichtlich der Weitergabe von (vertraulichen) Informationen hat der Gesetzgeber in 203 StGB getroffen. Aber auch in § 138 StGB sind wichtige Anhaltspunkte zu finden.

  • § 203 Strafgesetzbuch – Verletzung von Privatgeheimnissen: „Wer unbefugt ein fremdes Geheimnis…offenbart, das ihm als… {Berufsgruppen=Tätergruppen}…anvertraut oder sonst bekanntgeworden ist, wird…bestraft.“

Vertrauensbrüche können strafrechtliche Konsequenzen für bestimmte Berufsgruppen haben, wenn sie Geheimnisse offenbaren, die ihnen in ihrer beruflichen Funktion anvertraut wurden. Der Mediator bzw. die Mediatorin ist in dem abschließenden Katalog des § 203 StGB allerdings nicht genannt. Relevant werden kann die Strafnorm für den vermittelnden Dritten dennoch, wenn er als Angehöriger der aufgezählten Berufsgruppen tätig wird. Einschlägig ist die Strafnorm auch, wenn der Berufsgruppenzugehörige als sachverständiger Dritte zur Mediation hinzugezogen wird. Das betrifft etwa Rechtsanwältinnen, Berufspsychologen, Sozialarbeiter etc.

  • § 138 – Nichtanzeige geplanter Straftaten 

Andererseits besteht gem. § 138 StGB auch eine Offenbarungspflicht, selbst wenn die Information vertraulich ist. Zugunsten der Allgemeinheit und potenziell bedrohter Individuen müssen Informationen weitergegeben werden, die Hinweise auf eine geplante Straftat i.S.d. Katalogs von § 138 StGB geben. Hier würde eine falsch verstandene Verschwiegenheitspflicht zu strafwürdigem Unrecht führen. Deshalb macht sich strafbar, wer geplante Straftaten (in der Qualität des Katalogs von § 138 StGB) nicht anzeigt. Dazu gehören beispielsweise Mord, Raub oder Brandstiftung.

Wer also innerhalb einer Mediation davon Kenntnis erlangt, dass z.B. ein Versicherungsbetrug mithilfe eines (gemeingefährlichen) Hausbrandes bestimmte Probleme lösen soll, der muss diese Informationen zur Anzeige bringen. Auf Einzelheiten dieser detailreichen Normen möchte ich hier nicht eingehen. Wichtig ist aber, dass diese Norm lediglich zukünftige Straftaten erfasst, nicht aber bereits begangene. Wer also von einem früheren Raub oder einer begangenen räuberischen Erpressung Kenntnis erlangt (durchaus nicht selten im Rahmen von Scheidungs- und Trennungsgeschichten), muss diese Information jedenfalls nicht nach dieser Norm offenbaren.

§ 4 MediationsG – Verschwiegenheitspflichten des Mediators

Die spezielle, fürs Mediationsverfahren konzipierte Regelung des § 4 MediationsG statuiert eine Verschwiegenheitspflicht sowohl für den Mediator als auch für seine Hilfspersonen. Die Norm erfasst nicht die Medianten selbst. Sie bezieht sich ausschließlich auf Informationen, die im Mediationsverfahren generiert oder auf sonstige Art erlangt wurden.

Ausnahmen von der Verschwiegenheitspflicht ergeben sich für den Mediator, wenn…

  • vorrangige Gründe der öffentlichen Ordnung zu beachten sind
  • es sich um Tatsachen handelt, die offensichtlich keiner Geheimhaltung bedürfen
  • die Offenlegung des Inhalts zur Vollstreckung der Mediationsvereinbarung zwingend notwendig ist.

Weitere Verschwiegenheitsverpflichtungen können und sollten mithilfe einer vertraglichen Vereinbarung abgedeckt werden. In einer solchen Vereinbarung kann beispielsweise konkret festgehalten werden, dass die Informationen nicht zum Gegenstand eines gerichtlichen Nachfolgeprozesses gemacht werden dürfen. Diese Verschwiegenheitsregelungen können innerhalb des Arbeitsbündnisses (= Mediationsabrede zu Beginn des Mediationsverfahrens) formuliert werden.

Vertraulichkeit der Medianten untereinander

Die vorstehenden Ausführungen können inhaltlich/materiell auch auf die Vertraulichkeitsabsicherung unter den Medianten bezogen werden. Aber direkt aus § 4 MediationsG ergibt sich das nicht. Die Norm erfasst nicht die Medianten selbst, sondern nur den Mediator und dessen Hilfspersonen.

Deshalb bedarf es hier eines vollständigen Rückgriffs auf eine gesondert zu treffende Mediationsabrede. Dieses Arbeitsbündnis sollte deshalb auch dringend eine Verschwiegenheitsabrede zwischen den Medianten regeln. Hierbei kann vereinbart werden, dass in einem – unter Umständen folgenden – Gerichtsverfahren die in der Verschwiegenheitsverpflichtung vereinbarten Vorträge und Sachverhalte nicht zulässig sind. Grundsätzlich steht es auch den Medianten zu, autonom zu entscheiden, welche Inhalte in die Vereinbarung einbezogen werden sollen. Als mögliche Konsequenzen bei Missachtung des Arbeitsbündnisses können Unterlassungs- und Schadensersatzansprüche sowie Vertragsstrafen vereinbart werden.

Zeugnisverweigerungsrechte 

Die Verschwiegenheitsverpflichtung für Mediatoren und ihre Hilfspersonen benötigt als Pedant ein Zeugnisverweigerungsrecht in anschließenden Gerichtsprozessen. Dieses ergibt sich für Zivilverfahren aus § 383 Abs. 1 Nr. 6 ZPO. Allerdings steht es auch hier wiederum im Ermessen der Medianten, den Mediator von der Verschwiegenheitsverpflichtung zu entbinden. Dies ergibt sich aus § 385 Abs. 2 ZPO. Im Strafverfahren gibt es grundsätzlich kein Zeugnisverweigerungsrecht für den Mediator. Für einzelne Berufsgruppen kann es hier allerdings ergänzende Spezialregelungen geben.