Das Menschenbild der Mediation (mit Transaktionsanalyse)

25 Grundlagen von Mediation (10)

Es gibt nicht nur ein Menschenbild der Mediation, sondern eine Vielfalt von Vorgehensweisen, in Konflikten zu vermitteln. Und damit gibt es auch eine – wenn auch letztlich geringere – Anzahl von unterschiedlichen Menschenbildern, die in Mediationen wirken. Sie lassen sich aber bündeln, sortieren und Strömungen zuweisen. Im Folgenden möchte ich ein hilfreiches Menschenbild vorstellen: Das transaktionsanalytisch fundierte Menschenbild für die Mediation.

Was sind Menschenbilder und welchen Sinn vermitteln sie

Von Menschenbildern spricht man bei grundlegenden, axiomatischen Annahmen über Menschen. Auf diesen Annahmen fußt letztlich alles Weitere, was Theorie und Praxis hervorbringen mögen; Konzepte und Modelle, Methoden und Tools.

Das, was hier Menschenbild genannt wird, ist ein Erklärungsprinzip, das ursprüngliche Muster aufzeigen soll, um sich in der Vielfalt der Erscheinungen zurechtzufinden.

Menschenbilder sind geeignet, die Arbeit von Mediatoren zu unterstützen, zu reflektieren und zu professionalisieren. Das erscheint angesichts der Arbeit von Mediatoren und ihres Vermittlungsauftrages notwendig. Die Gefahr, das eigene Menschenbild explizit zu machen und damit von der Ethik zur Moral zu wechseln und letztlich ideologisch zu arbeiten („Was nicht sein kann, weil es nicht sein darf!“), ist meiner Einschätzung nach latent vorhanden – und wir Mediatoren wären nicht die Ersten, die in diese Ideologie- und Diktat(ur)falle tappten. Da gab es schon ganz andere, die eine gute Idee angesichts des Leids und der Ungerechtigkeit in der Welt hatten, damit aber miserable Ergebnisse und Konsequenzen herbeiführten.

Dennoch halte ich es für wichtig, sich der eigenen Vorannahmen bewusst zu werden. Wir müssen uns der Gefahr des ideologischen Handelns stellen. Dies gilt insbesondere für uns Mediatoren, da es entscheidend ist, angemessene Entscheidungen zu treffen und gegebenenfalls unpassende zu korrigieren, vor allem im Umgang mit denjenigen, die wir möglicherweise voreingenommen wahrnehmen. Selbst wenn einige ernsthaft glauben, dass sie in der Lage sind, jeden Menschen völlig individuell wahrzunehmen und zu behandeln, ist es eine Frage der Professionalität, dennoch unsere eigenen persönlichen Muster zu reflektieren. Wir alle entwickeln Routinen in unserer Interaktion mit Menschen, und diese Routinen können schädlich werden, wenn wir ungeprüft davon ausgehen, dass wir frei von Mustern sind oder bleiben können.

Dass wir als Menschen in der Lage sind, unsere Vorannahmen bewusst zu machen und zu reflektieren und ggf. neu zu entscheiden, ist dabei schon ein spezifischer Ausdruck eines mediativen Menschenbildes.

Unsere Muster bzw. grundlegenden Entscheidungen beeinflussen unser Denken, Fühlen und Verhalten gegenüber den Medianten. Dies beeinflusst wiederum, welche Erfahrungen diese mit Ihnen machen werden. Und diese Erfahrungen ihrerseits werden abermals anhand des eigenen, d.h. eigenverantwortlich beschlossenen Menschenbildes abgeglichen – und es gegebenenfalls verändern. Medianten, Konfliktparteien und Menschen schlechthin sind also nicht einfach so, wie sie sind, sondern wirken auf Mediatoren „entlang“ deren Menschenbildes. Der Volksmund drückt das einfacher aus: „Wie man in den Wald hineinruft, schallt es heraus!“ – unklar und unbefriedigend bleibt aber die Frage, ob und wie man hineinruft, wenn es herausschallt?!

Transaktionsanalyse

Mir geht es im Folgenden nicht darum, ein verbindliches Menschenbild für die Mediation zu entwerfen und Euch vorzusetzen, sondern ein meiner Einschätzung nach hilfreiches Menschenbild vorzustellen, das für die Arbeit von Konfliktvermittlern hilfreiche Dienste zu leisten in der Lage ist und das in Beratungssituationen und Prozessbegleitungen hinreichend bewährt ist: das transaktionsanalytische Menschenbild.

Philosophische Verortung des Menschenbildes der Transaktionsanalyse

Das Menschenbild der TA wurzelt in der Humanistischen Psychologie bzw. dem philosophischen Existenzialismus. Besonders bei J.-P. Sartre, S. Kirkegaard und K. Jaspers lassen sich die Verbindungen erkennen, wenn auch die Literatur zur Transaktionsanalyse vor allem auf die dialogische Philosophie von Martin Buber (1878 – 1965) rekurriert. Das dürfte mit dem identischen Kernthema zu erklären sein, der auch das Trans-Aktionale und damit das dialogische Prinzip für maßgebend erklärt: Der Mensch wird am Du zum IchDieses existenzialistische Menschenbild etablierte sich in der Humanistischen Psychologie des vergangenen Jahrhunderts neben den bereits ausformulierten Psychologierichtungen der Tiefenpsychologie und des Behaviorismus. Innerhalb der Humanistischen Psychologie formierten sich jedoch unterschiedliche Strömungen:

  • die Transpersonale Psychologievertreten von A. Maslow
  • die Klientenzentrierte Gesprächspsychotherapie von K. Rogers,
  • die Gestalttherapie von F. Perls sowie
  • die von Eric Berne maßgeblich entwickelte Transaktionsanalyse.

Kernelement des transaktionsanalytischen Menschenbildes ist die Autonomie des Menschen.

Zuvorderst ist damit eine grundsätzliche Wahl- und Entscheidungsfreiheit des Menschen gemeint, seinem Leben Gestalt zu geben. Daraus erwächst ihm als Individuum (=unteilbare Einheit) auch eine Entscheidungsnotwendigkeit.

Diese Autonomie ist einerseits Voraussetzung von Vermittlungstätigkeit, zugleich aber auch Ziel vor allem transaktionsanalytisch fundierter Prozessberatung bzw. Konfliktbegleitung: Menschen kooperieren auf der Basis von Eigenverantwortlichkeit (auch im Konflikt) und verhelfen sich gegenseitig zu verstärkter Wahrnehmung eben dieser Eigenverantwortlichkeit (durch den Konflikt und seine konstruktive Bearbeitung).

Diese Autonomie-Konzeption der Transaktionsanalyseauf die an anderer Stelle näher einzugehen sein wird, erscheint dabei zunächst mit grundlegenden Dilemmata behaftet:

Wie können konfliktbeteiligte Personen begleitet und vermittelt werden, ohne sie

  • erstens in ihrer Autonomie zu verletzen und
  • zweitens, sie in ihrer Autonomiewahrnehmung und -ausgestaltung zu stärken.

Grundannahmen der Transaktionsanalyse

Transaktionsanalytisch fundierte Beratung ist Ausdruck von vier ineinandergreifenden Grundannahmen über Menschen. Sie sind der Bezugsrahmen der Transaktionsanalyse, ihr Kern, der das Hilfs- und Beratungsangebot ausmacht:

1. Die Menschen sind in Ordnung 

 The trail does not teach you who you are.

It can just teach you to accept who you are!  

(Leitspruch der Thruhiker)

Mit uns Menschen hat es schon seine Richtigkeit. Wir sind kein Fehler der Natur und auch nicht ihre Katastrophe. So wie wir Menschen sind, sind wir schon in Ordnung und kommen mit Anlagen auf die Welt, die uns grundsätzlich kooperativ und sozial sein lassen können – auch wenn wir uns nicht immer so benehmen.

Die Forschungen der Neurobiologie der vergangenen Jahre weist in eine ähnliche Richtung, weshalb sie innerhalb der „transaktionsanalytischen Szene“ auf großes Interesse gestoßen sind. Gleichwohl erscheinen einige kulturhistorischen Entwicklungen wie z.B. das Ausmaß von Gewalt ein Zeichen dafür zu sein, dass (auch) diese Sichtweise das Ergebnis eines langen Entwicklungsweges und keineswegs „gott- oder naturgegeben“ sind. Vielmehr zeigt die „Geschichte der Gewalt“ (Pinker, 2013) einen überaus optimistisch stimmenden Weg auf, den wir alle bisher beschritten haben.

Nach transaktionsanalytischer Vorstellung kommt jedes normale menschliche Kind mit der Fähigkeit auf die Welt, seine Möglichkeiten zu seinem und zum Vorteil der Gesellschaft zu entwickeln.  Jeder Mensch ist zwar in der Lage, schlimme Dinge zu tun (=Verhalten!). Wir können andere verletzen, quälen oder gar töten. Sein Wert als Mensch geht dadurch aber nicht verloren (vgl. etwa Art. 1 Abs. 3 Grundgesetz, Verbot der Todes- sowie der lebenslangen Haftstrafe). Er bleibt in seiner Einzigartigkeit wertvoll und Respektsperson. Dabei ist davon auszugehen, dass jeder Mensch grundsätzlich in der Lage ist, sein Verhalten anzupassen und entsprechend zu ändern.

Die Transaktionsanalyse differenziert damit deutlich zwischen dem Menschsein als solchem und dem spezifischen menschlichen Verhalten. Das führt konsequenterweise zu der Schlussfolgerung, dass Verhalten nicht per se Ausdruck der Persönlichkeit ist. Es ist z.B. auch kontextabhängig, was gerade für die Bearbeitung von Konflikten, v.a. in Organisationen bedeutsam ist.

Der Mensch wird nicht als Einzelwesen gedacht, sondern stets in Bezug zu anderen und damit als soziales Wesen. Das ist gerade für Mediationen der Wert transaktionsanalytischer Fundierung – es ist eben eine Trans-Aktions-Analyse, nicht eine Psycho-Analyse.

2. Der Mensch fühlt, denkt und handelt entsprechend

– Jeder Mensch kann denken, auch wenn er es nicht tut. –

Jeder gesunde Mensch verfügt über die Fähigkeit zu fühlen, zu denken und entsprechend zu handeln. Diese Annahme findet sich beispielsweise in der Theorie der „Ichzustände“ wieder, die kohärente Muster in diesen drei Dimensionen beschreibt. Die Anregung dieser einzelnen Dimensionen, vermittelt durch Sinnesorgane, ermöglicht es einem Individuum, die Welt zu erleben, ein Verständnis von ihr zu entwickeln (was im Konstruktivismus als Erkenntnistheorie betont wird), durch diese Erfahrungen zu lernen und sich selbst in dieser Welt, in Zusammenarbeit mit anderen Menschen, weiterzuentwickeln. Dies bildet die Grundlage für eine Lern- und Entwicklungsbereitschaft.

Diese Lern- und Entwicklungsbereitschaft findet im Spannungsfeld von Ich-Bezogenheit und Du-bzw. Weltbezogenheit statt, ist ein ständiger Prozess zwischen Selbstverwirklichungs- und Anpassungstendenzen – zwischen Wachsen und Überleben.

Entscheidend ist dabei, dass die Selbstverwirklichung in der Beziehung zu anderen Menschen erlebbar wird, während gleichzeitig die eigene soziale Anpassung in reflektierter Zurückgezogenheit Raum findet. Weder das eine noch das andere sollte übermäßig betont werden, da beide Pole sich gegenseitig bedingen. Dies ist ein zentraler Aspekt in der Konzeption der Transaktionsanalyse und legt die Entscheidungsfreiheit und -notwendigkeit des Menschen dar, wie er seine (Lebens-) Zeit gestaltet.

3. Der Mensch kann entscheiden und kann Entscheidungen widerrufen

– Wer nicht auf der Strecke bleiben will, muss ab und zu vom Wege abweichen. –

Die Konzepte und Modelle der Transaktionsanalyse haben ein weiteres verbindendes Element, das seinen Ursprung im Menschenbild hat: Menschen entscheiden (bewusst oder unbewusst) über Ihre Gedanken, Gefühle und Verhaltensweisen. Diese sind stets das Resultat einer grundsätzlich vorhandenen Wahlmöglichkeit.

Weder Gedanken und Gefühle noch Verhaltensweisen sind linear-kausal von Außen und unabhängig vom betroffenen Menschen, sondern bedürfen stets einer (wenn auch unbewussten) „zustimmenden“ Entscheidung des Betroffenen.

Dieser Entscheidungsbegriff ist umfassender als im Alltagsgebrauch zu verstehen und kennt nur eine Ausnahme: Der Mensch kann nicht entscheiden, nicht zu entscheiden, solange er lebt. Er muss entscheiden, wie er fühlend, denkend und handelnd auf den Verlauf seines Lebens reagiert. Diese Notwendigkeit zur Entscheidung ist unumgehbar, nicht verhandelbar und damit der menschlichen Entscheidungsgewalt entzogen.

Die transaktionsanalytische Beratung fußt letztlich auf der Annahme, dass es auch eine „Entscheidung“ ist, sein Leben jenseits des Bewusstseins über diese „Tatsache“ zu verbringen – und dass diese Entscheidung überprüf- und widerrufbar ist.

Angesichts dessen, dass diese Grundannahme der Transaktionsanalyse ihrerseits eine Grundentscheidung ist, lässt sie sich hervorragend für rekursive und selbstreflexive Überlegungen heranziehen. Oder anders ausgedrückt: Auch wenn sich hier die Katze in den Schwanz zu beißen scheint, so entwickelt dieser Biss doch die Stärke der transaktionsanalytischer Beratungs- und Vermittlungstätigkeit: Es ist auch dort auf die menscheneigenen Kräfte zu setzen, wo angesichts der System- und Umweltkräfte Hoffnungslosigkeit verführerisch erscheint.

4. Der Mensch strebt nach Autonomie

– Wir müssen den Spatz aus der Hand lassen, damit die Taube vom Dach ihren Platz findet. –

Wenn wir das transaktionsanalytische Menschenbild als „Leben bedeutet Entscheiden“ betrachten, wird klar, dass diese Entscheidungen sowohl die individuelle Freiheit als auch Verpflichtung widerspiegeln. Das eigene Leben als Reaktion auf Fragen nach Überleben und Gestaltung zu sehen, bedeutet, dass Verantwortung die Frage nach der Qualität der gegebenen Antworten in sich trägt.

Des Menschen streben nach Autonomie stellt sich als das Streben nach Aktualisierung und Belebung seiner Autonomie dar, als wahrnehmbare Möglichkeit, sich in seiner Autonomie fühlend und denkend zu erleben.

Die Vorstellung, dass der Mensch grundsätzlich nach Stärkung seiner Autonomie aufgrund seiner Autonomie strebt, entpuppt sich als Spitze einer zutiefst optimistischen und menschenfreundlichen Konzeption vom Menschen, die ihn dennoch zurückwirft auf sich selbst – zwar allein, aber als soziales Wesen.

Die postulierte Autonomie und das Streben nach ihr, sind stets als eine „bezogene Autonomie“ (Schlegel) zu verstehen. Dass wir Menschen tatsächlich Beziehungswesen sind, unterstützen die jüngsten Forschungen der Neurobiologie. Sie attestieren uns ein sog.  „social brain“ (Inse und Russel), das unsere gesamte psychische und physische Verfasstheit auf gelingende Beziehungen zu anderen, vor allem menschlichen Lebewesen, einstellt. Durch die drei K, Kommunikation, Kooperation und Kreativität, wachsen wir und aktualisieren wir unser Autonomiebestreben.

Autonomie Transaktionsanalyse