Danke, Konflikt, dass es Dich gibt! Was würde ich sonst bloß tun?

25 Grundlagen von Mediation (14)

Erst einmal ein Statement meinerseits:

Ich mag meine Konflikte – und recht häufig auch die der anderen.
Ich bin froh um sie und dankbar. Ich wüsste kaum, weshalb ich lernen sollte, wenn nicht um meiner Entwicklung aus Verwicklungen wegen.

Ich mag nicht bestimmte Arten mit Konflikten umzugehen.
Manchmal unterlaufen sie jedoch auch mir selbst, aber ich mag das dann nicht. Was ich insbesondere nicht mag, sind gewaltvolle Auseinandersetzungen, Machtkämpfe, Tribunale, Deklarationen der Macht und des Könnens.

Damit ist die Kernbotschaft schon angesprochen: Um Konflikte zu verstehen, müssen sie von ihren Bearbeitungsmethoden unterschieden werden.

Alles, was jetzt noch kommt, wird Fußnote bleiben müssen. Für mich persönlich zwar wichtig, für Sie aber, liebe Leserin und lieber Leser, nur noch schmückendes Beiwerk, eher zweitrangig.

Nach meinem Verständnis ist bereits viel erreicht, wenn bei Krieg und Geschrei, Gezeter und Gerangel, Türenknallen und provokativem Schweigen, nicht mehr der Konflikt als solcher „gesehen“ wird, sondern lediglich als Versuch, einen solchen, schon vorher existenten Konflikt erfolgreich zu bearbeiten, mögen die Mittel auch unzureichend sein.

Was mir an Konflikten gefällt, ist Folgendes:
Sie ermöglichen den Blick auf die andere Seite, verdeutlichen die Komplexität des Zusammenspiels. Das, was sonst im Dunkeln bliebe, weil dem Lichten zuwenden so menschlich ist. Ich bin dabei nicht der Meinung, dass wir uns erst im Dreck suhlen müssen, um Sauberkeit zu schätzen. Das ist keine clevere Strategie.

Was aber sinnvoll erscheint, ist sich seiner inneren Umgebung zu widmen, die Dinge zu erhellen, die sich lediglich im Dunkeln zu regen beginnen, die Ängste, Befürchtungen und Unzufriedenheiten anzuschauen, die unser Handeln kaum merklich zu steuern verstehen. Auch, wenn es stimmt, dass unser Bewusstsein max. 20% unserer Motivation parat hält und wir darauf aufbauend der Meinung sind, (rational) zu entscheiden, dann ist es wirklich clever, sich seiner Konflikte dankbar zu widmen, sie als das hauseigene Hollywood zu begreifen und die wiederkehrenden Blockbuster-Motive als To-do-Listen über den eigenen Schreibtisch und an den Kühlschrank zu heften.

Mediation bietet nun die Möglichkeiten, derartige Erhellungsprozesse in den Lebens- und Arbeitsalltag zu integrieren, denn sie dienen der gemeinsamen konstruktiven Bearbeitung von Konflikten. 

Freilich lernen Menschen auch, wenn sie ihre Konflikte kriegerisch, mit Machtmitteln und auf Unterwerfung zielende Mitteln, also langfristig destruktiv durchführen, aber sie lernen dann eben anders und anderes.

Im Folgenden möchte ich mich aus diesen Gründen dem Anlass einer Mediation annähern, dem zugrundeliegenden Konflikt. Das ist ein schwieriges Unterfangen, gilt es doch, diesen Begriff zu klären, ohne auf die Bearbeitungsmethoden zu schwenken, die ja bloße Versuche sind, Konflikte zu beenden.

Verständlich? Nein, aber das ist wichtig: Der Krieg ist nicht DER Konflikt! Der Kampf ums Recht haben, um Macht, um Beute ist nicht DER Konflikt, sondern das sind Versuche, den (zugrundeliegenden) Konflikt zu beenden. Es gilt also, den Konflikt von seinen Beendigungs- und Bearbeitungsversuchen begrifflich (und gedanklich!) zu trennen. Dann haben wir die Möglichkeit, Konflikte besser zu verstehen.

DER KONFLIKT SIND NICHT DIE VERSUCHE DER PARTEIEN, IHN ZU BEENDEN –

OFTMALS ABER KONFLIKTESKALATOREN! 

konkret: 
DAS KÄMPFEN, BEKRIEGEN, RUNTER- UND UNTERDRÜCKEN, DIE GEWALT, LAUTES ODER FIESES VERHANDELN,

ABER AUCH DAS TOTSCHWEIGEN, HERUMDRUCKSEN UND -LAVIEREN 

SIND VERSUCHE, EINEN KONFLIKT ZU BEENDEN,

NICHT ABER DER KONFLIKT SELBST.

Was ist dann aber der Konflikt? Mit was haben wir es zu tun?

Schaut man sich in der wissenschaftlichen Literatur dazu um, entsteht folgendes Bild: Dutzende Definitionsvorschläge, nicht nur wissenschaftsgebietsübergreifend, sondern auch innerhalb derselben Disziplin, sei es nun der Soziologie, der Rechtswissenschaften, der Familienforschung, der Diplomatie- und Staatenlehre oder auch der Evolutionsbiologie oder der Wirtschaftswissenschaften. Konfliktdefinitionen gibt es zuhauf und es ließen sich die Diskussionen darum zugleich dazu nutzen, die Definitionen auf diese Debatten anzuwenden. Eine schöne selbstreflexive Schleife ergäbe das!

Überall herrscht ein vielschichtiges und nahezu undurchsichtiges Verständnis von dem, was wir als Konflikt bezeichnen. Irgendwie meinen alle dabei schon zuweilen dasselbe, zumindest im Begriffskern, aber die Umgebung, der Begriffshof ist doch sehr zerfasert und vernebelt und hervorragend geeignet, aneinander vorbeizulaufen, ohne es zu merken.

Ich sage es gleich hier zu Beginn: Ich werde daran mit diesem Beitrag wenig bis rein gar nichts ändern. Was ich hier erreichen möchte, ist auf ein bestimmtes Merkmal aufmerksam zu machen, das meiner Meinung nach zum grundlegenden Verständnis von Mediation enorm wichtig ist.

Der soziale Konflikt

Ein Konflikt besteht,

  • wenn mindestens Zwei
  • bewusst
  • einen aktuellen
  • Gegensatz
  • kommunizieren
  • und annehmen, voneinander abhängig zu sein.

a) „…mindestens zwei soziale Einheiten…“

An sozialen Konflikten sind immer mehrere Menschen beteiligt, ob für sich oder in Gruppen und Organisationen zusammengefasst. Egal, wie man sie nennt, Subjekte, Konfliktparteien oder -beteiligte, Akteure oder Seiten.

b) „…kommunizieren…“

Konflikte sind Kommunikationsprozesse. Konflikte werden nicht nur kommuniziert, sondern es gilt vielmehr, dass ohne Kommunikation auch kein Konflikt existiert. Und hier ein kleines Geheimnis für die Freunde der Selbstüberschätzung: Es ist nahezu unmöglich, mit dem eigenen Konfliktpotenzial hinterm Berg zu halten. Der Großteil unserer Kommunikation erfolgt unbewusst und das gilt besonders für die Inhalte, die wir nicht kommunizieren wollen! Also – es ist gut möglich, dass ihr Konfliktpartner oder Dritte den Konflikt noch eher als Sie erkennen oder spüren. Deshalb sind Reflexionsgespräche mit zugewandten und vertrauten Dritten so hilfreich für die eigene Psycho- und Interaktionshygiene.

Konflikte sind also alles andere als Resultate von Kommunikation und schon gar kein Anzeichen für das Scheitern oder Versagen von Kommunikation oder das Ergebnis von zu wenig Kommunikation, sondern allenfalls ein Hinweis, dass die Art und Weise der Kommunikation von den Beteiligten als unzufrieden aufgefasst wird. Klar ist damit auch, dass Konflikte nicht die Kommunikation unterbrechen. Was hier als Bruch wahrgenommen wird, ist die Veränderung der Konfliktbearbeitung.

c) „…einen…Gegensatz…“

Der Begriff „Konflikt“ entstammt dem lateinischen conflictus, was Zusammenstoß, Widerstreit oder Zwiespalt bedeutet. Zwei stoßen aufeinander, prallen zusammen. Der Gegensatz, der vorher existierte, wird deutlich, das Getrenntsein, dass doch auch (unschön) zusammenführte, ist kaum noch zu verheimlichen. Doch im und durch den zusammenführenden Gegensatz offenbart sich auch ihre Gemeinsamkeit.

Der Konflikt trennt und zeigt Trennung auf und führt dennoch zusammen: In trennender Uneinigkeit treffen die Subjekte aufeinander. Das ist das Paradoxe im Konflikt, das erst auf höherer Stufe Klärung finden kann.

Gegensätze allein begründen keinen Konflikt, sondern erst das zusammenführende Element führt zur Gemeinsamkeit „Konflikt“. Bloße Gegensätze blieben bedeutungslos ohne diese zusammenführenden, gemeinsamen „Anziehungs-„Kräften.

Doch bevor ich hier Gefahr laufe, die Esoterik-Ausfahrt zu nehmen, will ich nochmal Gas geben und die Spur halten: Wir sind alle unterschiedlich, wir sind nicht gleich, haben nicht die gleichen Erfahrungen und Meinungen, wir möchten uns unterscheiden, differenzieren, absondern, möchten Einzigartigkeit leben und erleben, möchten uns in unserem Anderssein von anderen trennen, um letztlich wieder zusammenzukommen.

Manchmal finden wir uns dabei reizend, und manchmal reizen wir uns bis aufs Blut.

Bloße Unterschiede begründen also keinen Konflikt, sondern es sind die Anziehungskräfte, die nicht weltenfremden Ursprungs sind, sondern unser maßgeblicher Zug als soziale Wesen.

d) „…aktuellen…“

Der Konflikt besteht immer nur aus dem jeweils aktuell wirkenden Gegensatz. Vergangene Gegensätze können zwar nachwirken, doch allein diese aktuellen (Nach-)Wirkungen sind es, die den zu bearbeitenden Konflikt ausmachen. Die Frage ist also, welche Gegensätze wirken jetzt.

e) „…bewusst…“

Soweit sich die Beteiligten über die Gegensätze bewusst sind, begründet sich (für sie) auch der Konflikt und führt zwangsläufig zum ersten Schritt der Bearbeitung und beabsichtigten Auflösung – unabhängig von der bevorzugten Methode.

f) „…annehmen, voneinander abhängig zu sein…“

Das wichtigste Element des Konfliktbegriffs neben der Gegensätzlichkeit ist die Annahme der Beteiligten, voneinander abhängig zu sein.

Die Gegensätzlichkeit führt nur dann zum Konflikt, wenn die Beteiligten meinen, sie seien voneinander abhängig (Interdependenzannahme). Die eigene Sicht- und Vorgehensweise wird als durch den anderen bedroht und gefährdet angesehen.

Die Unterschiedlichkeit wirkt nicht mehr bereichernd, sondern bedrohlich für die eigenen Sichtweisen.

Ob diese Vorstellung einer Überprüfung standhält oder nicht, ist für die Existenz des Konflikts zunächst einmal belanglos. Die Interdependenzannahme, egal ob irrtümlich oder real begründet, führt zu der Annahme, dass der wahrgenommener Gegensatz im „gemeinsamen Einflussbereich“ liegen müsse.
Derjenige, der sich vom Gegner (innerlich) löst bzw. lösen kann, beendet den Konflikt auch im Äußeren. Konfliktbehandlung ist im Grunde genommen Interdependenzbehandlung, nicht Gegensatzauflösung.

Oder anders: 

Wenn einer nicht will, können zwei nicht streiten.

Dieses Interdependenzannahme bzgl. der Gegensätzlichkeit drückt sich in Spannung, Emotionalität und schwer erträglichen Meinungsverschiedenheiten aus. Die emotionalen Elemente der Beteiligten zeigen ihre Betroffenheit, wie sie durch die Abhängigkeit beschäftigt sind und aufgerieben zu werden drohen. Dieses Spannungsverhältnis ist für die Beteiligten und zuweilen auch für Dritte körperlich spürbar. Dieses Verständnis führt auch dazu, dass im Konflikt keineswegs die emotionale Verbundenheit unterbrochen wäre, sondern im Gegenteil, sie bindet ihre Kräfte in Abwehr- und Schutzreaktionen.

Es ist gerade der konfligierende Gegensatz, der das Wertungsurteil eigener Wichtigkeit beeinflusst und rückt dadurch die (Arbeits-)Beziehung…

Leitfrage ist:

Wie machen wir das, was wir machen?

…in den Vordergrund der Wahrnehmung seiner Beteiligten.

Keiner der Beteiligten kann die – nach Einigkeit strebende, weil zusammenprallende – Gegensätzlichkeit (mehr) ignorieren und bloß als schlicht Verschiedenes oder Unterschiedliches begreifen. Gegensätze sind nicht mehr bereichernde Unterschiedlichkeit, sondern Kräfte der Zerstörung eigener Identität oder was dafür aktuell gehalten wird.

Fakt ist im Konflikt jedenfalls eins: Die Zusammenspiel, wie es sich bisher abspielte, hat sich überlebt und gewinnt durch die Notwendigkeit, es zu überdenken und künftig anders zu gestalten, an Bedeutung. Das ist die Signalwirkung des Konflikts: Veränderungen stehen an.

Die Mediation ist letztlich nicht die schlechteste Idee, sich darüber im Einzelnen klar zu werden.

Was es bedeutet, diese soziale Konfliktsituation vor Gericht bzw. auf juristischen Wegen zu bearbeiten, werde ich beim nächsten Mal beleuchten, wenn es um die Verrechtlichung des sozialen Konflikts geht – und wem das nützt.