Das Dramadreieck als Analyse- und Interventionskonzept in der Mediation

Konfliktvermittler*innen übernehmen die Aufgabe, (erstens) die Konfliktdynamiken zwischen den Beteiligten zu verstehen und verständlich zu machen, (zweitens) die passenden Schlüsse für sich und die erforderlichen Interventionen zu ziehen und (drittens) damit den Vermittlungsprozess zu initiieren und möglichst zu einem gelingenden Abschluss zu führen.

Für diese Arbeit eignet sich das – in der Transaktionsanalyse entwickelte – Dramadreieck von Karpman hervorragend.

Das Dramadreieck von St. Karpman

Das Dramadreieck verdeutlicht konfliktkonstituierende psychologische Rollen, die von den beteiligten Personen jeweils individuell ausgefüllt werden. Damit kreieren die Beteiligten psychologische Spiele, die musterhaft und damit gewissermaßen vorhersehbar verlaufen. Für Mediator_innen ist die Kenntnis derartiger Verlaufsmuster hilfreich, um entsprechend intervenieren und “irritieren” zu können – und damit die Muster zu unterbrechen, die ihrem Wesen nach eskalierend und konfliktverschärfend sind.

Das Dramadreieck zeigt geradezu archetypische Verlaufsmuster einer Konflikteskalation auf.

Im Dramadreieck gibt es die „Verfolger-“, „Opfer-“ und die „Retter-“Rolle, die den Konflikt konstituieren, aufrecht erhalten und eskalieren.

 

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Die Pfeile deuten an, dass die Rollen getauscht werden können – und zwar innerhalb desselben Konflikts und tatsächlich innerhalb von wenigen Sekunden! Die Dynamik entsteht im Konflikt aus dem schnellen Wechsel der Rollen!

Beispiel: Ist die soziale Rolle eher auf verfolgerische Elemente angelegt (z.B. Staatsanwalt/-anwältin) oder auf rettende (z.B. Rettungssanitäter_in) oder auf Opfer (z.B. Arbeitssuchende_r oder Alkoholiker_in), ist die psychologische Rolle keineswegs festgelegt. Das schnelle „Springen im Dramadreieck“, das die psychologischen Rollen beschreibt, nicht die sozialen(!), lässt den Konflikt erst so richtig „sozial bedeutsam“ werden.

Gemeinsamkeiten der Rollen im Dramadreieck

Gemeinsam ist den Rollen, dass sie als nicht authentisch bzw. als “unecht” erlebt werden: Die Personen agieren stereotyp, agieren wie sie es „gewohnt“ sind. So werden sie auch von anderen erlebt. Mit anderen Worten: Jeder weiß mehr oder weniger, was wir denken und wie es sich anfühlt, von der Welt betrogen und verlassen zu sein (Opferrolle) oder sich absolut im Recht zu fühlen und dem anderen nachstellen zu dürfen, damit er es „endlich auch zugibt“ (Verfolgerrolle). Und wir wissen auch alle wie es sich anfühlt und was wir dabei denken, wenn wir anderen beispringen müssen(!) und gar nichts anderes möglich erscheint als die anderen zu retten (Retterrolle). Und wir haben alle Bilder und Personen im Kopf, die eine dieser Rollen für einen bestimmten Zeitraum ausfüllen und konnten beobachten und könnten es beschreiben, wie diese „Personen“ sich in den einzelnen Rollen verhalten. Wir kennen diese Stereotypen und „durften“ in unserem Leben bereits Personen entsprechend erleben.

Ein weiteres Element ist, dass die Rollen stets durch Abwertungen der Beteiligten, die zueinander im Beziehungskontakt stehen, bestimmt werden.

Die Verfolger-Rolle im Dramadreieck

Die Verfolger_in-Rolle wird häufig von Personen bevorzugt, die andere herabsetzen, sie übermäßig kritisieren, sie bestrafen (wollen) oder sogar ernsthaft verletzen. Das bevorzugte Kommunikationsthema ist Kritik und Anklage sowie Verurteilung; anderen Menschen wird zugesetzt und auf ihnen „herumgehackt“. Die entsprechende Grundeinstellung ist „Ich bin o.k., du bist nicht o.k.“. Typischerweise pflegen Personen, die die Verfolger_innen-Rolle einnehmen, ein Ersatzgefühl von Ärgerlichkeit. Abgewertet und missachtet wird bei all dem einerseits das eigene Bedürfnisse nach Nähe und Intimität (Vertrautheit!) und andererseits der Wert und die Würde anderer Menschen.

Die Opfer-Rolle im Dramadreieck

(Kommunikatives) Thema der Opfer-Rolle ist die eigene Hilflosigkeit und die vermeintliche Ablehnung durch andere. Ausgefüllt wird diese Rolle nicht nur mit offener Hilflosigkeit, sondern auch mit lockender Schüchternheit, verführerischer Kindlichkeit oder vermeintlicher Unwissenheit bis zur tollpatschigen Unbeholfenheit. Personen, die diese Rolle bevorzugen, haben die Grundeinstellung „Ich bin nicht o.k., du bist o.k.“, mitunter auch „Ich bin nicht o.k., du bist nicht o.k.“. Häufig sind Ersatzgefühle der Ängstlichkeit und Traurigkeit bemerkbar. Bei all dem werten die Personen massiv ihre Fähigkeiten zur Problembewältigung ab oder ignorieren sie schlichtweg.

Die Retter-Rolle im Dramadreieck

Themen der Retter_in-Rolle sind Befreiung und Erlösung, Sicherheit und Trost. Kommunikativ wird dabei oftmals eine gewisse Allwissenheit angeboten (zumindest, was die Probleme des identifizierten Opfers betrifft), und mit zum Teil unsagbarem Mitleid, mit Sorgenbekundungen und grenzenloser Hilfsbereitschaft, aber auch mit ungefragten Ratschlägen und Rettungstaten (re-)agiert und zuweilen traktiert. Die Retter_in-Rolle wird – wie schon die Verfolger_in-Rolle – auf der Basis von „Ich bin o.k., Du bist nicht o.k.“ im sozialen Feld ausgefüllt. Das wird deutlich an den Abwertungen gegenüber den Opfer-Rollen, deren Fähigkeiten, sich selbst zu helfen, missachtet, ausgeblendet und in diesem Sinne abgewertet werden. Schließlich benötigt die Retter_in-Rolle zwingend Opfer, um Retter_in sein zu können.

Etwas Überpointiert: Retter_innen fixieren Opfer, damit sie Retter_innen bleiben können.Zuweilen lassen sich zu Retter_innen gar nicht anders Kontakt aufnehmen als mit einem „Opferstatus“ anzuklopfen. In der Retter_innen-Rolle wird das eigene Bedürfnis nach gleichberechtigter (und damit emotional gleich riskanter) Kontaktgestaltung ausgeblendet. Häufig sind Ersatzgefühle von (selbstgefälliger) Überlegenheit und (grundloser) Lösungssicherheit durchaus den „eigentlichen“ Gefühle der Angst und Unsicherheit, aber auch der Traurigkeit und Ärgerlichkeit vorgeschalten. Hier hilft das transaktionsanalytische Konzept der Ersatzgefühle zu einem besseren Verständnis.

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Der praktische Nutzen des Dramadreiecks

Die Anwendungen innerhalb eines Mediationsverfahren sind vielfältig. Die Grafik ist schnell visualisiert und das Konzept mit wenigen Worten beschrieben. Meinen Erfahrungen nach gewinnen die Beteiligten recht schnell ein mentales Bild und können das Modell auf ihre aktuelle Situation übertragen. Sie erkennen intuitiv ihre eigene Dynamik und gewinnen eine neue Perspektive auf Ihre Konflikteskalation.

Eher früher als später taucht die Frage auf, was denn zu tun sei, wenn man „nicht mehr im Dramadreieck“ agieren will: Und schon besteht die Möglichkeit, das Modell selbstreferentiell anzuwenden. Denn hier schleicht sich die Verführung zu retten, durch den Dienstboteneingang in die Mediation: Als Mediator retten sie nicht die Beteiligten, sondern unterstützen sie. Insoweit können Sie als Mediator_in die Frage zurückspielen und sie den Beteiligten selbst stellen. Sie wissen in aller Regel, welche Antworten hilfreich sind und was zu tun ist, um nicht im Dramadreieck weiter zu agieren.

Für die Mediation, die regelmäßig an einem runden Tisch stattfindet, eignet sich die Dreiecksmetapher noch in einem weitergehenden Maße. Soweit sie an einem runden Tisch sitzen, wie es Lehrbücher zur Mediation empfehlen, können sie mit diesen materiellen Bezügen spielerisch umgehen. Ihre Mitte verkörpert die Verantwortungsmitte, zu der alle den gleichen Abstand/die gleiche Nähe haben  und insoweit gemeinsam Verantwortung tragen.

In dieser Metapher vom Runden Mediationstisch als Alternative zum Dramadreieck, mögen bei Bedarf die Leitideen der Mediation mit den Anliegen der Transaktionsanalyse verknüpft werden. (Eine genaue Beschreibung der Leitideen der Mediation findest Du in diesem Beitrag hier.)

Transaktionsanalyse

Was generell hilft „im Kampf gegen das Dramadreieck“

Gegenüber Personen, die in der Verfolger-Rolle verfangen sind, lohnt es oftmals, Menschen zu erblicken, die es gewohnt sind, dass ihnen nicht zugehört wurde, obschon sie viel zu sagen hatten und haben. Deshalb tun sie sich (aus Gewohnheit oft) schwer damit, sich in einer Weise mitzuteilen, der man gerne zuhört.

Gegenüber Menschen, die sich in eine Opferdynamik verwickelt haben, erscheint der Gedanke förderlich, dass es sich um „wartende Menschen“ handelt. Um Menschen, die darauf warten, dass die richtigen Personen sich wirklich einmal aufrichtig entschuldigen. Damit kann das angemessene Mitgefühl aktiviert werden, ohne in unangemessenes Mitleid zu verfallen (typische „Retter-“Reaktion).

Gleichsam handelt es sich auch bei Menschen in der Retter-Rolle um Wartende: Sie warten darauf, dass die richtige(n) Person(en) einmal aufrichtig „Danke!“ sagen. Hier sollte der Mediator von Berufs wegen bei und für sich Acht geben.

 

Welche Erfahrung habt Ihr in Euren Mediationen mit dem Dramadreieck machen können?